Letters home 1967 -1978

Wednesday, February 27, 2008

Through Laos and Thailand




17. 2. 68

Phattalung, Süd-Thailand


Lieber Rolf!


Nach 4stündigem Versuch, hier ausserhalb der Tropen-Ortschaft einen Wagen zu erwischen, habe ich für heute das Trampen aufgegeben. Bis hier hin und nicht weiter. 


So habe ich mich gezwungenermassen entschlossen, bis Chumphong einen Zug zu nehmen. Sicher kannst Du die Namen dieser Ortschaften kaum auf einer Karte finden, doch das nur zur Orientierung, ich befinde mich im Südzipfel von Thailand, von Malaysia kommend. Den Aufenthalt jetzt am Bahnhof und die bevorstehende Zugreise will ich dazu benutzen, wieder etwas von mir hören zu lassen.


Sicher, Du hast Recht, das hätte wieder mal viel früher geschehen sollen. Der Monat in Indien jedoch hat mich wirklich hart gebeutelt, so dass ich meist kaum in der Lage war, an Zuhause zu denken, geschweige denn einen Brief loszulassen. Auch jetzt will ich nicht mehr von diesem furchtbaren, elenden, doch wunderbaren Land Indien erzählen, das hiesse wieder durchleiden und wiederholen, was mir gar nicht so zusagt. 


Was Indien anbelangt, muss ich Dich an die Mutter- Informationszentrale verweise. Dort machst Du mal einen kleinen Besuch, und ich bin sicher, dass Mutter Henny Dir meine Briefe und damit ein paar Schatten meiner Eindrücke dort zum Lesen geben wird.


Was Du heute erfahren sollst, ist mehr neueren Datums, also frischer und sicher interessanter. Ich habe hier etwas erlebt, das mir wirklich an die Knochen ging. Doch schnell noch einmal meine Marschroute seit Nepal.

Vor Weihnachten noch bin ich gleich bis nach Südindien durchmarschiert, teils aus alberner Sehnsucht nach Schwitzen und Sonne, teils der Unruhen in Nordindien, vor allem Kalkutta wegen. Nach Ceylon gab’s keine Fähre. So verbrachte ich den ganzen Januar in Südindien, fuhr kreuz und quer, doch meistens kreuz. 6 Tage erholsame und faule (trotz Panik und Feuer an Bord und schlechten Frass) Deckpassage von Madras nach Penang. So – und seither in Südostasien, zuerst in Malaysia und nun auf dem Weg nach Bangkok.


Die Bevölkerung Malaysias besteht zu 40 % aus Malayen, 40 % Chinesen und 20 % Hindus. Die Hindus, eine zahlenmässige Minderheit also, feiern im ersten Vollmond ihres Jahres dieses Festival, Thai Pusam genannt. Das Zentrum ist in der Nähe von Kuala Lumpur, an einem kleinen heiligen Ort, den Batu Hoehlen.


Schon morgens um 6 Uhr nahm ich einen Bus von Kuala Lumpur, um rechtzeitig in der kleinen Ortschaft zu sein. Dort waren wohl schon an die 200.000 Menschen versammelt. Unschuldig und kaum informiert folgte ich der farbigen Menge hinunter zu einem kleinen Fluss. Der Platz am Ufer war überfüllt, Rauch von hundert kleinen Feuern und Räucherkerzen lag in der Luft, es roch nach Menge und Unbehagen. Ich zwängte mich in die Masse, um dem Schauspiel am Ufer näher zu sein. Ununterbrochen schlugen Trommeln heisse und mitreissende Rhythmen, während sich die Hindus im braunen Schlamm des Flusses wuschen. 


Am Ufer erwarteten sie braune und wild aussehende Sahdus (eine Mischung aus Yogi, Fakir, Priester und Bettelmönch). Sobald sie ans Ufer traten, vollzog sich in ihnen eine Wandlung. Während der Sahdu ihnen die Hand auflegt, werden sie von einem fürchterlichen Zucken und Schütteln ergriffen, als wenn durch die Hand des Sahdus ein gewaltiger elektrischer Schlag fahren würde. Sie beginnen zu schreien, zu taumeln, zu tanzen, geraten in tiefe Trance. Nun wird der Besessene (das Wort passt durchaus) zwischen mehreren Sahdus genommen, die ihn singend und gestikulierend umtanzen. Dann beginnt das Unglaubliche. Während um ihn herum der Wirbel weitergeht, stechen die Sahdus durch die Haut des Körpers kleine Spiesse, Haken und Speere. Durch die herausgestreckte Zunge, durch die Backen, die Stirn und durch die ganze Haut des Oberkörpers. Manche bekommen einen Gürtel mit nach innen stehenden Nägeln und Haken tief um den Leib gesteckt. Kein Blut ist zu sehen. 


Meine Reaktion, während ich das alles sehe, ist schlecht zu beschreiben. Entsetzen mischt sich mit Erstaunen. Doch weiter. Ich bleibe wohl eine Stunde zwischen der rasenden und ekstatischen Menge, verfolge, wie einer nach dem anderen aus dem braunen Wasser entsteigt, in Trance fällt, sehe zu, wie einige wohl an die hundert Speere und Spiesse bekommen. Einige ziehen sich Nagelschuhe an, gehen, tanzen auf spitzen Nägeln. Andere tragen ein grosses, schweres Gestell, mit bunten Federn und Blumen geschmückt, das nur durch die Speere und Spiesse tief in ihrer Haut getragen wird. Einer bekommt wohl an die 50 Haken in das Rückenfleisch gehakt, an jedem eine Schnur. Diese werden zusammengebunden an einem Strick befestigt, den ein anderer hält. Er tanzt taumelnd im Kreise herum, durch den Strick gehalten, geschleudert, das ganze Gewicht hängt an den Haken in seinem Fleisch. Kein Tropfen Blut. 


Oft fallen die Priester selber in Ekstase, auch sie bekommen Spiesse durch die Backen, durch die Zunge, zur anderen Seite hinaus. Neben mir beginnen normale Zuschauer zu schnaufen, erbeben wie Besessene, springen in den Fluss, reissen sich die Kleider vom Leib und werden wie die anderen „behandelt“. Gebannt und erschrocken, entsetzt und doch fasziniert stehe ich zwischen diesem lauten, farbigen, ekstatischen Schauspiel. Direkt neben mir steht ein kleiner Chinese. Erschrocken sehe ich, wie auch in ihm diese rätselhafte Verwandlung vor sich geht. Aus nächster Nähe, keiner kümmert sich um mich, sehe ich zu, vergesse zu fotografieren. Ein Speer, wohl 1,50 m lang und dick wie mein kleiner Finger, wird durch die rechte Backe gesteckt, durch die Zunge. Ich starre entsetzt zu, doch kann ich nicht wegschauen. (Verzeih’, wenn ich das alles so genau beschreiben muss, aber, der Teufel soll mich holen, wenn ich nicht genau das beschreibe, was ich gesehen habe.) Als sie den Speer durch die linke Backe stechen wollen, reisst sie bis zum Mundwinkel auf. Ein neuer Versuch weiter hinten, der Speer geht durch, wird bis zur Mitte durchgeschoben. Kein Zucken, keine Reaktion, lieber Rolf, kein Blut ! 


Ich gehe weg, total benommen. Ich bin ehrlich, ich bekam Angst, Angst, dass ich ebenfalls erfasst würde. Das klingt so verrückt und blöde, wenn ich das schreibe, aber es stimmt. Der Rauch, die Trommel, das grelle Licht der Morgensonne, die immer höher steigt und das Geschehen zum Kochen bringt. Mir zittern die Beine.


Vom Fluss aus, wo dies alles geschieht, tanzen, oder wie man diese ruckartigen, taumelnden Bewegungen auch immer nennen mag, diese Leute mit ihrer Bürde wohl drei Kilometer die Strasse entlang, zwischen Autos und Schaulustigen. Es sind Europäer dabei, viele Fotoapparate, Filmgeräte, Tonbänder. Auch in ihren Gesichtern ratloses Hilfesuchen beim nächsten Europäer. Ich spreche mit einem Engländer, der hier in Malaysia Gummiplantagen besitzt und schon viele Jahre hier lebt. „Kommen Sie im August wieder, dann laufen sie auf brennenden Kohlen!“


Ich folge den Tanzenden, teils eingeklemmt und mich regelrecht meiner Haut wehrend, bis zum Fusse einer langen Treppe, die hoch oben in einem Berg verschwindet. Solche Berge habe ich bis jetzt nur hier gesehen. Aus dem flachen Land plötzlich senkrecht abfallende Felswände, die zu einem riesigen Kegel aus der dichten Dschungellandschaft emporwachsen. Weisser Kalkstein, teilweise überhängend und tropfsteinähnliche Höhlen bildend. 360 Stufen, erklärt mir einer aus der Menge.


Ich gehe hinauf, das heisst, werde geschoben, zurückgedrängt, muss einer Gruppe „Besessener“ Platz machen, die mit keuchendem Atem, tanzend und wie gezogen, nach oben streben. Überall Speere und Spiesse in der Haut. Auch Frauen und Kinder sind darunter.

Der Berg empfängt uns mit einem riesigen Loch, dem Eingang zum eigentlichen Heiligtum, der Batu-Höhle. Das ist keine Höhle, der ganze Berg scheint hohl, riesige Gewölbe, eine natürliche Kathedrale, düster und weit grösser und höher als das Gewölbe des Kölner Domes, wohl 300 Meter lang und 50 Meter breit. Auch so etwas hatte ich noch nie gesehen. Überall sind grosse Feuer angezündet. Man verbrennt Kokosnüsse und irgendein süssliches Zeug, das auf Bauchläden angeboten wird. 


Die Stimmung ist (zwei beliebte Schlagwörter) unheimlich und unwahrscheinlich. Die Trommeln, die Feuer, der süssliche Rauch, die Menschen, die „Besessenen“ und die Zuschauer, Kinder, Greise, Frauen, Männer – vier Rassen gleich: Malayen, Chinesen, Inder und ein paar Europäer. 

Ich zwänge mich bis zum Heiligtum, wo sich die Menge im Halbdunkel ballt wo Echos und Schatten sich vereinigen .


Des Schauspiels dritter Akt ist hier. Vor der in den Fels gemeisselten Nische stehen wieder Sahdus und Priester, empfangen die „Besessenen“. Noch vor Sekunden tobend und tanzend stehen sie vor den Priestern plötzlich still. Lächelnd und freundlich wie der Weihnachtsmann, zieht der Priester ihnen nach und nach die Spiesse und Speere aus der Haut. Dann wirft er ihnen eine Prise Asche auf das Haupt und berührt ihre Stirn. Wie vom Blitz getroffen, fallen sie zusammen, liegen im Staub vor dem „Altar“. Dann stehen sie auf oder werden von den Umstehenden aufgehoben. Sie trinken Wasser, sind normale Menschen, lächeln, manche fangen an zu weinen, beginnen mit einer wirklichen Inbrunst und mit einer strahlenden Glückseligkeit zu beten.


(Wenn die Schrift jetzt endgültig versaut, so liegt das nicht etwa an einer nachträglichen Ergriffenheit, obwohl die zweifellos existiert, sondern an den Moskitos, die nach dem augenblicklichen Sonnenuntergang regelrecht und zu hunderten über mich herfallen, wie auf Kommando, zusammen mit dem lauten und unaufhörlichen Gezirpe aus dem Dschungel, der bis an die Geleise gegenüber dem hölzernen Wartehäuschen reicht, in dem ich jetzt beim Licht einer wohl 30-Watt-Lampe sitze.)


Was die ganze Geschichte noch irrer macht, ist die Art und Weise, die gelassene Selbstverständlichkeit des Sahdus im langen, weissen Gewand. Er winkt mich noch zu allem meinem Elend zu sich heran, lässt mich aus einem Meter Entfernung Blitzlichtaufnahmen machen und schaut herüber, als wenn er fragen würde: ist’s so gut, komme ich auch schön ins Format? – bevor er die vor ihm Stehenden mit seiner blossen Berührung zu Boden sendet. Er erinnert mich an den Metzger von nebenan, der mit geübter Selbstverständlichkeit 100 Gramm am Stück von der Wurst abschneidet und dann lächelnd fragt: darf’s für 5 Pfg. mehr sein? Einige Spiesse reicht er mir gerne als Souvenir. 


Es ist ungeheuerlich, ungeheuerlich, ungeheuerlich! Und vergiss nie, lieber Hans (und lieber Rolf), kein Tröpflein Blut, nicht mal ein Loch kann ich sehen. Nur dem Chinesen (mit dem dicken und langen Speer) drückt er links und rechts eine halbe Zitrone auf die Backe.

Ich bleibe bei ihm, nachdem er „erwacht“, und nach wenigen Minuten nimmt er die Zitronen weg , und nichts, nichts bleibt übrig, kein Tropfen Blut.


Wie benommen und für mich alleine den Kopf schüttelnd gehe ich aus dem Halbdunkel des Gewölbes hinaus, brennende Mittagssonne, die mich wenig stört. Die Menschen um mich würden mich nicht verstehen. Für sie ist es ein Fest, das jedes Jahr wiederholt wird. Schiessbuden und Riesenrad ringsum, in blödsinnigem Kontrast, Musik aus Lautsprechern. Man sammelt für den Bau eines Tempels. Statt Würstchenstand sind’s chinesische Garküchen, deren Speisezettel den Meeresgrund abgrast. Gedankenlos kaue ich auf Sojabohnenkeimlingen, auf Algen und Muschelgewürm.

Ich nehme den Bus zurück nach Kuala Lumpur, zurück zum Sikh Tempel, wo ich umsonst schlafe. Was für heute Nacht unter meinem Moskitonetz zurückbleibt, ist das grosse Fragezeichen, Mensch.


So, lieber Rolf, Ich will Dir ein Geschenk machen, dessen Wert Du sicher schätzen wirst. Es ist eines der kleinen Spiesschen, die mir jener Metzger dort oben als „Souvenir“ gegeben hat. So wie es hier im Papier steckt, so stak es in der Haut eines Glaubenden.


Du kannst davon halten, was Du willst, ich muss es ja auch.


Viele Grüsse aus Thailand


Dein Hans



P.S. Da der Film, den ich an diesem Tag gefüllt habe, noch nicht entwickelt ist, sende ich Dir zwei Fotos mit, die ich an einem der „Würstchenstände“ dort gekauft habe. Sei so gut, und gib sie meiner Mutter, die sie für mich aufbewahren soll. Grüss mir herzlich Deine Frau, Sprössling und Familie

Thanks.


P.S.S. 

Hier im Gebiet hat’s Kommunisten. Ich fürcht mich ---huhhaahahuuu

 

Bangkok, 4. 3. 68

Liebe Mutter!

Ich durchstreife jetzt schon seit 10 Tagen Bangkok, und Du hast noch keinen Gruss von mir. Unverzeihlich! Deshalb lass Dir schnell erzählen, was ich bis jetzt getrieben habe.

Sicherlich bist Du jetzt von Marburg zurück, als frischgebackene Schwieger­mutter. Ich hoffe, dass mein Brief an Heri und Helga rechtzeitig bei Euch ein­getroffen ist und dass er nicht zu sehr verraten hat, wie sauer ich in Wirk­lichkeit war, dass ich nicht dabei sein konnte. Es ist schon phantastisch : Die beiden Blinden, Helga und Heri jetzt ver­heiratet ! An diese Familienveränderung muss ich mich erst noch gewöhnen.

Deine Post habe ich in der Zwischenzeit erhalten. Vielen, vielen Dank. Ich hatte ja gar nicht gewusst, dass mein Bericht in der West­deutschen Zeitung erschienen ist. Das muss wohl Anfang Januar gewesen sein, da sie noch die Neujahrsgrüsse abgedruckt haben. So scheint man doch in­teressiert zu sein.

Wenn ich in meinen Briefen manchmal von „wir“ schreibe, so sind das im­mer Mitglieder der grossen internationalen Globetrotter-Familie. 100 Freun­de, die man immer wieder sieht, oft nach 1000 Kilometern, die man wie Stammtischfreunde behandelt. Dass ich Peter so knapp verpasst habe, war wieder mal ein Beispiel schlecht klappender Organisation. Mist!!! Wenn er sich beeilt hat, ist er vielleicht schon wieder daheim. Oh je, da fällt mir gerade ein, dass er zum Geburtstag zu Hause sein wollte ... Ich Trottel habe das wieder verschwitzt. Ich glaube, es war der 3. oder 5. März?

Für 1703 DM kann man sich also mit Neckermann verschicken lassen. Ich habe hier mit einigen Touristen gesprochen, die hier die Tempel bevölkern. Du glaubst gar nicht, wie komisch solch ein Zusammentreffen ist. Ich werde als „Weltwunder“ betrachtet. Einige fragten zaghaft, ob sie ein Foto von mir machen dürften. Zum Totlachen!!!

Dass bei Dir immer Tränchen fliessen müssen ! Die Bildchen waren als Antwort auf Deine Anfrage nach mei­nem äusseren Zustand gedacht. Ich achte auf mich, wie anerzogen und wa­sche meine Wäsche selbst, jede Woche ein Waschtag. Das Hemd habe ich in Penang gekauft, 10 DM, non-iron.

Die Menschen hier lächeln tatsächlich, oft sogar beim kleinsten Anlass.

Gruss und Kuss, Dein Hans

 

 

Vientiane, Laos, 10 März 1968

 

Lieber Bruder!

 

Kurz vor meiner Abreise zu meiner Rundreise habe ich Deinen Brief er­hal­ten. Dass ich Dir jetzt so schnell antworte, hat hauptsächlich den Grund, dass ich jetzt hier in Laos sitze.

Ein Brief an Muttern von hier, würde ihr bestimmt unnötige Sorge bereiten. So lasse ich den wöchentlichen Brief nach Hause einfach aus, und Du kannst ihr Grüsse bestellen.

Von Bangkok bin ich in zwei Tagen bis zur thailändischen Nordgrenze ge­hitcht, habe den Mekong überquert und sitze jetzt in Vientiane. (Das Wort Mekong alleine könnte Herzklopfen erregende Assoziationen hervorrufen!)

Ich wohne etwas ausserhalb in einem Tempel, was mir die amerikanischen Hotelpreise erspart. Bis gestern hatte ich vor, von hier aus den Mekong entlang über Savanakhet, Pakse nach Kambodscha zu reisen. Hier stelle ich nun wirklich fest, dass ich mich nicht zum Helden eigne. Die spär­lichen Berichte, die hierher durchsacken, sind alles andere als erfreulich. So gibt es hier in der Hitch-Hiker-Kommune die „letzten“ Geschichten. Schon in Bangkok sprach ich mit einigen, die es noch vor 3 Wochen geschafft haben.

Die Strassen und das Landgebiet sind jetzt alle fest von Pathet Lao kontrol­liert. Sie verlangen von den einheimischen Bussen eine Art Wegzoll. Ameri­ka­ner werden sofort erschossen, von den europäischen „Reisenden“ nehmen sie ein freiwilliges „Bakschisch“. Da die Städte noch in den Händen der laotischen (chaotischen) Royal Armee sind, muss der Bus ständig durch so genannte „kleine Fronten“. Ausserdem flog vorgestern die letzte noch Stand haltende Brücke auf diesem Weg in die Luft.

Gestern war ich am Bus, als ein Deutscher und ein Neuseeländer los fuhren. Der Bus hatte einige Einschüsse an der Seite, und der Busfahrer zeigte nicht ganz bescheiden einige Schussver­let­zungen. Wenn es der Pathet Lao ist, ist es nicht so schlimm, sagt er mir, das sind nette Leute, aber es gibt einige Räuberbanden, die die verworrene Situa­tion ausnutzen. Also nichts für mich.

Seit der Ami nun auch „einige Städte“ in Laos bombardiert, hauptsächlich entlang der Vietnam Grenze, ist man hier auf alles gefasst. Die Situation ist verworren, da der Pathet Lao offiziell hier anerkannt ist als linke Opposition.

Die Laoten nehmen alles mit Gleichgültigkeit hin. Vorgestern Nacht wurden 40 km südlich von hier 34 Menschen in einem Tempel erschossen, wer, warum und weshalb ist noch nicht bekannt. Trotz alledem geht das Leben hier recht ge­mütlich zu. Am Samstagabend sind wir bei der wohl komischsten Filmvor­führung meines Lebens gewesen. In der Residenz des Pathet Lao gab es Propa­gan­da-Filme aus China und Nordvietnam. Da sah man mal die andere Seite.

Das grosse Elend kann einen hier überkommen, wenn man diesen Kontrast des Elends der Bevölke­rung und der Glanzwagen der augenblicklichen Macht hier sieht. Ich sah in Nordthailand die riesige Kriegsmaschine der Ame­rikaner in Udorn. Früher ein kleines, unbedeutendes Nest, heute Air-Base. Jede Baracke wird zur Bar, die Musiktruhen laufen nur auf amerika­nische Cent. Pausenlos sah ich die B-52 Bomber, schwer beladen mit ihrer  Last nach Osten los fliegen, pausenlos kamen andere zurück. Mir ist klar, dass es für unsere westliche Welt hier nichts mehr zu gewinnen gibt.

Ob die Amerikaner gehen oder nicht, auf längere Zeit gibt es hier nur Kampf und Blut und Elend, es ist zu spät, noch irgend etwas zu retten. Das Wesen dieser Leute hier ist so nett und lieb und auch so grausam. Ich sass mit einem Laoten zusammen, trank mit ihm und unterhielt mich friedlich. Keiner Fliege könne er etwas zu Leide tun, glaubte ich. Tags darauf hatte er im sel­ben Restaurant Krach mit seiner Frau. Er stand auf und trat ihr mit dem Fuss ins Gesicht. Heute Morgen sassen sie wieder freundlich lächelnd am Tisch. Irgendwie ungeheuerlich.

Ein Däne, der hier seit 8 Monaten lebt, sagte mir: Du kannst hier jemandem zur Begrüssung die Hand geben, dich verneigen oder ihm in die Fresse schlagen, alles bleibt unbedeutend. Doch Schluss, alles ist noch zu frisch, später mal zu­sammenhängender.

Doch nun zu meinen nächsten Plänen. Ich habe eben einen Flug gebucht von hier nach Luang Prabang, der alten Königshauptstadt. Dort bleibe ich zwei, drei Tage und fliege dann nach Ban Hue Sai, das Du nordwestlich an der thailändischen Nordgrenze findest. Dort versuche ich, mit dem Boot den Mekong hinauf zu fahren, bis Mae Chan. Dort besuche ich, falls möglich, die Akha, Yao, Meo-Hill-Tribes. Das ist also wieder in Thailand, von wo ich dann Muttern wieder ruhig schreiben kann, (falls es dort schon eine Post gibt).

Ich mache das alles mit zwei Freunden, einem Engländer und einem Deutschen. Du siehst, es liegt mal wieder etwas sehr Interessantes vor mir, falls alles klappt. Das Flugzeug ist eine „Air Amerika“ DC3, die hoffentlich noch eine Weile mitmacht. So, und sei mal nicht so verklemmt und schreib mir einfach drauf los, und ich wünsche auch so genanntes Belangloses.

Wie war Helga und Heri’s Hochzeit? Was macht die indonesische Kolonie in Holland? Ein Bildchen von der Schoenen würde mich doch mal interessieren. Schau auch mal ab und zu von Heckmanns bei Höfers rein. Die Scheiss-Uniform bist Du ja endlich bald quitt.

Sei wieder brüderlich getätschelt für heute

von Deinem landstreichelnden Bruder

 

P.S. Ein Briefstil war das wieder zd, zd, ….

 

Chieng Rai, 20. 3. 68

Liebe Mutter!

Jetzt bin ich wieder in Thailand und zwar im nördlichsten Zipfel. Die letzten 14 Tage waren wieder voller Erlebnisse, von denen ich Dir berichten möchte.

Von Bangkok bin ich zuerst nach Norden getrampt zur Grenze nach Laos, habe dort mit einem Bötchen den Mekong überquert und landete in Vientiane, der Hauptstadt. Dort hielt ich mich einige Tage lang auf und habe dann zum ersten Mal auf dieser Reise das Flugzeug bestiegen. Über diese wilde Landschaft flog ich dann nach Luang Prabang, weiter im Norden und mitten drin in Laos. Von dort dann wieder mit Flugzeug bis nach Ban Hue Sai, einem kleinen Grenzort im Nordwesten von Laos, wieder am Oberlauf des Mekongs. Dort kreuzte ich wieder über nach Thailand.

Und jetzt sitze ich wieder an sicheren Orten und will in den nächsten Tagen einige Bergstämme besuchen, die hier in der Gegend leben. Über die einzelnen Erlebnisse, die ich auf dieser Rundreise hatte, will ich Dir dann ausführlicher aus Bangkok berichten, wo ich in ein bis zwei Wochen eintrudeln werde. Ich habe die letz­te Zeit meistens in Buddhistentempeln gewohnt, was die Reise sehr billig macht. Der Flug war billiger als jede Zugfahrt bei uns, dafür wurde dann auch auf Kartoffeläckern gelandet. Vom Krieg, der im Augenblick überall in Laos wütet, habe ich relativ wenig gesehen, von Soldaten und Bombern abgesehen. Aber er war ständig gegenwärtig, und man sieht einiges hinter den Kulissen der allgemeinen Zeitungsinformation.

Nun, das liegt jetzt schon wieder hinter mir, es besteht also kein Grund mehr für irgendwelche Sorgen. Im Augenblick sitze ich in einem Restaurant und warte auf einen deutschen Geologen, der hier in diesem Gebiet schon einige Zeit arbeitet und sich sicher ganz gut mit den Bergstämmen auskennt. Vielleicht ist er so gnä­dig und nimmt mich mit seinem Jeep mit in die Berge. Mal sehen.

Beinahe wäre ich jetzt mit einem kleinen Affen unterwegs, den ich von einem Mönch hätte kaufen können. Er war zu putzig, aber ich könn­te ihn ja doch nicht mit nach Australien nehmen, daher habe ich ihn dann doch im Kloster zurückgelassen. Ein Engländer und ein Deut­scher, mit denen ich die letzten Tage zusammen bin, hatten in Luang Pra­bang einen jungen Leoparden erstanden. So waren wir einige Tage lang zu viert. Leider ist er uns gestern eingegangen. Er war schon vorher sehr schwach und unterernährt, die Leute in dem kleinen Dorf hatten ihn sehr schlecht ernährt. Die Aufregung des Fluges hat ihm dann wohl den Rest ge­geben. Vielleicht besser für das arme Tierchen.

Nach Kambodscha werde ich jetzt wohl nicht gehen können. Es ist mir zu viel Ärger in diesem Gebiet. Du siehst, dauernd kommt man in die Räder der Politik, es ist zum Kotzen. Die Zeit vergeht wie im Fluge. Ich traf übrigens einige Necker­mann-Touristen in Bangkok. Für 1200 DM 17 Tage in Bangkok ist wirklich spottbillig. Ich hab mir schon ausgemalt, wie es wäre, wenn Du diese Reise machen könntest. Es wäre zu schön. Viele liebe Grüsse aus Thailand von Deinem

Hänschen

 

Sicherlich macht sich der Frühling bei Dir im Garten schon bemerkbar. Hier ist eine Sauhitze.

 

 

Cieng Mai, 27. 3. 68

Liebe Mutter!

Heute einen Gruss aus Chieng Mai, das im Norden von Thailand liegt. Hier bin ich gestern gelandet, vom Norden kommend.

Seit meinem letzten Le­bens­zeichen an Dich habe ich wirklich allerhand gesehen. Da war zuerst mal die Begegnung mit einem deutschen Geologen, mit dem ich einige Tage lang wirklich in den dichtesten Dschungel gestapft bin. Der einheimische Führer markierte den Weg mit einem Beil, damit wir aus diesem Inein­ander aus Bäumen, Wurzeln, Lianen, Büschen und Gräsern wieder heraus­fanden. Es gab Blutegel, die sich an den Beinen festsaugen, Schlangen und alles mögliche kleine Viehzeug, das biss, stach, zwickte und zwackte. Trotz­dem war es toll und interessant.

Dann machte ich mich wieder alleine auf und trampte an die burmesische Grenze, in die nördlichste Stadt Thailands, nach Mae Sai, der Grenzstation. Dorthin ging’s über staubige Sandpisten in Jeeps und Lastwagen. Ich habe mich wieder für einige Zeit von meinen beiden Reisegefährten getrennt, die ich jedoch wieder in Bangkok treffen werde. Ich hatte erfahren, dass dort in der Nähe von Mae Sai in den Bergen einige Stämme leben, die noch auf einer verhältnismässig pri­mi­tiven Lebensstufe stehen.

Nach einigen Stunden Marsch und Aufstieg auf staubigem Pfad war ich dann also mitten drin in einem solchen Dorf, das aus ganz ein­fachen Bambushütten besteht. So mir nichts, Dir nichts, war die Zeit um 1000 Jahre zurückgedreht, und Dein Söhnlein mittendrin, wie ein Weltwun­der bestaunt von hundert Augenpaaren und von einigen räudigen Kötern be­kläfft. Ich bin heute recht stolz auf meinen Erfolg dort. Du hättest dabei sein sollen, wie ich zuerst die Kinder mit einigen Bonbons bezirzte, dann die halb­­­nackten Rangen an Händen und quietschend vor Vergnügen, auf mei­nen Schultern Hoppe Hoppe Reiter machen liess. Damit gewann ich dann auch die Sympathie der Frauen, die in ihrer einzigartigen Tracht (wohl einige Pfund Silber am Leib) ihrer Arbeit nachgingen.

Dann war auch das Misstrau­en der Männer gebrochen, sie luden mich in ihre Hütten ein, und bald waren alle Männer des Dorfes versammelt, es wurde palavert und diskutiert, Ver­ständigung in der internationalen Hand- und Fusssprache, die ich in der Zwischenzeit reichlich geübt habe. Die gleichen Burschen, die von der thai­ländischen Polizei recht gefürchtet sind und ungehindert ihr Geschäft mit ihrem Opium betreiben, entpuppten sich zwar als sehr neugierig, doch sehr freundlich mir gegenüber. Ich machte eine kleine Skizze vom Chef des Ganzen und wurde damit zum Held des Tages. So weihten sie mich also ein, zeigten mir ihre Opiumfelder und die Opiumgewinnung, rauchten dann ungeniert dieses braunschwarze Zeug und verkauften mir eine Original Opi­um-Pfeife (2 DM !) als Andenken.

Zwei Tage verbrachte ich bei ihnen. In Burma war ich in der Zwischenzeit also auch, da ihre Opiumfelder auf der anderen Seite des Berges lagen, auf Burma-Gebiet, wie ich erst später herausfand. Das Ganze war eins meiner tollsten Erlebnisse, und ich hoffe inständig, dass meine Fotos etwas geworden sind, solche gibt’s nämlich herzlich wenige.

Zwischendurch habe ich noch einige deutsche Missionare der Evangelischen Marburger Mission be­sucht, habe mich in ihren deutschen Linnen geaalt und Wurscht gegessen. Es war sehr aufschlussreich, von ihrer Arbeit und von ihren Problemen zu hö­ren.

Das Trampen hier in Thailand geht prima, fast zu prima, denn anstatt mich nur mitzunehmen, wollen mich diese lieben Leutchen meist gleich für einige Tage bewirten, was ja nun nicht geht. Die Thais sind wirklich liebe Menschen. Ich habe in der Zwischenzeit auch gelernt, ein­fach zu lächeln, was gar nicht so schwierig ist. Man sollte das bei uns auch einführen. 

Was gibt es Neues in Deinem Bekann­ten­kreis? Mit wem triffst Du Dich so manchmal? Ich hab einfach das Gefühl, dass Du mir zu wenig von Dir und Deinem Treiben erzählst. Glaubst Du denn, das interessiert mich nicht, was Du so machst? Demnächst also gibt es in Deinen Briefen immer eine Kaffee-Plauderstündchen-Ecke. Gell?

Aus dem „Traumland der Königin Sirikit“, wie es in deutschen Illustrierten öfters heisst, grüsst Dich sehr herzlich

Dein Dich liebender Sohn.

 

 

Bangkok, 4. April 1968

Wat Somphaya

 

Lieber Stekerscher Familienast

 

Ein Seufzer überkömmt mich noch jetzt, bei dem Gedanken daran, wie ich vor nun schon 6 Wochen hier am selben wackeligen Tisch gesessen und an meinem Hochzeitsbrief an Euch herumgeschustert habe. Meine Angstvorstellung, dass meine Zeilen an Euch im Trubel der Festgemeinde durch öffentliches Vorlesen zur Fest- oder Tischrede werden könnten, wurde inzwischen durch Mutters ausführliche Schilderung, Jottseidank, entkräftet.

Diese paar Meter geschwungene Kugelschreibermine nun fallen mir dagegen ausgesprochen leicht, zumal ich hier in der Botschaft Euren lieben Brief er­halten habe, der alles bisher da gewesene in den Schatten stellte, weniger des erbarmungslosen Sonnenscheins hier, mehr des Sprachge­brauchs wegen. So konnte ich im Nachhinein doch noch etwas mitfeiern, mich über den Schalk in Heris Tasten freuen und durch die Fotolinse lin­sen. Der „erste April“ war für mich also ein ganz besonders schöner Tag. Meine Ankunft nach meiner Thailand – Laos – Burma – Thailand Rundreise, gleich 10 Briefe von zu Hause und am Abend dann noch die Kunde von verzwei­felten Einsichten eines U.S. Präsidenten.

Solche Tage hab’ ich gerne.

Ohne lange Umschweife will ich Euch zuerst von meinen letzten Erlebnissen berichten. Sicher werdet Ihr ja von den Briefen an Muttern wissen, wie ich von Penang weiter bis Bangkok gegondelt bin. Diese Stadt ist mit ihren vielen Abwechslungen und Sehenswürdigkeiten ver­führerisch, und im Nu waren 14 Tage vergammelt, ohne Plan und mir nichts, Dir nichts in den Tag hinein. Doch ebenso wenig ist Bangkok Thailand. Hier hat die Coca Cola Kultur gewaltig Wurzeln geschlagen, Stras­senkreuzer blitzen, der Dollar ist als zweite Währung willkommenes Zah­lungsmittel, erholungsbedürftige Verteidiger der „Freien Welt“ relaxen in Nachtbars für drei Tage von ihrem strapaziösen Job in Vietnam.

Strassen­jungen plärren: „Hey, you, bang-bang Vietnam?“, und von Neckermann preis­günstig in Vollpension verschickte Bundesbürger machen Kamerajagd auf goldene Pagoden und kuttige Mönche, die sich ja so gut machen in Ektachrome im Querformat.

Doch es gibt auch noch die Winkel der chinesischen Märkte, das Leben auf den Klongs, den vielen Ka­nälen, die die Stadt durchziehen, und 14 Tage sind zu wenig, sie alle zu ent­decken. Doch mein Geldbeutel mahnte, und ich machte mich mit dem Rest meiner Reisekasse auf, Thailand zu sehen, und noch Laos.

Von der internationalen Hitchhiker-Information mit den besten Tipps ausge­stattet, stand ich dann also in der Hitze der Mittagssonne an einer Super­highway und sass in einem riesen Laster, noch ehe ich meinen Auto­stopp-Daumen schwingen konnte. Er führe nach Udorn Air-Base, kauderwelschte der Fahrer dieses Ungetüms, was mich ausgesprochen be­ruhigte, den Udorn liegt vor der Grenze nach Laos, und einen Lift gleich über 500 km hat man ja nicht alle Tage. Was mich weniger beruhigte, war die Ladung, die ich nach einer Weile entdeckte:  Als ich durch das kleine Rückfenster lugte, las ich dort Aufschriften wie „explosive“ und „Bomb KAL. 45“ „DCLKF“... Mein grinsender Fahrer brach­te also eine Ladung Bomben zur amerikanischen Base und ich durfte mitfahren ...

Was mich wenig beruhigte, war die Tatsache, dass eines der grossen hölzernen Ge­stelle beim Aufladen etwas aufgebrochen war und die olivgrünen, eineinhalb Meter langen Bomben mehr kreuz statt quer auf der Ladefläche lagen. Die seien nicht gefährlich, lachte mich der Typ aus, „die Zünder kommen doch im andern Wagen“.

So aufgeklärt, wanderte mein Herz von der Hose wieder an den alten Platz, doch der Frosch in meinem Hals blieb hartnäckig. Dass ich hier sitze und ganz lebendig schwitzend diesen Brief schreibe, zeigt natürlich, dass der Fahrer Recht behielt. Die Fahrt ging durch endlos flaches Land, das zu dieser Jahreszeit nach Wasser lechzt, vorbei an Reisfeldern, durch kleine Dörfer und Städtchen, die in asiatischer Gelassenheit wohl noch einige Jahre wei­terschlummern werden. In schmierigen Tümpeln werden Enten, Büffel und Kleinkinder gebadet, ein friedliches Bild, das an mir vorüber zieht.

Planmässig brachte mich dieser Wagen bis nach Udorn, wo erst ich und die „traditionell Geladenen“ ausgeladen wurden. Udorn, noch vor wenigen Jahren ein kleines unbedeutendes Städtchen, unterscheidet sich wohl wenig von anderen Garnisonstätten in der Welt, nur dass hier der Kontrast zu den umliegenden Städten und Dörfern den Eindruck verdoppelt, den man so beiläufig bekommt, wenn an jeder Hütte ein Bar-Schild, „Chica­go-Inn“, „Boston Bar“ oder „Florida Service“ hängt. Mich machte das alles reichlich sauer, und ich hätte gerne so manchem halbstarken Thai-Zögling, der mich und meinen Rucksack anpöbelte, einen Tritt in den Hintern ver­setzt, wie es sich für einen „überzeugten“ Pazifisten gehört.

Pausenlos lande­ten und starteten Flugzeuge vom riesigen Flugfeld, die Kriegsmaschine lief auf Hochtouren, und ich lief wohl eine Stunde lang an daran vorbei, bis ich wieder die freie Strasse vor mir hatte. Einige kurze Lifts, und ich war am Mekong-Fluss, der Grenze nach Laos. Meine langen Bemühun­gen, irgend einen offiziellen Zollbeamten samt dazu gehörigen Grenzstempel zu finden, hatten am Schluss dann doch Erfolg, und ich tuckerte auf einem eigens zu diesem Zweck für ein paar Pfennige angeheuerten „Bötchen“ hinü­ber zur anderen Seite. Der laotische Grenzstempel machte mir etwas Kummer, seiner Grösse wegen; wenn das so weitergeht, ist mein zweiter Reisepass auf dieser Reise auch bald voll.

Das ist also Laos, denke ich mir blödsinnig und betrachte die etwas trostlose Buschlandschaft um mich herum. Während ich eitel den 19. Eintritt in ein neues Land verbuche, habe ich auch schon den ersten Wagen ver­passt; ich stehe auf der falschen Seite, Laos hat eigensinnig Rechtsver­kehr.

Jetzt stelle ich fest, dass ich mit der Schilderung, nach a kommt b, dann c, wohl wieder viel zu viele Seiten fülle und ich dann bei Seite 27 eine schnarchende oder gähnende Zuhörerschaft vor meinem Brief finden werde. Da ich Euer junges Glück nicht durch ausgerenkte Unterkiefer trüben möch­te, entscheide ich mich hier zum Raffen.

Vientiane.

Nicht ohne Grund ist Vientiane unter Globetrottern sehr bekannt und be­liebt. Das liegt vielleicht an den kleinen französischen Restaurants, wo es Steak, Salat und Weissbrot gibt, fast wie in einem französischen Provinz­städtchen. Dann sind da die lieben, freundlichen Mädchen und vor allem, man lebt sündhaft einfach in den Tag hinein, nimmt nichts, nicht einmal sich selbst, so richtig ernst.

An Sehenswürdigkeiten hat es herzlich wenig zu bieten, Nachtleben beschränkt sich auf einige halblebigen Nachtbars, die unter täglichem Stromausfall leiden. Und doch ist es ein solcher Ort, wo Leu­te plötzlich feststellen: Mensch, Du bist ja schon 2 Monate hier und merkst es nicht. Viele solcher Leutchen habe ich kennen gelernt, alle Natio­nen, doch meist Franzosen, die einfach da geblieben sind. Es geht halt ge­mütlich zu. Noch.

Jeden Morgen tigerte ich schon sehr früh von dem Tempel etwas ausserhalb des Stadtzentrums, wo ich wohnte, zum täglichen Morgenmarkt, einem der vielseitigsten und farbigsten, den ich bisher kenne. Also da gibt es: Frösche, Ameisen und Ameiseneier, unzählige Arten von Wurzeln und Kräutern, Rinde zum Tee kochen, Schnecken, Flussfische in allen Arten und Entwick­lungsstufen, alles was schwimmt,  kreucht und fleucht, lebendig oder getrocknet, Schildkröten, Vögel, Tabak, Marihuana, frisches Brot, zer­mahlenes Horn oder komplett, Pilze, Wurst, Hühnchen, Gänse, Schweine, Nudeln, Beatle-Platten, Plastikblumen und Kindergewehre, Mu­scheln, Whisky, Bier, Zinnsoldaten, Melonen, Zuckerrohr, Transistoren, Vogelnester, Körbe, Hüte, Stoff, Plastiktüten und „Newsweek“, Uhren, Opium und Holzkohle, und ich weiss nicht mehr, was sonst noch alles….

Dies jeden Morgen, und ich war für einige Stunden vollauf beschäftigt, die jeweils verschiedenen Verwendungsvariationen der verschiedenen Angebote zu untersuchen. Verschiedene Trachten- und Menschengruppen besuchen diesen Markt, Europäer, Vietnamesen, Chinesen und verschiedene Stämme der zahlreichen Bergvölker, viele von ihnen Flüchtlinge aus den Kampfgebieten im Hinterland.

In der Mitte der Stadt prangt ein noch nicht ganz vollendeter Prachtbau. Die etablierte Macht baut einen Triumphbogen nach dem Vorbild des Arc de Triomphe, nur etwas groesser. Das Grundrezept und der Grundriss ist also der Triumphbogen, dann windet es sich höher in ägyptisch-griechisch-römischer Säulenord­nung mit Lotus- oder Papyruskapitelen und endet in barock-laotisch-chaotischen Architektur-Empfindungen. Der Beton, aus dem das Ganze gebastelt wird, war eigentlich zum Ausbau der Landepiste des Flughafens gedacht und ein Geschenk Amerikas. Seit 6 oder 8 Jahren wird daran gebaut, doch vor der Vollendung scheint man zurückzuschrecken: Der Pathet Lao versprach, so sagt ein Gerücht, es in die Luft zu sprengen, wenn es erst mal fertig ist.

Offiziell ist der Pathet Lao ja schliesslich als Opposition anerkannt, ja es gibt sogar ein Gebäude in der Mitte der Stadt, seine Zentrale ist die Hauptstadt. Zwischen 7 und 9 ist es ihnen sogar erlaubt, auf den Markt zu gehen, um Gemüse zu kaufen. So war meine Überraschung grundlos, als ich mich plötzlich von Mao Tse Tung Uniformen und –Plaketten umringt sah. Royali­sten und Pathet Lao in friedlicher Eintracht am Schneckenstand! Sich gegenseitig umlegen ist nur ausserhalb der Stadt erlaubt.

Samstagsabends kann jeder Interessierte zum Pathet Lao Gebäude gehen und sich dort Pro­pa­ganda Filme aus China und Nordvietnam zeigen lassen, was ich natür­lich tat. Das war dann auch die köstlichste Aufführung meiner Kinogänger-Lauf­bahn. Das Publikum bestand zum grössten Teil aus Kindern, Halbwüchsi­gen, stillenden Müttern und bis auf die Zähne bewaffnete Marionetten. Dazwischen wir Globetrotter. So sahen wir denn amerikanische Flugzeuge zu Dutzenden vom Himmel fallen, vom Publikum beklatscht, das sich ständig und siegesbewusst nach uns Österreichern, Dänen, Deutschen und Schweizern umschaute.

Alles in allem war es also sehr nett, nur dass der Film ständig riss, was den chinesischen Vorführer nervös machte, und dass ich dann nachher beim Nachhauseweg zu meinem Tempel leichte Anwandlungen von Verfolgungswahn hatte. Das legt sich je­doch bei hellem Tage wieder.

Mein Plan war ursprünglich, von Vientiane nach Süden bis Kambodscha zu reisen, um dort nachzuforschen, ob das, was der Reiseführer von Ankor Wat erzählt, auch wirklich stimmt. Angesichts der Nachrichten aus Süd-Laos und nicht zuletzt der 4 Einschusslöcher an der Türe des dorthin fahrenden Busses, liess ich dann aber die Kunsterziehung laufen und änderte meinen Plan, zu ruhigeren Urlaubsgebieten hin.

Zum besseren Verständnis möchte ich kurz die politischen Tatsachen schil­dern, falls Ihr nicht viel besser unterrichtet seid als ich, der nur die zensierte Presse des freien Landes Thailand und noch seltener eine amerikanische Zei­tung in die Hand bekommt.

Laos hat knapp 3 Millionen Einwohner. Der König wird von allen geliebt. Die­ser hat zwei Söhne, jedoch von verschiedenen Frauen. Da ist erst mal der eine, Prinz Souvannaphouma, der sich zwar neutral nennt, doch deutlich westlich orientiert ist, seines Zeichens Premierminister und Regierungschef der aus Royalisten und Neutralen bestehenden Regierung, dem ich beinahe ins Prachtauto auf dem Flughafen von Luang Prabang gerannt wäre. (Die persönlichste Beziehung, die ich je zu einem Staatschef hatte!)

Der andere Prinz, also der Halbbruder, ist Herr Souphannouvong, der etwas andere Vorstellungen vom Staate hat, ist Chef des Pathet Lao, (zur Zeit, glaube ich, in Rotchina oder irgendwo im Dschungel). Beide sind in erster Linie Laoten, nur dass sie augenblicklich und bestimmt mit kleiner Begeisterung mitmi­schen müssen. Die Nordvietnamesen hatten nämlich den grossen Drang, ihre Truppen über den Ho-Chi-min-Pfad nach Südvietnam zu schleusen, der durch Laos führt. Amerika warf dann flugs mehr Bomben auf diesen Dschun­gelpfad, als im ganzen letzten Krieg auf Deutschland, was wiederum zur Folge hat, dass sie weiter nach Westen ausweichen mussten und zwar ausgerechnet auf die oben erwähnte Strasse nach Kambodscha, die ich der Kunst zuliebe beinahe benutzt hätte.

Das wäre auch gut gegangen, wären da nicht einige Städte mit royalistischen Truppen gewesen. Daher gab es Blut und Kampf im „neutralen“ Laos. Jetzt sieht es so aus, dass das gesamte Land unter der Kontrolle des Pathet Lao steht, nur in den Städten hat das offizielle Regime noch einige Macht. Zur allgemeinen Verwirrung streifen jedoch noch bewaffnete Banditen durchs Gelände, die plündern und mor­­den, wie sie es gerne wollen. Ihre Missetaten schieben sich die kämpfenden Parteien dann gegenseitig in die Schuhe. Was das Volk darüber denkt?

Nun, normalerweise überhaupt nichts. Man ist ja schliesslich Asiate und Buddhist, weiss sich dem Schicksal hoffnungslos ausgeliefert, nimmt es hin, wie die blutigen Machtkämpfe der verschiedenen Königshäuser in den vergangenen Jahr­hun­derten. So, das war also Laos.

Doch wieder zu mir, der sich im Augenblick sein Bild macht, was dem Mann ähnelt, der an einem rotierenden Rasensprenger einen Wassereimer füllen will und dabei nicht ganz trocken bleibt. Mit Kambodscha war also nichts. Ich flog, Studenten ermässigt und nicht ganz sanft, nach Luang Prabang, der alten Königshauptstadt und von dort weiter nach Ban Hone Sai am Ober­lauf des Mekongs, wo eine klapprige Maschine auf einem Kartoffelacker landete.

In beiden Städten schwamm ich im Mekong, jeweils von bunt uni­formierten Soldaten bewacht, die ständig und nicht ohne Freude mit ihren schönen amerikanischen Waffen herumhantierten. Diesen Teil, der ebenfalls sehr interessant und aufschlussreich war, will ich etwas kürzen, um mein nachfolgendes Erlebnis in Nordthailand etwas ausführlicher zu schildern. Denn hier spielt auch, wenn auch etwas anders, die grosse, meist üble Po­li­tik eine Rolle.

Damit das Ganze jedoch nicht ganz einseitig bleibt, will ich schnell zwi­schen­durch eine Notiz aus meinem Tagebuch abschreiben. Die Geschichte von den Geckos:

„So viele Abende verbrachte ich in trauter Betrachtung meines Hier- und Da­seins in der abgeschiedenen Stille vieler buddhistischer Klöster. Das Gezir­pe und Gezwitscher der Tropennächte war mir angenehme Nachtmusik. Selbst das wütende, angriffslustige Summen der Moskitos konnte mich in meiner Wohligkeit wenig stören, wusste ich mich doch hinter engen Maschen ge­borgen. Bis zu jenem düsteren Abend im Wat-Muna-Tempel zu Luang Pro­bang waren mir die Schreie der Geckos, jener niedlichen, Eidechsen ähn­lichen Insektenvertilger, lieb und wert, gehörten zur Abendstimmung des Klosters, wie der betende Singsang der Mönche.

Bis zu diesem schwarzen Abend also, als der elende Jürgen (Reisegenosse) neben mir ganz unschuldig unter seinem Moskitonetz hervormurmelte: „Der hält jetzt den Rekord mit neun Schreien!!“ Sonst nichts. Das hat er also gesagt, der Verruchte.

Zuerst war es ein Spiel, das Langeweile tötete. Jedes Mal, wenn draussen ein Gecko schnatternd Luft pumpte, spitzten wir die Ohren, zählten mit: eins, zwei, drei, fünf, sieben Mal schrie das Vieh sein heiseres, krächzendes Ge -cko – Ge – cko. Wir wurden zu Gecko-Kennern, wetteten, wie oft es dieser schaffen, hofften, dass jener den Rekord von neun Rufen brechen würde.

Kein Abend verging, ohne aufregendes leises Mitzählen. Doch jetzt klage ich’s hier, meine Ruhe ist dahin, was einlullende Abendstimmung war, ver­wandelte sich nun in wilde Rekordsucht. Ich zähle konzentriert die ersten vier, bange bis sieben, verzage schier bei acht. Stille. Enttäuscht sinke ich zurück auf die Luftmatratze. War nichts. Da holt ein anderer schnatternd Luft, einmal, zweimal, ja dreimal. Das muss er sein, der erlösende Rekord­schrei. Erwartend zähle ich bis vier, nicht zu fassen, es ist still. Wütend auf das blöde Vieh, das dreimal Luft pumpt und dann nach dem vierten Ruf kläglich aufgibt. Es ist zum aus der Haut fahren. Gestern, als ich gerade erschöpft in den erlösenden Schlaf hinübersegeln wollte, zählte ich endlich bis zehn. Doch jetzt gestehe ich, dass ich mich in meinem Halbschlaf verzählt haben könnte. Es ist zum Kotzen….“

Ich überquerte den Mekong und war wieder in Thailand, und zwar im nörd­lichsten Zipfel, an der Grenze nach Burma. Der Grenzort dort heisst Mae Sai. Hier, so hatte ich erfahren, leben im Gebirge einige Bergstämme von der tibeto-burmesischen Volksgruppe. Sie haben eine eigene Religion, einen Ahnenkult, tragen fantastischen Schmuck, kümmern sich um keine Gesetze und noch weniger um Grenzen, praktizieren freie Liebe und sind auch sonst noch „fürchterlich“ primitiv und manchmal kommunistisch, trachten einem nach dem Leben und leben, dass setzt dem Fass die Krone auf, vom Opium-anbau! Das war’s, was ich also wusste, und da wollte ich hin.

Im Dorf fand ich dann heraus, wo ihre Dörfer liegen und dass sie von der Strasse aus in mehrstündigem Fussmarsch in die Berge zu erreichen sind. Rucksack und alles andere liess ich wieder in einem Tempel zurück, in dem ich, wie gewohnt, nächtigte. Nur mit einer Kamera, meiner kleinen Mi­nox und einer Tüte Bonbons bewaffnet, tigerte ich früh am Morgen los, folgte dem Pfad, den man mir wies. Ob mit scharfem oder rundem S, egal, bald war keiner mehr da, der mir den weiteren Pfad hätte weisen können, das war auch der Grund, warum ich mich bald hoffnungslos im Bambusdickicht ver­franste und nur durch eine mutige Kletterpartie durch ein abgebranntes Stück Bambuswald den rechten Pfad wieder fand.

Was störend wirkte, war meine schwarze Kriegsbemalung über und über, die von diesem verrussten Ge­wur­schtel zurückblieb. Russ ist eben besonders zäh, vor allem bei einer solchen Hitze und bei steilem Anstieg. Wen wundert’s, dass der Empfang im Dorfe besonders kläglich ausfiel. Da stand ich plötzlich mitten zwischen den Bambushütten, Hunde, Frauen und Kinder reichlich verdutzt. Als wäre es das Selbstverständlichste in der Welt, schlenderte ich zur Wasserleitung aus Bambus, die das Wasser von weit her aus einem Bach über viele halbierte Bambusrohre bis an den Rand des Dorfes leitete. Dort wusch ich mich ausgiebig, setzte mich eine Weile hin, verschnauf­te im Schatten und liess damit die erste Überraschung der Leutchen versie­gen.

Dann konnten einige kleine Jungen den hingestreckten Bonbons nicht widerstehen. So kümmerte ich mich zuerst einmal um die halbnackten Rangen, bis ich sie gänzlich bezirzt hatte und einen auf der Schulter, viere an der Hand, durchs Dorf zog. Männer waren keine zu sehen, nur Frauen mit Kindern auf dem Rücken, in ihrem einmaligen Silberschmuck, gingen, schon weniger misstrauisch, ihrer Arbeit nach. Dann traten einige Männer aus einer Hütte und winkten mich heran. Ich stieg eine kleine Bambusleiter hoch und war auf einem kleinen Vorbau, der, halb überdacht, scheinbar als Kinderzimmer diente. Einige Körbe mit Kleinkindern, in allerlei Tücher ge­wickelt, baumelten von der Decke.

Ich folgte der Einladung ins Innere, liess mich vor der Feuerstelle auf den Boden nieder und begann meine Konversa­tion mit Händen und Füssen. Um mich herum lagen auf geflochtenen Mat­ten die Herren wie Fürsten, jeder hatte sein Hobby neben sich stehen: Opium und Opiumpfeife. An der Bambuswand hingen einige Gewehre und Messer. Es wurde Tee gereicht, und ich zeigte ihnen alles, was ich dabei hatte, um ihre grosse Neugierde zu stillen. Pass, Ausweise, die Zeitungs­ausschnitte, alle Fotos wurden andächtig herum gereicht und bewundert. Immer mehr Herren kamen in den Kreis, und bald war eine angeregte Un­terhaltung im Gange, an der ich mich jedoch nicht beteiligen konnte.

Dann präparierten sie, einer nach dem anderen ihre Opiumpfeife, weihten mich ein, wie es richtig gemacht wird und boten mir freizügig davon an, was ich mit der Begründung, mir würde es schlecht davon, erstmal dankend ablehnte. Ob­wohl alle sehr freundlich waren, wollte ich doch einen klaren Kopf behalten. Dann schien mir die Zeit gekommen, meine Minox einzuführen. Ich erklärte und zeigte ihnen, dass ein Blitzlicht-Lämpchen nur einmal blitzt, was sie für unsinnig hielten. Die Kinder stürzten sich wie wild auf die verbrannten Lämp­chen, und ich hatte, so bete ich inständig, die tollsten Aufnahmen im Kasten. Die ganze Opium-Gemeinde.

Ab und zu huschten die Frauen durch den Raum. Der Kopfputz war wohl das Tollste an ihrer Tracht. Ein hoher Auf­bau aus Silber, Muscheln, Perlen, um den Hals Silberreifen und Plaket­ten, Perlenketten und allerlei Geisterabwehr, wie Wurzeln, Tierzähne und anderes mehr zwischen den nackten Bruesten. Um den Bauch war ein breiter Gürtel geschnallt, der eben­falls über und über mit Silber und Perlen geschmückt war. Dann war da, weiter unten, ein knapper, sehr knapper Lendenschurz, gegen den unsere Miniröcke sich wie Richterroben ausmachen, und noch weiter unten beendeten mit Tüchern umwickelte Waden die Tracht. Die Männer haben meist geschore­ne Köpfe, nur am Wirbel blieb ein langer Haarzopf stehen.

Ich blieb zwei Tage dort. Am nächsten Tag stieg ich mit einem der Männer weiter auf den Berg und liess mir auf der anderen Seite die Opiumfelder zeigen. Da die Grenze auf der Bergkuppe verlief, lagen diese Felder also auf Burma-Gebiet, was ich freilich erst viel später herausfand. Dort brannte überall der Wald, eine einfache Art, Raum für neue Opiumfel­der zu roden.

Die Opiumpflanzen unterscheiden sich nicht von unserem Mohn, und ich bin überzeugt, dass man sogar bei uns dieses Zeug gewinnen könnte. Als ich am Abend wieder in meinem Tempel war, hatte ich einige Aufnahmen mehr und war stolzer Besitzer einer verrauchten, stinkigen, doch echten Opiumpfeife und etwas Rohopium, beides ein rares Souvenir. Wie es möglich ist, dass diese Bergvölker so ohne Hemmungen Opium an­bauen? Als erstes bauen diese Leutchen es schon seit Generationen an, sind sozusagen die Erfinder dieser Rauchkultur. Früher jedoch zum eigenen Ver­brauch. Inzwischen aber haben sich genügend zahlungskräftige Händler ge­funden, die gleich tonnenweise kaufen und, für die Stämme, mehr bezahlen, als sie durch irgendetwas anderes verdienen könnten. Würde nun im gros­sen Rahmen gegen ihren Opiumanbau eingeschritten, wären sie des Kom­munismus fette Beute, der ohnehin in diesen Grenzgebieten schon reichlich tätig ist. Also dann, sagt man sich, lass sie lieber weiter Opium anbauen, was, ganz nebenbei, jährlich bis zu zwei Millionen Dollar einbringt, wenn auch unkontrolliert. Das meiste Opium kommt also aus dieser Ecke, Burma, Laos Thailand.

Nicht ohne Ironie ist auch der Transport. Hier in diesem Ge­biet nämlich leben 1600 versprengte nationalchinesische Truppen, mitsamt Generalstab. Als diese sich nach ihrer Niederlage gegen den roten Gegner in Thailand nieder liessen, war das zwar nicht den Thais, jedoch den Amerika­nern sehr recht, die sie als zuverlässige Grenztruppe zum Schutz gegen Bur­ma und China mit Waffen und Moneten unterstützten. Solche Geschäfte be­sorgte der CIA. Doch leider, leider, diese modern ausgerüstete, kampferprob­te Armee übernimmt im Herbst den ganzen Opiumschmuggel, und die offi­ziellen Regierungstruppen verlieren jedes Gefecht mit den bewaffneten Opium-Karawanen. Selbst Bomben waren im letzten Herbst, wie meistens in solch einem zerklüfteten Dschungelgebiet, so gut wie erfolglos. Wie das Opium dann weiter nach Bangkok, Hongkong, Marseille kommt, weiss ich nicht, bin aber sicher, dass da ganz dicke Fische und bestimmt auch eine Menge hoher Beamten mit im Spiel sind. Korruption ist nichts Aufregendes. Alles in allem lässt es mich doch ein wenig schmun­zeln, solche Randerscheinungen im Kampf gegen den Kommunismus, denn wenn Ihr die Bergstämme gesehen hättet: Diese Leute fühlen sich sehr, sehr sicher, wie in Abrahams Schoss.

Ja, dann bin ich noch mit einem deutschen Geologen durch den Dschungel gestapft, habe einige Missionare der „Marburger Mission“ besucht und bin janz jemütlich wieder durch Thailand bis hier nach Bangkok gepilgert, und vier Wochen waren wieder um, ohne dass ich es recht empfunden hätte.

Gerade habe ich mir noch einmal Deinen Brief durchgelesen, lieber Heri und stiess auf Deine Bitte, Dir einmal ausführlich meine Eindrücke und meine Wertung des Vietnam-Problems zu schreiben. Au Backe, au Backe, mein Eimerchen ist noch lange nicht voll, und jetzt soll ich schon daraus schöp­fen! Doch ich will es versuchen. Es ist auch für mich ganz nützlich, einmal zu formulieren, was bis jetzt mehr meine Gedanken oder auch Emotionen sind.

Ich habe schon verschiedentlich in meinen Briefen an Muttern und an Euch auf die riesengrossen Unterschiede in der Denkungsweise des „westlichen Menschen“ und des Asiaten hingewiesen, wobei ich hier den Japaner aus­klammern muss, da dort die Dinge etwas anders liegen. Irgendwo haben sich die grundlegenden Gedanken unserer Geisteswelt getrennt und sind in sehr verschiedene Richtungen gegangen; wir projektieren unsere Gedanken mehr und mehr nach aussen, beschäftigen uns mit der Bewältigung der Umwelt, wurden so genannte Realisten, denken logisch, rationell usw. usw. oder versuchen es wenigstens ständig. Hier in Asien schien mir der Blick mehr nach innen gerichtet, die Zufriedenheit und das Betrachten des Seins war Mittelpunkt aller asiatischen Philosophien und Religionen. Das Sendungs­bewusstsein des Christentums fehlt im Hinduismus und Buddhismus ganz.

Tausend Beispiele könnte ich anführen, die diesen gewaltigen Unterschied zeigen, sei es die Sprache (in Hindi gibt es zur Definition der Zeit nur die Worte „jetzt“ und „einst“, im Thailändischen bedeutet das Wort „glei“ nah und fern), sei es die unterschiedliche Verhaltensweise in Diskussionen (Das Wort „Streitgespräch“ existiert hier gar nicht. Eine Diskussion mit Asiaten hat schon manchen Europäer zur Weissglut gebracht), oder Begebenheiten, die nie bei uns vorgekommen wären. (Gestern beobachtete ich folgendes: Ein Wagen schleppt den anderen ab. An einer Kurve fährt der Schleppende nach links, der Wagen dahinter fährt weiter geradeaus. Verdutzt, dass es nicht weiter ging, besahen sich beide Fahrer den Schaden. Doof? Kaum, der geschleppte Fahrer wusste sich gezogen. Dass er selber lenken musste, daran hatte er im Augenblick nicht gedacht!)

Diese Unterschiede scheinen mir sehr wichtig, auch zur Beurteilung des Viet­nam-Problems. Was ist nämlich geschehen?

Die Asiaten sehen und sind jetzt gezwungen zu sehen, dass sie von dem Hier überrannt werden. Das glückliche und selige sich gehen lassen in allen Schicksalslagen, das demütige Hinnehmen ist endgültig zu Ende. Die Be­völkerung wächst haarsträubend, kein Futter da. Es muss etwas getan wer­den, das zielstrebiges Planen erfordert und schafft.

Und hier genau hätte sich das Blatt ändern können, hätte die westliche Welt nicht so elendiglich versagt.

Die Schulung der Bevölkerung setzte nicht unter den Kolonialherren ein, son­dern danach, viel zu spät. Man hat sich schnellstens zurückgezogen und die jetzt nachträglichen Hilfen kommen meist falsch, ohne Verständnis. Die jetzt Reichen hier in Asien spielen das, was sie bei den alten Machthabern gesehen haben. Die Konsequenzen kennen sie weniger. So ist es zum Bei­spiel richtig hier, dass man um so weniger arbeitet, je höher die Position ist. Ich, zum Beispiel, werde in ganz Asien als reicher Mann betrachtet. Was ich auch sage und erzähle, letztlich glaubt man mir nicht. Die Tatsache, dass ich manchmal zu Fuss gehe oder Auto stoppe, wurde mir hundert Mal als Geiz ausgelegt. Wie und warum ich fahre, versteht man hier überhaupt nicht. (Hierzu könnte ich noch vieles mehr aufzählen).

Was jetzt in China passiert, ist eine schmerzvolle und gewaltvolle Umerzie­hung auf westliches Denken. Der Kommunismus wird nur als Fahrrad da­zu benutzt, denn er ist ein sehr westliches Gedankengebäude. Mit dem „westlichen Gedankengut“ kommt auch eine neue Aggression. Wie aggressiv jeder Einzelne von uns ist, wurde mir erst durch die Begegnung mit dem Asia­ten bewusst. Wenn wir verträumt den zufriedenen und glücklichen Asia­ten beneiden, der so glücklich und zufrieden irgendwo auf einer „paradiesi­schen“ Insel herum lungert, so müssten wir einmal fragen, ob unsere Ge­sellschaft überhaupt glückliche und zufriedene Menschen gebrauchen könnte. Mich als Werbemenschen brauchst Du da nicht zu fragen, denn einer blonden Frau sage ich, dass sie rot besser aussehen würde und sie mein Haarfärbemittel kaufen muss. Vom Wagen, Haus, Kühlschrank, Farbfern­sehen ganz zu schweigen. Unsere Verbraucher-Wirtschaft ist auf Unzufrie­denheit aufgebaut, nur merken wir das gar nicht. Die kulturkriti­sche Analyse, lieber Heri, die Du in Deinem Brief so freundlich umgingst, wäre angebracht. Vielleicht wäre uns dann klar, warum wir so aggres­siv sind.

Und wie präsentiert sich die freie Welt hier in Asien dem Asiaten? Es ist elendig, und ich muss in jedem Gespräch mit buddhistischen Mönchen zurückstecken. So stellt sich hier dem Asiaten jetzt die Wahl, die längst schon keine Wahl mehr ist: Die verwurstelte asiatische „freie Welt“, die gar keine freie ist. Ungerechtigkeit, Korruption und härtester Materialis­mus – oder Mao Tse Tung und sein rotes Büchlein. Oder?? Vielleicht ist Ho-Chi-Min gar nicht mal so ein dummer Böser, wenn er sagt, dass er ein unab­hängiges Ho-Chi-Min-kommunistisch-nationalistisches Vietnam will. Ohne die Amerikaner und ohne die von ihnen gestützte „Freie Regierung“.

Vielleicht fühlen sich die Nordvietnamesen freier? Ein „unterjochtes“ Volk kann wohl kaum so kämpfen, wie es die Menschen von Nordvietnam jetzt machen. Doch ich weiss das nicht, leider war ich noch nicht dort.

Das Argument, dass unsere Freiheit dort verteidigt wird, halte ich für denk­faul. Meines Wissens gibt es gar nicht diese Freiheit! Es gibt höchstens die Freiheit der Westdeutschen, der Amerikaner, der Türken, der Perser, der Inder, der Thais, des Heri Stekers oder des Hans Höfers. Ähnlich scheint es auch mit dem Kommunismus zu sein, den wir bekämpfen müssen. Welcher isst damit denn gemeint?

Wie es in Vietnam weitergehen wird? Ich sehe hier in Asien für die Zukunft nur Blut und Krieg. Einen dauerhaften Frieden halte ich auch nach Ende der Bomben fuer lange Zeit nicht für möglich. Bleiben die Amerikaner hier in Asien, was sie wohl tun werden, wird es weiter Krieg geben, wenn es nicht gelingt, die in­ner­politischen Probleme mit grosszügigster Hilfe friedlich zu regeln. Gehen die Amerikaner hinaus, gibt es erst recht ein Blutbad. Ich bin also sehr pes­si­mistisch.

Hoffentlich, hoffentlich gibt es bald ein Einsehen, dass es auf diesem Weg nicht weiter geht mit der „westlichen Kultur“. Wir haben noch einige Orte, wo wir es anders ausprobieren könnten: Südamerika zum Beispiel. Afrika ?

Lieber Heri, es ist so sehr schwierig, das alles verständlich zu schreiben. Vieles von dem, was ich mir jetzt so durchlese, wäre viel, viel besser zu dis­kutieren. Ich könnte mich dann auch bestimmt besser erklären an Hand von vielen Erlebnissen und anderen Eindrücken. Hab also Verständnis für evtl. Ungereimtheiten, und denk an meinen Wassereimer.

Was in Deutschland vor sich geht, werte ich recht positiv. Wer demonstriert, sitzt nicht auf seinem fetten Arsch. Auch wenn einer lange Haare hat und Blumen in Gewehrläufe steckt, finde ich das gut. Ohne lange Haare würde er ja weniger auffallen. Und wenn einer sagt: make love, not war! so finde ich das grossartig !!!

Inzwischen ist es der 7. April geworden. Zwischendurch haben mich die Mos­kitos ein paar Mal unters Netz gejagt, und jetzt zum Beispiel steht die Sonne fast senkrecht am Himmel. Mittagschlaf wäre jetzt nicht schlecht.

Für heute bin ich wirklich leer gelaufen. Grüsst mir die Familienbande. Seid beide herzlich umarmt vom Bruder und Schwager

Hans

Habe heute „grosse Wäsche“ !

 

 

 

 

 

 

 

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