Letters home 1967 -1978

Tuesday, February 12, 2008

To Everest and Back

16. 10. 1967


Volker Kraus, Werkkunstschule Krefeld

Lieber Volker!


Sicher wirst Du gleich etwas stutzig, warum ich Dir gerade jetzt schreibe. Du hast da nicht ganz unrecht, denn einer der Gründe des Schreibens an Dich ist natürlich eine Bitte. Doch davon weiter unten. Gerade hat sich für mich einiges grundlegend geändert.

 

Peter und Walter sind eben in den Bus zum Flughafen gestiegen und fliegen zusammen nach Indien, wo sie sich trennen. Walter wird, wenn alles gut geht, über Kabul, Flug nach Taschkent und Moskau, mit dem Zug nach Ostberlin – und gegen Ende November in Krefeld erscheinen. Für ihn war also heute die Reise zu Ende. Er will in die deutsche Grafikerpraxis und dort sein Glück versuchen.

 

Peter reist nach Osten, will Thailand und Japan besuchen und von dort aus zurück, wie, steht noch nicht so recht fest, auf jeden Fall will er zu seinem Geburtstag am 9. März zu Hause sein. Ich stehe also nun am Beginn meiner eigenen Pläne, die zwar schön in der Planung, doch noch sehr vage in der Ausführung sind.

 

Fest steht bis jetzt, dass ich übermorgen, zusammen mit einem Engländer und einem angeheuerten Sherpa namens Tsering Talke zu einer Privatexpedition zum Mt. Everst starte, was sich in Deutschland toller anhört, als es von hier aus, 150 Meilen vom Everst entfernt, aussieht. Wir machen den Fussmarsch, den alle Expeditionen von Katmandu aus nach Osten den Bergen entlang, bis nach Namche Bazar und von dort zum Kumbu-Gletscher machen. Zu mehr reicht unsere Erfahrung und natürlich unsere Ausrüstung nicht. Es ist also nicht mehr als ein Fussmarsch durch das Sherpa-Land. Doch ein Buch über Nepal in der Stadt-Bücherei wird Dir Näheres darüber sagen.

 

Danach verlasse ich Nepal, gehe nach Kalkutta, um dort die Arbeitsgenehmigung für Australien zu erhalten. Klappt das, und bleibt mir noch ausreichend Pinke-Pinke, werde ich dort mal die Lage sichten, und Du weißt dann gleich, was Du nach Deinem Studium zu tun hast. Oder hast Du Dich irgendwo festgenagelt?? Meinen Weg plane ich so: Von Kalkutta zuerst nach Südindien, Ceylon, dann zurück nach Kalkutta. Flug Rangoon, Bangkok, Rundreise Thailand, Kambodscha, Laos, Thailand (davon jedoch noch nichts der Henny sagen!) Von Bangkok nach Süden, nach Malaysia, Singapore, Inselspringen bis Portugiesisch Timor, Flug nach Darwin. Einige Freunde hier haben das schon gemacht. Bangkok – Australien, 2 Monate Reise, 150 Dollar, gut möglich. Das Problem ist bis jetzt nur der Weg von Indien nach Thailand. Der Flug der Burma-Airlines kostet mit Studentenermässigung 53 Dollar, ohne etwa 100 Dollar. Diese Ermässigung bekomme ich jedoch nur mit einem Schreiben von einer Schule. Hier könntest Du mir bitte helfen.

 

Was ich brauche, ist ein Briefbogen der WKS, einige sonnige Worte wie: Hiermit bestätigen wir Herrn H.H., dass er sich auf einer Studienreise durch Asien mit dem Ziel Bangkok, Thailand, befindet ... Kunstgeschichtliche Studien, usw ...Wir bitten höflichst um Unterstützung, oder so ähnlich, Stempel, Unterschrift, hochachtungsvoll, ist alles, was ich brauche zur Vorlage bei der Burma-Airlines und hätte an die 200 DM gespart, hier für mich ein Vermögen.

 

So, das wäre meine Bitte.

 

Falls Du es bis 15. November fertig bekommst, sende mir diesen Schrieb an die German Embassy, Katmandu, Nepal, falls nicht, nach German Embassy, Kalkutta, Indien.


Von Australien selbst bekomme ich hier wirklich die besten Informationen, nicht nur, was Grafiker angeht, sondern auch als  Schriftsetzer, Autofahrer und Gelegenheitsarbeiter. (Im Australischen Busch spart man wöchentlich 50 Dollar, so erzählen alle hier). Falls also nichts ist mit Millionär-werden als Grafiker, arbeite ich mir leicht anderswo das Flugticket nach Old-Germany zusammen (1800 DM herum).

 

Ob ich es so mache, hängt auch davon ab, wie meine gute Mutter darauf reagiert. Spiele ein wenig Spion für mich, auch dafür wäre ich sehr dankbar. Sie schreibt immer recht fröhlich und verständnisvoll. Hast Du den Eindruck, dass sie mit dem Alleinesein gut fertig geworden ist? Ich danke Dir dafür, dass Du Dich das vergangene halbe Jahr um sie bemüht hast. Sie schrieb recht lieb von Dir. Du bist schon ein Prachtsköttel!


Von der Reise bis hierhin hast Du sicherlich aus den Briefen an meine Familie gehört, doch lass es Dir auch noch mal selbst sagen: Einfach grossartig, und ich muss sie jedem weiter empfehlen. Vielleicht war einiges Glück dabei, dass die finanzielle Rechnung so gut aufging. Durch den Wagenverkauf, der mir 800 DM erbrachte, hat mich das letze halbe Jahr genau 1185 DM gekostet. Das ist inklusive 400 DM für Andenken, die in Deutschland bestimmt das Doppelte wert sind, würde ich sie verkaufen. Doch wer verkauft schon z.B. zwei tibetanische Tankas, jede mindestens 200 Jahre alt.

 

Komm bloss nicht auf die Idee, Dich nach Deinem Abschluss in ein Antelier oder sowas zu setzen. Das was Du in einem Jahr an Praxis lernst, steht in keinem Verhältnis zu dem, was Du durch intensives Leben und Kennenlernen auf solch einer Reise für Dich gewinnst. 


Das war auch das Thema zwischen Walter und mir hier, doch Walter ist regelrecht reisemüde geworden, und ihm fehlt auch etwas Selbstvertrauen und erwartet mehr Sicherheit in den Werbebüros Deutschlands, glaub ich. Vielleicht hat er sogar Recht. 


Sonst ging die Reise und das halbjährige Zusammensein zwischen uns Dreien gut und harmonisch vorüber, und der Pegelstand in meinem Hals war gefährlich hoch heute morgen bei der Trennung. Dass ich jetzt alleine weitermache, ist mir gar nicht so unrecht, habe ich jetzt doch weit mehr Zeit, zu mir selbst zu finden. 


Doch würde ich mich sehr auf einen gegenseitigen Briefwechsel zwischen uns Beiden freuen, die beiderseitige Schreibfaulheit mit berücksichtigt. So, entschuldige die heutige Kürze, aber ich stehe so richtig in den Vorbereitungen zu meiner Tour zum Everest, auf die ich mich gewaltig freue. 


Sei für heute herzlich gegrüsst von Deinem Freund und zukünftigen Arbeitskollegen in den Känguru-Halden Australiens,


Hans





18. 11. 67


Liebe Mutter!


Heute möchte ich Dir nur sehr kurz und schnell verkünden, dass ich gestern Abend mit Colin heil und gesund aus dem 7. Jahrhundert im Bergland Nepals ins späte Mittelalter Katmandus zurückgekehrt bin. Der Rückmarsch vom Everest Basislager bis nach hier ging etwas schneller, ging es doch im ganzen von 6000 m bis auf 1500 m hinab, wenn auch über die gleichen Gebirgsketten wie auf dem Hinmarsch. Von Namche Bazar bis Katmandu haben wir nur 7 ½ Tage gebraucht, wohl die grösste Sportleistung meines Lebens. 


Wir nahmen uns weniger Zeit zum Rasten und Faulenzen, daher bin ich auch mit meinem Tagebuch um einige Tage zurück, will es jedoch hier beenden, um es Dir dann schnellstens zuzuschicken. Dummerweise ist heute Samstag, und ich komme nicht an die Post auf der Post und nicht an die Post in der Botschaft, weil hier heute Sonntag ist und morgen Sonntag. (Falls Du aus diesem Silbenrätsel schlau werden solltest, wirst Du gleich wissen, dass ich für die Post also bis übermorgen noch warten muss, was wir gar nicht so leicht fällt, nach 4 Wochen Hochgebirge). So muss ich Dich halt auch noch einige Tage auf die Folter spannen, dann aber wirst Du ausführlichst erfahren, was ich die letzten 4 Wochen geleistet habe! Ich bin wirklich sehr stolz auf mich. Es war einfach toll und verwegen, doch einmalig und erfolgreich. Hänschen am Mount Everest in genau 5950 Meter Höhe und bei minus 25 Grad! – Hier herrscht wieder schönstes Sommerwetter.


Also soviel für heute, damit Du so schnell wie möglich erfährst, dass ich zurück bin. Ich hoffe, dass Du und mein liebes Schwesterchen gesund und munter seid. Ich war in Gedanken oft bei Euch unterwegs.

Also das sollst Du jetzt schon wissen, bis auf einige Muskelschmerzen in den Oberschenkeln bin ich gesund und äusserst munter.


Dir einen herzlichen Kuss und meinem Schwesterchen eine brüderliche Umarmung sendet Euch


Euer Hans


Viele Grüsse auch an Harald und Volker



20.11.67


Liebe Mutter,


Das, was Du hier vor Dir liegen hast, ist also das kleine Tagebuch meiner Reise von Katmandu zum Mount Everest und zurück. Ich hoffe, dass es mir gelungen ist, einige meiner Eindrücke dieses interessanten Abstechers von der Zivilisation für Dich (und meine liebe Familie) festzuhalten. Da Du eigentlich immer die Leidtragende meiner Eskapaden bist, möchte ich dieses Büchlein besonders Dir widmen. Ich hoffe sehr, dass es sich dann beim Lesen herausstellt, dass doch viele Deiner Sorgen unbegründet waren.

Doch ich muss Dich zuerst sehr um Verzeihung bitten, wenn Du beim Lesen auf eine Unzahl von Fehlern und auf Sauklaue stösst, doch bedenke ein wenig, dass ich die meisten dieser Zeilen morgens während der Essenspause unter den wechselnden Bedingungen, wie sie solch eine Tour mit sich bringen, geschrieben habe. Um eine diesbezügliche Blamage zu verhindern, möchte ich Dich bitten, selbst eine kleine Korrektur hier und da einzufügen.


Ich wünsche Dir viel Freude beim Lesen,


Dein Söhnlein



Die Tage vor dem Abmarsch


Den Wunsch, das Land Nepal und die Berge des Himalaya näher kennen zu lernen, hatte ich eigentlich schon, bevor ich in Katmandu angekommen war, nämlich als wir mit unserer Wundertüte über den Pass vor Katmandu gefahren kamen und der herrliche Ausblick auf die Berge und Täler dieses zerklüfteten Landes uns für einige Zeit anhielt. Peter, Walter und ich konnten es kaum fassen, als wir über den Wolken Bergspitzen sahen, in einer Höhe, wo man sonst nur Flugzeuge vermutet hätte. Dann jedoch nahm uns die Stadt Katmandu gefangen, und alle Ereignisse, die damit verbunden waren, die religiösen Feste, der farbenprächtige Trubel auf den Strassen, dann der glückliche Wagenverkauf, der die Reisekasse auffüllte und das halbjährige Autoreisen beendete. Dann zogen wir eines Tages hinaus auf einen der das Katmandu-Tal begrenzenden Bergzüge, übernachteten in einer Hütte auf der Spitze und betrachteten das Panorama der Berge, sassen schon vor dem Sonnenaufgang draussen und begeisterten uns an der glasklaren Pracht der vereisten Spitzen bei Sonnenaufgang. 


Hier wurde der Wunsch dann zum Plan. Zurück in Katmandu erkundigte ich mich dann gleich ausgiebig über die Möglichkeiten, besuchte die hoffnungslose „Touristenauskunft“, bekam jedoch die meisten Tipps aus den Büchern über die vergangenen Expeditionen in der englischen und amerikanischen Bibliothek. Dann ergab eine erste Kalkulation der Kosten eines solchen Trecks ins Gebirge 500 DM mit allem, was noch angeschafft werden musste, war ich doch eigentlich nur wenig für eine solche Tour ausgerüstet. 


Meine beiden Freunde Peter und Walter hatten ihre Pläne bereits in andere Richtungen festgelegt; Walter wollte zurück nach Hause, Peter wollte sich noch ein weiteres Stück Erde anschauen, bevor er zur Fortsetzung seines Studiums nach Deutschland zurück muss.


So machte ich mich zuerst auf die Suche nach einem Partner und fand Colin, einen Engländer, der sich auf der Rückreise von Australien nach England befindet. Er war gleich von meinem Plan begeistert und mit von der Partie.


Dann vergingen einige Tage, bis wir von den hiesigen Behörden eine Genehmigung für den Kumbu-Gletscher und das Everest-Base-Camp bekommen konnten, die dicht an der tibetanischen Grenze und somit in einem verbotenen Gebiet für den normalen Tourismus liegen. Behörden in Asien, nur wer selbst mit ihnen zu tun hatte, weiss, welche Geduld und welche Nerven man hier für die einfachste Bescheinigung aufbringen muss. So auch diesmal wieder. Die letzte Unterschrift bekamen wir erst am Tag unserer Abreise. 


In der Zwischenzeit hatten wir einen echten Sherpa angeheuert. Tsering heisst der Knabe, braungesichtig und mit Schlitzaugen, er zeigt uns einige Zeugnisse von einigen Expeditionen. Er war Koch, Träger und Führer und scheint einige Erfahrung zu haben. Sein Englisch besteht aus 100 Worten, hat aber die Fähigkeit, wenn auch nicht alles, so doch vieles damit auszudrücken. Das zeigt sich schon beim Einkauf der Verpflegung und Ausrüstung. Koch- und Essgeschirr, Verpflegung für einige Marschtage, Zucker und Reis. Eine Karte bekomme ich von einem Schweizer, der vom Marsch zurück kehrt und uns viele wertvolle Tipps gibt. Dann haben wir alles zusammen, sitzen noch einen Abend lang im “Globe-Hotel“ mit einigen Freunden und Bekannten, lassen uns das letzte Büffelsteak für einige Zeit schmecken und freuen uns auf das vor uns liegende Abenteuer.


Tsering bekommt 10 Rupies am Tag, 4 DM also, dazu bezahlen wir seine Verpflegung. Von Katmandu bis zum Basislager am Everest sind es 200 Meilen, das heisst 640 km hin und zurück, wir können aber ungefähr 90 km davon mit dem Autobus zurücklegen. Ungefähr 550 km Fussmarsch warten auf uns, 7 grosse Bergzüge zuerst und – danach zum Basis-Lager in 5000-6000 Meter Höhe.


Wir sind gespannt auf das, was uns erwartet.



Dienstag, 18. 10. 67


Endlich raus aus der Stadt, endlich auf dem Weg. 


Wir nahmen den Bus von Katmandu aus, über die Chinastrasse nach Lahsa in Tibet und haben vom Bus bis hier schon einen gewaltigen Wechsel der Umwelt erlebt. Dolalkat heisst dieser Platz, den wir nach 2 ½ stündiger Fahrt erreichten. Rucksack geschultert und bei vollem Mondlicht über eine nagelneue Brücke. Am anderen Ende, links von der Strasse eine Art Arbeitersiedlung der Chinesen in voller Beleuchtung. Rote Fahnen, Mao-Bilder und Spruchbänder in Chinesisch. Drinnen wird gerade gesungen, wir sehen eine Gruppe Arbeiter um eine Art Altar mit Mao-Bild sitzen, das rote Buch Maos in den Händen. 


Hier wird eine neue Art Messe zelebriert, der ich gerne zuhören würde, doch unser Sherpa biegt links ab, wir kraxeln im Vollmondlicht einen steilen Pfad hinauf und kommen auf ein kleines Plateau, auf dem einige kleine Hütten stehen. Sie sind aus Holz zusammengezimmert und eigentlich nichts mehr als spitze Strohdächer auf Pfählen. In einem kleinen überdachten Vorraum brennt ein Feuer, und nachdem ich mich an das flackernde Licht gewöhnt habe, kann ich mich ein wenig umschauen. Die beiden Frauen am Feuer sind in rote Gewänder gekleidet, haben ihre Haare zu einem langen Zopf geflochten, kleine Ringe in der Nase, doch je zwei 5 cm grosse Goldplatten an den Ohren hängen. Die Leutchen um mich sind einige Träger und einige Einwohner dieser kleinen Ortschaft. 


Während ich schreibe, wird ein Mahl aus getrocknetem Fisch, Eiern und Reis vor mir für uns bereitet. Bin mal gespannt, wie´s schmeckt.


Mittwoch, 19. 10. erster Tag


Frühstückspause.


O je, so dringend habe ich das Frühstück noch nie gebraucht. Wir sind früh aufgestanden vor Sonnenaufgang, gepackt und eine Tasse heissen Tee geschlürft, Rucksack geschultert und lustig ins Morgengrauen gestapft. Es geht gleich über den Fluss, die schmale Hängebrücke schaukelt bei jedem Schritt. Dann steigt der Pfad an und hat bis jetzt, 10 Uhr, noch nicht aufgehört zu steigen. Er führte durch zwei kleine Dörfchen durch Bambuswald und das letzte Stück ein Bachbett hinauf. 


Langsam aber sicher komme ich schon heute dahinter, was hinter dem Wort Sherpa steckt. Während Colin und ich schnaufend und schwitzend hier hocken, ist Tsering unterwegs und bereitet das Frühstück. Teufel, was für ein zäher Bursche! Zweimal nur haben wir für wenige Minuten angehalten, und Tsering erklärte uns in seinem Holper-Englisch die Berge am Himmel. Sie stehen wie Kristalle am Horizont, und man fängt an zu frieren, wenn man ihnen durch das Fernglas näher kommt. 


Das kleine Haus, an dem wir anhalten, ist rotbraun getüncht, im kleinen Hof picken Hühner. Auf einer Matte vor mir sitzt eine Familie und rastet. Die junge, pralle Frau hat ihr Kind an die Brust gelegt und raucht friedlich dabei eine der kleinen Zigarren, die hier überall geraucht werden. 


Mal sehen, was Tsering da neben mir zaubert. (Gemüse mit Stacheln: Iskus)


Dörfer: Dumre, Djanbas, Risingo


abends


Eben sagt Colin, dass er es nicht für möglich gehalten hätte, dass ein Mensch so lange laufen kann. 


Bis 2 Uhr nachmittags ging es ununterbrochen nach oben. Unsere Rucksäcke sind ungefähr 20 – 25 kg schwer, daher sind wir total fertig, als wir die Spitze erreichen. Die Sonne stach bald vom Himmel und beleuchtete die Terrassenbauten der gegenüber liegenden Hänge, von denen die reifen Reisfelder gelb herüber leuchten. 


Oft durchqueren wir kleine Ortschaften, meist nur 4 bis 5 Häuser. Sie machen einen saubereren Eindruck als die Gassen Katmandus. Sie sind meist halb ocker, halb weiss getüncht, haben Holz- oder Strohdächer und sind oft zweistöckig. Unter dem Dachvorsprung hängen Trauben von getrocknetem Mais. Als wir eine Verschnaufpause in solch einem Dorf einlegen, kommt uns ein Zug Menschen entgegen. Ihnen voraus geht ein Hornbläser, der nach einigen Metern seiner grossen weissen Muschel einen langgezogenen vibrierenden Ton entlockt. Hinter ihn wird, um einen Pfahl gebunden und in ein weisses Tuch gehüllt, eine Leiche getragen. 


„This one man finish!“ sagt Tsering und packt schon wieder seinen Rucksack.


Nachdem wir die Spitze der Anhöhe erreicht hatten, bezog sich der Himmel urplötzlich mit schwarzen Wolken, denen wir schon recht nahe waren, und es fing aus heiterem Himmel an zu hageln und zu regnen. Dadurch wurde der Weg hinab zu einer heimtückischen Rutschbahn. Alle Drei setzten wir uns einige Male auf den Hintern. „Nicht nur, dass sie hier die schönsten Berge haben, nein, sie haben auch noch Regenbogen dazwischen.“ Colin hatte recht, es ist schon ein einmaliges Bild, wenn die Wolken für kurze Zeit aufreissen und einen der gegenüber liegenden Hänge beleuchten. Dann steht dazwischen, greifbar nahe, ein halber Regenbogen.


Gegen 4 Uhr sind wir unten, balancieren auf einem Holzbalken über einen rauschenden Bach, gehen eine Weile auf der anderen Seite weiter und schauen wieder nach oben. (Ver)zweifelnd muss ich Tsering anschauen. Es dämmert schon, und der will noch da hoch. Grinsend sagt er: „This house no good house, up house good house.“ Na gut, ich will mein Bestes tun, wenn er meint. 


Noch einmal müssen wir einen Bach überqueren, diesmal ohne Balkenbrücke, platsch, Colin rutscht aus und steht bis zu den Knien neben den Steinen. Der Arme, das letzte Stück steigen, mit nassen Schuhen und Strümpfen. Ich bin wirklich am Rande meiner Leistungskraft angekommen, als wir seitlich vom steilen Weg abbiegen und ein Gehöft mit 4 Häusern erreichen. 


Dies sei ein guter und reicher Mann, meint Tsering, er habe viel Land und würde sogar einige Lamas (tibetanische Mönche) beherbergen und füttern. Die Sonne ist schon untergegangen, doch ich kann im Hof noch einige Stangen mit Gebetsfahnen erkennen. Während Colin und ich dasitzen, uns stöhnend die Schuhe ausziehen und die strapazierten Füsse massieren, Tsering pfeifend Tee bereitet und zu kochen anfängt, beginnen in einigen Häusern um uns die Gebetstrommeln und -glocken zu tönen und hören erst auf, als wir schon längst im Inneren des Hauses hocken, das kräftigende Mahl verschlingen und uns langsam erholen. Es ist schön, in solch einem Haus zu sitzen, nach zwei Tagesleistungen ... 


(Die Mnt.-Everest-Exp. der Amerikaner machte dasselbe Stueck heute in zwei Tagen).


Donnerstag, 20. 10. 67 2. Tag


Die Nacht war nicht gerade ruhig, mein Schlaf unterbrochen. Es ist noch zu neu alles. Wie hat sich alles geändert. Man fuhr ein halbes Jahr im Wagen spazieren, die Landschaften rollten vorüber, und nur in den Städten erinnerte man sich der guten Beine und wurde doch trotzdem oft von den Rikschas verführt. Und die Fussmarsch-Leistungen zu Hause reichen sowieso nicht zu mehr als bis zur Herbst-Pitter-Kneipe und zurück.


Das habe ich gestern gespürt. Als unser Tsering mir kurz vor dem Ziel den Poncho vom Rücken nahm, um es mir ein wenig leichter zu machen, habe ich mich vor ihm geschämt. Dieser kleine Mann geht mir gerade bis zur Brustwarze und hat mehr als ich auf dem Buckel.


Ich wurde geweckt durch das Töpfegeklapper Tserings, und noch ehe ich richtig wach war, war der heisse dampfende Tee in den Emaillebechern. Es war noch empfindlich kalt, kurz vor Sonnenaufgang. Ich war natürlich wieder der Letzte mit dem Packen und dem Schnüren der Schuhe. Drei Schritte getan, und schon werde ich heftig an die Leistungen des Vortages erinnert. 


"I don´t want it to be easy“. Colin zitiert irgend einen englischen Forscher, und auch ich beisse die Zähne zusammen. Muskelkater im Hintern und an sämtlichen Muskelsträngen der Beine, Schultern, Rücken, alles tut weh.


Der Weg zieht sich gleich wieder hoch entlang einem mit Reis bebauten Hang. Auf der gegenüber liegenden Seite erwachen die Häuser, Rauch und Dampf steigt im blauen Dunst des Morgens auf. Auf der Spitze des Berges angelangt, nach einer Stunde Anstieg, stutze ich, als ich die Deckenmalereien eines über den Weg gebauten Tores entdecke. Wir haben eine Gumba (Reshung-Gumba), ein buddhistisches Gebetshaus, erreicht. Vor allen Häusern stehen lange Bambusstangen, mit langen Gebetsfahnen behängt, die im Wind flattern, die heiligen Sätze des Buddhismus in Bewegung haltend. 


Tsering gibt dem Haus- oder Tempeldiener, einen Rupia. Dieser öffnet die Gumba, und wir treten ein, bestaunen die feinen Wandgemälde, die bemalten Buddha- und Dämonenfiguren, lauschen dem Gebet Tserings und des Wächters, der gleichzeitig die dumpfe Trommel schlägt und den Klöppel einer Glocke zieht, in wechselndem, immer schneller werdenden Rhytmus.


Nach einer Weile verlassen wir den Raum, schauen nach Norden, wo die Spitzen des Himalaya den Horizont bilden, schultern wieder die Kummerbringer und stapfen nach unten. Gegen 10 Uhr haben wir ein langsam aufsteigendes Tal hinter uns, überqueren an einer seichten Stelle, über Steine hüpfend, einen glasklaren Bach und haben eine viertel Stunde später unseren heutigen Essensplatz erreicht. 


Schon unterwegs hatte Tsering sich nach Holz gebückt, und so haben wir nach kurzem gemeinsamen Suchen genügend Feuerholz zusammen. Bald gibt´s wieder heissen Tee, und während Colin und ich zum Fluss hinunter gehen und den einfachen Mechanismus einer Wassermühle bestaunen, dampfen oben schon wieder die Kessel, Reis und dieses für uns neue Gemüse, das aussieht wie längliche, stachelige Rosskastanienhüllen (Iskus), doch in der Tseringschen Zubereitungsart hervorragend schmeckt.


Dann wird gefuttert, und das war gut, denn es ging kurz danach in ewigem steilen Zick-Zack nach oben. Was für ein Land ist dieses Nepal ! Dass es hier keine Strassen gibt, ist kaum ein Zeichen von „Unterentwicklung“. Es ist wohl einfach unmöglich, hier überhaupt Strassen zu bauen, so zerklüftet ist dieses Stück Erde. Der Transport wird ausschliessend auf dem Rücken der Träger bewältigt, und so begegnen uns auf dem engen Pfad oft Schlangen von 10 – 20 Trägern, alle hoch beladen, ihre Lasten mit einem breiten Lederband über die Stirn tragend.


Chisare, es war einer der Plätze, wo die amerikanischen Experten nächtigten, erreichen wir kurz nach Mittag. Wir sitzen noch nicht einmal nieder, um Tee zu trinken. In stetigem Auf und Ab gehen wir noch einige Stunden über den Kamm eines der sieben grossen Steigungen, die wir bis zu unserem Ziel überqueren müssen.


Ein seltsames Schauspiel konnte ich auf diesem Weg beobachten. Die Natur oder eine Menge Menschen hatte einige schwere Felsbrocken zu einer Art Viereck zusammen geformt. Hier, so erklärte uns Tsering, müssen alle Porter (Träger) eine kleine Opfergabe aus Zweigen geben. Warum das so ist und was es mit diesem Platz auf sich hat, kann ich vielleicht später einmal erfahren. 


Tserings Antwort war selbst nach heftigsten Bemühungen Colins und mir weder in richtiges Englisch geschweige denn in Deutsch zu übersetzen. Wir beobachteten die Träger, wie sie einer nach dem anderen in ihrer Reihe einige vorher abgebrochene Zweige erst gegen den Kopf, dann gegen die Beine schlugen und dann zwischen jene Felsen dort warfen.


Ein wenig verwundert war ich ebenfalls, als ich meinen Rucksack pustend an einem der vielen Rastplätze abstellte, wie immer neben einen der grossen Tragekörbe der Träger, die ebenfalls gerade nach Luft schnappen. Nach einer Weile stemmte sich der Träger mit der Stirn gegen die Last und begann, weiter abwärts zu steigen. Ich traute meinen Augen nicht: Oben auf dem Korb sass im Schneidersitz ein altes Hutzelweibchen, grinste mich an, und ihre grossen Ohr- und Nasenringe schaukelten bei jedem Schritt ihres Omnibusses.


Gegen Nachmittag fing es wieder an zu regnen, doch wurden wir uns nicht so richtig klar darüber, welche Wolke uns da kühlte, denn über uns war strahlend blauer Himmel.


Gegen 5 Uhr überqueren wir einen Pass. Vor uns liegen weitere Täler und Berge, die teilweise schneebedeckt sind und in den Wolken verschwinden. An einem der nächsten Häuser am Hang machen wir halt. Es wird auch Zeit, ich bin reif für einen Halt, für Essen und für Tee – 


Eine Stunde später gibt´s Reis mit Iskus und gekochtem Trockenfleisch (weiss der Teufel, wo Tsering das besorgt hat?). Wir hauen gewaltig rein, danach Kaffee bei Kerzenlicht unter dem Vordach des Sherpa-Hauses. (Pakta)


21. 10. 67 3. Tag Freitag


Ich werde durch gleichmässiges stumpfes Stampfen aus dem Schlaf gerissen. Ich hatte am Abend vorher in der Dunkelheit gar  nicht bemerkt, dass direkt vor meinen Haxen ein ausgehöhlter Stein in den Boden eingelassen war. Hierin stampfte nun die Frau des Hauses mit kräftigen Stössen ihren runden Holzblock und zermanschte Maiskörner zu Mehl, wohl das Frühstück der Familie. Guten Morgen.


Die Berge am Horizont leuchteten wieder glasklar zu uns herüber, konnten höchstens uns, doch nicht Tsering vom Aufbruch abhalten, und schon bald waren wir auf dem Weg. O Gott, meine Füsse! Es ging 2 ½ Stunden abwärts, zuerst über glitschige Pfade, die gleichzeitig als Bewässerungsgräben für die Reisfeld-Terrassen dienen, dann auf teilweise sandigem oder felsigem Weg hinein in einen duftenden Fichtenwald (jedenfalls Nadelbäume mit langen Nadeln), der von der schräg einfallenden Morgensonne leuchtend grün gefärbt wurde. 


Doch der Genuss der herrlichen Landschaft ringsum wurde stark getrübt durch meine Blasen auf sämtlichen Zehen, die durch das ständige Bergabwärtshüpfen weiter aufgerieben wurden. Zuletzt wusste ich mir nicht mehr zu helfen, zog die Schuhe und Strümpfe aus und bepackte sämtliche Zehen mit Watte, die ich gottseidank noch in Katmandu eingesteckt hatte.

So gings dann wieder, einigermassen. 


Weiter kletterten wir nach unten, zwischen und teilweise auch auf den Felsen, bis wir den Fluss im Tal erreicht hatten, der sich schon einige Zeit vorher durch sein Rauschen angemeldet hatte. (Tserang Hola). Und da standen wir nun vor der schönsten Hängebrücke, die ich je gesehen hatte. Von zwei 20 m langen, handgeschmiedeten Eisenstangen waren Drahtseile nach unten gespannt, die beängstigend dünnen Latten den Halt gaben. Die Träger, die vor uns die Brücke überquerten, zeigten uns die Technik. Links und rechts an den Ketten festgehalten, die Füsse im Ballettschritt quer gestellt, um die Lättchen gleichmässig zu belasten und dann ein munteres, schaukelndes Fürbass-Schreiten. Die Brettchen waren dünn genug, durch ihre Spalten und Risse den Blick auf den 20 m weiter unten tosenden Wildbach frei zu geben. Handschlag, ein Lächeln. Man war drüben wieder vereint, es konnte weitergehen, zickzack Pfad nach oben. 


Ich hatte es geahnt. Doch vorher ein stärkendes Mahl. Es gibt wieder einen Berg aus Reis, Trockenfleisch und kräftig gewürztes Gemüse dazu. Es schmeckt und muntert auf. Dazu unser täglicher Pillencocktail gegen Amöben, Malaria, Vitaminmangel und Salzverlust durch Hitzeeinwirkungen. Was soll da noch schief gehen? Nach dem Anstieg verklingt das Rauschen des Flusses hinter uns, es wird heiss und still, nur unser Stapfen und Atmen ist zu hören, von einigem Fliegengesumm abgesehen. Es wird Mittag, die Sonne steht brennend am blauen Himmel. 


Ich bin, wenn ich an den Oktober zu Hause denke, „fast zu beneiden“. Wir vergleichen unsere Marschleistung wieder mit der amerikanischen Expedition. Wir erreichen Kerantichap kurz nach Mittag, ihre 4. Nachtstation. Wir sind viel schneller, das steht fest. 


Beim langsamen Abstieg haben wir den nächsten Berg vor Augen. Wieder durch einen Wald hinab, ein etwas breiterer Fluss vom Neckar-Format, diesmal eine neue Hängebrücke aus Stahl und Stahlseilen. Ein Rätsel, wie sie das Material dazu hierher brachten. Dann wird es recht kritisch, denn es steigt wieder an, steil, Zickzack-Pfad. Hier werde ich sauer. Der Rucksack und der Berg, die Steigerei der Vortage, das alles scheint mich jetzt umzuwerfen. Ich beisse auf die Zähne, ich wusste schliesslich schon vorher, dass der Everest niemandem auf einem Tablett serviert werden kann. Schritt für Schritt, gleichmässig schnaufen, ein positives Zeichen: ich bin kerngesund, sonst wäre ich nicht oben, läge wohl kaum pustend im Gras und würde nicht eine Stunde später mich an den neuen Reisberg Tserings heran machen. Wir haben für heute in einem der Träger-Rasthäuser haltgemacht. In der Ecke des halboffenen niedrigen Raumes brennt das Holzfeuer, und im Haus gegenüber singen einige junge Frauen zum gleichmässigen Rhythmus einer Trommel. Es wird sehr schnell dunkel, die Wolken färben sich blutrot, und die Anstrengung des Tages ist bei dieser Stimmung schnell vergessen. 


Während ich schon gegen 8 Uhr einschlafe, ist zu Hause die Mittagspause in den Fabriken zu Ende. Man arbeitet weiter, freut sich auf den Feierabend. Mit den Gedanken an meine Familie dort schlafe ich ein.


Kurz vor Kabre war diese kleine Ansiedlung.



 

22. 10. 67 4. Tag Samstag


Gestern Abend noch hatten mich kurz nach dem Einschlafen einige Neuankömmlinge geweckt. Wir mussten noch etwas zusammenrücken, um einer Gruppe Tibetanern Platz zu machen. Das sind schon wahnsinnige Burschen, gross und kräftig, ihre Haare haben sie in dünnen Zöpfen über dem Kopf zusammengebunden, um den Hals tragen sie Ketten mit Türkisen und Korallen. Trotz ihrer haarsträubenden Lasten, die sie mit sich schleifen, schauen sie kaum ermüdet, sie plaudern und lachen, während sie um ihr Feuer hocken und auf ihr Essen warten. Am Morgen sind sie schon längst verschwunden.


Nach dem Morning-Tee gehen wir bald wieder hintereinander in den Morgen hinein. Heute sind wir recht früh dran, es ist 6.15 Uhr, als wir starten. Überall dampfen die Häuser, die keine Kamine haben. Der Rauch kommt durch irgendwelche Ritzen und Fugen durchs Dach, so dass über jedem Haus eine dicke blaudunstige Wolke steht. Ein wirklich friedliches Bild geben diese Dörfchen an den Hängen ab, der Mais ringsherum unter dem Dach, die Kakteen oder Bananenstauden dazwischen, die ganze üppige Vegetation ringsum. Uns begegnen zwei Amerikaner, die von Namche zurückkommen. 


Gerne nehmen sie zwei Briefe für uns mit nach Katmandu, die wir in der Eile hinhauen. So haben sie zu Hause wenigstens eine Nachricht. Vielleicht haben wir Glück, und eine Postverbindung nach Deutschland ist trotzdem möglich, von Touristen oder Alpinern nach Katmandu zurückgetragen.

Der Rest des Tages wird wieder bitter, und ich bin sauer. Soll die Erinnerung an Nepal hauptsächlich aus zusammengebissenen Zähnen, Blasenproblemen und schneidenden Schulterriemen bestehen? Was sind wir Europäer in dieser Hinsicht für Waschlappen und Asphalthasen. Es geschieht mir ganz recht. Unsereiner sollte lieber beim Auto oder wenigstens in der Nähe eines Autos bleiben. 


Trotzdem in Kürze : der Weg steigt durch dichtes Unterholz ewig an, der Weg ist Bach. Dann in kurzen Abständen ein auf und ab auf der Kuppe. Herrlicher Ausblick! Dann hinab, bis die Beine beben, in ein schmales Flusstal. Die Brücke ist nichts als ein Baumstamm. Balance halten, sonst platschts.


Wir sind so müde, und Tsering sucht einen Platz zur Übernachtung. Zuerst jedoch scheint sein Sinn etwas nach Shang, dem hiesigen Bier, zu stehen, für mich etwas Neues. Vom Weg aus ruft er lauthals in die Häuser, bis sich jemand findet, der uns in das Haus einlädt. So sitzen wir dann eine halbe Stunde lang im Schneidersitz auf einer Reisstrohmatte, bekommen in flachen Schalen den Shang serviert, der eine wässerig braune Farbe hat, gärig, doch nicht übel schmeckt. Dazu begegnet mir hier unser Kirmes-Pop-Korn, das uns zum Shang angeboten wird. Tsering scheint es jedoch gar nicht so gut zu gefallen, und ich gebe ihm recht. Recht einladend ist dieses Haus doch nicht, es ist niedrig, dunkel und verräuchert, die Nepalesis hier sind recht schmierig, und es wird verdächtig viel gehustet. 


So nehmen wir noch einmal für eine Stunde das Rucksackleiden auf den Buckel und laufen etwa 20 Minuten das Flusstal entlang, dann eine Stunde harter Aufstieg, bis wir ein kleines Gehöft erreichen, der Schlafplatz für die heutige Nacht. Fertig.


(Katile – vor Those)



22. 10. 1967

Hans Höfer, in den Bergen Nepals schwitzend!

Auf dem Treck, kurz vor Jiri, 


Liebe Mutter!


Unterwegs begegnen uns gerade zwei Engländer, die auf dem Weg zurück nach Katmandu sind. 

Tsering, unser Sherpa, Colin und ich sind heute den 4. Tag unterwegs, haben uns schon ganz gut in den Marsch eingefunden und uns an einige Blasen gewöhnt. Bis auf das Drücken an den Schultern geht es mir sehr gut. Tsering ist ein sehr guter Koch und versteht es prächtig, uns zu füttern. 

Heute Nacht haben wir unter dem Vordach eines Scherpahauses geschlafen. Es ist einfach fantastisch, wie die Leute hier leben, was sie essen und wie sie arbeiten. Das wird wohl ein grosses Erlebnis, das in meinem Leben einmalig bleibt.

Freue Dich mit mir auf das, was da noch alles kommt in diesen 4 Wochen Abgeschiedenheit in den Bergen Nepals.


Viele liebe Grüsse und eine herzliche Umarmung,


Kuss Hans



23. 10. 67 5. Tag Sonntag


Die Nacht war recht unruhig. Hundegebell liess mich nicht schlafen, meine überanstrengten Beine schmerzten. So war dieser Morgen wohl der schlimmste, an den ich mich bis jetzt erinnern kann. Ich nahm zum ersten Mal auf dieser Reise eine Schmerztablette und rieb meine linke Hüfte mit einer Salbe ein, in der Hoffnung, dass ich doch noch einiges leisten konnte. 


Au, was ging ich sauer los! Jeder Schritt war eine Qual, doch nach und nach hatte ich mich eingelaufen, vielleicht halfen auch Salbe und Pille, so dass ich nach einer Stunde Weg abwärts kaum noch etwas spürte, Gott sei Dank! Wir überquerten den Kimti-Kula-Fluss recht früh, gerade als die Sonne das steile Tal beleuchtete. Die Wiesen links und rechts des rauschenden Wassers standen voll Blumen und waren noch feucht und voll Reif. 


Bald darauf hatten wir Those, ein kleines Städtchen, erreicht. Hier leben meist Handwerker und Händler, die die Bevölkerung der umliegenden Täler mit Handwerksmaterial, Werkzeug, Messingtöpfen, mit Tuch und allerlei Sonstigem versorgen und von ihnen leben. Wir gingen langsam die steingepflasterte Hauptstrasse entlang, blieben hier an einem Laden, dort an einem Stoffgeschäft, bei einem Schmied oder bei einem Schreiner stehen, schauten ihnen zu und wurden von überall begafft. 

Wie in Katmandu ist die Mehrzahl der Leute nicht buddhistisch, wie meist in den Bergen ringsum, sondern gehören der Nevar-Kaste an. Das können wir leicht an den grob geschnitzten Götter- und Dämonenfiguren und an den Hindu-Tempeln erkennen, die noch deutlich die Spuren des blutigen Opferfestes der letzten Woche tragen. Das Dorf, oder das Städtchen macht einen friedlichen Eindruck, die kleinen Häuser mit ihren geschnitzten Fenstersimsen und Balkonen, mit seinen Hühnern und Kühen auf der Strasse.


 Tsering besorgt Reis für weitere 5 Tage. Es geht uns wirklich gut mit ihm, und die 4 Mark, die uns seine Dienste am Tag kosten, ist er zehn-mal wert.

Gegen 11 Uhr liessen wir uns nach einigen Stunden Fussmarsch am Fluss entlang, in der Nähe einiger buddhistischen Stupas nieder, aalten uns in der Sonne, während Tsering singend Tee und den heutigen Reisberg bereitete. Von der Talsohle aus konnte ich mit dem Fernglas das Tal entlang meinen Blick bis zu einigen Felsenzacken in schon bedenklicher Nähe spazieren lassen, die schon schneebedeckt waren und uns daran erinnerten, dass hinter ihnen noch einiges an Gebirge auf uns wartete. 


Ich schrieb in diesem Büchlein, döste ein wenig in der Sonne, bis Tsering uns ermahnte, nach oben wies und uns den Pfad zeigte, sein „up, up, up“ brummte und voran stapfte. Wenn ich ihn mir so anschaue, seinen amerikanischen Seesack, selbst zum Rucksack umgebaut, mit einem ledernen Stirnband getragen, seinen geflickten Tennisschuhen und seinen vor Jahren einmal weissen Hosen, klein, mit ewig grinsendem Gesicht, ich würde ihm nie eine solche Kraft und Ausdauer zumuten, hätte ich sie nicht in diesen funf Tagen oftmals bestaunt. So auch jetzt. 3 Stunden lang steigen wir Stufe um Stufe, auf fest getrampeltem Pfad, links herum, rechts herum und niemals einen Schritt dort, wo man zwei machen könnte.


Oben angelangt, der Blick frei nach hinten auf die bereits erklommenen, nach vorne auf die noch zu erkraxelnden Berge. Eine halbe Stunde lang bleiben wir sitzen und bestaunen dieses zerklüftete Land, die vielen weissen Häuser, über die Hänge verteilt, die Wälder, Reisfelder und die Schluchten dazwischen. Doch es ist bitter kalt hier oben, und das ist verständlich, die Karte zeigt 10.000 Fuss, also ca. 3000 Meter an. Auf der Kuppe des Passes sind Reihen von Buddha-Gebetssteinen aufgestellt, hunderte von Steintafeln mit tibetanischen Schriftzeichen gemeisselt. Om mane padme hum, Om mane padme hum. Überall steht es geschrieben, tausendfach auf den Fahnen, Gebetsmühlen, ja selbst grossen Steinblöcken von 20 m Höhe und Durchmesser sind über und über mit grossen Buchstaben bedeckt.


Nach einer Stunde Abstieg machen wir noch an einer kleinen, aus Reismatten zusammengebauten Hütte halt. Es ist eine Art Erfrischungsbude, zwar ohne heisse Würstchen und Pommes-mit-Majo, aber es gibt gekochte Pellkartoffeln, Yoghurt und Dsampa, ein aus gerösteten Körnern gemahlenes Mehl, das mit allem Möglichen gemischt und in vielen Variationen gegessen wird und zum Hauptnahrungsmittel Tibets und der Sherpas gehört. Hier begegne ich dem zum ersten Mal, mit Yoghurt gemischt, schmeckt es sehr gut. Wie man mir vorher sagte, wird es später das einzige Nahrungsmittel werden. Na, das wird ein Spass!


Noch ein Stück abwärts, und wir sind an einem grossen zweistöckigen Bauernhaus angelangt.


Schon von aussen macht es einen sauberen und gepflegten Eindruck, der Hof gekehrt und Blumengarten ringsum. Eine sehr hübsche Frau begrüsst uns mit einer tiefen Verbeugung. Tsering scheint hier gut bekannt zu sein, er bewegt sich so, als würde alles ihm gehören. Wir stellen unsere Rucksäcke unter dem kleinen niedrigen Vordach ab, sind froh, die Schuhe von den Füssen zu haben. Die Sonne ist gerade hinter dem Berg, den wir soeben überquert haben, verschwunden. Sofort wird es kalt, und wir verziehen uns gerne ins Hausinnere. 


Der grosse Innenraum ist durch halb hohe Mauern in drei Teile geteilt. Im mittleren brennt ein Feuer. Links steht ein grosses hölzernes Regal, auf dem blank geputzte und glänzende Krüge, Pfannen, Teller und Becher fein säuberlich, der Grösse nach, geordnet stehen. An den Querbalken hängen Schöpflöffel und anderes Besteck. Ich komme mir vor wie in einem Museum für Heimatkunde. Nach und nach sammelt sich die ganze Familie. Der Vater, ein athletischer Typ, seine Frau und drei Kinder sitzen in perfekter Yoga-Haltung da, ihre Gesichter mit den breiten Backenknochen und ihren Schlitzaugen schauen sehr interessiert drein. Das flackernde Feuer und eine kleine Öllampe geben dem Raum eine urgemütliche Beleuchtung. Als dann auch noch gebratene Kartoffeln, Gemüse und Fleisch zum Reisberg vor uns gebracht werden und wir uns heisshungrig darüber hermachen, da schleicht wieder ein grosses Glücksgefühl in mir hoch.


Ein herrlicher Tag, wirklich wert, gelebt zu haben!

(Cayangena)

 


24. 10. 67 6. Tag Montag


Das fängt ja gut an. Zum Frühstück erst Milch und Tee, dann zum Abschied warmen Tshang. Halb besoffen verabschieden wir uns von unserem Gastgeber, torkeln dann mehr, als dass wir gehen, den Pfad weiter hinunter. Erst leicht, an Reisfeldern vorbei, dann immer steiler in einen Wald hinein. An der fast senkrecht gegenüber liegenden Wand fallen rauschende Wasserfälle herab. Zwei Stunden lang geht´s hinab, zweimal rutsche ich auf dem Hintern, dann haben wir wieder ein Tal und einen Fluss erreicht, an dessen steil abfallenden Ufer .... bis wir eine alte wackelige Brücke erreichen, die über den reissenden Bach führt. 


Gegen 11 Uhr steigen wir zu einem Haus hinauf, lassen unsere Rucksäcke plumpsen und setzen uns nieder, Tagebuch schreiben, Tee trinken, ausruhen und auf das Frühstück zugleich warten. Ich denke an die Gastgeber von heute Nacht zurück. Er sprach erstaunlich gut Englisch, erzählte, nachdem er ein wenig aufgetaut war, von sich. Er war ein einfacher Bauernsohn, gerade aus diesem Tal, ging nach Katmandu und wurde dort einer der bekannten Gurka-Soldaten. Die Engländer haben und halten heute noch Gurka-Einheiten in ihrer Armee, und diese Frontsoldaten waren überall als hervorragende Kämpfer bekannt. Er kämpfte während des 2. Weltkrieges u. a. auch gegen Deutschland (So trifft man seine Feinde wieder!), verliess vor 10 Jahren die Armee, bezieht seither eine Rente von englischen Steuerzahlern, die ihm für die hiesigen Verhältnisse ein recht wohlhabendes Leben in diesem zurück gezogenen Tal als Bauer ermöglicht. Er macht mir einen wirklich zufriedenen und glücklichen Eindruck.


Wir sind jetzt im Haus eines Zimmermanns gelandet. Er sitzt zwischen seinen Hölzern, lässt sich durch uns nicht bei seiner Arbeit stören, zimmert weiter mit seinem einfachen Werkzeug an den grob behauenen Balken herum, sehr geschickt und flott, und hat in der Zeit, in der wir bei ihm sitzen, zwei komplette Fensterrahmen fertig, die in ihrer Grobheit bei jedem rechtschaffenen deutschen Facharbeiter einen Lachkrampf auslösen würden. Aber wir sind ja in Nepal. Ich schaue ihn an, während Tsering von der Hausfrau ein Huhn ersteht und das Mahl bereitet. 


Essen fertig, Hühnchen mit Kartoffelgemüse und Reis ist genügend Stärkung für den Aufstieg, der uns heute Mittag bevorsteht. 4500 Fuss höher liegt Sete, eine kleine Siedlung von 6 Häusern, von tibetanischen Mönchen und einigen Bauern bewohnt. Hier oben finde ich wohl die komischsten Vögel, die ich jemals getroffen habe. Zwei Engländer, der eine 68, der andere 64, sind auf dem Weg zum Everest! Sie haben zwei Sherpas und 8 Träger angeheuert, die ihnen ein komfortables Wandern ermöglichen. Das Ganze sieht wie eine Superexpedition aus und ist auch so organisiert. Es ist einzigartig, welch einen Unternehmungsgeist die Beiden aufbringen. Dabei kann man sie ruhig „typische Engländer“ nennen, mit langen Shorts und Regenschirm. Selbst Colin lacht sich halb kaputt, doch, wie gesagt, alle Achtung vor diesen beiden liebenswerten Alten. Ihre Zelte stehen etwas ausserhalb der Häusergruppe, und während Tsering im Haus das Essen bereitet, stehen wir zusammen und unterhalten uns über englische Landschaften, über dies und das, als ständen wir irgendwo an einer englischen Bushaltestelle und würden auf den Bus warten.


Das Haus, in dem wir heute übernachten, ist grossräumig und hoch gebaut, die Türen und Fenster sind grob geschnitzt, und das Ganze macht einen deftigen Eindruck. Von hier aus haben wir einen herrlichen Ausblick auf den Weg des letzten Tages. Der Pass, den wir morgen besteigen werden, liegt völlig in den Wolken. Wir sind hier um die 3000 Meter hoch. Sete ist eigentlich nicht mehr als einige Häuser um eine Stupa und eine Gumpa herum gebaut, und die Mönche sind in ihrer Kleidung kaum von den anderen Einwohnern zu unterscheiden. Es sind Bauern und Einsiedler zugleich. An die aus flachen Felssteinen gebauten groben Hauswände sind einige Holzpflüge und einfache Eggen gelehnt. Auch hier scheint ein Grossteil der Ernte schon unter Dach zu sein. Die Hausfrau ist damit beschäftigt, einen Brei aus Maiskörnern zu kochen, der, zum Gären gebracht, am Schluss den Shang ergibt, den „Most“ und das Bier der Sherpas, das überall mit wahrer Sucht getrunken wird. 


Da es keine Fensterscheiben in den Fenstern gibt, sondern über die geschnitzten Gitter von innen nur dünnes Reispapier geklebt ist, um den stärksten Wind abzuhalten, wird es im Innenraum sehr schnell dunkel und kalt. Wir rücken um die grosse Feuerstelle, schwitzen von vorne und frieren von hinten, bis wir nach dem Essen in unsere Schlafsäcke kriechen und, von der Kletterei müde, schnell einschlafen.



25. 10. 67 7. Tag Dienstag


Die Sonne ist gerade hinter dem Pass hochgekommen, als wir fertig zum Aufbruch sind. Der Pass ist nun wolkenfrei, und wir können einige Flecken Schnee dort oben sehen.


Je höher wir steigen, umso dünner wird der Wald, die mächtigen Bäume sind oft abgestorben, nur noch kahle, graue Pfähle, von Schlingpflanzen überwuchert. Dann nur noch dichtes Unterholz. Wir folgen dem geschlungenen Pfad über Felsplatten, durch fast undurchdringliches Moos und Pflanzengewirr. Dann plötzlich rutschen wir auf Schneematsch, die Schneegrenze ist hier wohl bei 4000 m.


Heute ist es eine willkommene Abwechslung, zusammen mit der Trägerkolonne der beiden Engländer mit zu gehen. Ich kann nur staunen, was diese Burschen und Mädchen (3 Träger sind junge Frauen) so auf dem Buckel tragen, und sie scheinen dabei noch bestens gelaunt zu sein. Es wird dauernd gelacht, geplaudert und gesungen, dass es uns oft fraglich ist, wo sie die ganze Luft dazu hernehmen.


Kurz vor dem Pass-Sattel machen wir Rast. Die letzte Wasserstelle für Stunden, sagt Tsering, sammelt Holz und braut Tee und Mahlzeit. Jumbesi ist ein grösserer Ort, liegt 10.000 Fuss hoch in einem Tal und ist ausschliesslich von Sherpas bewohnt. Wir erreichen ihn gegen 5, nach einigen Stunden Abstieg. Wir finden schnell ein reiches Haus, wo wir für die Nacht bleiben können, stellen unsere Sachen ab und sind noch frisch genug, um uns etwas das Dorf anzuschauen. Wir gehen die engen Wege zwischen den Häusern entlang, bis ich vor einem Tor stutze. Durch das Tor kann ich auf der anderen Seite des Innenhofes einige grellbunte Wandmalereien entdecken. Tsering sagt, das sei eine der grossen Gumpas hier im Sherpa-Land.


 Wir treten in den Vorhof, Tsering verhandelt mit einer alten, verhutzelten, kahl geschorenen Nonne, bis diese uns mit schlurfendem Schritt und mit ernster, gewichtiger Miene vorausgeht, die Treppen zum geschnitzten Tor hinauf. Wieder, wie schon einige Male vorher beim Betreten einer Gumba bleibt uns auch jetzt wieder der Mund offen stehen vor Staunen. Vor uns die grosse vergoldete Hauptfigur, daneben links und rechts, etwas kleiner, doch weit über Lebensgrösse, zwei Dämonenfiguren, vielarmig und mit furchterregenden bunt bemalten Köpfen. Doch das Grossartigste sind wohl die Wandmalereien ringsum. Das Halbdunkel des Raumes lässt uns kaum etwas erkennen, so müssen wir dicht heran treten, um die winzigen Buddhas, Dämonen, Gottheiten und die Tausende von Mönchsfiguren zu erkennen. Die Malereien sind so fein, wie auf meinen eigenen Tonkas. Es ist einfach unglaublich, wie hoch diese Malschule selbst in diesen kleinen Tälern und so weit von den Mal-Zentren Tibets entfernt, entwickelt ist. Wir gehen eine Treppe hoch zum oberen Stockwerk. Die grossen, mit Ornamenten bemalten Holzwände sind hier Bücherregale für Hunderte von handgeschriebenen Schriften. Diese Bücher, die wie kleine Bretterstapel aussehen, sind in wertvoll gewebten Seidentücher eingewickelt. Wenn solche Dinge schon in solch einem kleinen Kloster versammelt sind, wie mag es da erst in Tibet ausgesehen haben, bevor alles oder bestimmt vieles von den Maoisten zerstört wurde ? 


Wir bedanken uns bei der Nonne, verbeugen uns tief und gehen zurück zu unserem Haus für heute Nacht. Da im grossen Hauptzimmer gerade eine Art Dorftreffen stattfindet, setzen wir uns um die grosse Feuerstelle der hier separaten Küche. Einige Mädchen sind eifrig damit beschäftigt, einen gewaltigen Eintopf aus Bohnen, Kartoffeln und Gemüsen zu bereiten, wohl um damit die hungrigen Mäuler der Gäste zu stopfen. Klar, dass wir auch einen Teller voll abbekommen.


Hier lerne ich auch den echten tibetanischen Tee kennen. Man nehme viel Tee und koche ihn mit Wasser, schütte ihn in eine lange Bambusröhre, eine Menge Salz hinein und dann das Wichtigste, eine dicke Handvoll, wir würden sagen, ranziger Butter, alles mit einem langen Holzstab in der Bambusröhre gemischt, in dünne Porzellanschalen mit silbernen, handgetriebenen und ziselierten Untersätzen geschüttet, ein silberner Deckel darauf und serviert. An den Geschmack werde ich mich wohl noch etwas gewöhnen müssen.


Als die Gesellschaft aufbricht und von den Mägden brennende Holzfackeln für den Nachhauseweg gebracht bekommt, ist es schon reichlich spät (Viertel nach acht). Wir rollen in die Schlafsäcke.  



25. 10. 67


Liebe Mutter!


Diesmal sind es Schweizer, die hier in Nepal arbeiten, die von einer Tour in die Berge zurückkommen und Dir einen Brief mitnehmen. Du siehst, selbst hier ist die Welt noch nicht zu Ende, wenn es auch manchmal den Anschein hat. 


Nachts schlafen wir in den Sherpa-Häusern, tags wird gewandert. Berg rauf, Berg runter. Gerade haben wir einen Pass erklommen 12700 Fuss hoch, 4230 m. Ich habe mich schon bestens an die Umstellung von Autoreifen zu Knobelbechern und Rucksack gewöhnt.

 

Mein Tagebuch ist schon im Entstehen!


Viele liebe Grüsse an alle, besonders natürlich an Dich.

Sei herzlich umarmt von Deinem


Sohn Hans



26. 10. 67 8. Tag Mittwoch


Morgens gibt es jetzt auf unseren Wunsch immer Dsampa, mit Tee gemixt, so gehen wir nicht mehr stundenlang mit leerem Magen. Ich muss überhaupt sagen, dass es mir nun, da ich eingelaufen bin, ausgesprochen gut geht. Zu den Mahlzeiten verschlinge ich Berge von Reis, so dass mich Colin manchmal von der Seite ganz ungläubig anschaut, zur Freude jedoch unseres munteren, ewig singenden Tsering. 


Es geht heute Morgen gleich durch einen dichten Tannenwald nach oben, bis wir in langem Bogen um einen Berg herum gehen, zwischen braunem Gras und bunten Blumen. Es fällt mir langsam auf, dass es hier von Tag zu Tag mehr Herbst wird, sich die Blätter verfärben und die Wälder bunter werden. Im Unterschied zu Deutschland wird das Wetter dabei von Tag zu Tag besser, und gestern haben wir kaum eine Wolke am Himmel entdecken können. (Ich gebrauche tröpfchenweise Sonnenöl um die Bergnase herum).



Wier stehen vor dem schönsten Bergpanorama, das wir bisher auf dem Weg vor uns hatten. Wie Wände stehen sie uns gegenüber, blendend weiss gegen den blauen Himmel abgesetzt, Mount Everest, Tibuja, Kangdeka, Kusum Jenga und wie sie alle so heissen. Tsering erklärt sie uns umständlich, weiss von jedem zu kauderwelschen, er ist in seinem Element! Das Dorf, in dem wir für heute Rast machen, liegt diesen Wänden gegenüber, ich komme kaum zum Schreiben, habe lieber das Fernglas vor den Augen und gehe auf Gletschern zwischen Schneetürmen und Lawinenhalden spazieren. Was für ein Ausblick!


Wieder ein Tal, dann über einen neuen Pass, wir sind gegen Abend in Phuleli, schlafen bei einem Mönch, halb Bauer, halb mürrischer Einzelgänger, der sich am Abend am Feuer dann jedoch als hervorragender Flötenspieler entpuppt.





27. 10. 67 9. Tag Donnerstag


Vor dem Losmarsch besorgt Tsering wieder genügend Trockenfleisch für einige Tage. Somit ist wieder die Protein-Zufuhr für weitere Meilen Fussmarsch gesichert. Dhud-Kosi-Tal, das bedeutet, wir haben die letzten Querberge zu unserer West-Ost-Route hinter uns, biegen nach links ab und werden dem Dhud-Kosi-Fluss weiter folgen, bis zu seinem Ursprung, dem Khumbu-Gletscher. Wenn wir aber glaubten, wir seien damit mit der Kletterei, dem ewigen Wechsel zwischen Auf und Ab fertig, so werden wir schon gleich heute Morgen eines Besseren belehrt. 


Zuerst müssen wir ja mal runter, und es geht über zwei Stunden steil abwärts, bis wir zu einer Hängebrücke kommen, unter der der weiss-grüne Dhud-Kosi-Fluss hinweg braust. Wir treffen auch unsere beiden Engländer wieder, samt Trägerkolonne und Sherpas. Der Führer der Sherpas, ein junger, kräftiger Bursche, trägt einen gelben, hypermodernen amerikanischen Rucksack spazieren, den er von der letzten Mount Everest Expedition erhalten hat, bei der er als Träger für grosse Höhen gearbeitet hat. Ich werde neidisch und zeige mein gesteigertes Interesse, und siehe da, mit dem Argument, ihm sei der Rucksack viel zu gross, spekuliert er auf mein mickriges, vielgeliebtes deutsches Tauern-Rucksäckchen zum Tausch. Colin verdreht die Augen, als ich ihm meinen neuen superleichten, abwaschbaren, auseinandernehmbaren, fünf-taschigen, wasserdichten Himalaya-Kletterrucksack vorführe. Und beide sind glücklich, der Sherpa mit seinem kurzen, ich mit meinem langen Rücken. Ein Sprung vom VW in einen Mercedes 100 !


Om mane padme hum…108 Perlen hat Tserings Gebetskette, und für jede Perle einmal om mane…, die Kette mindestens 10 mal kreisen lassen, damit ist dann das om mane-Soll für den heutigen Tag wieder erfüllt. Schon längst habe ich mich daran gewöhnt, beim langsamen Schritt des Bergaufgehens hinter mir das manchmal zum Gesang anschwellende om mane-Gemurmel zu vernehmen. Es passt sehr gut zum gleichmässigen Schnaufen und zum mühsamen Schritt fassen auf dem Geröll der aufsteigenden Zick-Zack-Pfade. Ab und zu gibt es eine kleine Verschnaufpause, sei es an einem besonders schönen Aussichtspunkt oder an einem der vielen Trägerrastplätze, an einer Stupa oder an den Reihen von gemeisselten Schriftplatten und Gebetsfahnen, den Pfad entlang. 


Oder es kommt eine Kolonne von bepackten Trägern entgegen, die schon aus der Ferne grinsen, beim Vorbeigehen die Hände zusammenlegen und uns mit „Nama-ste Sahib“ begrüssen, einige Meter weitergehen und sich dann allemal der Reihe nach umdrehen, ihre Lasten auf ihren pickelartigen Holzstock stellen und uns nachschauen. Oder es sind Tibetaner, ebenfalls schwer bepackt, doch niemals barfüssig wie die Träger alle, sondern in langen Stoffstiefeln mit dicker Ledersohle. Tsering scheint alle zu kennen, so jedenfalls hat es den Eindruck, wenn man sich das Begrüssungsgejohle und das Geplapper hinterher anhört.


Der Fluss rauscht schon längst wieder weit unter uns, als wir in einen kleinen Hof eines Hauses am Hang einbiegen, um für heute wieder mal eine erholsame Mittags- und Frühstückspause zu geniessen, die täglich von 10 – 12 Uhr geht, die einzige mögliche Zeit zum Tagebuch schreiben übrigens. So sitze ich bald wieder in der Sonne, denke an das Erlebte des vorigen Tages zurück und beginne zu schreiben, während zu meinen Füssen Küken herum picken und nicht auf die Lockrufe der Glucke hören, die einige Meter weiter mit einer Schnur um eines ihrer Beine an einem Pfahl festgebunden ist.


 Dieser Pfahl gehört wiederum zu einem Gestell, auf dem die Maisernte gelagert ist. In dem Schatten dieses Gestells sitzt die prall-busige Tochter des Hauses auf dem festgestampften gelbbraunen Lehmboden des Hofes, mit zwar zerlumpten, doch immer noch recht bunten Tüchern und Röcken angetan, zupft an der Wolle, die sie um den Bauch gewickelt hat und spinnt geschickt einen dünnen Faden, indem sie mit der anderen Hand die einfache Spindel in sausender Drehbewegung hält. Sie hat ein knallrotes Kopftuch auf dem Kopf, eine braune, glatte Haut, in der Nase einen kleinen Ring, der gerade auf der Oberlippe baumelt, daneben, durch einen Nasenflügel gesteckt, eine Markstück grosse Goldplatte, filigranverziert und mit kleinen Türkisen besetzt. Immer wieder werde ich durch ihren unentwegten Blick zu mir vom Schreiben abgehalten.


Das Essen ist fertig, Reisberg. Trotz der nicht abzuleugnenden Eintönigkeit unserer Speisekarte mache ich mich täglich mit grossem Appetit über ihn her. Dann gemütliches Zusammenpacken, Blick zurück in das Halbrund des Innenhofes, auf das Stroh bedeckte, niedrige, mit braunem Lehm verschmierte Haus, auf die Wand von Mais und auf die unentwegt spinnende, weiche Haustochter. Rucksack zurecht gerückt, forschen Blickes und (für kurze Zeit) federnden Schrittes auf den Pfad, der wieder ansteigt und ansteigt und om mane sad-me hum....


Eigentlich ist gar kein besonderer Tag heute, und doch fülle ich wieder Seite um Seite mit diesen einfachen Schilderung des Gesehenen. Ich muss mich bremsen, zusammenfassen. 

Abends am häuslichen Herd in einem kleinen Berghaus, das von Mutter, zwei Klein-, einem Kleinstkind und einem kläffenden tibetanischen Wollknäuel bewohnt ist. Vater wohl gerade auf Geschäftsmarsch. Es gibt Milch. Das Kind ist goldig, doch macht es, während das Kleinste an Mutters offener Brust liegt, Colin auf die Hose, was ja wohl mit zum anheimelnden Familienleben gehört. Colin zeigt wenig Verständnis. Wir gehen früh schlafen (wie immer). Ich friere in der Nacht erbärmlich. Wir sind hoch oben in den Bergen, und Türen und Fenster sind undicht!



27. 10. 67

Dudh-Kosi-Tal


Liebe Mutter!


Jetzt ist es schon zweimal passiert, dass uns unvorhergesehen jemand entgegenkommt, der nach Katmandu zurückgeht und einen Brief für Dich mitnimmt. Doch in der Eile wurde es nur ein kurzes Gestammel, so dass ich nun einmal andersherum vorgehe, Dir jetzt schon etwas ausführlicher schreibe, in der Hoffnung, an einem der nächsten Tage einen Europäer zu finden, dem ich diesen Brief für den Rückmarsch nach Katmandu anvertrauen kann.


Wenn unsere Zeitrechnung noch stimmt, so sind wir heute den 9. Tag unterwegs, haben in der Zwischenzeit mehr als zwei Drittel der Strecke nach Namche, unserem Ziel, hinter uns gebracht und sind nun schon in Sichtweite des Mount Everests. Lass mich also nun ein wenig von den vergangenen Tagen plaudern.

 

Von Katmandu aus sind wir mit dem Bus auf einer von den Chinesen gebauten Strasse gefahren und konnten dadurch 3 Tage Fussmarsch einsparen. Nach der ersten Übernachtung in einer Einheimischen-Hütte ging es dann gleich über eine Hängebrücke über den Fluss und damit auf den Marsch, der, wie wir ihn planen, wohl 35 Tage lang dauern wird. Also über diese Brücke hiess es für einen Monat Abschied nehmen von vielem, was noch in Nepal westliche Zivilisation genannt werden kann, vom Kathmandu-tal und von der Stadt selbst, und dem Ort der Trennung von Peter, Walter und mir. 


Meine neuen Reisegefährten sind seitdem Colin und Tsering. Colin ist Engländer, seines Zeichens Turnlehrer und Weltenbummler, kommt von Australien zurück, wo er ein Jahr gearbeitet hat als Grubenarbeiter, Fahrer, Kranführer und Küchenhilfe und ist jetzt auf dem Weg zu Muttern. 

Tsering ist Sherpa, wohnt in Kumjung am Fusse des Mt. Everests und wurde von uns als Führer, Koch und Mädchen für alles für 1 Dollar am Tag angeheuert, was für hiesige Verhältnisse eine Menge Geld ist und bei freier Verpflegung für ihn zum Verdienst wird. Er ist, wie wir erst lange nach dem Start erfuhren, 48 Jahre alt. Wir hatten ihn beide auf 30 geschätzt.

 

So ging es also am ersten Tag über jene Hängebrücke und danach bergauf, , bergauf, schien nie aufzuhören, dann bergrunter und das hat sich eigentlich bis heute beibehalten. Das war eine gewaltige Umstellung, und ich glaube, nur mein grundausgebildeter Bruder weiss, was es heisst, mit 50 Pfund auf dem Rücken einen Tag lang zu steigen. 5 Tage habe ich gebraucht, mich völlig einzulaufen, und ich denke noch mit Schrecken an die Wadenkrämpfe, Blasen und Erschöpfungszustände zurück, die in der Zwischenzeit nun völlig überwunden sind und ich mich an Rucksack und Schuhe und diese sich wiederum an mich gewöhnt habe. Ich fühle mich so gesund dabei und geniesse die Luft, die Aussichten, die Berge und das kräftige Essen Tserings, das aus Trockenfleisch, Bergen von Reis und fremden Gemüsesorten, aus allerlei Sherpamischmasch und Sonstigem besteht.

 

Nachts schlafen wir in den Häusern der Bergbewohner, in tibetanischen Klöstern, in Ställen und unter freiem Himmel, und Du kannst Dir nicht vorstellen, was es da alles zu sehen und zu erleben gibt. Das wirst Du im Einzelnen ja alles aus meinem Tagebuch erfahren, was ich bemüht bin pünktlich zu führen.

 

Das ist nicht so einfach, denn von Sonnenaufgang um 6 bis zum Untergang um 17.30 sind wir unterwegs, machen jedoch vormittags eine ausgedehnte Essenspause, so auch jetzt, und da bleibt etwas Zeit übrig. Ebenso Abends, doch es gibt ausser dem brennenden Holzfeuer und einer spärlichen Ölfunzel kaum Licht in den Sherpahäusern. Wir sind, wie Du Dir denken wirst, auch abends recht müde und gehen mit den Hühnern gegen 8 Uhr schlafen, passen uns damit ganz den Gewohnheiten der Sherpas an.

 

Die Bevölkerung der verschiedenen Täler ist gemischt zwischen Nepalis (Nevars), Gurkas und Sherpas, es gibt jedoch reine Sherpatäler wie dieses hier und die Gegend, in die ich jetzt komme, die Dörfer Namche, Timboche und Kumjung z.B. Dieses Völkchen gehört kulturell wie religiös zu den Tibetern. Sie sind klein, drahtig und schlitzäugig, haben spärliche Barthaare und breite Backenknochen. 


Wie die Tibeter, die ich in Nordindien im Lahoul-Tal kennen lernte, sind auch die Sherpas überaus freundlich, dem Fremden gegenüber ungemein hilfreiche Menschen, und es verwundert uns fast täglich, mit welcher Selbstverständlichkeit sie uns täglich auf’s neue aufnehmen, wie Tsering das ganze Haus samt Hausrat benutzt und alles auf dem Feuer der Familie kocht. 


Das alles ist, wie diese Art zu reisen überhaupt, für mich und viele andere nach mir völlig neu und voll Überraschungen. 130 Meilen, also fast 200 km von Katmandu bis nach Namche zurückgelegt, ist eine komplette Reise für sich, und ständig in einer Landschaft, die wie kaum eine andere von Bergen und Tälern zerklüftet ist und mich während der ersten schlimmen Tage zu dem Schwur veranlasste, meinen nächsten Urlaub im Flachland, in Holland etwa, zu verbringen. Aber, und das kann ich jetzt schon sagen, ich habe es trotz der Umstellungsschmerzen noch keine Sekunde bereut. 


Neben dem Kennenlernen der Leute und den Erlebnissen des Zusammenseins mit ihnen, habe ich bei mir ein Herz für die Berge bei mir entdeckt, was sicherlich auf die väterliche Erbmasse zurückzuführen ist. Herrlich diese Wände aus Fels, Schnee und Eis hoch am Himmel, in einer Höhe, wo ich vorher nur Wolken vermutet hätte. Als wir gestern einen Pass erklommen und dann das ganze gewaltige Massiv vor mir lag, der Mount Everest mitten dazwischen, waren wir beide, Colin und ich, wie erschlagen und konnten es kaum fassen.  Das Wetter übrigens würde man bei uns als einmalig hochsommerlich betiteln.

 

Aha, das Blatt geht zu Ende. In der Hoffnung, dass ich noch heute oder an einem der nächsten Tage jemanden treffe, der den Fussmarsch nach Katmandu gerade in umgekehrter Richtung macht, will ich für heute schliessen.


Dein Hans         (zwei Tage später hat’s geklappt)




28. 10. 67 10. Tag Freitag


Oh, wie ist es kalt geworden! Glasklar stehen uns die Berge und die Gletscher in greifbarer Nähe gegenüber. Als wir uns verabschieden und uns zum erneuten Anstieg fertig machen, scheinen die Hände zu erstarren und der Tropfen an der Nase ist verdächtig. Der Pfad steigt eine Stunde lang an, biegt dann links den Berg entlang ab in einen Wald. Bald hören wir wieder das Rauschen des Dhud-Kosi Flusses aus grosser Tiefe links vor uns. Die Wände des Tales sind steil, fast senkrecht abfallend, und der Pfad windet sich teilweise unter vorspringenden Felsen entlang. Oft überqueren wir auf wackeligen Holzbrücken oder nur abgeflachten Baumstämmen tosende, glasklare und eisige Gebirgsbäche. Dann, gegen 10 Uhr, bekommt auch diese Seite des Tales Sonne. Sofort wird es wieder angenehm warm und, als wir an einem kleinen Bach auf einer Lichtung Halt machen, lasse ich mich genüsslich ins Gras fallen und mir die Sonne auf den Pelz knallen. 


Was für ein herrliches Plätzchen! Ich verfolge den majestätischen Flug eines Steinadlers, der über uns seine Runden dreht, lasse mir Tserings heissen Tee schmecken und habe wieder Spass am schreiben. Schon zwei Mal konnte ich entgegen kommenden Wanderern, die zurück nach Katmandu gingen, einige in der Eile hingeworfene Zeilen nach Hause geben. So schreibe ich nun schon im voraus einen Brief, kann mir etwas mehr Zeit lassen dazu, in der Hoffnung, dass ich ihn jemandem für den 10-tägigen Rückmarsch nach Katmandu mitgeben kann.


Die Anstrengung der Klostertour des letzten Tages liegt uns heute in den Knochen, und Colin hegt den Wunsch, heute etwas fauler als sonst zu sein. So rappeln wir uns nach dem Mahl recht unlustig auf, bleiben hier und dort etwas länger stehen oder sitzen, blicken mit dem Glas auf die weisse Pracht der Berge und trotteln dann wieder weiter. In leichtem Auf und Ab zieht sich nun der Pfad die Talwand entlang, es ist richtig gemütlich so.


Um eine kleine Biegung kommend, haben wir plötzlich eine malerische Szene vor uns. An einer kleinen, breiteren Wegstelle hockt eine farbige Gesellschaft auf dem Weg. Es ist ein alter Lama mit seinen Dienstboten, der hier sein Mittagspäuschen hält. Er sitzt auf farbigen Teppichen etwas abseits seines kochenden und arbeitenden Gefolges. Was für eine Erscheinung! In aufrechter Hockstellung mit gekreuzten Beinen hat er vor sich eine Silberschale mit dampfendem Tee. Aufgeregt nestle ich an meiner Minox herum, will ihn unbedingt so wie er da sitzt, nach Hause tragen, seine rote Kutte, sein zerfurchtes, schlitzäugiges Gesicht mit dem langen, weissen, seidenen Barthaar. Klick, es hat geklappt, und er bemerkte durch meinen Reflexspiegel, der es mir erlaubt, um die Ecke zu fotografieren, nicht, wer das eigentliche Objekt meines Interesses ist. Er lässt ungestört seine Gebetskette kreisen, murmelt weiter seine Gebete und hält nur kurz inne, um seinen Tee zu schlürfen. Dann stört ihn scheinbar plötzlich die Sonne, er dreht sich um und kramt aus einem Gepäckhaufen hinter sich einen grossen, knallbunt rot und gelb gestreiften Sonnenschirm hervor, entfaltet ihn andächtig, und schon habe ich ein zweites Foto von ihm, um das mich Colin beneidet.


 Tsering hatte sich ihm andächtig genähert, sich vor ihm verneigt und einige Worte mit ihm gewechselt. Hinterher erklärt er uns aufgeregt, das sei der grosse Lama vom Kloster in Thami gewesen, seinem Heimatort.

Von einem Bergvorsprung aus können wir die weitere Strecke, das Tal entlang verfolgen. Es geht zu einem Tal hinab, wo tief unter uns einige Häuser und einige Weiden und Äcker liegen. Dann, auf der anderen Seite, ein neuer, gewaltiger Anstieg. Der Weg ist wie eine Schnur, weiss, zick zack (wir kennen das schon) und Tsering erklärt uns, dass dort oben die nächsten Häuser liegen würden. Colin und ich erinnern uns unserer heutigen Faulheit und des Anstiegs von gestern. Warum den schönen Tag durch neue Anstrengung vermiesen? Tsering selbst scheint auch ganz froh zu sein, als wir ihm sagen, wir würden uns das lieber für morgen aufsparen. Ein Tag früher oder später in Namche, wen stört´s ? So machen wir nach dem Abstieg hinunter zum Seitenfluss schon gegen 14 Uhr für heute Schluss mit dem Kraxeln, stellen unseren Rucksack im Haus, das Tsering für heute ausgesucht hat, ab, legen uns auf einen grossen Felsblock am Bach, waschen unsere Sachen im Eiswasser und lassen uns den ewigen Tee schmecken, den Tsering uns nach draussen serviert. Er scheint uns heute recht angeheitert. Sicher liegt es an dem Dschang, den er, je mehr wir uns seiner Heimat nähern, öfters als sonst in den Häusern serviert bekommt.



29. 10. 67 11. Tag Samstag


Der Anstieg am Morgen war nach dem faulen Tag und nach dem Riesentopf Tschampa am Morgen gar nicht so schlimm, wie wir am Vortage noch befürchtet hatten. Die Häuser auf der Bergnase waren schon nach zwei Stunden erreicht. Hier oben ist auch Lukla, eine Art Flugplatz, auf dem, je nach Bedarf ein oder zwei Mal im Monat, ein Flugzeug landet, von einigen Amerikanern für einen "Everest Rundflug“ für harte Dollars gechartert, oder für sonstige, meist militärische Zwecke und Bedürfnisse des Tales. 


Und gerade hier habe ich wieder grosses Glück. Gerade einige solcher Amerikaner kommen da schwitzend des Weges, von Namche und Bergtour ermüdet, gehen zum Flughafen, wo gerade heute ein Flugzeug ihren anstrengenden und zeitraubenden Fussmarsch, nach Katmandu zurück, um Tage verkürzen hilft. So kommt mein Brief schneller als erwartet nach Katmandu, mich und Muttern zu Hause beruhigend. Wir hören uns noch an, was ein Amerikaner von dieser Gegend hier hält, wünschen guten Flug und schönes Flugwetter „bye-bye und danke für den Brief“, stapfen weiter durch eine Ansiedlung.


Die Häuser und Mauern ringsum sind aus groben Steinen zusammengebaut, nur aufeinander gestapelt, doch meterdick. Die Dächer teilweise aus Holzschindeln oder aus übereinander gelegten, geflochtenen Matten aus dünnem Bambus. Überall am Wege sind gemeisselte Schriftsteinplatten, die Felsbrocken, zwischen denen der Weg sich schlängelt, über und über mit tibetanischen Schriftzeichen behauen. Om mane padme hum, überall, auf den Fähnchen und Wimpeln auf den Dächern, vor den Häusern, zwischen den Felsen. Eine grosse Stupa mit glänzender Metallspitze muss, wie alle Chorten und Stupas, von der linken Seite passiert werden. Die Leute grüssen überall sehr freundlich, bleiben stehen und schauen uns unverwandt und unverholen an.


Dann geht es durch Wald und Gestrüpp hinunter zum Fluss, an dem wir für heute rasten. Ich bin Tsering beim Holzsammeln ein wenig behilflich, steige zwischen den grossen Kieseln des Flussbettes herum, um das angeschwemmte, abgeschliffene Treibholz zu sammeln. Auf dem Weg zurück halten mich einige süsse wilde Erdbeeren gewaltig auf, als ich mit meinem Holz ankomme, ist der Tee schon fertig.


Während wir uns ausruhen, schreiben und Tsering kocht, wird eine Herde von Yaks und Yaks-Kuh-Mischungen durch unser Mittagspause-Erholungslager getrieben. Wir waren schon lange vorher auf die erste Begegnung mit einem Yak gespannt, und da hatten wir sie nun gleich einen halben Meter von uns entfernt. Yaks, das sind die Fleisch- und Milchgeber der hohen Gefilde des Sherpa-Landes und Tibets, ausgezeichnete Kletterer und gleichzeitig die Lastenträger des tibetisch-nepalesischen Grenzlandes. Halb Kuh, doch eher Bison, mit grossen spitzen Hörnern und langem, zottigem Fell am Bauch und an den kurzen stämmigen Beinen. Dazu einen buschigen langen Schwanz. Das sind sie also, die mich da so verwundert anglotzen, meist rabenschwarz, doch manchmal auch grau, mit breitem, lockigem Schädel. Sie haben grosse Glocken umgehängt, und langsam verklingt ihr Bam-Bam, während sie weiter den Fluss hinunter trotteln.

Dann geht der Pfad für heute weiter am Fluss entlang. Wir überqueren ihn auf einer der vielen, von uns immer recht misstrauisch betrachteten Holz-Schaukelbrücken, gehen in leichtem Auf und Ab auf der anderen Seite entlang, mehr im Spaziergang, die frische Luft, den Duft des sich färbenden Laubes und die Sonne des Nachmittags geniessend.


Wir halten an, gerade als die Sonne hinter einem der namenlosen Schneeriesen links des Tales verschwindet und es sofort wieder bitterkalt wird. Es ist das Haus eines Lamas, eines reichen Mannes also, so versichert uns Tsering. Eine grosse, wirklich bildhübsche Frau öffnet uns. Wir gehen durch den Stall des Untergeschosses, die dunkle Ecke mit der Holztreppe hinauf in das obere Stockwerk, sehen wieder flackerndes Feuer in der einen Ecke des Raumes, stellen unsere Rucksäcke in die andere und wärmen erst einmal die schon wieder kaltsteifen Finger über dem Feuer. 


Ich will gleich einmal dieses typische Sherpahaus beschreiben, wer weiss, ob ich es sonst nicht doch vergesse. Schon jetzt scheint uns die allabendliche Umgebung gewohnt und heimisch, nichts besonderes mehr, und ich bin ja sowieso immer mehr geneigt, das Besondere und Neue der einzelnen Tage zu beschreiben.


Aus groben Steinen zusammengebaut sind die dicken Wände des zweistöckigen, im Grundriss rechteckigen, 15 mal 6 Meter langen und breiten Hauses. Vor ihm meist ein Hof, selten mit Felsplatten belegt, mit Bergen von Brennholz, Haufen von getrocknetem Kuhmist und allerlei Geräten für die Feldbestellung in buntem Durcheinander. Die Türen und Fenster sind grob zusammengezimmert, doch meist geschnitzt in rustikaler, ebenfalls grober Ornamentik. Es gibt, wie es mich schon am Anfang verwunderte, keinen Kamin oder eine sonstige für den Rauchabzug gedachte Öffnung im Dach, der Rauch zieht durch das Gebälk des Daches und durch die Bambusmatten des Dachbelages ab. Das ganze untere Stockwerk ist für das Vieh reserviert, der Boden mit Stroh bedeckt. Durch diesen Stall gelangt man zur Treppe nach oben, meist nur tastend zu erreichen, so dunkel ist diese Ecke. Dann heisst es besser, Kopf einziehen, bis man sich an das spärliche Licht gewöhnt und kommt in den Wohnraum des oberen Stockwerkes. Nur in den vornehmsten Häusern ist dieser durch eine Wand und Tür in Küche und Wohnraum geteilt. Meist ist die Kochstelle in einer Ecke, die durch Regale nach 3 Seiten geschlossen ist. Hier stehen Töpfe, Kisten und Kästen, die Teller, blank poliert, aus Messing oder Kupfer, stehen an die Wand gelehnt. Krüge und Töpfe sind durch den Gebrauch abgegriffen und haben, ebenso wie die Holztüren an den Fächern der Regale, durch tausendfaches Berühren, Öffnen und Schliessen, jene besondere Politur, die nur durch Gebrauch entsteht. Dort, wo eine Holzsäule das Dach trägt, stehen die grossen, hölzernen, mit Messinggriffen beschlagenen Röhren, die zum Mixen des tibetanischen Tees benutzt werden. Die Fenster haben selten Glaseinlage, sind gitterartig geschnitzt, die Öffnungen mit buntem Papier beklebt, was das eindringende Licht noch mehr dämpft. Vor ihnen, an der Wand entlang, ist eine breite, flache Sitzbank, mit Teppichen oder Fellen belegt, direkt davor lange niedrige Holztische, was uns Europäern meist einige Probleme schafft. Wohin mit den Füssen, wenn wir uns nicht schon längst an das Sitzen mit überkreuzten Beinen gewöhnt haben? Die der Feuerstelle gegenüber liegende kurze Wand ist dann das, was bei uns das „gute Zimmer“ genannt wird. Hier stehen meist Regale mit allerlei religiösen Utensilien, Buddhafiguren oder –bilder, Gebetsmühlen und kleine Silberschälchen, hier hängen in trautem Nebeneinander Königsbilder und Dalai-Lama, Familienfotos und bunte Werbeplakate, die für alles andere, nur nicht für den Schmuck des trauten Hauses gedacht waren. 


Es ist jedes Mal ein reines Vergnügen für mich, dieses Nebeneinander von nicht Zusammengehörendem zu bewundern. Die noch zu beschreibende vierte Wand, dem Fenster gegenüber, ist meist mit Kisten und Kasten übereinander voll gestellt, alte Ölkanister neben Säcken voller Mais oder Schampa-Mehl, dazwischen wieder ein grobes, hölzernes Regal oder Anrichte, mit riesigen Kupferbottichen oder Krügen für den Wasser-, Dschang- oder Rakschi-Bedarf, aus denen mit grossen Schöpflöffeln geschöpft wird. Das Leben spielt sich also in diesem grossen Raum ab, meist auf dem hölzernen Fussboden, der nicht selten durch seine Ritzen den Blick nach unten, zu den Viechern, frei gibt. So krabbeln denn Kind und Kegel, Hund und seltener Katze, auf dem Boden herum. Mit dem Massstab einer deutschen Hausfrau starrt natürlich alles vor Dreck, doch mit dem Massstab dessen, was ich in dieser Beziehung in anderen Ländern und Landstrichen gesehen habe, hält sich das Ganze hier noch im Rahmen des eben Erträglichen.



30. 10. 67 12. Tag Sonntag


Es ist ein schönes Gefühl, der Hauptstadt der Sherpas, Namche Bazar, schon so nahe zu sein. 


Ich hatte aus einem Winkel am Abend zwei herrliche Druckstöcke ausgegraben, doch aus einer „Eigentumsübertragung“ wird nichts, da der Herr des Hauses, eben der Lama, gerade auf Reise ist und die Frau des Hauses nicht befugt ist, etwas zu verkaufen. So muss ich traurig diese Schmuckstücke zurück lassen, den anderen folgen, die wie ich, durch einen Topf Dschampa und Tee gestärkt, in die Kälte des Morgengrauens hinaus stapfen, den Pfad den Fluss entlang. Mehrmals überqueren wir heute morgen den Fluss, bis wir an eine Teilung des Tales kommen, steil hinauf dem Pfad folgen. Wir steigen gewaltig (2500 Fuss), doch die Kälte zwingt uns nach oben, der wärmenden Sonne entgegen. Dann haben wir eine Stelle erreicht, die schon im schräg ins Tal fallenden Sonnenlicht liegt. Wir verschnaufen eine Weile und schauen auf das Panorama der blendend weissen Schneeriesen ringsrum.


Dann, nach einer weiteren Stunde Anstieg, liegt unerwartet schnell nach einer Wegbiegung das Bergdorf Namche Bazar vor uns. Wir haben es geschafft! Am 12. Tag erreichen wir Namche, zwei bis drei Tage früher, als wir eigentlich erwartet und geplant hatten.



30. 10. – 1. 11. 1967


Zweieinhalb Tage Verschnaufpause in Namche Bazar.


In einer Bergeinbuchtung in 3440 Metern Höhe liegen die Häuser von Namche, wie die Zuschauer in einem schlecht besuchten griechischen Theater in grossem Halbrund am steilen Berg. Auf den grauen Steindächern, an den Fenstersimsen, vor den Häusern, überall flattern Gebetsfahnen an langen Bambusstäben im Wind, und der Telefonfunkmast vor dem Polizei-Büro sieht dazwischen recht kahl aus. Wir kommen gerade an, als der Polizei-Offizier, noch in Schlafanzughose und mit umgehängtem Schlafsack sich in der Morgensonne die Glieder wärmt. Hinter dem wackeligen Tisch, auf dem gerade unsere Trekking-Permits mit Sorgfalt geprüft und in ein vergammeltes Buch eingetragen werden, steht in verfilzter Uniform und grüner Wollmütze ein Soldat mit ernster Miene, eine abgegriffene Knarre an der Seite. Der Offizier unterhält sich sehr freundlich mit uns, doch man merkt ihm leicht an, dass ihm dieser Posten hier am Ende der Welt gar nicht so passt, und ich kann ihn verstehen, in solch einer wilden, fast undurchdringlichen Landschaft, 10 Tage Fussmarsch von der Zivilisation entfernt, einige Untergebene in Uniformen, die mehr aus Überbleibseln vergangener Expeditionen bestehen und alles andere als militärisch erscheinen. Er hält also den Posten hier, am Anfang des „Restricted Area“-Gebietes, der tibetanisch-rot-chinesischen Grenze, die von hier in viertägigem Fussmarsch zu erreichen ist. Namche Bazar war und ist, auch noch heute, wie ich staunend erfahre, einer der Haupthandels- und Umschlagsorte auf dem Handelsweg zwischen dem östlichen Nepal und Tibet, der von hier aus nach Thami und weiter über den über 6000 m hohen Lang Pa La Pass nach Tibet führt. Doch die guten Zeiten sind für Namche vorüber, nur wenige Yak-Karawanen können heute die Grenze passieren.


Nach dieser etwas lächerlichen Kontrolle unserer mit Geduld und Diplomatie erhaltenen Sondergenehmigung für den Kumbu-Gletscher und das Everest-Basislager, folgen wir unserem Sherpa durch einige kleine staubige Gässchen zu einem geräumigen Haus, wo wir uns für zwei Tage einquartieren. Wie wir schnell bemerken, sind wir in Tserings Familie gelandet. Das Begrüssungsgeschrei ist gewaltig. Man kommt aus den Nachbarhäusern geströmt, und während wir uns unsere kalten, steifen Finger über dem Feuer erwärmen, wird Chang und Reis... verteilt, die Gläser und Schalen immer wieder hastig bis zum Überlaufen gefüllt, halb leer getrunken und wieder gefüllt. Das Palaver nimmt und nimmt kein Ende, und da wir ja doch nur dabei sitzen und uns reichlich fremd vorkommen, gehen wir hinaus, gehen durch die steilen Gassen und schauen uns ein wenig in diesem herrlichen Flecken in den Wolken um.


David ist ein Engländer wie Colin. Sie haben sich auf der Reise durch Thailand kennen gelernt, und das Wiedersehen hier oben ist sehr herzlich. Er war mit seiner Freundin 20 Tage lang langsam nach hier gelaufen, es gibt viel zu erzählen, und wir beschliessen schnell, dass wir von hier aus zu dritt zum Everest-Base-Camp gehen wollen. Dave´s Freundin muss so lange hier zurück bleiben, das wäre für ein Mädchen doch ein wenig hart, und den Fussmarsch nach hier hat sie gerade nicht gut überstanden, das sieht man ihr an.


Colin und Dave haben sich eine Menge zu erzählen, mich jedoch zieht es einige Meter höher hinauf zur Bergspitze, von der man einen grossartigen Blick auf die umliegenden Berge, auf das Nuptse-Lhotse-Massiv mit dem braunschwarzen Dreieck Everest hat. Was für gewaltige Fels-, Eis- und Schneemassen sich hier, am höchsten Wulst der Erde, auftürmen. 600 Meter unter mir rauschen die beiden Flüsse Dudh-Kosi und Imja-Dranka zusammen, auf den steil abfallenden Bergwänden weiden Yaks. Das Pfeifen und Schreien der Treiber schallt von allen Seiten zu der windigen Bergkuppe, auf der ich sitze. Gegen 12 Uhr kommen Wolken den Berg herauf, Fetzen davon bringen eisige Kälte und verdecken den Blick auf die vielen namenlosen Bergspitzen ringsum. Mit tropfender Nase und frierend, jagen sie uns ins Haus zurück, ans Feuer, über dem die Teekessel und Töpfe rauschen. 


Das Essen begeistert uns beide, und ich entdecke mit Freuden ein "deutsches Gericht"“ abgewandelt in Sherpa-Form, wieder. Reibekuchen!! Hier heisst das Riki-Kuri! Ich vergass zu erzählen, dass wir das eigentliche Reisland und die Terrassen-Anbauten seit einigen Tagen hinter, das heisst unter uns gelassen haben. Das Hauptnahrungsmittel ist hier die Kartoffel in neuen, mir teils bekannten, teils unbekannten Variationen, so z.B. Riki-Kuris. Man nehme: Rohe, gewaschene ungeschälte Kartoffeln und zerreibe sie unter der beidarmigen Kraftaufwendung einer drallen Sherpa-Frau auf einem gerippten Stein, während eine runde, dünne Steinplatte über dem Holzfeuer erhitzt wird. Man mische etwas Knoblauch in diesen feinen Kartoffelbrei, gebe zwei bis vier kräftige Hände voll Dschampa-Mehl dazu und mische kräftig. Dieser Brei, dann 1 cm dick und 25 cm im Durchmesser wird auf den heissen Stein gekippt, nach einer Weile gedreht und dann, o Leckerei, mit Yak-Butter und Yak-Käsesosse, mit einer Peperoni (getrocknet und im Mörser gestampft), mit Heisshunger neben der Kochstelle verschlungen (Rekord: 3 solcher gewaltigen Kuchen)!


Während wir essen, scheinen die Begrüssungsfeierlichkeiten noch lange nicht beendet, neue Gesichter, alles trinkt Rakschi und Dschang und ist zum Schluss sternhagelbesoffen. Tsering, ebenfalls blau, kommt aus Thami, der nächsten Ortschaft auf dem Weg nach Tibet. Da wir für diese Gegend, auch nach intensivem Drängen, keine Genehmigung in Katmandu bekommen konnten, entlassen wir ihn für einen Tag, um seine Familie zu besuchen. Vielleicht haben wir es der allgemeinen Hochstimmung und den Litern Dschang zu verdanken, dass die Vollpension für uns beide in diesem Haus nur 4 DM zusammen kostet, und nachdem wir die vollen Töpfe hier im Hause kennen gelernt hatten, konnten wir ihn ziehen lassen, beruhigt über die weitere Versorgung unserer Hungerbäuche. Während immer noch gezecht wird, jagen uns die Wolkennebel vor dem Fenster einige Schauer über den Rücken, und uns bleibt nichts anderes übrig, als in die Schlafsäle zu rollen und die eisige Nacht so schnell wie möglich herum zu bringen. Es ist 6 Uhr.


Den nächsten Tag verbrachten wir mit gemütlichem Gammeln, stiegen morgens auf die Bergkuppe, um nachzuschauen, ob die Berge noch genauso gewaltig da standen, wanderten durch die Ortschaft, sahen zu, wie einige Mönche aus dem nahegelegenen Tengboche Kloster eine kleine Privat-Gumpa ausmalten, akklimatisierten so die ungewohnte Höhe und schauten wieder, dass wir am Mittag nach 4 Uhr, wenn es schnell und plötzlich dunkel und kalt wird, an das flackernde Feuer des Hauses kamen. Es ist wirklich bitter kalt dann. Die Wolken dringen durch die Ritzen und Fenster des Hauses, und man friert trotz Anorak, Pullover und langen Unterhosen selbst im Inneren des dunklen Raumes.


 Wieder ein neues Kartoffelgericht; ein zäher Brei aus auf Stein gewalkten, gekochten Kartoffeln, mit der Hand gegessen und in die scharfe Sosse aus allerlei Gewürzen getunkt. Zwischendurch salzigen heissen Tibet-Tee, und wir werden uns bewusst, dass das grobe Salz, das hier benutzt wird, noch heute auf dem Rücken der Pack-Yaks von Tibet nach hier getragen wird. In einer Ecke des Raumes webt eine alte Frau auf einem einfachen, zusammenlegbaren Webstuhl dicken Wollstoff aus selbstgefärbter und -gewebter Wolle, in dunklen Farben grün und blau und braun und das Geklapper des Webstuhles ist ebenso gleichmässig und monoton wie das om-mane-padme-hum Gemurmel und das leise Quietschen der Gebetsmühle des in einen dicken Fellmantel gewickelten Opas in der Ecke daneben.


Er hat beide Hände voll zu tun dabei, die Gebetsmühle in der Rechten, die braune, durch ewiges durch die Hände ziehen polierte, Holzperlenkette in der Linken.


Tsering kommt gegen Mittag des anderen Tages von Thami zurück, stellt uns ein verhutzeltes Weibchen als seine Frau vor und zeigt uns stolz seine Mitbringsel, einen riesigen Korb voll Kartoffeln, dies und das für den Hauptteil unserer Reise und kramt dann zwei herrliches Kupferkrüge tibetanischer Abstammung hervor, die wir ihm herzlich gerne und mit Kusshand abkaufen. Prachtstücke! Für jeden einen!


Dann kaufen wir ein: Für 6 Tage Verpflegung, Reis, Dchampa, Zucker, Salz, usw. usw. Die Rechnung am Schluss beläuft sich auf 90 Rupies, durch drei Anteile geteilt: 30 für jeden. 12 DM also für das Essen am Fusse des Mnt. Everest und die 6 Tage Fussmarsch hin und zurück. Doch am meisten freue ich mich über die komplette Expeditionsausrüstung, die von einer der grossen Expeditionen hier zurück gelassen wurde und die ich vom Hausherrn für 2 DM pro Tag leihen kann. Daunengefütterte Hosen, Windjacke mit Pelzfütterung und Handschuhe. Was kann besser sein für die zu erwartenden Minus 20 Grad am Kumbu-Gletscher. So kann ich meine warmen Sachen Colin geben, der damit auch gut ausgerüstet ist. Dann kommt Dave mit ähnlicher, geliehener Kombination an. Wir sind perfekt und sogar zünftig ausgerüstet. Tsering hat auch schon einen Träger für morgen bestellt. Wir können los. Das Ziel ist der Kumbu-Gletscher und die Gegend am Fusse des Everest, wo die Basislager der einzelnen Expeditionen an verschiedenen Stellen waren, in 5100 Meter Höhe.


Wir freuen uns gewaltig auf den morgigen Start.



2. November 1967 15. Tag Mittwoch


Der Start, dem wir so ungeduldig entgegen sahen, zögerte sich natürlich noch hinaus am Morgen. Wir sind ja in Asien, nicht zu vergessen, und unsere Geduld wird schwer auf die Probe gestellt. Der Träger ist nicht da, und da steht ein halber Zentner in der Ecke und wartet geduldiger als wir. Wir stehen in unseren Windjacken vor der Tür, treten von einem Bein auf das andere und warten bis 10 Uhr, bis Tsering den Kopf durch das Fenster steckt und breit grinsend „räddi“ verkündet. Obwohl vor dem Haus einige Mädchen sangen und tanzten, um von der Frau des Hauses einige Gläser Reis-Dschang zu erbitten, war uns die Zeit viel zu lange geworden. Nun drehten wir uns erstaunt nach dem Träger um und sahen eine junge Frau mit der Korblast aus dem Haus treten. Besorgt fragte ich gleich Tsering, was das denn schon wieder soll; er erklärte uns aber, dass das nur der Träger bis Kumjung, dem nächsten Sherpa-Ort sein, dann würde gewechselt. Gut, die Organisation war ja seine Sache. Wir waren froh, dass wir los gehen konnten. Unsere Rucksäcke waren angenehm leicht, nur Schlafsäcke und die wichtigsten persönlichen Sachen, Gottseidank!


Manas-te, Namas-te, wir verabschieden uns von unserer Pflegemutter und von den Zuschauern unseres Startes, ebenso von Jan, der Freundin Davids. Im Bogen durch Namche, jeder erkundigt sich nach dem Wohin, wir bleiben wohl 10 mal stehen, warten auf Tsering, der sich immer wieder in Unterhaltungen mit Neugierigen verwickelt, dann hinauf zu jener Kuppe, von der aus wir die Tage zuvor unser noch fernes Ziel am Horizont betrachtet hatten. Dann gehen wir einige Stunden den steilen Berghang auf schmalem Pfad entlang, folgen unserem Träger, den Tsering vorgeschickt hatte. An der Wegabzweigung nach Kumjung liegt ein gemütlich schnarchender Alter auf dem Pfad, unser eigentlicher Träger für den Weg nach oben. Begrüssungstaumel zwischen ihm und Tsering, wir schauen uns ungläubig an, der soll….? Das Gesicht zerfurcht, von unschätzbarem Alter, klein und stämmig, in dicken Mantel und Hosen gewickelt, bei denen man nicht mehr feststellen kann, wo Flicken anfängt und Originalstoff aufhört. Wir wollen es genau wissen, wie alt. Tsering sagt, nach Rückfrage, zaghaft 70. Es ist aber der Schwiegervater seiner 2. Frau in Kumjung. Die Verwirrung unsererseits ist komplett. Wir setzen uns kopfschüttelnd zu den lustig palavernden Vieren, der Alte hat seine Frau gleich mitgebracht, alles löst sich in friedliches Kartoffelpellen und –mampfen auf. Wir kauen mit, harren der Dinge, die da kommen sollen.


Wieder Aufbruch, grosse Verabschiedungsszene, wir sind komplett. Tsering und der Alte voran, schnell und zügig, wir können es nicht glauben. Diese Zugmaschine auf zwei Beinen, pfeifend und hustend, doch unentwegt nach vorne stapfend. Wir sollten uns noch wundern mit unserem Alten. Zunächst jedoch geht es langsam talwärts. Die Sonne scheint noch prall vom Himmel, die Berge auf der anderen Seite des Tales leuchten grell herunter, und ich bin heilfroh, von einem Schweizer in Katmandu für teures Geld eine Schweizer Militärbrille gekauft zu haben. Die Büsche links und rechts des Pfades sind rot verfärbt und tragen kleine, knallrote, längliches Beeren, die wie Zitronenschalen schmecken.

Ein mächtiger Klotz ist dieser Amai Dablang vor uns, fast senkrecht steigen seine vereisten Wände in die Höhe, ein nepalesisches Matterhorn, 6856 m hoch. Berge von Eis drohen jeden Augenblick zu Tale zu donnern, in gewaltigen Wächten hängen sie an der senkrecht abfallenden Südwand. Durch Tannenwald steigen wir hinab bis zum Imja-Kola, überqueren ihn kurz hinter einem Wasserfall auf mit Gebetsfähnchen behängter Holzbrücke und schauen den 600 m ansteigenden Pfad hinauf, der zum Tempoche Kloster hinaufführt. Gegenüber einem kleinen Steinhaus, in dem sich eine wassergetriebene Gebetsmühle dreht, sitzen 5 Lama Mönche im Rund um ein Feuer, der Tee kocht im Kessel, und wir setzen uns zu ihnen, der Einladung zum Tee gerne folgend. In Minuten verändert sich das Wetter. Die Wolken, die lange hinter und unter uns waren, haben uns eingeholt, bringen Kälte und Wind, und bald darauf fängt der schönste Schneesturm an. Wir verabschieden uns von der Mönchsrunde und machen uns an den Berg nach oben, zum Kloster.


 Dieser Berg liegt wie eine Grenze quer zum Tal. Auf dieser Seite ist nach Wald oftmals üppige Vegetation, überall die jetzt rot und grün verfärbten Rhododendron Stauden, auf der anderen Seite nur noch spärlicher Baumwuchs, der bald aufhört und sich mit niedrigem Buschwerk und spärlichem gelbem Gras abwechselt. Doch erst müssen wir hinauf. Das Schneetreiben erlaubt nur einen Blick auf wenige Meter, es pfeift eisig, und ich hülle mich in meine Steppjacke. Keuchend erreichen wir die Kuppe, setzen uns in das steinerne, von innen bemalte Torhäuschen, um zu verschnaufen. Da kommt kurz hinter uns unser Alter in langsamem Schaukelschritt mit hochbeladenem Korb auf dem Rücken, pfeift und stöhnt erbärmlich, setzt krächzend den Korb ab, lacht regelrecht dreckig, als er unsere mitleidigen Gesichter sieht und fragt gleich nach einer Zigarette. Ein Urviech!


Wir überqueren einen grossen abfallenden Platz und gehen zu einer kleinen neuen Holzhütte, die, wie uns Tsering gleich sagt, von Hillary gestiftet als Rasthaus für Bergsteiger gebaut ist. Wir beschliessen, für heute hier zu bleiben, sparen uns das Kloster für morgen früh und machen, dass wir zum Ofen kommen. Hier sitzen zwei junge Amis, die vom Base-Camp und von Kumbu zurückkommen, mit 4 Trägern und zwei Sherpas weit besser ausgerüstet als wir. Sie erzählen uns, was uns erwartet und was wir selbst erleben wollen. Wir hören von Kälte und Höhenkrankheit, lassen uns aber keineswegs abschrecken. Um das spärliche Holzfeuer gedrängt, wärmen wir uns von aussen und mit dem heissen Tee Tserings von innen. Schon gegen 6 Uhr kriechen wir in die Schlafsäcke, draussen stürmt und schneit es gewaltig, und die Kälte dringt durch alle Ritzen. Wir wissen, wie schnell sich das Wetter hier ändern kann, sind daher wenig beunruhigt.



3. November 1967 16. Tag Donnerstag


Keine Wolke am Himmel, klare Sicht rückt die Berge näher. Das Nuptse-Lhotse-Massiv grenzt den Blick nach Norden wie eine riesige, felsene Wand ab, der Mount Everest dahinter, eine schwarz-braune Pyramide mit langer Schneesturmfahne auf der Spitze. Die Hänge ringsum, die breite, steile Gletscherschlucht des Karing Taiga nach Osten blitzen in Schwarzweiss. Kontrast des Neuschnees von gestern und heute Nacht. Bis die Sonne dahinter vorkommt und die Klosterbauten und die grosse Gumba erreicht, haben wir schon gefrühstückt und lassen uns nun die steifen, von der Nacht durchgefrorenen Glieder von ihren belebenden Strahlen aufwärmen. Tsering schickt unseren Alten vor, dann besichtigen wir dieses herrlich gelegene Kloster, das grösste vor der tibetanischen Grenze, wo heute fast ausschliesslich vertriebene Lamas aus Tibet ihren Gebets- und Meditationsriten nachgehen. Doch es erscheint ausgestorben, und wir erfahren, dass fast alle Mönche nach Thami verreist sind, um dort mit tibetanischen Lamas zusammenzutreffen. Im Hause eines Mönches lassen wir uns die primitive Drucktechnik von Gebetsfahnen, Buddha- und Dämonenbildern auf Reispapier erklären, und ich gebe gleich einige Drucke in Auftrag, die ich auf dem Rückweg abholen werde. So bleibt jedoch die Gumba bis auf einige Mönche und Nonna ausgestorben. Wir umschreiten die Aussenmauern, in die grosse Gebetsmühlen eingelassen sind, hören, wie ein Mönch auf einem kleinen Turm einen grossen, in der Sonne glänzenden Gong schlägt, dann einer grossen Muschel langgezogene, vibrierende Töne entlockt, die von den Bergwänden ringsum in vielfachem Echo beantwortet werden. Dann schultern wir wieder den Rucksack und rutschen mehr, als wir gehen, den gefrorenen Pfad auf der anderen Seite des Klosterbergs hinunter. Wir folgen weiter dem Imja-Khola-Tal nach Norden, überqueren den Fluss, steigen die gegenüber liegende Talwand hinauf und entlang. Immer spärlicher wird die Vegetation ringsum, der Wald hört auf, nur noch Büsche, vom Herbst rot und orange gefärbt. Dann sind wir in Pangboche, dem letzten, permanent bewohnten Sherpa-Dorf. Diese Dörfer hier sind oftmals dreiteilig. Die Bewohner ziehen der Jahreszeit entsprechend mit ihren Yak Herden um, zu den in verschiedener Höhe liegenden Weideplätzen. 


Wir erfahren, dass fast alle Bewohner Pangboches von den Hütten in den Bergtälern zurück gekehrt sind und ihr Winterquartier in Pangboche bezogen haben, dem am tiefsten gelegenen Teil, 3985 m hoch. Es breitet sich ein strahlender Himmel in tiefstem Blau über uns aus, wir setzen uns auf eine kleine Steinmauer vor dem Haus, in dem Tsering kocht. Wir trinken kräftige fettige Yak-Milch, die weit reicher ist als Kuhmilch. Während wir noch etwas warten müssen, hat unser Alter einige Meter neben uns ein kleines Feuerchen aus getrocknetem Yak-Dung entfacht, und er mixt sich sein Dschampa-Sen, das permanente Futter aller Träger, einfaches Maismehl in kochendes Wasser geschüttet und zu einem festen Teig gemanscht. Dazu eine höllisch scharfe Sosse aus Yak-Käse, Wasser mit gestampftem Peperoni. Während er kocht und mampft, stöhnt, schimpft, flucht, krächzt und betet er ununterbrochen, ein nicht zu überhörendes Mitglied unserer Expedition. Er ist übrigens zu allem noch schwerhörig, und wenn Tsering und er sich unterhalten, hallen die Gebirgstäler in mächtigem Gebrüll.


Noch etwas, was ich vielleicht vergesse. Alle Träger gehen von Katmandu bis Namche barfuss. Nach Namche und höher darf kein Träger mehr barfuss laufen, sie müssen sich ihre Stoffstiefel mit einfach gegerbter Ledersohle anziehen, so will es das Gesetz, und die Polizei in Namche achtet strikt darauf. Nach dem Essen, gekochte und gerollte Kartoffeln, mit Yoghurt gemischt, geht es wieder höher, unsere lärmende Zugmaschine vor uns. Wir biegen nach links und folgen dem langsam ansteigenden Chola-Tal. Dieses Tal ist sehr breit. Wir gehen am Fluss entlang. Der Pfad teilt sich oft und läuft zwischen kleinen Seitenbächen und Rinnsalen, durch niedrige Bodensträucher, mickrig und verknorpelt, das einzige Holz weit und breit. Wir bekommen den Schatten der umliegenden Berge, und es wird saukalt. 


Penche ist eines der nun verlassenen Zweitdörfer. Die Hütten sind niedrig und nur aus groben Steinen zusammengesetzt. Die meisten Häuser sind verschlossen. Eine winzige Seitenhütte ohne Tür, 2 Meter mal 3 Meter, soll unser heutiges Hotel sein. Wir helfen unserem Alten, reissen Büsche aus und sammeln Yak-Dung zum Kochen und zum Wärmen unseres Palastes. Dann kriechen wir in die Behausung und rücken dem Feuer so nah wie möglich. Auf einem flachen, runden Stein, der mit zum Inventar der Hütte gehört, backt Tsering einige seiner herrlichen Tschapatis mit heisser Käsesosse, die wir heisshungrig verschlingen.


Gesättigt liegen wir eng beisammen, es ist nicht mehr so elendig kalt, und es wird urgemütlich in dieser verräucherten Bude. Die brüllende Unterhaltung Tserings mit seinem Schwiegervater stört uns wenig, wir besitzen einen Palast.


4. November 1967 17. Tag Freitag


Eine der schlimmsten Nächte meines Lebens! Periche. Ein herrliches Plätzchen, und ich kann nicht schlafen, winde mich in Magenkrämpfen, kann kaum atmen und mich kaum bewegen. Tsering sagt, das hätten die Kletterer hier oben, es sei das kristallhaltige Wasser und die Umstellung auf die Höhe (Periche ist 4243 m hoch). Doch wir glauben, da es Colin und Dave nicht anders ergeht, dass wir uns ganz einfach an Tserings Tschapatis mit Käsesosse überfressen haben. Erst gegen Morgen schlafe ich ein, nachdem ich eine Stunde lang verkrümmt in der eisigen Kälte der Nacht gesessen habe und darauf wartete, dass der Grosse Bär seinen Kopfstand auf einem der vielen Bergspitzen im Mondlicht vollendet.


 Und siehe da, zum Frühstück in der Morgensone kommt sogar der Appetit wieder, der Tag kann beginnen.


In leichter Steigung gehen wir das breite Hochtal weiter nach oben. Dann müssen wir über einen vereisten Gletscherfluss, was einige Schwierigkeiten bereitet, ein Bad in diesen Fluten will keiner riskieren. Wir biegen nun in leichter Rechtsbiegung in das Tal des Kumbu-Gletschers ein. Von Gletscher und Eis ist jedoch nichts zu sehen, wir müssen zuerst die Endmuräne umgehen, um links an den Seitenmuränen entlang den Pfad nach Dobuje, unserem Ziel, zu finden. Endmuränen und Seitenmuränen, so fällt mir eine längst vergessene Erdkundestunde wieder ein, sind die Ablagerungen all des Materials, was ein Gletscher im Laufe seines Bestehens so alles mit sich schleppt, vom Berg abkratzt oder vom Boden her vor sich her schiebt. Diese Theorie sieht hier in der Praxis dann so aus, dass wir entlang riesiger Geröllhalden auf losem, teilweise sandigem Untergrund herum kraxeln. Zwei Schritt vor, ein halber Schritt zurück rutschend. Es ist schon gewaltig, was so alles als "Geröll“ hier angefahren wurde, vom Sandkorn bis zu Felsen von zweistöckiger Hausgrösse.


Dann erreichen wir Duglha, zwei kleine Hütten. Hier müssen wir alle Holz sammeln, durchstreifen die Gegend, Büsche ausreissend, bis wir gerade so viel zusammenhaben, was jeder sich als Gewicht zu seinem Rucksack zutraut. O Wunder, unsere Bedenken, der Alte wäre von uns schwer beladen worden, sind absolut grundlos. Er packt, lauthals lachend, gleich doppelt so viel wie ich oben auf seinen Korb, stöhnt dafür aber gleich dreimal so laut beim Weitergehen. Langsam, Schritt für Schritt, steigen wir dann die steile Endmuräne weiter hinauf, schnaufen gewaltig mit unseren Ladungen, machen öfters und länger Halt, schauen in die Runde und lassen Tsering und unsere Zugmaschine ruhig vorgehen, wir haben Zeit.


Dann ein grosser Augenblick! Gedenkminute! Wir erreichen, noch auf der Endmuräne des Kumbu-Gletschers, 4850 m Höhe. Bis hierhin und nicht weiter kommt man in Europa. Wir stehen auf der Spitze des Mont-Blanc. Albernheit ringsum, Rekordtaumel. Colin will auf dem Rückweg zählen, wie oft er nach unten auf die Höhe des höchsten Berges von Great Britain kommt, Ben Nevis in Schottland, um 4500 Fuss = 1500 m! Dann fällt Dave ein, dass es zum Meeresspiegel gar nicht so viel weiter ist, als zur Spitze des Mount Everest, also betretene Gesichter. Wir packen unsere Rucksäcklein auf unsere schwachen Schultern und gehen höher.


Lobuje, nach einigen Stunden Luftschnappen und gemütlichem Fussmarsch links an den sich hoch auftürmenden Seitenmuränen des Kumbu entlang. Die letzte Hütte auf dem Weg zum Basislager in 4930 m Höhe. Hier wollen wir also bleiben und nächtigen, um von hier aus morgen zum Base Camp und zu „unserer“ Himalaya-Spitze zu steigen. Die Hütte ist zwar ganz schön stabil, doch dreckig und voll von Unrat und Abfällen. So beginnen wir nach einer kleinen Verschnaufpause mit der Inneneinrichtung, wühlen im Dreck und Staub, bis wir einen gemütlichen Wohnraum gebaut haben, mit Schlaf-, Sitz- und Kochecke, einfach mit einigen aufgestellten Steinen abgetrennt. Wieder ein Palast! Unser Alter sammelt Yak-Dung zusammen, für Wärme ist gesorgt, sogar eine Holztür ist vorhanden. Wir sind gerade dabei, einige trockene Moosplatten zusammenzutragen, um unsere Schlafstelle nach unten zu isolieren, als zwei Deutsche auf dem Platz erscheinen. Sie waren mit zwei Trägern bis Namche gekommen und machen den Rest hier hoch alleine. Auch sie finden Platz in der Hütte, und bald dampfen zwei Teekessel, der eine auf Tserings Yak-Dung-Feuer, der andere auf zusammenklappbarem Gaskocher. 


Mit den zwei jungen Deutschen kommt eine weitere Errungenschaft ins Haus: ein Thermometer. Der Bericht wird also mit weit exakteren Daten bespickt. Das Erste, was wir verwundert ablesen, ist + 20 Grad in der Sonne, + 8 Grad im Schatten. Als die Sonne dann hinter den Spitzen verschwindet, nur noch auf dem uns gegenüber liegenden Nuptse Massiv für einige Zeit, auch noch nach dem Dunkelwerden auf unserer Seite sitzen bleibt und den ganzen Berg in ein zauberhaftes Licht hüllt, fällt das Thermometer, wie erschrocken, auf minus 10, dann bei Dunkelheit auf minus 15 Grad.


 Wir wissen nun genau, warum wir, in Expeditions-Überreste und Schlafsäcke gehüllt, trotz ewig geschürtem Tsering Kochfeuer und bundeswehreigenem Trockenbrenner einen permanenten Tropfen an der Nase hängen haben. Doch, die Stimmung ist urig und gemütlich, das zeigt auch ganz deutlich das Om-mane-padme-hum Gekrächze unserer alten Dampflok in der Ecke, in einen gewaltigen, dicken Pelzmantel gehüllt.


Wie sich bald herausstellt, sind die beiden Deutschen alte Füchse. Der eine ist Dr. der Geologie und ist schon das zweite Mal hier, ausgerüstet mit allen Raffinessen. So macht er während seiner Reise Werbefotos für Underberg, Piz-Buin, Kienzle, Bahlsen usw. usw. Seine gesamte Ausrüstung ist umsonst, das heisst kostenlos, er isst Super-Kraftfutter von Bahlsen, und wir essen mit. Ein halbes Jahr Korrespondenz hat ihn das alles gekostet, und nun muss er knipsen. Bahlsen Keks, Kienzle und Piz-Buin am Everest! Hänschen darf, da er die echte Himalaya-Kombination an hat und dazu noch blendend aussieht, Mannequin spielen.


So sitzen wir alle ums Feuer, wollen den Abend so lange wie möglich hinauszögern, reden über Dinge, die uns morgen erwarten und machen Witze über Yak-Dung als Brennstoff und Bahlsen-Super-Nahrung am Everest. Von Höhenkrankheit, von Atemnot, Herzklopfen, Kopfweh und Appetitlosigkeit spüren wir nichts oder wenig, trotzdem legen wir Kopfschmerztabletten für die Nacht bereit. Man kann ja nie wissen. Wir sind durch die Berichte derer, die vor uns hier waren und die uns entgegenkommender Weise auf dem Weg einigen Schrecken eingejagt haben, genügend gewarnt. Das Feuer wird kleiner, die Gespräche versiegen, es zieht uns in die Schlafsäcke. Nacht am Everest, ein schaurig schönes Gefühl.



5. November 1967 18. Tag Samstag


Nacht am Everest, ein schaurig kaltes Gefühl. Das einzige Höhen- und Kälteproblem ist das 4-6malige Erwachen und das damit verbundene Pinkelbedürfnis. Dann heisst es, hastig heraus aus dem Schlafsack und hinaus in die klare, ewige Nacht. Vielleicht kein Thema für ein Tagebuch, doch ein verfluchtes Problem, an dem wir alle hier oben leiden. Ein Blick auf das Thermometer auf dem Rückweg: -25 Grad, erschauern, zurück in die Hütte und in den Schlafsack.

Am Morgen messen wir: -15 Grad in der Hütte, dann kommt die erlösende Sonne und der wärmende Tee, wir tauen auf, ein strahlender Tag und strahlende Berge ringsum. Unserem Alten tragen wir für heute einige Arbeit auf. Er soll Holz und Yak-Dung sammeln, auf unsere Sachen in der Hütte aufpassen und für das Abendessen sämtliche mitgebrachten Kartoffeln kochen. Wir packen uns warm ein, gebrauchen reichlich Piz-Buin und Nivea auf Nase und auf die aufgesprungenen Lippen. Tsering hatte gestern Abend eine Menge Tschapattis als Everest Ration gebacken, dazu die kanadischen Ölsardinen, aus Büchsen, von Katmandu bis hier mitgeschleppt. Die beiden Münchner kommen mit Knäckebrot und, man höre und staune, „Rheinischem Vollkornbrot“ in Büchsen dazu, ebenfalls für ein Foto mit Everest im Hintergrund erstanden, was mir, nach langer Zeit Enthaltsamkeit, auf diesem Gebiet, just heimische Gefühle und Wimpernklimpern entlockt. Ach ja, damit steht fest: Wir leben gut am Kumbu!


So, damit die deutschen und englischen Sahibs nicht allzu sehr frieren, warten wir noch eine Weile, bis die Sonne den kleinen Pfad nach oben voll beleuchtet. Tsering trägt, wie es sich für einen echten Sherpa gehört, die Verpflegung, wir die Kameras und ich die Minox. Das Thermometer steigt traulich zur Affenhitze von +14 Grad, wir wandern los.

Links vom Pfad steigt der nur mit spärlichem Moos und Gras bewachsene Berghang an, rechts beginnt die 30 m hohe Seitenmuräne des Kumbu-Gletschers.  Wir schlängeln uns dazwischen, auf gefrorener, langsam auftauender Erde, zwischen kleinen Rinnsalen und Bächen, die überall aus dem Boden hervor quellen. Mächtige Krähen oder Rabenviecher sitzen hier und dort, krächzen erstaunt bei unserer Ankunft und flattern aufgeregt hin und her. Der Pfad steigt nur leicht an, und wir kommen gut vorwärts. Dann steigen Colin und ich auf die Seitenmuräne, kein starker Anstieg und eigentlich sehr kurz, doch wir schnaufen ganz schön, oben angekommen und hocken uns kopfschüttelnd auf einen Felsblock. 


Vor uns liegt, im Geröll eingebettet und teilweise von Erde, Sand und Fels bedeckt, der Kumbu-Gletscher, ein Fluss aus Eisblöcken, ineinander gekeilt und verschoben, Krater, Spitzen, Risse, Abbrüche, ein wildes, erstarrtes Durcheinander, einige Kilometer nach rechts hinunter, von wo wir herkamen, in leichter Biegung nach links hinauf in jenes Halbrund von Bergen und Eis, unserem Ziel. Überall kracht und knirscht es da unten. Gewaltige Eismassen schieben von oben nach und zermahlen Felsen und Steine. Man spürt etwas von einer Kraft, die hier, langsam und stetig, am Werke ist. Colin, seines Zeichens Erdkundelehrer, gerät in echte Begeisterung, schiesst Tele-Aufnahmen in alle Richtungen und würde am liebsten gleich mit dem Unterricht anfangen. Doch Tsering und die anderen sind schon weitergegangen, wir folgen ihnen auf dem Kamm der Seitenmuräne, ein etwas beschwerlicher Weg. Dann müssen wir wieder klettern. Wir erreichen den Zusammenfluss von drei Gletschern. Von links schieben sich in einer Breite von ungefähr 1000 m Changri-Chup und Changri-Shar in den Kumbu-Gletscher hinein. Hier weiss keiner mehr, auf wessen Seiten- oder Erdmuränen wir nun gerade herumklettern, nur Geröll, Sand, Felsbrocken, Flüsse. Wir springen von Block zu Block und trauen keinem Spalt so richtig. Wir gehen über einen Gletscher. 


Als wir dann eine letzte Geröllhalde mehr hinunter rutschen, als gehen und in eine flache Stelle zwischen den beiden Seitenmuränen gelangen, sind wir an jenem Ort Gorak-Shep oder Lake-Camp angekommen. Hier hatten einige Expeditionen ihr Ausgangs-Depot, Base-Camp, in diesem windgeschützten, tiefer gelegenen Winkel, aufgeschlagen. Gorak-Shep heisst auf Deutsch „Platz, wo die Krähen sterben“. Huhu, richtig romantisch! Wir glauben dem aber sofort, als sich eine Wolke vor die Sonne schiebt und uns gleich Ohren und Nasen vor Kälte brennen. Nach einer Verschnaufpause steigen wir dann wieder hoch. Wir wollen zur Spitze des Kala-Patar-Berges, „unseres Berges“. Er ist einfach zu erklettern, wohl steil, doch feste Erde, mehr ein Schrittchen weises Hinaufgehen auf 5900 Meter. Es ist ein Vorberg des Pumo-Ri, 7145 m, der vor uns wie eine Wand aus Eis und Fels ansteigt. Nun merken wir gewaltig die Atemnot und die dünne Luft. 


Es stürmt hier oben, und die Wolkenfetzen, die öfters vor die Sonne jagen, bringen Schatten und eisige Kälte. Auf einem leichten Sattel machen wir pustend Halt, suchen uns eine windgeschützte Stelle hinter einem Felsblock und packen unsere Fresssachen aus. Vielleicht entsteht jetzt eine ulkige Szene; wir packen alles nebeneinander: zwei Büchsen Rindfleisch, Vollkornbrot, Knäckebrotkiste, Kanadische Ölsardinen, Balsen Keks, Tserings Dschapattis, ein lustiges Bild, doch sicher Appetit anregend. Die Werbefotos für die jeweilige Firma sind sicher gut vor der Kulisse des Everest. Das Pose-Essen macht uns allen Spass, und vor allem, es schmeckt auch in den dicksten Handschuhen. Dann ein fotogenes Lächeln für Piz-Buin; ach ja, der Underberg muss auch noch was bekommen, für seine Hauszeitschrift. Dann ist das erledigt. Wir konzentrieren uns wieder aufs Mampfen. Mit vollem Bauch steigen wir dann weiter nach oben. Jetzt wird es ernst. Das Wetter hat sich weiter verschlimmert, es stürmt regelrecht, und schon wird erwogen, umzukehren. Doch das kommt nicht in Frage. Jetzt sind wir einmal hier, und wer möchte so kurz vor dem Ziel eines langen, beschwerlichen Marsches aufstecken. Wir steigen weiter. Nach wohl einer Stunde sind wir dann oben, kauern uns in ein windgeschütztes Felsloch, eine Loge für den Blick auf die Szenerie der Berge und Gletscher vor, über und unter uns. 


Das sind sie also, die Spitzen, um die Menschen jahrelang kämpften, wo wohl an die 30 Bergsteiger und Sherpas starben. Von links hinter uns angefangen mit Pumo-Ri, dann ein Berg, dessen Namen noch nicht festliegt, dann Lingtren mit abgestumpfter, einem spitzen Dach ähnelnder Spitze. Die Spitzen und die Pässe dazwischen bilden die nepalesisch-tibetische Grenze, wie der Schnee-Pass daneben, zwischen Lingtren und der daran anschliessenden sogenannten Nordspitze des Everests, der Loh-La-Pass. Direkt hinter diesem Pass schaut der 7550 Meter hohe felsige Pyramidenberg auf tibetanischem Gebiet Changtse hervor. Von der Nordspitze halb verdeckt dann Chomo Longmo, auf tibetanisch „Königin der Winde“, Sagar-Mata auf Nepalesisch und Mount Everest auf Englisch. Seine Spitze liegt in einem Nebel von Schneesturm und Wolken, und er sieht wirklich gewaltig und gefährlich aus. 30 Jahre wurde um ihn gekämpft, bis Hillary und Thensing ihn bestiegen. Nur ab und zu lassen die Wolken einen Blick auf die Spitze und auf den South-Col, den Südsattel, zu, von wo aus der Angriff auf die Spitze unternommen wurde. Dieser wird schon halb verdeckt von der Seitenwand, die den uns genau gegenüber liegenden Nuptse verdeckt.


Das ist also das Halbrund vor uns, doch der Horizont ringsum wird nur von hundert anderen Spitzen gebildet. Nur wenige davon haben einen Namen oder eine Nummer, die jedoch jedem Himalaya Spezialisten wahre Begeisterungsgefühle entlocken. Karing-Taiga und Amai Dablang sind nur zwei davon. Von diesem herrlichen Aussichtspunkt aus habe ich auch einen guten Blick auf die Eisabbrüche der verschiedenen Gletscher, dort wo das Eis, wie eine erstarrte, brüchige Flüssigkeit, sich wie Wasser, das auf die Kante eines Wasserfalls zuströmt, biegt, und eben an dieser Stelle bröckelt und Risse bildet, dann abbricht und nach unten stürzt. Schon beim Hinaufmarsch zu unserer Loge wurden wir durch einen Donner aus der gegenüber liegenden Wand aufgeschreckt, und wir konnten diesem Naturschauspiel aus sicherer Entfernung zusehen. Wie bestellt, brach nun rechts vom Kumbu Eisabbruch ein weiterer Brocken in die Tiefe, in tosendem Donner, der von den Hängen ringsum in vielfachem Echo beantwortet wird. In solch einem Augenblick vergisst man sogar die Kälte, die unsere Glieder erstarren lässt.


Ich habe mich von der vorigen Kletterei erholt und steige erst alleine, dann von Colin und Dave gefolgt, weiter dem spitzen Kamm des Pumo Ri Vorbergs entlang auf purem abgebrochenem Fels, bis ich mit dem Schnee auf gleicher Höhe bin. Tsering und die beiden Münchner ziehen es vor, in der Felsspalte zu bleiben. Einige Felsplatten schaukeln verdächtig, ich will nicht mehr wagen und riskieren und setze mich wieder an eine windgeschützte Stelle. Colin und Dave kommen pustend nach. Colin meint, es wäre eine Schande, nicht einmal schottischen Whisky oder Sekt zur Siegesfeier unseres Berges dabei zu haben. Mit steifen Fingern kramt Dave eine verknautschte Schachtel Zigaretten aus der Tasche seiner Steppjacke und meint, wir müssten den Berggöttern wenigstens ein Rauchopfer bringen, das wäre hier wohl ebenso selten wie Sekt oder Whisky. So brechen wir dann unser Rauchstopp für die Reise am höchsten Punkt dieser Bergtour und am höchsten Punkt vielleicht unseres Lebens. 


(Pause, Gedenkminute, von den Stühlen erheben, Posaune, Vorhang. Danke, setzen!)….


Tsering brüllt von unten und macht Zeichen - zurück. Wir kommen. 


Als wir am Abend wieder in unserer Hütte sind, die vom Alten om-mane-padme-hum-Opa gekochten Kartoffeln pellen und mit etwas Salz darauf verschlingen, ist das das leckerste Festmahl für uns, in unserem Palast aus zusammengelegten Steinen. Wir sind müde, wie erschlagen, doch unsere Laune ist nachahmenswert.



6. November 1967 19. Tag Sonntag


Wie ich sehe, ist heute Sonntag. Wir faulenzen also heute wieder. Die beiden Münchner haben uns unseren Träger abgenommen. Ihm ist es ja sowieso egal, für wen er schleppt. Wir haben fast alles gefuttert und tragen den Rest selbst hinunter. Sie ziehen schon früh los, wir bleiben noch eine Weile an diesem Platz, setzen uns in die Sonne, lassen uns von der Nacht auftauen und geniessen die Umwelt. Alles scheint zu leuchten heute, von Mittag an sind wir auf dem Rückmarsch. 


Wir hatten etwas Pech mit dem Wetter gestern. Heute ist keine Wolke am Himmel. Nach ausgiebigem Frühstück am Morgen und einer Stunde Verdauen in der Sonne, packen wir unsere Sachen zusammen, schauen etwas wehmütig in die Runde und machen uns auf den Rückmarsch. Es geht wie von selbst. Das Gepäck ist leichter, die Luft wird nach unten schwerer. Wir sind richtig ausgelassen dabei, machen blöde Gruppenbilder fürs Familienalbum, und Tsering freut sich mit, er betrachtet es natürlich auch als Geschäftsreklame. Wir sind schnell über die Endmuräne hinweg, kommen wieder zu den beiden Hütten und zu dem Platz, wo wir auf dem Hinweg unser Holz gesammelt hatten. Hier treffen wir wieder zwei Europäer, aber, o je, die hat es schwer erwischt. Sie liegen auf dem Boden in der Sonne, haben ihr Gesicht mit Taschentüchern zugedeckt. Sie starren uns an wie Weltwunder, als wir sie ansprechen, fragen uns, ob wir denn von „da oben“ kämen und wirklich nichts von Höhenkrankheit verspüren würden. Sie haben wahnsinnige Kopfschmerzen, Erbrechen und fühlen sich sauelend. Die beiden Franzosen waren mit dem Flugzeug bis nach Lukla, dem kleinen Flugplatz von Namche, geflogen, hatten sich dort mit Trägern und zwei Sherpas versorgt und waren dann gleich nach oben gekommen.


Das geht natürlich nicht, meine Herren, man muss langsam machen und sich langsam akklimatisieren. Wir fühlen uns bei unseren Belehrungen wie „alte Hasen“, sprechen Mut zu und „gute Besserung“ und ziehen als Helden von dannen. Diesmal gehen wir nicht in das Periche-Tal hinein, sondern bleiben auf dem Höhenzug auf der linken Anhöhe. Hier sind die Weideplätze der Yaks. Wir machen eine interessante Entdeckung. Diese Riesenviecher fressen das spärliche Gras nicht. Sie lecken mit ihrer langen Zunge den Grassamen ringsum vom Boden, lecken den ganzen Tag, lecken sich Meter um Meter den Berg hinauf und hinunter. Lustige, zottelige Kerle mit breitem Kopf und spitzen Hörnern.


Am Nachmittag sind wir über Periche, dem Ort meiner nächtlichen Pein. Die Steinmauern malen dunkle, dünne Umgrenzungslinien um die kleinen Punkte der Steinhütten in den gelbgrünen Untergrund des flachen Tales. Dann steigen wir hinab in ein anderes Tal und erreichen Dingboche, ebenfalls ein nur für einige warme Zeiten bewohntes Dorf. Hier wird überall auf grossen runden Trockenplätzen gedroschen. Von oben können wir die geschäftigen Dörfler zwischen den 20 Häusern beobachten. Die Dreschflügel kreisen in gleichmässigem Rhythmus und dreschen die kleinen Körner aus dem Dschampagewächs. Auf den Feldern um das Dorf wird gepflügt und gehackt.


Wir kommen in einer kleinen, doch gemütlichen Steinhütte unter, das Feuer brennt schon, und bald gibt es Tee. Tsering entschuldigt sich nach dem Essen und verduftet. Wir kennen das inzwischen schon, er hat’s halt mit dem Rakschi und dem Dschang. Während wir uns in die Schlafsäcke kuscheln, tönt von einer der vielen Steinhütten vielkehliger Gesang herüber. Es wird gefeiert, aber niemand kommt auf den Gedanken, die Sahibs mal einzuladen. Wir gehören nun mal doch nicht dazu, bleiben nichts als Fremde und Arbeitgeber.



7. November 1967 20. Tag Montag


Wir treffen am Morgen die alten englischen Herrschaften wieder. Sie waren ebenfalls ganz gemütlich zum Everest gelaufen, gingen jedoch nach einer Nacht in Gorak Shep wieder nach unten, da einer von ihnen schwer mit Höhenkrankheit zu tun bekam. Sie sind bester Laune, es gibt einiges zu erzählen. Dann verabschieden wir uns und packen unsere Sachen. Es gibt noch volle, kräftige Yak-Buttermilch, ein Genuss. Wir gehen recht flott, wollen noch heute nach Namche zurück.


Gegen Mittag sind wir in Deboche, einem Nonnenkloster am Fusse des Tengboche Klosters, wo wir auf dem Hinweg geschlafen hatten. Wir werden von einer Nonne in ein Haus geholt, sitzen in der grossen Küche und warten auf Tserings Mittagessen, Reis mit Buttermilch, damit es schneller geht.


Vor Namche biegen wir nach rechts vom Weg ab, steigen nach oben und erreichen gegen Nachmittag Kumjung, eine der grössten und bekanntesten Sherpa-Gemeinden. Dort wollen wir Jan, die Freundin Daves, wieder sehen. Tsering bringt uns zum Haus seiner zweiten, jungen Frau. Sie ist so eine richtige Prachtsherpafrau, schmierig und rotwangig, wie es sich gehört für eine Sherpafrau. Die Liebenden finden sich wieder, und Dave zieht in das Haus, in dem sich Jan eingenistet hatte.

 

Wir wollen gerne weiter, da ich meine geliehenen Bergsachen zurückgeben will. Tsering wird ein wenig unruhig, bittet uns dann doch, einen Tag hier auszuruhen und bringt dafür allerlei Gründe an, nur nicht den richtigen.

Nun, wir zeigen Verständnis, wollen uns also morgen hier erholen und uns die Kochkünste der Sherpafrau vorführen lassen. Es gibt gleich am Abend den schon erklärten Reibekuchen, und er schmeckt uns, wie alles hier, obwohl wir seit 4 Uhr in den Wolken sitzen, es neblig kalt ist und wir selbst am Feuer frieren.



8. November 1967 21. Tag Dienstag


Bis vor zwei Jahren waren noch jährlich zwei bis drei grosse Expeditionen hier in diesem Gebiet. Nun gibt das nepalesische Parlament keine Genehmigungen mehr, und man munkelt, dass man sich auf dieser Seite dem Verbot der Chinesen beugt, um gute Beziehungen zu wahren. Die Leidtragenden sind die Sherpas hier in diesem Gebiet, denen ein jährlicher grosser Verdienst verloren gegangen ist. Sir Hillary z.B. bestieg mit einigen Sherpafreunden ohne Genehmigung den Amai Dablang, so erzählt man uns. Seinen Namen spricht man hier mit grosser Ehrfurcht aus, hat er doch schon an die fünf Schulhäuser, einige Brücken und sogar ein Krankenhaus hier im nahe liegenden Ort Kunde gestiftet. So sind die Sherpas wieder auf Ackerbau und Viehzucht und vielleicht auf kleine Privattouren wie die unsrige angewiesen. Doch noch heute begegnet einem der Duft der grossen Expeditionen überall, sei es die alte Oxygenflasche als Schulglocke in Namche Bazar oder die zu Ölfunzeln umgebauten weggeworfenen Gasflaschen, Made in Germany, Japan, USA und Switzerland. Aus leichten Nylonstoffen sind Kinderjäckchen geschneidert, und so manches Mal erscheint der Aufdruck „Expedition 1968 oder 63“ an den unmöglichsten Stellen. Doch heute sieht man sie überall auf den Feldern stehen, die berühmten Tiger des Himalaya, die alle schon irgendwo in grosser Höhe Gepäck für die Expeditionen geschleppt haben, pflügen und hacken oder Herden von Yaks über die Hochweiden treiben. Auch der Handel mit Tibet scheint noch recht einträglich, wenn auch längst nicht mehr so gut wie früher, bevor die Chinesen um 1950 herum Tibet besetzten.


Wir spazieren durch die engen Steinpfade des Dorfes, schauen, dass wir rechtzeitig zum jeweiligen Essen zurück sind und lassen es uns gut gehen. Ebenso Tsering, der verliebt mit seiner jungen Frau turtelt und dem man weniger denn je anmerkt, dass in seinem Sherpa-Pass sein Alter mit 48 angegeben ist.



9. November 1967 22. Tag Mittwoch


Wir wollten früh nach Namche weiter, dort unsere restlichen Sachen auflesen und noch weiter ins wärmere Gebiet. Doch es ist eine Trödelei, vor allem Tsering lässt auf sich warten. Colin fühlt sich nicht wohl, hat Magenbeschwerden und bekommt schlecht Luft. So kommen wir auch auf dem Weg nur langsam vorwärts. Eine Tibetanerin zeigt mir tibetanischen Schmuck, mit grossen Türkisen besetzt und eine einmalige, seltene Arbeit. Es sind grosse, broschenartige Stücke, die ich bei verschiedenen Tibetanern auch schon in Nordindien gesehen habe. Die Frauen tragen solche Stücke im Haar. Ihr Preis ist zwar günstig, doch für meine Verhältnisse unmöglich. Da fällt mir mein Fernglas ein, das ich evtl. in Namche verkaufen könnte, und es klappt wirklich, einige Stunden später bin ich stolzer und glücklicher Besitzer, und ich habe es durch den günstigen Tausch meines Glases, das seinen Hauptzweck bereits erfüllt hatte, auch noch einzigartig günstig erhalten. (Das Fernglas hatte ich für 12 Dollar von einem Freund in Katmandu bekommen). In Namche hatten wir Pech und Glück zugleich. Das Haus, in dem unsere zurück gelassenen Sachen standen, war verschlossen, die Bewohner ins Nachbardorf ausgeflogen. Also warten. Etwas wütend auf Tsering schlendern wir frierend ins Dorf. Ein grosses Haus fällt uns durch seinen Schmuck auf, da ist was im Gange. „Die neue Privatkapelle wird eingeweiht“, erzählen uns unsere beiden Freunde aus München, die wir davor wiedertreffen. Wir bleiben an der grellbunt bemalten Pforte stehen und schauen in den Innenraum, der von einer grossen, drei Meter hohen Gebetsmühle beherrscht wird. 


Etwa 10 Lamas zelebrieren darin eine pomphafte Zeremonie. Es wird laut gebetet, Instrumente gespielt, und allerlei Dinge wie Reis und andere bemalte, zu Figuren geformte Esswaren, werden zum Opfer auf einer grossen Schale verbrannt. Die Mönche sehen sehr feierlich aus in ihren grossen weiten Gewändern aus den edelsten Seidenstoffen und mit ihren hohen, spitzen Hüten. Wir werden vom Hausbesitzer freundlich und überherzlich begrüsst und in das grosse Wohnhaus geschleppt. In der Küche gibt es Tee und natürlich alle Arten von Sherpa-Spirituosen, und es wird, wie anscheinend überall und immer, gewaltig gezecht. Im grossen Nebenraum sitzen an allen Wänden entlang Mönche in ihren roten Roben. Jeder liest für sich, doch laut, in einem grossen Buch, und der Raum ist angefüllt von heiligem Gemurmel. Dazwischen rennen Tee servierende Nonnen. Doch in der Küche ist nichts von Heiligkeit zu spüren. Hier wird deftig gezecht und gegrölt, und ich werde sehr an Breughel d.J. und seine Bauernfeste erinnert. 


Colin ist weniger angetan, ausserdem wollten wir ja weiter. Unsere Gastgeber sind auch schon zu sehr angeheitert, die ganze Sache wird für uns Fremde unheimlich, ja unangenehm. So verziehen wir uns wieder zum Haus, wo unsere Familie endlich eingetrudelt ist. Es gibt gleich nach dem Eintreten Krach mit uns, da wir für die geliehenen Sachen nicht genug bezahlen. Wir berufen uns auf Tsering. Für die letzten beiden Tage wird nicht bezahlt. Die Laune ist nicht gerade rosig, als wir uns von Tsering etwas kochen lassen und uns, wie schon jeden Abend gewohnt, frierend in die Schlafsäcke verkriechen.


Wir erfahren eine kuriose Geschichte: Der District-Kommissar ist hier ein orthodoxer Hindu und hat daher alle Yaks für heilige Tiere erklärt. Die Sherpas müssen sich jetzt schwarz Fleisch von geheim geschlachteten Tieren besorgen, ständig in Gefahr, verhaftet zu werden.


(Zwischenbemerkung: Es ist fürchterlich! Da schreibt man 4 Wochen lang an einem Tagebuch und bemerkt nicht, dass die Wochentage schon vom ersten Tag an um einen Tag verschoben, das heisst zurück liegen. Da freut man sich auf ein Wochenende, das schon gestern eins hätte sein können. Der Sonntagmorgen, der fröhlich begangene, war ein trister Montag. Und erst die gemütlichen Sonntagabende! Alles Trug! Durch einen Fehler am ersten Tag feierten wir den Mittwoch am Donnerstag, welch ein Irrtum, alles umsonst !!!!)


Zur wirklichen Katastrophe wird solch ein Irrtum, sollte man an einem Donnerstagabend in Katmandu ankommen, sich freuen, dass man am darauf folgenden Tag noch seine Post bekommt und dann feststellt, es ist Samstag, in Nepal der Sonntag, also alles geschlossen!! Man freut sich 30 Tage lang auf einen Berg Post von Zuhause und muss gleich noch mal einen Tag warten. Ich Unglücklicher habe meine Post an der Botschaft, die Samstag UND Sonntag geschlossen hat. Tragik, Tragik!



9. November 1967 Sonntag


Seit vorgestern Abend zurück, (noch) ohne Post von Zuhause, daher Volkstrauertag, wie mir mein zu Hilfe gekommener Kalender verkündet. Auch das noch!


Also am 10. November sind wir dann von Namche gestartet, machten uns auf den Fussmarsch nach Katmandu zurück, was ein Rekordmarsch wurde und ich keine Zeit und Ruhe fand, täglich vom Vortage zu berichten, daher nun zurück schauend und recht gekürzt das, was meist aus Bergauf und Bergab, von morgens bis abends bestand.



10. November 23. Tag


Erst um 10 Uhr morgens sind wir wieder „on the road“, erst musste eingekauft werden, unser Proviant aufgefüllt für wenigstens drei Tage. Dann schiessen wir ins Tal, legen ein edles Tempo vor. Gegen Mittag rufen uns einige Dorfbewohner in ein Haus, in dem wir einen kranken Amerikaner finden. Er hat Fieber und ist völlig geschwächt. Er war alleine, ohne Sherpa gegangen, eine grosse Unvorsichtigkeit. Keine reichliche Ernährung und keine Hilfe, dazu eine leichte Infektion, schon hatte es ihn erwischt. Die Leutchen wissen hier nicht, was mit ihm anfangen, so organisieren wir für ihn Milch, Eier, damit er etwas zu Kräften kommt und mal etwas anderes als gekochte Kartoffeln sieht. Dann finden wir einen Lehrer im Dorf, der Englisch spricht, lassen einige Tabletten aus unserer Apotheke zurück. Alles, was wir tun können. Jetzt kümmert sich wenigstens einer um ihn. (In Katmandu erfahren wir später, dass er sich bis Kumjung zum Hilary Hospital schleppen konnte und dort unter Aufsicht der Ärzte ist.) Wir schlafen am Abend im selben Haus, in dem wir auf der Hinreise zwei Nächte vor Namche geschlafen haben. Man empfängt uns sehr freundlich, wie alte Bekannte, und wir bekommen gleich Sherpa-Reibekuchen serviert.



11. November 24. Tag


Wir jagen ins Tal hinab, machen heute gleich wieder 1 ½ Tagesstrecken der Hinreise. Wir sind hervorragend in Form, kann man sagen, und Tsering bleibt oft weit hinter uns. Wir schlafen heute das erste Mal wieder draussen unter dem Vordach eines kleinen Bauernhauses. Es ist warm und angenehm den ganzen Tag über. Selbst Nachts gibt es keinen Grund zu frieren oder sich aus Zwangsgründen aus dem Schlafsack zu quälen.



12. November 25. Tag


Am Morgen ein Riesenanstieg zum Pass. Es geht 7000 Fuss (2300m) hoch. Wir machen das in 3 ½ Stunden, fast ohne Pause. (Auf dem Hinmarsch mussten wir fast alle 15 Minuten pausen. Man gewöhnt sich an alles). Oben sind wir noch frisch genug, in leichtem Dauerlauf den Berg hinab zu hüpfen. Colin ist in seinem Turnlehrer-Element, stoppt Zeit und unterrichtet in näselndem Englisch. Wir sind guter Laune. Gleich wieder hinab ins Tal, neuer Aufstieg, und wir sind bei Einbruch der Dunkelheit in Junbesi. Die Leute im Haus, die wir schon vom Hinweg her kannten, sind erstaunt und schauen uns ungläubig an. Drei Tage von Namche ist bereits eine Leistung. Frage: Wie kommt eine Lochkarte eines IBM Computers auf einem schmalen Waldweg im Bergland Nepals? Ein erstaunlicher Fund in der Mittagsstunde. Was man sonst auf solchen Wegen an europäischem Abfall findet, sind meist Tablettenhülsen mit Aufdrucken wie „Bei Blutarmut und Schwäche-Zuständen“, „Bei Kopf- und Gliederschmerzen“ usw. IBM Karten sind seltener.



13. November 26. Tag


Am Morgen konnten wir einen tollen Kauf tätigen. Eine Original Sherpa-Rakschi oder Dschang-Flasche aus Holz und einen herrlichen Holzschnitt eines Druckstockes für Gebetsfahnen. Mir kommt dabei eine schöne Idee!

Wir gehen wieder bis zum Abend und werden durch einen Landregen aufgehalten.

Schlafen in einem Bauernhaus, in dem wir keine Eier kochen dürfen, aus religiösen Bedenken. Andere Täler, andere Sitten.

Mais kann man wie Reis zubereiten!



14. November 27. Tag


Die Vortage machen sich bemerkbar. Beim Aufstieg waren wir weniger lustig, daher schaffen wir es dann doch nicht mehr bis nach Jiri, der Schweizer Entwicklungsstation. Colin bekommt wieder Schwierigkeiten mit dem Magen. Das Haus, in dem wir heute übernachten, ist sehr ärmlich. Als Bezahlung für die Nacht lassen wir eine grosse Konservendose zurück. Der Haushund bellt fast ohne Unterbrechung die ganze Nacht durch, was weniger zur Erholung beiträgt.



15. November 28. Tag


Nach einer Stunde am frühen Morgen erreichen wir Jiri, das im nächsten Tal liegt. Wir bleiben dort in dieser Oase der Zivilisation bis 12 Uhr, erkundigen uns nach dem kürzeren Rückweg nach Barabise und damit zur Chinesenstrasse. Es gibt Schweizer Brot mit Butter und Marmelade. Wir werden richtig verrückt auf Süssigkeiten. Die Schweizer sprechen wir nur kurz, wollen sie nicht bei ihrer Arbeit im Krankenhaus, auf der Musterfarm und an ihrem kleinen Flughafen stören. Wir können wieder seit 4 Tagen zum ersten Mal Zucker kaufen. Bis zum Abend sind wir zwei Berge weiter. Schlafen hinter Kabre.



16. November 29. Tag


Am Morgen nach gewaltigem Abstieg der letzte grosse Berg. Dieses Tal ist fast tropisch zu nennen, wir können Zitronen und Mandarinen vom Baum klauen. Wir haben von hier nochmals einen herrlichen Blick auf die nahe liegenden Berge. Nach Charikot geht es lange fast eben an einem Berg entlang. Wir schauen, dass wir so lange wie möglich laufen, obwohl die Beine von der Anstrengung der letzten Tage schmerzen.

Heute sind wir wirklich sehr fertig am Abend.



17. November 30. Tag


Drei Stunden Aufstieg, und dann haben wir einen gewaltigen Ausblick vom Pass ins letzte Tal, wo sich die asphaltierte Zivilisation am Berg entlang schlängelt. Mein Gott, wie mag ein Auto aussehen? Pang, pang, pang, es geht steil abwärts, bis die Knie zittern. Dann haben wir die Strasse und Barabise erreicht. Die Siegeslaune ist gross, mein Hut und mein Stock, der mich lange begleitete, segeln in den reissenden Strom.

Wir haben’s geschafft! Es ist zwei Uhr, doch bis ein Bus fährt und Katmandu erreicht, ist es 8 Uhr.


„Tama, zwei Mal Büffelsteak für jeden von uns!“ Wir jagen den Ober in unserem tibetanischen Stammlokal in die Küche.

Wir haben es geschafft!!!!!



Das war’s!



Zwei Bücher gibt es, die vieles von dem, was Colin und ich gesehen und erlebt haben, beschreiben. Leider kenne ich nur die Ausgaben in englischer Sprache, hoffe jedoch, dass es sie auch in Deutschland gibt.


„An Innocent on Everest“, von Ralph Izzard

New York. E.P. Dutton + Co Inc. 1954

Library of Congress Catalog Card Nr. 54-8120


“The Sherpas of Nepal”

Buddhist Highlanders

Christoph v. Fürer-Haimendorf

John Murray. London 1964

Buttler + Tanner Ltd.



Finanzliches zum Schluss:


Die 30 Tage im Gebirge haben mich alles in allem 210,- DM gekostet. Dieser Monat war also etwas teurer als die anderen, aber was ist das schon im Vergleich zum Erlebten? Und die Souvenirs sind ein schönes Stück davon in Deutschland alleine wert!




21. 11. 67


Liebe Mutter!


Bekomme keinen Schrecken, ich bin nicht nach China entflohen, wenn es hier auch recht nahe liegt und man überall auf chinesische Produkte stösst, wie diese Karte.


Ich möchte Dir nur ganz kurz Deine liebe Post bestätigen, die ich hier auf der Botschaft abholen konnte. Leider fehlt der oder die Briefe, die Du vor meiner Wanderung noch an die Post geschickt hattest. Also die Zeitungsausschnitte habe ich nicht, doch Briefe 11 + 12 erhalten. Auch die Filme von Minox sind gut angekommen. Ich danke Dir sehr herzlich dafür.


Schreib von jetzt an Poste restante nach Calcutta, da ich voraussichtlich Ende dieser Woche hier wegfahre.

Das also nur ganz kurz, da ich in den nächsten Tagen Ausführliches folgen lasse.


Gruss und Kuss

Filius



23. 11. 1967


Liebe Mutter,


Inzwischen sitze ich wieder im selben Hotelzimmerchen, das Walter, Peter und ich vor unserer Trennung bewohnt hatten, diesmal mit Colin zusammen. Die Tage seit unserer Ankunft sind mit Faulenzen und ein wenig Geschäftigkeit ausgefüllt, und schon haben wir uns wieder an die Katmandu-Zivilisation und an das Leben hier gewöhnt. Wir werden noch einige Tage hier verbringen, dann gehen wir zusammen nach Benares. Dort werden wir uns trennen. Colin will noch einige Sehenswürdigkeiten in Nordindien sehen, die ich schon von dem Hinweg kenne. In dieser Zeit dann fahre ich nach Calcutta, um mich dort bei den australischen Behörden um mein Arbeitsvisum zu bemühen. Wir wollen uns dann dort wieder treffen, um danach nach Ceylon zu reisen, wo ich mein erstes Weihnachtsfest fern von Zuhause unter Palmen am Strand verbringen will. Colin und ich sind ganz verrückt auf Wärme und Sonne und vor allem auf die vielen Mangos, die uns dort erwarten. Wir glauben auch, dass wir diese Reise dorthin sehr billig gestalten können. 


Ja, Weihnachten rückt näher, und ich stecke in meiner Art Vorbereitung hierfür. Sicher gefällt Dir diese Karte, auf der ich schreibe. Auf dem Fussmarsch konnte ich diesen Holzschnitt von einem Buddhisten-Kloster erstehen und habe gleich eine Idee gehabt. Meine gesamte Weihnachtspost an sämtliche Familienmitglieder werde ich auf diesen Karten schreiben. Nach einigem Suchen habe ich dann eine alte, vergammelte Druckpresse im Gutenberg-Stil in einer kleinen Druckerei hier aufgefunden, und nach zwei Tagen Arbeit hatte ich von dem alten Holzschnitt einer buddhistischen Gebetsfahne aus Tibet etwas über 100 Karten gedruckt. Dazu gibt es passende Briefumschläge, ebenfalls aus diesem handgeschöpften Reispapier. 


15 bis 20 Drucke davon werde ich selber an alle Bekannten und Verwandten von Indien aus zu Weihnachten und zum Jahreswechsel versenden, die restlichen dann, mit 140 anderen Drucken, die ich in einem anderen Kloster erstanden habe, meinem Freund Volker zuschicken, der sie dann vor Weihnachten hoffentlich gut verkaufen kann. Das eingehende Geld möchte ich dann irgendwann von einem Spendenkonto „Asienhilfe“ oder so ähnlich als Zuschuss für meine Weiterreise abheben und an einen Ort, den ich noch angeben werde, überweisen lassen. 


So möchte ich auch auf Deine Frage nach dem Weihnachtsgeschenk eingehen. Da ich irgendwo auf der Reise Geld benötigen werde, bitte im um allgemeine Spenden auf diesbezügliches Konto „Asien hungert“ oder so, das Du für mich eröffnen könntest. Auch die Verwandtschaft könnte sich, falls schon irgendwelche Nachfragen bestehen, daran beteiligen. Was hältst Du von der Idee mit der Gebetsfahnen-Weihnachtskarte? Und was vom Konto „Weihnachtshilfe“? Schreibe mir doch schnell einen Brief nach poste restante, Calcutta, Indien. Von dort aus werde ich Dir dann eine neue Adresse angeben.


Ich hoffe, Du freust Dich über mein Tagebuch, das Du in einer Original-Gebetsfahne, die ich von einer Brücke geklaut habe, eingewickelt findest. Dann schicke ich Dir 10 entwickelte Filme von Afghanistan bis nach Katmandu und in den beiden Schachteln 4 unentwickelte Filme vom Fussmarsch und vom Everest. Lass die bitte bei Schambach entwickeln, und Volker soll dann eine kurze Beschreibung der Qualität bei Dir beilegen. Ich habe Befürchtung, dass unterwegs was mit dem Belichtungsmesser passiert ist. 


Nochmals vielen Dank für die Bezahlung der 10 neuen Filme an Minox. Vom ersten Wochengehalt in Australien werden die sofort zurück bezahlt.


Ist die Karte von Maotse-Tung angekommen? Bin mal gespannt, ob die Inder die durchgelassen haben.


So, damit dieses Paket nun endlich auf die Reise gehen kann, werde ich für heute schliessen.

Sei wieder herzlich gegrüsst und geküsst von


Deinem Söhnlein



26. 11. 67


Liebes Bruderherz!


Es ist jetzt schon wieder eine ganze Weile her, seit ich Deinen Brief mit den Informationen über Australien erhalten habe. Es ist aber in der Zwischenzeit so viel los gewesen, dass ich bis jetzt noch gar nicht richtig Zeit gefunden habe, mich für Deine Bemühungen zu bedanken. Jetzt zurück von meiner Bergtour finde ich eher Zeit dazu. 

Das war wirklich eine herrliche Sache, einen Monat lang auf Schuster’s Rappen in einem Gebiet, zerklüftet und weit weg von aller Zivilisation, ständig draussen und an Orten, wo nur einige Bergstämme und vor allem die Sherpas leben, die letzten Träger der tibetanischen Religion und Kultur. Dann die einmalige Landschaft, zuerst die fast tropischen Täler im Süden, die Vegetation und die Terrassenbauten an den steilen Berghängen, durch die sich der schmale Fusspfad schlängelt, durch primitive Siedlungen. Am Abend an einem kleinen Holzfeuer gehockt; die Bewohner der Häuser betrachten uns als Weltwunder. 


Dann, nach 12 Tagen Fussmarsch, die Sherpadörfer in 4000 Meter Höhe und die Himalaya Riesen ringsum. Wenn ich auch vorher kaum von Bergen gefesselt war und die ererbte Begeisterung für Berge lange brauchte, bis sie sich in mir rührte, war ich hier wirklich gefangen von der rauen Wildheit dieses Gebietes. Ich bin richtig stolz auf die Sportsleistung, die mit alldem zusammenhängt. Alles in allem habe ich 550 km zu Fuss zurückgelegt, mein Ränzlein fleissig geschleppt, bergauf, bergab und damit vielleicht eine Art Grundausbildung hinter mich gebracht. Nicht nur, weil ich den Weg in den hohen Militärstiefeln, die Du vielleicht noch gesehen hast, gelatscht bin, das Gelände hätte auch Dir, einem alten Manöverhasen, einige Schweisstropfen abgenötigt. So wurde mir jedoch so manches Grinsen abgerungen, dass ich ausgerechnet meiner missgebildeten Haxen wegen vom staatlich geprüften Musterungsarzt die Glanznote 3 bestätigt bekam. 


Sag das bitte nicht weiter, bin ich doch so stolz auf meinen zu hohen, verbogenen Spann. Doch nun, nach meinem 4-wöchigen Ranger-Dasein und zurück von diesem Prachtlümmel-Everest, werden wieder meine weiteren Pläne aktuell. 


Ich will also in einigen Tagen von hier weg, das herrliche Ländchen Nepal verlassen, nach Benares zurück, in wärmere Gefilde, mal seh’n, wie sich diese Stadt ohne Hochwasser macht, dann nach Calcutta. Das Immigrationsvisum für Australien soll 6 Wochen dort dauern, ich werde also zwischen Beantragen und Abholen nach Südindien und Ceylon kutschieren. In Ceylon soll es um Weihnachten recht nett sein und die besten Mangos haben, also ein triftiger Grund. Mit Colin, meinem englischen Kumpanen am Berg, habe ich mich sehr gut verstanden. Wir werden wohl zusammen einen saftigen Fruchtsalat am Sandstrand dort mixen, am Heiligen Abend vielleicht. 


Das wird dann mein erstes Weihnachten ohne den Weihnachtsbaum und ohne die Familie sein, was mir etwas Heimweh einzuflössen droht und was vielleicht unserer Mutter etwas schwer fallen wird. Ich nehme jedoch an, dass Du und Helga Zuhause sein und sie von zu vielen traurigen Gedanken abhalten werdet. Ich will Mutter von Benares aus 3 Meter indische Rohseide für ein schönes Kleid schicken. Du und Helga werdet meiner etwas gespannten Finanzlage wegen dieses Jahr zu kurz kommen, bitte daher um Verständnis, befinde ich mich doch in Asien, das bekanntlich hungert. Das Ganze darf ich wohl bis zu meinem Militärda, ich meine natürlich Millionärsdasein, in Australien verschieben.


Dann, zurück in Calcutta, Visa gefasst und mit Burma-Airlines nach Rangoon, 24 Stunden, eine absolut verstaatlichte Gemeinde, dann Weiterflug nach Bangkok, ins thailändische Paradies. Dann werde ich weitersehen, vielmehr in die Tasche meiner Jeans, wenn möglich will ich nach Laos und Kambodscha, von dem alle, die zurückkehren, Wunderdinge erzählen. Ein Problem, das ich eventuell umschiffen muss, ist die Grenze Thailand Malaysia, von der gemunkelt wird, man müsse 200 Dollar vorzeigen, um sie zu überschreiten. Danach wären keine Schwierigkeiten behördlicher Seite, die Weiterreise über die Inseln Südostasiens erfolgreich zu gestalten, vorausgesetzt, man hat das Visum für port. Timor, das man jedoch leicht in Vientiane in Laos erhält. 


Du siehst, es ist eine Wissenschaft für sich, die richtigen Informationen über alles mögliche zu erhalten. Dank Gott, es gibt das ausgeprägte Netzt des Hitch-Hikertums, das alle Schliche kennt, billig und günstig weiterzukommen und das in jeder Stadt eine Informations-Stammkneipe kennt, wo man sich hier und da ein Stück zu seiner Informationssammlung zusammensuchen kann. Ich bin daher ganz gut unterrichtet, auch über Australien und weiterhin sehr optimistisch. Ich denke, dass ich um März herum meine Arbeit in Australien antreten werde und dann am Fusse des grossen Moneyberges stehe. Mal sehn!


Du wirst in der Zwischenzeit bestimmt noch einige Bierchen bei Heckmanns zischen und das Soldatendasein völlig zum Kotzen finden, um Dich dann auf eine Studentenzeit mit Eifer vorzubereiten. Was treibst Du jetzt neben schlitzäugigem und schwarzhaarigem Zeitvertreib? Du geniesst in dieser Beziehung sicherlich mehr Asiatisches, als ich im Augenblick, an Orten, wo man zwar alles anschauen kann, doch nähere Kontaktaufnahme teils gefährlich, zumindest jedoch mit Komplikationen verschiedenster Art verbunden ist. Doch auch in selbiger Beziehung soll es, wie man hier schwärmt, in Thailand und an anderen schönen Orten weiter östlich ganz anders werden, was vielleicht zur Beendigung meiner verkapselten Drangsal beitragen könnte. In dieser Beziehung. Also weiterhin Genuss der AUGÄÄHN.


Es wäre nett, poste restante in Calcutta etwas von Dir zu hören. Was macht mein Freund Egon? Sind bei Heckmanns meine beiden Karten eingetrudelt? Übrigens die letzten Bundeswehr-Gegenstände von Dir haben uns am Base-Camp des Everest geschmeckt, und die letzten Esbit Tabletten halfen unserem Sherpa, selbst nasses Holz in ein nützliches Kochfeuerchen zu verwandeln. Dann gab es seufzende Stunden des Gedenkens an Dich.

Was macht Dein Laserstrahl? Von Peter habe ich seit unserer Trennung nichts mehr gehört, ich glaube aber, dass er sich augenblicklich in Südindien oder sogar schon in Thailand befindet. Die Trennung fiel uns nach dem halbjährigen Familienleben wohl allen dreien nicht so leicht, und jeder, so glaube ich, hat diese Reise mit unserem Auto wirklich genossen, die leichten Streifen waren am Schluss längst begraben und vergessen.


Als gestern auf der Hauptstrasse unser Auto mit nepalesischer Nummer an mir vorbeifuhr, hatte ich zum ersten Mal im Leben wirklichen Grund zu salutieren, es bemerkte mich im Getümmel des Verkehrs jedoch nicht, sonst hätte es wenigstens durch eine kleine Fehlzündung geantwortet. Es tut also noch, dank viel gepriesener Pflege unsererseits. Walter schrieb mir bereits aus Mesched, er ist also schleunigst auf dem Rückzug. Vielleicht siehst Du ihn mal an einem Wochenende.


So, in der Zwischenzeit ist mein eben bestelltes Büffelsteak im Kommen, kostet 60 Pfg. Mit einem Dollar pro Tag will ich für die nächste Zeit auskommen, was auch ganz gut klappt, selbst mit einem durch Sherpa-Nahrung erweiterten Magen.


Hast Du in der Zwischenzeit noch mehr zugenommen? 


Ich staune selbst, was man alles auf ein Aerogramm bekommt, bei kleiner Aufteilung. Wie Du siehst, ich spare. Zur Wetterlage, damit auch dieses letzte Sechsel nicht unbeschrieben bleibt: Bei leicht bewölktem, sonst blauem Himmel gibt es nur Abends einen Grund, ein wenig zu frieren, das letzte Mal für ich weiss nicht wie lange, denn bis Nord-Australien werde ich mich im Sommer bewegen. Das walte Gott! Die Friererei am Everest hat mir für eine Weile gelangt. Da hätte ich Deinen Schlafsack gebrauchen können!


Sei für heute umarmt, geküsst und gestreichelt von Deinem Bruder


Noch Platz für eine Ermahnung:

SAUF NICHT ZU VIEL!


Hab ich ‚nen Durst auf ein Helles (notfalls auch ein Alt)!


Ich lach’ mich kaputt, ist heute etwa 1. Advent ???




1. 12. 1967, 




Liebste Mutter!


Kommando zurück:


Folgendes hat sich ereignet: Wie ich Dir schrieb, habe ich im Schweisse meines Angesichts 100 von den herrlichen Weihnachtskarten selbst gedruckt. So bekam ich die Idee, hier in den Hotels mal nach Weihnachtskarten Ausschau zu halten und siehe da, ich entdeckte eine gewaltige Marktlücke. Es gibt hier nämlich keine. 


Daher war es verständlich, dass der Hotelmensch mir gleich alle 100 aus der Hand riss und weitere bestellte. Ich also alle Hotels und Botschaften abgeklappert und Aufträge gesammelt! Es klappt. Habe also gleich 500 machen lassen, die in der Zwischenzeit fast alle wieder weg sind. Hundert kosten mich 15 Rupies (6 DM) und verkaufen kann ich alle 100 für 120 Rupies (48 DM). Du kannst Dir meinen Profit vorstellen! Wie viele ich verkaufen kann, bis der Markt gedeckt ist, kann ich noch nicht absehen, da ein Auftrag dem andern folgt. (Eben habe ich 150 Karten an die „Deutsche Entwicklungshilfe“ verkauft!) Jubel, trubel. 


Weiter in Sache Idee haben: Dem Manager des Soltee Hotels (es gehört der Königsfamilie und ist im Hilton-Stil, eine Nacht 90 Rupies = 36 DM, ein Vermögen, da der Rupie hier und in Indien die Kaufkraft von ungefähr 1 DM hat) zeigte ich einige meiner hier in den Tempeln gemachten Skizzen. Er kaufte sie sofort alle und gab mir den Auftrag, 60 (in Worten: sechzig) davon zu machen. Teilweise in Aquarell, teilweise in Tusche, ganz wie ich will. 


Jetzt mache ich täglich 4 – 5 Skizzen hier in Katmandu und in den Orten ringsum, Abends falte ich meine Weihnachtskarten und verkaufe sie zwischendurch. Ach ja, für eine Skizze zahlt man mir 4 DM = 1 Dollar = 10 Rupies. Da biste platt, was? Ich bin’s jedenfalls. Also ich habe gleich mein Visum verlängert bis 5. Januar. Da alles so rosig aussieht und ich mehr denn je verdiene, (bedenke, dass mich ein Tag leben, Hotel und mächtiges Futtern 10 Rupies pro Tag kostet) werde ich hier noch ausharren und schaffe, Kreuzerle verdienen. 


Schreibe mir also weiterhin zur German Embassy, Katmandu. Die Briefe in Calcutta werde ich später abholen. Ich werde Dir, sobald ich meinen Plan ändern werde, schreiben. Das könnte dann sein, wenn irgendeiner meiner Auftraggeber seinen Plan ändert, was jedoch nicht so aussieht im Augenblick. Sollte mich mal jemand über das Land Nepal befragen, kann ich nur in Jubelgeschrei antworten. Die erste Zeit, die Festivals, dann der Wagenverkauf, die Wanderung zum Mount Everest und jetzt die Sache mit den Kreuzerle, es ist nicht zu glauben. 


Die Idee mit den Weihnachtskarten kam mir übrigens in Periche, der kleinen Hütte mit den Magenkrämpfen! Jetzt werde ich mal sehen, was meine Weihnachtskarten in Deutschland anrichten können. Mit der nächsten Post werde ich mal 200 schicken. Meinst Du, ich sollte einige Onkel Willi geben? Doch das demnächst. Ebenfalls warten die 140 Super-Drucke auf Reispapier vom tibetanischen Kloster in Tangboche auf die Versendung nach Deutschland. (Das wird wieder schönes Porto kosten, das Tagebuch hat 25 Rupies gekostet). Schreib mir doch schnell, ob es angekommen ist!


Hab Verständnis für die Kürze heute, aber ich bin völlig aus dem Häuschen!


Sei vielmals umarmt und gedrückt von Deinem Erfolgsmenschen


Kannst Du Rolf mal die Karte zeigen? Mir fällt gerade ein, dass er die Branche gut kennt. Schreib mir, was er davon hält, wie viele und für wie viel ich eine Karte mit passendem Reispapier-Umschlag gegebenenfalls verkaufen und senden soll. Doch vielleicht ist es für Deutschland jetzt schon zu spät.



2. 12. 67  



Liebe Mutter, lieber Volker, liebe Geschäftsfreunde!


Eben ist es also weggegangen und wird, so gebe es Gott, in einigen Tagen wohl nach diesem Brief bei Euch eintrudeln, mein Paket mit den Weihnachtskarten. Ich habe es per Einschreiben geschickt. Ich habe also folgende Vorstellung: Falls Interesse vorhanden, kannst Du, lieber Volker, einige davon in der Schule verkaufen. Weiterhin überlasse ich es Dir und Deiner Geschäftstüchtigkeit, die restlichen unter Einschaltung aller Bekannten und Verwandten (Onkel Willi ???) zu verkloppen. Über den Preis habe ich nur vage Vorstellungen, denke mir aber, dass sie mit Umschlag für 1 DM pro Stück*, gemessen an ihrer Aussergewöhnlichkeit, gehen könnten. Das wäre bereits ein Heidenverdienst für mich. 250 Stück haben mich ungefähr 15 DM gekostet, Porto war 28 DM. Das sind die Selbstkosten, die ich aber durch den Verkauf anderer Karten hier schon raus habe. 


Falls ich es noch nicht zusammenhängend gesagt habe, es sind „Handdrucke“ einer tibetanischen Gebetsfahne auf „handgeschöpftem Reispapier“ mit Reispapierumschlägen. Vielleicht ist sogar irgendein gutes Schreibwarengeschäft daran interessiert. Nehme gern weitere Aufträge an, auch für’s nächste Jahr. (Man bedenke, dass ich nächstes Jahr nicht mehr hier bin). Was hält Rolf davon? Sollte ich mich im Erfolg meiner Idee täuschen, so ist der Verlust auch nicht zu arg, da ich eben hier verdientes Geld investiert habe, meine Reisekasse selbst habe ich damit, wenn man so will, nicht angegriffen. 


Die grossen Holzschnitte werde ich die Tage mal folgen lassen. Jetzt bin ich nur mal gespannt, was für eine Nachricht ich demnächst von Euch bekommen werde. Hoffentlich haut es so hin, wie ich mir das so in meinem jugendlichen Elan vorstelle. Übrigens lassen sich die Schriftzeichen nur schwer, das heisst hier gar nicht übersetzen, da es sich um „Mandras“, das sind verschlüsselte Gebetssprüche, handelt, so wie „om mane padme hum“! Eine Übersetzung würde Bücher füllen.


Viele Grüsse und die besten Wünsche, Euer Hans


*Den Verkaufspreis pro Karte soll Volker am besten selbst bestimmen, ebenso seine Prozente für die Arbeit, die er hat !!!



16. 12. 67

Studierender Volker Krause, Werkkunstschule Krefeld,


Mein Schatz!


Heute ist so ein richtig schöner, typisch nepalesischer Tag. Da ich die Fensterlade meines Hotelzimmerchens nicht offen hatte und mich der weckende Sonnenstrahl nicht treffen konnte, drömelte ich erst um 12 Uhr aus dem Schlafsack. Mein Frühstück dauerte einiges, ein Laib Brot, Scheibe um Scheibe genüsslich mit Erdnussbutter bestrichen. Gähnend bestieg ich mein neu erworbenes quietschendes Fahrrad, noch den Haschischgeruch in der Nase, der aus den Nebenzimmern in den düsteren Flur steigt. Die Hippies halten Frühstück. Einige Hundert Meter weit muss ich über Matsch und Dreck, durch Hundemeuten, Kühe und halbnackte Kinderhorden schieben, durch eine enge Gasse, an zwei Brunnen vorbei, an denen braune junge Schönheiten sitzen und hocken, sich und braune Hände waschen und sich ungeniert nackt einsalben.


Dass heute nichts wird mit schönen Bildchen malen, hatte ich schon morgens vermutet, um mich aber selbst etwas zu beschwichtigen, renne ich trotzdem mit Zeichenblock und Aquarellkasten herum. Ich fahre nach Patan, einer kleinen Ortschaft in der Nähe Katmandus, wo es Tempel gibt wie bei uns Verkehrsampeln, nämlich an jeder Ecke. Die Tempel sind zwar alle schööön, doch ich kann sie nach 25 Zeichnungen nicht mehr sehen. 


Auf dem Weg bleibe ich eine Stunde an einer Strassenbaustelle stehen. Sie ist so gross, dass sie in Deutschland von 3, höchstens von 5 Strassenarbeitern in spätestens 5 Tagen fertig gestellt würde. Hier arbeiten seit einer Woche mindestens 40 Mann und Frau. Ich bleibe stehen, fasziniert von den langsamen bedächtigen Bewegungen, studiere die hundert Arten des sich Drückens. In der Mitte sitzt eine Art Aufsichtsperson auf groben Steinen in einem hölzernen Sessel und sonnt sich zwischen der munteren Kolonne, die eigentlich nicht mehr tut, als den Pickel fallen lassen. Ich bedaure, nicht eine Filmkamera mit Tele zu haben, das würde ein Stummfilm! Die Gesichter und die Bewegungen sprechen Bände. 


Der letzten Arbeitsfreude beraubt, fahre ich zwar nach Patan hinaus, werde jedoch dort endgültig von meiner angeborenen Faulheit übermannt. Also nichts mit Tempel schauen für heute. So finde ich mich hier beim Zitronentee wieder, der Tisch schlägt im Takt meiner Kugelschreiberwindung gegen den Schrank, in dem ich eine Rattenfamilie vermute. Ich bin hier eine Ausnahme, nicht dem Hasch, dem Zitronentee verfallen.


Doch zu den Drucken, die, das walte Gott, hoffentlich in der Zwischenzeit bei meiner Mutter angekommen sind. Es sind alles Holzschnitte, die in einem Kloster gleich am Everest existieren. Die Druckstöcke waren, bis auf jenen einen, unverkäuflich, und so gab ich einem Mönchen den Auftrag, von jedem einige gute Abzüge zu machen. Ich wäre bald zum Lustmörder geworden, als ich sah, was er unter guten Abzügen verstand, doch was sollte ich machen, ich war froh, dass wenigstens einige darunter gut waren. Sie werden mit selbst gemachter Tusche beschmiert und abgezogen. Dann tapezieren die Sherpas ihre Türen und Räume damit, natürlich keineswegs aus künstlerischen Gesichtspunkten. Alle zusammen haben mich mit dem Transport 28 DM gekostet. So ist alles, was darüber liegt, mein Verdienst. Du kannst also den Preis gut selbst bestimmen. Ich glaube, dass die 25 grössten wohl am teuersten sein sollten, zwischen 5 und 10 Mark, oder fange ich langsam an, grössenwahnsinnig zu werden?


 Schau doch mal für mich in einen der Kunstläden rein, was sie davon halten. Ich habe es so gedreht, dass ich jederzeit neue bekommen kann. Ein Sherpafreund wird das dann für mich regeln. Doch schau selbst, was Du darüber meinst, ich bin nicht sauer, wenn alles nur Hirngespinste von mir waren. Ich möchte auch, dass Du Dir einen Teil behältst. Sei so gut und lege mir von jedem Druck ein gutes Exemplar zur Seite, sonst habe ich nachher selbst keine.


So, das wär’s für heute. Wenn Du irgendwann mal eine sonnige Minute hast, dann überwinde Deine Schreibfaulheit, ich freue mich über jede Zeile. Schick sie nach Colombo/Ceylon, poste restante.


Ich wünsche Dir ein schönes, faules Weihnachten und ein erfolgreiches Neues Jahr. Mensch, wäre das klasse, wenn Du mir nachfahren würdest! Doch vielleicht fehlen Dir die Penunzen.

Ich werde auf meine Weihnachtspalme eine Kerze für Dich setzen.


Hans



16. 12. 1967

Katmandu



Lieber Rolf,


Zweifellos spornt ein neuer Schreibblock an, einen besonders schööönen, langen Brief zu schreiben, zumal in der geheiligten Vorweihnachtszeit, im warmen Zimmer, draussen Eis und Schnee, Eisblumenstrauss am Fenster.


Doch sieht’s hier so anders aus, dass ich bei einem Sommerwetter (das Dir an Deiner Arbeitsstelle jegliche Lust am kapitalistischen Schachern nehmen würde), in einem kleinen Teeschuppen sitze, der Besitzer und die Bedienung schlitzäugig tibetanisch, der Stuhl wackelt, und der Tisch schlägt im Takt meiner Kugelschreibermine gegen einen Schrank. Ich kann durch einen dünnen Vorhang auf die Strasse sehen, wo es bunt daherquirlt, ein Durcheinander von Fahrrädern, die klingeln, von Rikschas, die tröhten, von Autos, die hupen, von Trägern, die brüllen - alles braucht Platz und bekommt ihn auf geheimnisvoll endknetender Weise. Ich werde also abgelenkt, doch hier gibt’s Zitronentee, dem ich verfallen bin - am Schluss sag ich Dir, wie oft ich unterbrochen wurde von unschuldigen Störern. 


(1. Störung, ich spiele mit dem Besitzer Schach! – Habe gewonnen!)


Das war wirklich eine tolle Sache : Hänschen am Everest. Zurück, gebe ich natürlich gewaltig an überall, aber es war wirklich hart, und ich bin sehr stolz auf meine Leistung. Vielleicht hatten wir, ein junger Engländer namens Colin und Tsering, unser Sherpa und ich, ein wenig Glück mit dem Wetter und der schönen Jahreszeit, doch ausschlaggebend war unser gutes Verhältnis zueinander. Ich hatte eigentlich keinen richtigen Sinn für die „Schönheit der Bergwelt“ gehabt, doch jetzt bin ich Fanatiker geworden. Es ist einfach umwerfend, zwischen solchen Eisriesen zu stehen an einem Gletscher, aus dem es kracht und knirscht. Sei mir nicht böse, wenn ich Dir nicht die Einzelheiten des Marsches erzähle, doch ich habe in der Zwischenzeit wohl hundertmal erzählt und berichtet in Briefen und hier im Tal, und nichts ist anstrengender als Wiederholung. Ich will Dich daher bitten, das Tagebuch, das ich während des Weges schrieb und meiner Mutter schickte, zu lesen. Die Eindrücke sind dort wohl etwas frischer geschildert.


Nach vier Wochen Bergwelt kam mir das Treiben hier in Kathmandu vor wie die Spitze der Zivilisation, Autohupen, elektrisches Licht und Transistorradios. Doch bald hatte ich wieder Sehnsucht nach einem Wechsel. Ich fand eine kleine Druckerei hier und fing an von alten Holzscnitten „Weihnachtskarten“ zu drucken. Mit 100 Stück fing es an. Fragste mal, denk ich mir, in einem Hotel nach, und siehe da, ich hatte in ein Goldnäpfchen getreten. Gestern habe ich die 1000. Karte gedruckt, und schon am Abend war ich fast alle wieder los. Dann fing ich an, schöööne Bildchen von Tempeln mit blauem Himmel zu malen, verkaufte alle en gros an ein anderes Hotel und bekam gleich den Auftrag für mehr. So fand ich plötzlich meinen kleinen Alltag, und es machte Spass, anfangs. Jetzt kann ich keine Tempel mehr sehen, und ich bemerke, dass Zeichnungen, die nur für den Verkauf gemacht werden, einem bald zum Halse heraushängen. So überkommt mich meine angeborene Faulheit, wie heute, und ich ziehe es vor, herumzusitzen und Zitronentee zu trinken. Morgen, ja morgen, werde ich wieder Tempel aquarellieren, für den amerikanischen Tourismus in Nepal. 


Kathmandu ist ein gemütliches Städtchen, man findet immer jemanden, der mit einem plaudert, Schach spielt und zum Tee einlädt. Katmandu kann sogar gefährlich gemütlich werden. Hier ist alles Rauschgift legal, es gibt keine Gesetze, die es verbieten. Viele lassen sich hier für 2 DM von einem Arzt alle möglichen Spritzen setzen. Marihuana wird hier geraucht, wie Du voreinst Deine Stuyvesant. Und wie ! Ein Paradies für Hippies und Gammler, doch auch schon mancher bürgerliche Tourist entpuppt sich hier als opiumsüchtig. Alles Geld, das sich die Gammler zusammenschnorren, betteln und auch stehlen, wandert in das von der Regierung gesteuerte Haschisch- und Drogengeschäft. Man kauft hier im Government-Shop. 


Vor 6 Wochen kam hier eine Art Hippie-König aus Amerika an, langhaarig und bärtig, in „echter“ Sarazenenkluft, renovierte ein einheimisches Teelädchen auf eigene Kosten zur Halbweltklause (rotes Licht und LSD-Malerei an den Wänden), kaufte Zelte und eine komplette Ausrüstung für ein Feldlager von hiesigen Armeebestaenden, und plötzlich war Katmandu wie ausgestorben. Alles fuhr raus zum „Camp“ und liess sich LSD, Beatle-Musik, Haschisch und die Sicht auf die Berge schmecken. Die Zeitungen wollten etwas vom geplanten Bau eines Hippie-Tempels wissen. Man stellte einen Camp Stempel her und stempelte sich selbst den Pass, bis eines Tages der King verhaftet und 50 langhaarige Vertreter des westlichen Klassenkampfes auf Lastwagen nach Indien deportiert wurden. 


Jetzt sind fast alle wieder da. Der King Lee, der bereits 5000 Dollar gespendet hatte, läuft nach einer weiteren dicken Spende an den Polizeichef wieder frei herum, obwohl jeder weiss, dass er sein Geld durch die Produktion von LSD verdiente und in Amerika 10 Jahre Knast auf ihn warten. Doch das Camp löste sich inzwischen in Wohlgefallen auf, und nun dampfen die Hotels wieder vertrauten Haschischqualm. Der Duft Nepals: Haschisch und Scheisse. 


Es ist also nett in Katmandu, doch ich schwöre – von eigenen Probereisen auf Haschisch-Kissen abgesehen, auf den Zitronentee. Mein Rucksack ist schon halb gepackt. Wenn Dich der Brief erreicht, werde ich sicher schon auf der Bahn nach Ceylon liegen. Wo ich Heiligabend sein werde, ist noch zweifelhaft, es liegt eben so viel an Glück und Zufall hier in Asien, vor allem in Indien. Sollten jedoch Kerzen an meiner Weihnachtspalme halten, werde ich auch eine für Dich setzen. Manchmal, wenn ich jetzt so an zu Hause denke, kommt mir doch der Wunsch, mit meiner Familie zusammen zu sitzen. Um keine weiteren Heimwehgefühle zu bekommen, wäre es mir gar nicht so unrecht, am Heiligabend irgendwo auf einem Zug zu hocken, hundert liebenswürdige Menschen um mich, die mich durch wohlgemeinte Schubser, durch Drücken und Stossen und auf-die-Füsse-treten, mich in interessante Gespräche über Family-Planning und das Befinden meiner Familie verwickeln und mich durch all diese schönen Dinge von Deutschgefühlen ablenken. Hab ich einmal den Strand und die Palmen in Ceylon, wird mich die Sonne auftauen, und ich bin wieder „on the road“.


Was ich Dir hier mitsende, ist der Abdruck meiner Gebetsfahne, von der unser Sherpa schwor, sie würde Glück bringen. Und ich muss sagen, in meinem Fall hat er Recht behalten. Durch sein ewiges om mane padme hum-Gemurmel hat er mich schon halb zum Buddhismus bekehrt, und so empfehle ich Dir ebenfalls, sie an einer luftigen Stelle in Deiner Wohnung aufzuhängen. Sicher bringt sie auch Dir Glück, und ausserdem denke an die Wirkung durch den Kontrast zu den christlichen Motiven in Deiner Behausung.


Für heute sei freundschaftlich umarmt von Deinem


Hans























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