18. 4. 67
Liebe Mutter!
Kurz schon mal einen Gruss aus Belgrad. Herrlicher Sonnenschein und gute Stimmung. Wagen läuft prima obwohl er ja ganz schön beladen ist. Der nächste Gruss kommt dann aus Istanbul, Inshallah ...
Dein Hans
Liebe Mutter!
Noch ist keine Woche um, und wir sind schon in Istanbul. Es klappt einfach alles ganz toll.
Trotz echtem Aprilwetter ist es mal wieder ein Vergnügen sich hier herumzudrücken. Ich werde Dir in einigen Tagen wohl den ersten ausführlichen Brief schicken. Im Augenblick bin ich mal wieder so mit Eindrücken ausgefüllt, dass ich keine Ruhe dazu habe.
Viele Grüsse und Küsse Dein Hans
4. 5. 67
Liebe Mutter!
Ich glaube ich war noch nie so beschäftigt wie die letzten Tage. Von Istanbul sind wir nach Ankara, von dort nach Göreme (Höhlendörfer) wo wir ein paar Tage waren und auch viel gezeichnet haben. Von dort ans Meer nach Kizkalesi. Das Wetter war zwar nicht so besonders, aber trotzdem war ich sehr viel im Wasser und habe für einige Mahlzeiten Fische geschossen. Wir sind jetzt auf dem Weg nach Persien und zwar nicht wie eigentlich geplant über die Ost-Türkei sondern über Jerusalem – Bagdad. Die gleiche Strecke also, die ich letztes Jahr auf dem Rückweg gemacht habe. Ich fühle mich hier schon etwas einheimisch, da ich überall alte Bekannte von meinen früheren Reisen treffe. Trotzdem immer wieder Neues von morgens bis abends. Verzeih bitte meine jetzige Schreibfaulheit, aber ich habe mir jetzt doch fest vorgenommen jede Woche zu schreiben. Deine Karte habe ich erhalten aber den Brief noch nicht, er wird wohl in Teheran sein.
Viele liebe Grüsse von deinem Söhnlein Hans
(undatiert)
Liebe Mutter!
Grade bin ich in Damaskus angekommen und möchte Dir gleich von der Post hier einen Gruss zum Muttertag senden. Also alles Liebe und Schöne und mache Dir nicht so viel Sorgen um mich. Achte auf Dich, damit ich Dich gesund wiederfinde!! Ich fühle mich langsam aber sicher richtig wohl auf meiner Reise. Wir haben sehr viel gesehen in der Zwischenzeit und viel erlebt. Wir waren in der Syrischen Wüste (Palmyra), sind dann in den Libanon über Tripolis nach Beirut und von dort über Balbek nach Damaskus gereist. Eigenes Geld habe ich bis jetzt kaum ausgegeben. Wir leben wie Fürsten von den Konserven und von eingetauschten Sachen. Für Sprit brauchen wir auch kaum Geld. Einfach Klasse. Wir haben zwei Frankfurter Pärchen getroffen, die genau die gleiche Strecke nach Indien fahren wollen. Nette Typen.
Grüsse die ganze Familie von mir, sei Du jedoch herzlich geküsst von Deinem Hans
Liebe Mutter!
Sicherlich bist Du wieder etwas in Unruhe was wohl mit mir in der Zwischenzeit geschehen ist. Ich habe zwar schon einmal einen Brief an Dich angefangen, aber da kam wieder etwas dazwischen und schon sind seither wieder zwei Tage vergangen. Jetzt stehe ich in der Hauptpost in Bagdad und will Dir wenigstens in kürze etwas von unserer Reise berichten.
Von Damaskus aus sind wir also nach Jerusalem gefahren, wo wir 3 Tage geblieben sind. Von dort aus machten wir einen Abstecher ans Rote Meer nach Aquaba. Es ist einfach unmöglich zu beschreiben, was sich dort im Wasser alles tut. Der Küstenstreifen ist zwar ziemlich trostlos da, kein Baum, nichts, nur Wüste, aber sobald man die Nase unter die Wasseroberfläche steckt, entdeckt man ein Paradies. Du erinnerst Dich bestimmt an die Filme von Hans Hass vom Roten Meer. Es ist jedoch ganz einzigartig, das einmal alles selbst zu erleben. Den ganzen Tag verbrachten wir mit Harpune und Taucherbrille, und ich habe alleine zwei Fischmahlzeiten für 7 Personen geschossen. Der grösste Fisch war wohl 60 cm lang und wog 5 kg. Ein phantastisches Leben unter Wasser. Wir haben auch tatsächlich mit vereinten Kräften einen Stachelrochen von 1,50 m geschossen, der auch im Topf landete. Das war ziemlich aufregend, da sie ganz schön gefährlich werden können. Ausserdem habe ich 10 Haie von ungefähr 4 – 6 m Länge gesichtet, die uns allen einen gehörigen Schreck eingejagt haben.
Wir waren also gerade zwei Tage dort am Strand, als wir über unser Radio die Nachrichten über die politische Lage zwischen den Arabischen Ländern und Israel unterrichtet wurden. Ich wäre wirklich noch gerne ein paar Tage in Aquaba geblieben, aber die Demokratie, die unter uns eingeführt wurde, entschied gegen mich. Da wir nun an einem strategisch sehr wichtigen Punkt, nämlich am Schnittpunkt zwischen Ägypten, Israel, Jordanien und Saudi Arabien lagen, war die Lage etwas mulmig und wir machten uns noch in der Nacht auf nach Amman und non-stop weiter durch die Wüste nach Bagdad, wo wir etwas vom Schuss sind und wollen heute noch weiter in Richtung Kuweit, wo wir unser Blut so teuer wie möglich spenden werden.
Hier in Bagdad ist es mal wieder „etwas wärmer“ geworden, aber ich fühle mich sauwohl. Leider habe ich keine Nachricht bis jetzt von Euch, aber ich bin sicher, dass das an der Schlamperei der hiesigen Kanackenpost und nicht an Euch liegt. Meinen Geburtstag habe ich zum ersten mal in der Wüste gefeiert, was wohl auch was wert ist.
So liebe Mutter, jetzt habe ich etwas mein Gewissen erleichtert und Du bist wohl auch froh, wieder was von mir zu hören. Ich verspreche, Dir einen ausführlichen Bericht aus Isfahan in Persien zu schreiben, da das der nächste Ort ist, an dem wir einige Tage verweilen werden.
In der Hoffnung, dass Ihr alle gesund und munter seid, grüsse ich Dich und meine Lieben in Krefeld und Marburg recht herzlich,
Dein Hans
Grüsse von Walter und Peter.
Liebe Mutter! Liebe Familie! Liebe Freunde !
Walter und Peter sind heute nach Isfahan in die Stadt gegangen, um alles das, was ich schon durch meine früheren Besuche kenne, noch zu sehen. Ich selbst rühre mich heute nicht von der Stelle, sondern lege einen Tag der Ruhe ein, um alles das, was ich bis jetzt gesehen und erlebt habe, ein wenig zu verdauen und auch durch den Bericht, den ich Dir jetzt sende, an mir vorüberziehen zu lassen. Schon längst hättest Du solch einen Bericht erhalten sollen, jedoch es blieb nur immer gerade Zeit für eine kurze Karte, ein Lebenszeichen halt, das Dir etwas Sorge um Dein Söhnlein nehmen sollte.
Ich sitze also jetzt hier in einem Garten ausserhalb von Isfahan, die Reste des Frühstücks noch vor mir auf dem Tisch. Es ist 11 Uhr morgens, ziemlich warm, doch im Schatten der Kirschbäume recht angenehm. Amerikanische Zigaretten aus Kuweit und ein paar Flaschen Persischen Bier, es lässt sich aushalten. Den zweiten Tag sind wir jetzt hier, die erste Nacht haben wir in einem kleinen Wäldchen kampiert, heute Nacht jedoch haben wir einen Platz im Evangelischen Blindenheim, das von Deutschen geleitet wird, bekommen, in dessen Garten ich also jetzt sitze. Wie ich hierher gekommen bin, das will ich Dir also jetzt berichten, etwas mehr im Zusammenhang, als Du es durch meine Karten erfahren hast. Aber wo beginnen? Am besten am Anfang, der jetzt schon fast zwei Monate zurückliegt. Mir scheint es viel länger, da jeder Tag Neues brachte.
Der Abschied von Euch war mir doch etwas schwerer gefallen, als ich erwartet hatte, und der Wasserpegel in meinem Hals war doch bedenklich hoch, als wir einstiegen und schleunigst losbrausten. Ich sass also im Wagen mit recht gemischtem Innenleben, die Freude auf das Kommende und die Traurigkeit, vieles Liebe und Gute zurückzulassen. Diese Stimmung blieb und wird wohl noch ne Weile bleiben, wenn auch durch die Faszination des Augenblicks meist die Freude überwiegt.
Nicht viel anders war es dann auch beim Abschied von Walters Familie, bis die Spannung sich dann auf der Autobahn nach München mit jedem Kilometer allmählich löste. Die erste Nacht schliefen wir bei Walters Schwester in Nürnberg, besuchten am anderen Tag in München kurz noch Christel, die wir mitten im Umzug überraschten, und näherten uns bald der jugoslawischen Grenze, durch das verschneite Österreich über schlechte Strassen, die durch die Frostaufbrüche des Winters eher Ackerwegen glichen. Wir nahmen von einer Baustelle als Erinnerung noch eine Strassenlaterne Made in Germany mit, die uns bis heute jeden Abend deutsches Petroleumlicht spendet.
Es galt Jugoslawien und Bulgarien zu überbrücken; die Landschaft links und rechts der Autoput (wie die Strasse zwischen Zagreb und Belgrad heisst), in ihrer Eintönigkeit eher lästig als schön, war sie für uns ja doch nur dazu da, uns dem Orient, also der Türkei und Istanbul, näher zu bringen.
Uebernachtungen im Auto irgendwo am Strassenrand; es regnete in Strömen und so war das erste Gastgeschenk des Orients für uns drei ein gehöriger Schnupfen, den wir zuerst einmal mit Unmengen Tee zu bewältigen hatten. Der erste Tag in Istanbul galt also der Körperpflege und Gesundheitsreinigungen, wir stiegen dazu in einem der uns bekannten billigen Hotels ab, wuschen uns und einige Klamotten, reparierten Reifen und Nasen. Langsam trat wieder Ruhe ein, wir konnten uns auf Istanbul konzentrieren. Die Stadt gebärdete sich wie eine alte Bekannte beim Wiedersehen, laut und aufgeregt, jedoch schien es ihr gleichgültig, ob ich das zweite oder fünfte Mal bei ihr war, sie störte sich wenig an mir, und die Wiedersehensfreude war allein auf meiner Seite. Fast nichts hatte sich verändert, das gleiche Getümmel auf den Strassen und im Bazar, der gleiche Lärm und Dreck, das gleiche Vertrauen auf Allahs Hilfe im Verkehr, nur mein Teeladen an der grossen Blauen Moschee war verschwunden und musste einem neuen neonbeleuchteten Laden Platz machen, was ich sehr bedauerte, da ich in der alten schmuddeligen Bude so manche faule Stunde verbracht hatte.
Ich weiss jetzt gar nicht mehr, ob wir drei oder vier Tage in Istanbul waren, auf jeden Fall hat's mir wieder Spass gemacht, so durch die Strassen und Winkel zu wandern, nach einem Platzregen halb durchnässt in einem Teehaus abzutauen, zu sehen und zu hören, was ringsum geschieht. Schneller als erwartet fiel uns dann wieder ein, dass wir ja weiter wollten, also über den Bosporus Europa verlassen, nach Asien! (So wie’s sich anhört, so fühlt man’s dann auch).
Peter, der das alles zum erstenmal erlebte, musste sich nun umstellen auf die orientalische Fahrweise, und so wunderte er sich noch darüber, dass man auf der Strasse sitzt, lebt, Vieh hält, dass ein Zeichen mit dem Winker heisst, ich biege rechts, links oder überhaupt nicht ab, dass man auf einer Autobahn die Abwechslung liebt und auch mal auf der entgegengesetzten Fahrspur fährt, dass der die Vorfahrt hat, der schneller beschleunigt oder stärker ist.
(Ach so, ich vergass zu berichten, dass wir von Jugoslawien ab kein Bargeld für Benzin bezahlt haben. Immer tauschten wir unsere mitgebrachten alten Klamottensammlung gegen Benzin ein, - das Meistergeschäft: 80 Liter gegen eine Anzugjacke. Ausserdem haben wir unsere Krawatten im Bazaar für 470,- DM verkauft, was unserer Gemeinschaftsfresskasse sehr gut tat).
Die Landschaft bis Ankara, unserer nächsten Etappe, ist abwechslungsreich, zuerst eine kurvenreiche Küstenstrasse, dann eine weite, fruchtbare Tiefebene, die schon zur Zeit der alten Griechen durch ihre Pferdezucht und ihre reichen Ernten bekannt war. Dann tuckern wir im zweiten Gang einen steilen Pass hinauf auf das karge Hochland Anatoliens, die Dörfer, durch die wir fahren, werden immer ärmlicher, wo in der Ebene schon Frühling war, ist jetzt wieder Winter, und doch überzieht eine dünne, grüne Haut die Berge, die im Sommer braun und staubig wird. Vor Ankara aus gen Sueden müssen wir noch einmal ein Gebirge überwinden. Wir fahren durch eine wilde Berglandschaft mit grünen Latschenwäldern, Schneewehen und Gebirgsflüssen, machen halt, vertreten unsere steifen Beine und stehen unversehens in Blumenbeeten mit Moos und allen möglichen Arten von Gebirgspflanzen. Die Menschen hier leben in Armut, meist in Holzhütten, teilweise in niedrigen Lehmhäusern, die mehr Erdlöchern als Wohnungen gleichen. Dann sind wir in Ankara, auch einer Siebenhügelstadt wie Istanbul, das sich westlich zeigen will und doch so orientalisch lebt.
Peter hat eine Adresse in der Tasche, und nach einigem Suchen sitzen wir in der Wohnung des Herrn Max Meinecke, seines Zeichens Gastintendant und Regisseur am Staatstheater in Ankara, und diskutieren über dies und jenes, über moderne Kunst und alte Ikonen, über anatolische Teppiche und über das Living Theatre, bekommen belegte Brötchen und Whisky. Er wünscht uns viel Glück und „schreiben Sie doch mal ne Karte“, und wir verabschieden uns gegen Mitternacht, nicht ganz gesättigt, parken unseren Wagen unter einer Laterne auf der Hauptstrasse der Stadt und begeben uns zur Ruhe.
Am anderen Morgen machen wir einen Besuch in der Deutschen Botschaft und erfahren dort, dass Herr Adenauer gestorben und keine Post für uns da ist, was uns beides betrübt. Wir waren schon in Istanbul des öfteren auf der Botschaft, haben jedoch nirgends Post erhalten, nur auf der Hauptpost eine Karte von Dir, poste restante, in der Du schreibst, Du hättest Briefe an mich zur Botschaft geschrieben. Hoffentlich nur gute Nachrichten. Seit einiger Zeit nennen wir die Einheimischen liebevoll „Kanacken“, aber sind richtig sauer über die Kanacken-Post. Doch ich schweife ab.
Nach unserer Besichtigung Ankaras war unser nächstes Ziel die Höhlenkirchen von Göreme und ein Besuch der Ortschaft Ortahishar in der Nähe, wo ich im Vorjahr zusammen mit Volker auf einer Hochzeit eingeladen und Trauzeuge wurde. In Ortahishar gab’s dann wieder einige bekannte Gesichter, die uns freundlich einluden zu einigen Tassen çay oder zum Wein, der dort angepflanzt wird und sogar schmeckt.
In einem verrauchten Teehaus dann setzten wir uns an einen Tisch, an dem einige stattliche Erscheinungen sassen, wovon sich der dickste und bärtigste als Bürgermeister vorstellte. Das Wort "Bürgermeischter“ war auch das einzige deutsche Wort, das er kannte, doch mit Hilfe eines Wörterbuchs und meiner spärlichen Kenntnisse Türkisch unterhielten uns mit „Händ’ und Füss“, und bald kam eine Unterhaltung zustande, die dann jedoch nicht ohne Missverständnisse verlief. Wie ich verstand, wollte er uns zu sich nach Hause einladen, was wir gerne annahmen, und so brachen wir dann auf und schlenderten durch’s Dorf, dann weiter durch die Nacht. Bald kam ein kleiner Junge zu uns, der soviel Englisch wie ich Türkisch konnte, und durch den liess er nach einiger Zeit dann bescheiden anfragen, wo wir denn überhaupt hingingen …
Wir blieben noch einige Tage in der Gegend, fuhren zu abgelegenen Tälern, die ich noch nicht kannte, fühlten uns ganz auf Entdeckungsreise und stiegen in schatzgräberischer Absicht zu versteckten Kirchen und Höhlen hinauf, fanden natürlich nichts, waren abends hundemüde und staubbedeckt, aber glücklich über das Gesehene und Erlebte. Beim Zeichnen in den Winkeln des Dorfes habe ich dann auch den ersten saftigen Sonnenbrand abbekommen, nahm ihn aber gern in Kauf, da das die erste gute Skizze war.
Am letzten Tag dort machten wir die Bekanntschaft zweier junger Pärchen im VW-Bus, die den gleichen Plan wie wir heckten: nach Nepal und über die gleiche Strecke. Wir wollten ja eigentlich sofort von der Türkei aus direkt nach Persien, aber änderten unseren Plan, da uns die Strassen in der Osttürkei und bis Teheran sehr schlecht und noch verschneit erschienen. Wir entschieden uns daher die gleiche Strecke, die ich im letzten Sommer 1966 von Teheran aus zurückgetrammt war. Jetzt ging es also weiter Richtung Syrien, Libanon, Jordanien, Irak nach Teheran.
Diese Strecke ist zwar um etwa zweitausend Kilometer länger, jedoch nach unseren Karten immer auf Asphalt. Da unser Wagen ja doch sehr überladen war, entschlossen wir uns dann für diese Strecke, zumal sie sehr viel mehr Sehenswürdigkeiten als die andere, direktere Rute bietet.
Bevor wir uns aber nun auf diese Reise begeben wollten, sehnten wir uns nach einigen Tagen Faulheit am Meer. Nichts lag da näher als mein Lieblingsplatz Kizkalesi. Dort angekommen, nach einer Nachtfahrt durch das Taurusgebirge, schlugen wir am alten Platz unser Lager auf, und keine Wiedersehensfreude mit alten Bekannten im Dorf konnte mich am anderen Morgen davon abhalten, mit gespannter Harpune und gespannten Nerven auf den tropfnassen Flossenspuren eines Herrn Hass zu wandeln, das heisst zu tauchen, und so habe ich dann auch gleich mindestens 50 mal danebengeschossen, mich hoffnungslos in der Harpunenspur verheddert; die dicken Brummer kamen ganz nahe, wenn ich gerade die Harpune gesichert hatte oder verschwanden in dem Moment in dem ich schiessen wollte. Die Beute war ein Fischlein von 6 cm Länge, das mir dann bis zum Abend die Ameisen angefressen haben. Dennoch war ich meist im Wasser, bis meine Jagt geklappt hat und ich schon mal ne Mahlzeit zusammengeschossen hatte. Wie Du mich kennst, es gab da keine freie Minute.
Das Hinterland von Kizkalesi ist bedeckt mit Ruinen und Sarkophagen römischer und griechischer Herkunft. Ausserdem haben dazu die alten Araber und die Kreuzritter die Guten, einiges dort hinterlassen (man sagt Kaiser Barbarossa ertrank 5 km von hier beim morgendlichen Bade im Bach). Die einheimischen Kinder und Väter kommen mit Taschen voll altem oder gar antikem Zeugs daher und gehen uns mit ihren Dollarpreisen auf die Nerven. Was lag da also näher, als sich selbst mit Spaten und Brecheisen zu bewaffnen und über holpriges Gestein (viel Steine gab’s und wenig Brot) bei nächtlicher Stund, mit Schatzgräberstimmung im Herzen und Funzellicht an die Überreste vergangener Zeiten heranzupirschen. Doch nach Stunden verzweifelten Bohrens in Fels und Geröll, beschlossen wir gegen Morgen die alten Griechen, Römer und Seldschuken (türkischer Stamm) zu verfluchen und "echte" Grabfunde lieber direkt von den Kanacken und ihren Kindern zu kaufen.
Dienstag, 13. Juni - Abfahrt von Teheran Richtung Kaspishem Meer.
Zuerst letzter Besuch bei VW. Passbilder, Verpflegung. Peter bleibt bei den Schweizern.
13 Uhr nach Dorf Demavent, falsch, zurück nach Ab-Ali Richtung Amol. 3-4 Uhr am Demavent. Mit Besteigung ist nichts. Wir treffen die Frankfurter nicht wie ausgemacht. Fahrt durch Elbrus Gebirge. Immer höher, dann vor dem Fuss des Demavent hinab, hinab, gegen 6 Uhr Wälder in Sicht. Camp10 m neben der Strasse im Flussbett eines reissenden Flusses unter Baum. Um uns bewaldete Berge, Himmel leicht bewölkt, hoffentlich keine Bären. Walter kocht gerade Gulasch mit Spaghetti und Gurkensalat, habe Sauhunger und bin müde. Morgen ein paar Tage Kaspisches Meer und Ruhe.
Ein Nachrichtensprecher sagt: In der Altstadt von Jerusalem liegen die Leichen jordanischer Soldaten. Brief von zuhause: Gott sei Dank, die Mutter ist wieder etwas ruhiger.
Helga will sich verloben!
Die Büsche um uns hier haben rote Blüten wie Rosen. Endlich wieder viel Farbe in der Landschaft. Demavent ist noch zu sehen: Ein weisses Dreieck am Himmel.
Mittwoch, 14. Juni –
Am Morgen vom Pech verfolgt. Beim Drehen im Flussbett Butterdose kaputt, Kopf hingehauen, keine Streichhölzer zum Kocheranmachen.
Die Strasse führt weiter hinab Richtung Meer, vorbei an riesigen Wäldern (Ur-). Die Täler werden breiter. Überall wird Reis angebaut. In bunten Kleidern stehen die Frauen bis zu den Knien im Schlamm. Die Häuser sind aus Schilf geflochten und mit schwarzen Holzschindeln bedeckt.
Die Wolken von gestern haben sich verzogen, es wird wieder warm und feucht. Vorbei an Pferd- und Mulikarawanen. Tolle farbige Satteldecken. Von Amol bis Mohamad-Abad. Wellblech. Dort wird noch einiges gekauft, Wasser getankt. Tauschhandel mit Klamotten : Benzin wieder umsonst.
Küstenstrasse. Nach 3 km zwischen den Sanddünen die Frankfurter. Dünenstreifen 100 m, dann Urwald. Riesige Seeadler. Wir schwimmen mal wieder ausgiebig. Gegen Nachmittag kommen die Schweizer mit Peter nach. Mit Harpune ist hier nichts. Sandstrand. Aber der sumpfige Urwald hinter mir reizt mich ganz schön. Am Strand haben wir grosse Tatzenspuren gesehen. Übrigens, gibt’s hier noch Panther und Tiger ? Mahlzeit.
Am Abend ganze ganze Kampfformationen von Moskitos, kein Wunder, der Wald, die Reisfelder. Wir fangen mit Malariaprophylaxe an. Abends trinken wir viel Vodka! Hoffentlich kann ich morgen ein Pferd leihen!
Aus dem Sumpf kommen die letzten Geräusche der Nacht.
Donnerstag, 15. Juni –
Am Morgen nach dem Aufstehen sofort ins Wasser über den heissen Sand. Man muss ganz schön wetzen sonst gibts Brandblasen. Von den gestrigen Turnübungen habe ich herrlichen Muskelkater, daher penne ich nach dem Essen und nach dem Einkaufen im Dörfchen zwei Stunden auf der Luftmatratze im Schatten. Aber dann: da es hier im Dorf keine Pferde zu leihen gibt, wenden wir uns heute dem Sumpf zu. Mit Gummistiefeln, Beil und Gabelstock geht’s in den Sumpf, der schon 50 m über die Strasse hinweg beginnt. Kurt und ich suchen nun den Rand ab, man kann ja kaum 20 m hineinschauen, geschweige denn gehen. Es wimmelt nur so von Viehzeug. Schon nach zwei Minuten sehe ich eine grosse Schlange, 1 m lang, schwarz, mit gelben Streifen. Sie verschwindet sehr schnell, noch ehe ich sie mit meinem Stock fangen kann. Wir stellen uns natürlich ganz schön doof an, sind zu laut und zu ungeschickt. Doch dann hat Kurt ein herrliches Exemplar entdeckt, und schon zappelt sie zwischen der Gabel. Wie wir sie jedoch aufs Land ziehen wollen, macht sie sich frei und verschwindet. Gesehen haben wir dann noch einige, jedoch zu weit im Sumpf drin, "unerreichbar“. Wir pirschen noch eine Weile, als wir plötzlich von einem wütenden Grollen ganz in der Nähe zu Tode erschreckt werden. Ganz schön panisches Gefühl, nur mit einem Stock in der Hand. Was es war, das werde ich wohl nie erfahren.
Komische Reaktion in diesem Augenblick. Ich habe mich totgelacht! Komisch, aber das entsetzte Gesicht von Kurt ... und dann die ganze Situation. Er sagt in seinem Schwizerdeutsch: „Jetzt finde ich des aber gar nicht mehr so komisch“, und wir verziehen uns schleunigst.
Bis zum Sumpf ziehen sich die Reisfelder, auf denen viele Leute arbeiten. Wir gehen noch weiter bis zu einem Dorf, kehren um und gehen bei Sonnenuntergang am Meer zurück. Es ist herrlich, wieder am einem Meer zu sitzen und den Wellen zuzuschauen.
Es gibt jetzt Kirschpfannekuchen. Der Walter ist wirklich ein toller Koch!
Freitag, 16. Juni –
Heute also möchte ich unbedingt eine Schlange fangen. So verbringe ich die meiste Zeit im Sumpf. Es ist ziemlich aufregend, mit Stiefeln im Sumpf zu waten, aber es scheint doch schwieriger zu sein, als wir alle glauben. Plötzlich entdeckt Kurt eine ziemlich grosse und kann sie in ein Gebüsch am Rand des Sumpfes jagen. Schon als wir glauben, sie sei wieder verschwunden, taucht sie plötzlich wieder auf und es gelingt Kurt, sie scheinbar zu töten, doch als wir sie dann herausziehen, fängt sie wieder an zu zappeln. Gott sei Dank halte ich sie kurz hinter dem Kopf und schlage sie auf den Boden. Nachdem wir sie abgehäutet haben, spannt Kurt die Haut zum Trocknen auf ein Brett und hat am Abend eine schöne Trophäe. Ich bin natürlich neidisch und gehe mittags dann noch einmal in den Sumpf. Ich sehe noch eine schwarze, wohl an die 2 m lang, aber es gelingt ihr, sich in den Sumpf zu schlängeln. In meinem Kampfeifer stürze ich hinterher, kann sie noch einmal fassen, aber als sie sich dann wieder wie zum Angriff zurückwendet, lasse ich sie schnell wieder los. Kurt ist mir durch mein Geschrei zu Hilfe geeilt, aber auch er sieht nur noch den Schwanz im Schilf verschwinden. Jetzt habe ich mich auch noch in den dornigen Lianenwinden verheddert, und als ich dann nass und zerkratzt ans Ufer wate, noch ein paar schöne Exemplare Blutegel an den Beinen, schwöre ich mir, Schlangen in Ruhe zu lassen. Genug der Jagd.
Ausserdem fällt mir wieder ein, dass das Wasser hier sowieso nicht gerade zu empfehlen ist, und so wetze ich dann zum Salzwasser im Meer hinüber, um mich zu waschen. Ziemlich müde beginne ich dann am Abend noch meinen zweiten Reisebericht an Familie, bin aber nach dem Abendessen zu müde, noch weiter zu schreiben.
Samstag, 17. Juni –
Der Tag ist halb vertrödelt. Morgens einkaufen, schwimmen und Klamotten waschen. Gegen Nachmittag, als einige Wolken heraufziehen, bastle ich noch etwas an einer Steinschleuder. Grosse Lust zu schreiben habe ich nicht, meine angeborene Faulheit überwältigt mich. Ausserdem ist heute „Tag der deutschen Einheit“, und da faulenzt jeder gute Deutsche.
Nach dem Abendessen sitzen wir gemütlich beisammen, als sich uns 3 Hasen in selbstmörderischer Absicht nähern. Mit bebenden Händen wird das frankfurterische Gewehr entnestelt, und schon pirscht Walter von Busch zu Busch, ein Schuss knallt, und die Hasen sind weg. Nach einer improvisierten Treibjagd haucht dann eine Hasenseele zum Himmel und folgt der ersten: Auf dem Weg zurück finde ich nämlich den ersten Hasen, der sich in den ersten Schuss hineingeworfen haben muss. Mit vereinten Kräften wird ihnen das Fell über die Ohren gezogen, und zum Abendessen morgen werden wir den persischen Staat um 2 kg Hasenfleisch erleichtern.
Die Chinesen haben heute eine H-Bombe gezündet, juhu !
Sonntag, 18. Juni –
Verdammt und zugenäht, wieder nicht am 2. Reisebericht weitergearbeitet, geschweige denn etwas für die heimische Zeitung geschrieben.
Montag, 19. Juni –
Nach einigem Hin und Her ist der heutige Schlafplatz gefunden. Ein freundlicher Herr hatte ihn mir nach rasender Fahrt mit dem Jeep über grausiges Wellblech gezeigt. Auf einem abgemähten Erntefeld bauen wir unsere Wagenburg auf, direkt neben einem defekten Mähdrescher und einem gammeligen Zeltdach, unter dem einige freundliche Kanacken wohnen. Es sind die Feldarbeiter des Musterguts, auf dem wir uns befinden. Einer von ihnen ist mein erster echter Turkmene. Er hat Schlitzaugen, einen breiten Kopf und spärlichen Bartwuchs am Kinn. Einer von den Nachkommen der wilden Reiterscharen Tschingis Khans, die vor 1000 Jahren Schrecken über die Menschheit verbreitet haben.
Wir befinden uns hier am Rande der grossen Turkmenen Steppe, die sich weit nach Russland hineinzieht, 40 – 50 km von der russischen Grenze entfernt.
Von unserem herrlichen Platz in der Nähe von Babol-Sar waren wir weiter nach Osten gefahren, durch den fruchtbaren Küstenstreifen des Kaspi, am Fusse des Elburs-Gebirges entlang, dessen Gipfel heute in den Wolken verschwanden. Es ist bedeckter Himmel und ab und zu fallen ein paar Regentropfen, die ersten seit der syrischen Wüste in Palmyra. Schon während der Fahrt merkte ich deutlich einen Wechsel, nicht an der Landschaft, sondern an den Trachten und Gesichtern der Menschen, die uns freundlich zuwinkten.
Gegen Nachmittag erreichten wir Gorgan, eine kleine Stadt am Fusse des Elburs, wo wir unsere Lebensmittelvorräte aufbessern. Es gibt hier herrliche Turkeman-Teppiche. In einem Teppichgeschäft hingen ausserdem viele Satteldecken, Pferdebeschläge und Kelims, alles viel zu teuer, als dass einer von ihnen die Reise nach Germany hätte antreten können. In ein silberbeschlagenes Pferdegeschirr habe ich mich besonders verliebt, mein erster Blick darauf war aber wohl zu begeistert, daher war eine Einigung über den Kaufpreis mit dem Händler nicht mehr möglich.
Kirschpfannekuchen mit Sauerkirschen –
UN Vollversammlung
Dienstag, 20. Juni –
Heute hatte ich Gelegenheit, dieses Volk der Turkmenen besser zu betrachten. Auf der Fahrt Richtung Mesched machten wir an einer Teestube neben der Piste halt, angezogen durch zwei farbenprächtige Teppiche und einige Reiter, die auf ausgezeichneten Reitpferden in ihren bunten Sätteln ein tolles Bild abgaben.
Ungefähr 80 km nach Gorgan war die Asphaltstrasse zu Ende, und wir fahren seither auf einer fürchterlichen Schotter- und Sandpiste bis Afghanistan, wohl das schlechteste Stück auf der ganzen Reise bis jetzt. Wie ein riesiges Landmeer blieb die Steppe zurück, als die Strasse wieder in die Berge des Elburs-Gebirges zurückführte. Auf halber Höhe zu einem 1500 m Pass fanden wir dann jenes kleine Dorf mit dem çay-Laden, dessen Einwohner ich kurz beschreibe.
Unter dem halblangen Kleid tragen die Frauen lange, bunt gemusterte Stoffhosen, selten tragen sie Sandalen, meist gehen sie barfuss. Das Kleid ist langärmelig, ebenso grell und kontrastreich wie die langen Kopfschleier gefärbt. Ihr schwarzes Haar tragen sie streng nach hinten gekämmt, in der Mitte gescheitelt. Viele schmücken sich durch farbige Ketten oder grosse, fein gearbeitete Filigranbroschen. Wie Farbtupfer in der Landschaft sehen sie aus, wenn sie auf dem Feld stehen, in grossen Gruppen, oft mit Kindern auf dem Rücken, die durch die Arbeit ihrer Mutter nicht aus dem Schlaf zu rütteln sind. Ich habe mich heute so manches Mal nach solch einer Schönheit umgedreht, die, ihre Last auf dem Kopfe tragend, anmutig mit dem Hintern wackelte.
Die Männer: Turban oder Pelzhut, oft alter Waffenrock, Wams, langes Hemd bis zu den Knien, Pluderhosen, Schuhe aus Autoreifen, bis zum Knie geschnürt, über Strümpfen oder Tüchern.
Wir haben uns verfahren, abends über den Pass, an einem Bach Halt. Ziemlich müde.
Mittwoch, 21. Juni –
Das kleine Flüsschen am Anfang eines Dorfes, ziemlich hoch und kurz hinter dem Pass, an dem wir die letzte Nacht verbracht haben, verliessen wir heute morgen etwas später, da am Wagen die Vorderräder abgeschmiert werden mussten und der Wagen auch sonst noch einiger Pflege bedurfte. Von ihm wird jetzt wirklich eine Menge verlangt, das zeigte sich besonders heute, als die „Strasse“ mehr und mehr zum Ackerweg wurde. Ständig tanzt der Wagen über Wellblech-Slalom zwischen riesigen Schlaglöchern. Wir schlucken ganz schön Staub. Bis jetzt hatten wir noch keinerlei Schwierigkeiten mit unserem Fahrzeug, toi toi toi. Noch ungefähr 400 km schlechte Strecke stehen uns bevor, bis wir die russischen Autobahnen in Afghanistan erreichen.
Gestern waren wir noch bei den Turkmenen, jetzt sind wir wieder bei den Persern. Nur noch vereinzelt finden wir Schlitzaugen und Pelzmützen unter der Bevölkerung. Auch das Bild der Dörfer und auch der Landschaft hat sich wieder geändert. Das Grün der bewaldeten Hänge hat sich in die Täler verzogen, die Berge sind wieder blank und kahl und leuchten in allen Braun- und Beigetönen herüber. Die Dörfer sind wieder aus Lehm gebaut, flach, an die Hänge gestreckt und erinnern an die, durch die ich letztes Jahr im Nordwesten Persiens gefahren bin. Nur die Gewänder der Frauen haben mehr Farbe, wenn sie auch nicht die Leuchtkraft der turkmenischen Trachten erreichen.
Besuch in einem Dörfchen. Peitsche, Färberei, Filzmacher. Dieter tauscht Gewehr. Wetter schlecht, Regen und Wolken. In einem Flussbett hunderte von Schafen, die von Frauen gemolken werden.
Donnerstag, 22. Juni –
Beim Reparieren am Schweizer Wagen erschienen 4 Iraner und machten einladende Handbewegungen in Richtung Berge, an deren Hängen kleine Dörfer im flimmernden Licht zu sehen sind. Da wir noch in keinem solchen Dorf abseits der Strasse waren, nehmen wir diese Einladung an und sind alsbald auf dem Weg ins Dorf. „Weg“ ist etwas viel gesagt, denn es ist ein trockenes Flussbett, durch das wir langsam schaukeln. Dort angelangt, geben wir natürlich die Sensation des Jahres ab und werden bestaunt und begafft wie selten zuvor.
Ich hatte den Eindruck, dass wir zuviel auf einem Haufen waren, jeder zückte den Photoapparat in die gleiche Richtung. Daher löste ich mich von der Horde und schlenderte alleine durch die engen Gässchen. Alles ist hier aus Lehm gebaut, die Mauern ineinander verschachtelt. Zu jedem Haus gelangt man durch einen Innenhof, in dem sich scheinbar das ganze Leben abspielt. Durch die Gassen fliesst ein graues Bächlein, Waschmaschine und Müllabfuhr zugleich. Das Trinkwasser muss mit Eseln weit hergeholt werden. Wir werden in einen Innenhof geholt, dort wird ein Kelim von zwei Frauen gewebt. Ohne eine Vorlage weben sie herrliche geometrische Ornamente, abwechselnd mit einfarbigen Streifen, wie es schon Generationen vorher überliefert haben. Die Kette ist kurz über dem Boden gespannt, und so weben sie, auf dem fertigen Stück sitzend, die Fäden mit der Hand einziehend. Wir werden in das Innere des Hauses eingeladen, sitzen auf der Erde in einem grossen Kreis zusammen mit einigen Prominenten des Dorfes, von denen einer einen langen Pelzmantel umgelegt hat, während Tee serviert wird, wird sich mit Händen und Füssen verständigt, Komplimente ausgetauscht und sich über wer weiss nicht was unterhalten. Wir verbringen mehrere Stunden dort, bis wir uns dankend verabschieden, zurück auf die Hauptpiste schaukeln, auf der wir gegen Mittag Meschhed und damit ein Stückchen Asphaltstrasse erreichen.
Die Sandpiste macht uns alle etwas fertig. Wir sind gereizt und trotzdem regelrecht lahm. Mir fehlt es im Augenblick an Konzentration.
Vor Meschhed Asphalt. Basar, Türkise gesehen, keine Lust zum Kauf. Wir müssen hier bleiben, da heute Feiertag ist. Die Strecke hat uns ein Lampenglas, eine Auspuffhalterung und ein Stückchen Benzinleitung gekostet. Den Frankfurtern 2 M+S Reifen, daher Werkstatt. Afghanistan lässt auf sich warten.
Samstag, 24. Juni –
Fast der ganze Tag geht mit Autowerkstatt, einkaufen usw. verloren. Leider sind die Schönheiten und Heiligtümer dieser heiligen Stadt für uns nicht zugänglich, wir müssen uns mit dem Blick aus der Ferne auf die goldenen Kuppeln und Minarets begnügen. Wir tauschen noch einiges pakistanisches Geld, dann wieder auf die Dreckspiste, die uns einiger Sympathien für den Iran beraubt.
Nach zwei Stunden Fahrt machen wir wieder in einem Flussbett halt. Walter gibt sich ans Frikadellenbacken und die abendliche Ruhe kann wieder einkehren. Später gesellen sich noch 3 Gesellen aus Australien zu uns, die Tolles von dort berichten.
Sonntag, 25. Juni –
Je mehr wir uns der afghanischen Grenze nähern, um so schlechter wird die Strasse. Die Felder links und rechts der Strasse sind mehr als karg, alle 10cm ein mageres Hälmchen. Sie verschwinden oft ohne Übergang in der Wüste, nur am Rande der Oasen, die sich schon von ferne durch ihr Grün anmelden, sind sie wieder saftig und dicht.
Hier hocken, mit weissen Turbanen auf dem Kopf, die Männer vor ihren Lehmhütten in kleinen Gruppen. Die Köpfe drehen sich neugierig nach uns, die Kinder rennen ein Stück mit und rufen „good bye“. Dicht gedrängt sind die Häuser mit ihren halbrunden Dächern, von hohen Lehmmauern umgeben.
Am Rande eines solchen Dorfes können wir aus der Ferne eine Beerdigung beobachten. Das schrille Geschrei der Klageweiber, die um das Grab hocken, dringt bis zu uns. Als sich uns die Männer dann jedoch nähern, machen wir uns aus dem Staub (vielmehr: in den Staub).
Grenzkontrolle 1 Stunde. Endlich weg von den Zoellnerkanacken. Saumässiges Stück bis zur Afghanischen Grenze, dann noch an einem Fluss vorbei bis zu einer Baustelle. Am Fluss Halt. Sandsturm gegen Abend.
Montag, 26. Juni –
3 Jahre hat er sich verpflichtet, und an Weihnachten kann er wieder nach Hause. Er ist Italiener, arbeitet als Brückenbauer bei den Amerikanern, die hier eine Strasse bis Herat bauen, flucht über die Faulheit der Afghanen und über die Arroganz der Amis, säuft, raucht Haschisch und amerikanische Zigaretten. Er ist recht nett zu uns, füllt unsere Tanks mit Ami-Benzin und schenkt uns Zigaretten.
Wir fahren auf dem Unterbau der Superstrasse, die mit typisch amerikanischer Schnelligkeit gebaut wird. Wie Riesenkäfer fressen sich die grossen Sandbeweger durch den Sand und Fels der Wüste. Nach ein paar Stunden Fahrt erreichen wir Herat; das schlechteste Stück der Strecke endlich hinter uns.
Die erste Begegnung mit den Afghanen raubt mir den Atem. Wieder neue Eindrücke, neue Kleidung, neue Gesichter. Reiter galoppieren durch die breite Hauptstrasse. Sie sehen aus wie die Wilden. Es wird mir zuviel, die Hitze, der ganze Körper klebt vor Dreck und Staub. Wir ziehen uns zurück ins nächste Hotel und trinken çay. Ziemlich fertig sind wir am Abend, als wir etwas ausserhalb der Stadt an einer Tankstelle haltmachen.
Ich bin langsam wieder für einen Erholungstag reif.
4.7.67
Liebe Mutter!
Seit dem letzten Brief hat sich so viel ereignet, ich habe so viel gesehen und erlebt, dass ich nicht einmal jetzt, wo ich in einem ruhigen Restaurant in Kabul sitze, weiss, was und wovon ich zuerst berichten soll. Dazu kommt, dass die letzte Strecke ziemlich viel Nervenkraft gekostet hat, so dass ich abends sehr müde war und auf die Matratze sank.
Dann, die Postverbindung in den letzten Städten, die wir besucht haben, war ziemlich schlecht. (In Meschhed zum Beispiel liegt die Post im heiligen Bezirk, für einen Nichtmuselmanen also nicht zu betreten). Auch hatte ich hier in Kabul einige Post erwartet, aber leider nichts vorgefunden. Ich nehme aber folgendes an: Peter hat von Teheran nach Hause telegrafiert „alles zur Botschaft nach Delhi zu schicken“. Das bezog sich nur auf das Geld, das er von seinen Eltern braucht. Leider habe ich das von ihm zu spät erfahren, sonst hätte ich das sofort klären können.
Also halte Dich daran, schick weiter alles hauptpostlagernd. (poste restante).
Peter hat eben teuere Dinge gekauft und muss daher wohl noch etwas Geld haben. Ich brauche auf keinen Fall Geld, ich komme sehr gut aus, und wie es sogar scheint, werde ich in Nepal wieder mehr Geld haben, als ich bei Abreise bei mir hatte. Du wirst natürlich sagen, er rechnet wieder mit Geld das er noch nicht hat, aber schon hier wurden uns für den Wagen 4000 DM geboten, und das ohne Ersatzteile und sonstige Dinge, die wir nicht mitnehmen werden. Wir haben aber „sichere“ (man weiss ja nie genau) Informationen von mehreren Reisenden aus Nepal, dass wir dort mehr erhalten koennen.
Ich weiss nicht, ob ich Dir schon erzählt habe, dass ich von dem Geld, das ich in Kuweit für meine Blutspende bekommen habe, dort gleich 5 Schweizer Uhren gekauft habe, die wiederum in Indien je 250 DM wert sein sollen. Ausserdem mache ich von Land zu Land immer wieder kleine Geschäfte durch Geldumtausch zu günstigem Kurs, so dass ich alles in allem bis jetzt nur 700 DM ausgegeben habe, also noch nicht einmal die Hälfte meiner Reisekasse.
Aber jetzt Schluss davon!
Die Eindrücke der letzten 14 Tage waren überwältigend. Wir waren tagelang nur von afghanischen Einheimischen umgeben, teilweise mit Schlitzaugen, teilweise schwarz, bis auf die Augen vermummt oder teilweise halbnackt, mit schwarzen langen Haaren und Bärten, auf Pferden mit grossartigem Saumzeug, auf Strassen, neben Herden, auf Feldern, in Dörfern. Ein ganz neuer Menschenschlag, stolz, und mit unbewegten Gesichtern.
Aber das will ich Dir noch ausführlicher schreiben, jetzt ist alles noch zu frisch, und im Restaurant hier kommen ständig andere Reisende, die erzählen von Australien, Indien, Nepal, von allen möglichen Ländern und Nationen.
Kabul ist die Stadt, in der sich die Reisenden treffen, auf dem Reiseweg nach Asien und zurück. Das Kyber-Restaurant, in dem ich hier sitze, ist jedem Reisenden als Treffpunkt bekannt. Hier wird von morgens bis abends erzählt und werden Informationen getauscht.
Das grosse Ereignis der letzten Tage war für mich die Begegnung mit einem französischen Ehepaar, Roland und Sabrina Michaud. Ganz grossartige Menschen. Sie sind schon seit 4 Jahren hier in Asien, besonders in Indien, unterwegs, studieren Leute und Sitten und arbeiten dabei für grosse Zeitschriften (hauptsächlich für Paris-Match). Nächstes Jahr bringen sie ein Buch über Indien heraus, das bereits im Druck in der Schweiz ist. Sie ist gebürtige Marokkanerin, eine bildschöne kleine Person, die sich wunderbar mit pakistanischer Kleidung zu kleiden versteht, er ein sympathischer Mensch mit grossem Vollbart und glasklaren blauen und besonders lustigen Augen. Was diese Beiden schon gesehen und erlebt haben, ist unbeschreiblich. Er war zum Beispiel einige Monate lang im indischen Himalaya bei Yogis in ihren Höhlen, sie lebte derzeit mit turkmenischen Frauen im afghanischen Gebirge. Er fuhr mit dem Fahrrad in Rotchina herum, sie lebte derweil in Abessinien.
Wir haben sie praktisch am Strassenrand aufgelesen. Sie benutzten für diese Reisen einen unmöglich aussehenden Haflinger Geländewagen, der von der letzten Strecke entlang der russischen Grenze hier in Afghanistan dermassen in Anspruch genommen war, dass wir ihn fast durch ganz Afghanistan bis hier nach Kabul abgeschleppt haben, Walter aus Frankfurt und ich, in unserem Wagen. Die anderen waren derweil schon nach Kabul vorgefahren. 4 Tage durch Afghanistan im 30 km Tempo. Tagsüber bei grosser Hitze haben wir geschlafen oder kleine Dörfer besucht, Nachts sind wir gefahren.
Was mir diese Gespräche durch die ganzen Nächte hindurch gegeben haben, ist mehr, als ich jemals über Indien, Afghanistan und sonst noch über Asien erfahren habe. Ich bin begeistert und voll mit den besten Informationen über die Länder, die ich demnaechst besuchen werde. Unseren Plan für Indien mussten wir ändern, unsere Einstellung, und ich glaube, bei mir noch einiges mehr, hat sich gestärkt und verbessert. Und ich habe dazu noch zwei Freunde gefunden, es ist herrlich. Wir werden auch weiterhin in Verbindung bleiben und uns bestimmt wieder sehen. Sie haben auf ihren Reisen bis jetzt 50.000 Aufnahmen gemacht, davon 37.000 Dias. Unvorstellbar ! Sie wollen sich in einigen Jahren nach Paris begeben, um dann alles auszuwerten, was bis jetzt noch nicht ausgewertet ist.
Doch nun noch schnell einmal zu unseren eigenen Plänen. Dieser Brief sollte eigentlich kürzer werden, wieder ein Lebenszeichen statt Postkarte, mein eigentlicher Reisebericht liegt immer 1/4 beendet in meiner Schublade. Das wird für mich jetzt die dringendste Sache. Daher fahren wir von hier in die Berge nach Bamian, einer alten buddhistischen Mönchskultur nachgehend, die dort in den Bergen 50 m hohe Buddha-Statuen in den Fels gehauen haben. Auch landschaftlich ist es dort herrlich, in grosser Höhe rundherum 4-5000 m hohe Berge, und dort werden wir uns wieder Ruhe gönnen. Dann, hoffe ich, wird der zweite Bericht fertig. Mit meinem Tagebuch bin ich durch die letzten Ereignisse im Rückstand, das wird dann auch nachgeholt, und auch sonst brauche ich einige Tage zum Verkraften.
Dann: Von Bamian aus müssen wir wieder zurück nach hier (vielleicht habe ich dann Post?), und dann geht es nach Pakistan. In Lahore erwarte ich dann wiederum Post, aber wenn Du bis jetzt nicht geschrieben hast, so schreibe doch bitte auch die nächsten Briefe nach Delhi, und zwar bis vor 22. Juli abschicken. Danach schreibe bitte nach Bombay, alles poste restante. (Ich will mit diesen saublöden deutschen Botschaften nichts mehr zu tun haben.)
Nach Lahore gehen wir über die indische Grenze und fahren, direkt zum Himalaya. Dort erwarten wir wohl das Tollste in unserem bisherigen Leben. Die zwei Schweizer und wir werden, falls wir eine Genehmigung von einer Stelle in Indien bekommen, dort in ein abgelegenes Tal reiten, um ein buddhistisches Kloster zu besuchen. Die Menschen dort leben in einer herrlichen Abgelegenheit von allem westlichen und verderblichen Einfluss in ihren Jahrhunderte alten religiösen Traditionen und wurden bis jetzt von kaum jemandem besucht. Wenn das klappt, so haben wir das Roland und Sabrina zu verdanken, die die Mönche besucht haben und einfach Wunderdinge erzählen. Du kannst Dir ja vorstellen, wie ich dem entgegenfiebre.
Die Menschen in diesem Gebiet leben in absoluter Bindung an ihre Religiosität und an ihren Glauben, der ihnen verbietet, irgendein Lebewesen, und sei es eine Ameise, auch nur zu verletzen. Der Fremde ist dort König, dem alles nur Mögliche geboten wird. Sollte das jedoch nicht klappen, fahren wir weiter nördlich nach Srinagar in den Gebirgen Kashmirs, um dort einige Tage auf dem Pferderücken zu verbringen. (Für 10 Rupies am Tag, bei meinem Umwechslungskurs auf dem hiesigen Schwarzmarkt 3,- DM, kann man dort eine komplette mehrtägige Exkursion in die Berge machen, Pferde, Waffen und Führer werden gestellt!)
Klappt das aber mit dem Kloster, so lassen wir das fallen, fahren am Rande des Himalaya entlang, werden dort evtl. einen österreichischen Bergsteiger besuchen, der nach einer Himalaya Expedition sein bisheriges Leben aufgegeben hat und heute unter dem Namen Lama Gorinda als Yogi und Weiser ein Leben völliger Abgeschiedenheit führt und von vielen, selbst einflussreichen Indern als Heiliger verehrt wird. Danach nach Delhi. Von unseren weiteren Plänen werde ich Dir später von dort noch berichten. Du wirst über alles das staunen, verständlich, kommt es mir doch selbst unvorstellbar vor.
Gerade war ich wieder bei Roland und Sabrina, die mir einige ihrer Sachen gezeigt haben. Schon wieder ist es darüber dunkel geworden, so toll waren die Sachen anzuschauen, Teppiche, Schmuck, Puppen, Textil, phantastisch!
So, und nun muss ich wieder innehalten, meine Gedanken müssen wieder nach Krefeld und zu Euch zurück. Was ist mit der Verlobung? Hat es mit den Karten geklappt? Das ist ja toll, diese Beiden. Wie geht es Dir? Schreibe mir was Dich bewegt, was Du von meinen Plänen hältst, schimpfe ruhig oder verstehe das alles, damit Du es ein wenig aus der Ferne miterlebst, dieses herrliche Leben!
Grüsse wieder alle, besonders mein Brüderlein, das im Augenblick ein so ganz anderes Leben führt bei der Bundeswehr.
Dein Weltenbummersöhnlein
Hans
13.7.67
Liebe Mutter,
Jetzt liegt er also einigermassen beendet vor Dir : mein zweiter Reisebericht ist 29 Seiten lang geworden. Einen Monat hat’s gebraucht, bis er fertig war, immer wieder durch Ereignisse oder Weiterfahrt unterbrochen, daher bin ich jetzt recht froh, dass ich ihn heute und hier, an wunderbaren blauen Seen, bei einigen Tagen schönster Ruhe beenden konnte.
Damit dieser Brief nicht verloren geht, sende ich ihn per Einschreiben. Ich setze also alle meine Hoffnung in die afghanische Kanackenpost und halte sonst beide Daumen. Vielleicht kommt der Brief noch rechtzeitig zur Verlobung und so kann ich durch ihn etwas unter Euch sein.
Ich wünsche Euch viel Vergnügen beim Lesen.
16. Juni 67
Seit meinem letzten Reisebericht aus Isfahan hat sich die Situation etwas geändert. Jetzt sitze ich in unserem Wagen, statt Bier habe ich nur kaltes Wasser, aber für den Komfort, den wir im Christoffel-Heim in Isfahan gehabt haben, werden wir durch den Sandstrand, Dünen und Meer voll und ganz entschädigt.
Ich befinde mich also jetzt am Kaspischen Meer, nördlich von Teheran, die Berge des mächtigen Elbrus-Gebirges hinter mir, keine Wolke ist am Himmel, und wir aalen uns schon zwei Tage am Meer und in den Dünen herum. Seit Teheran ist die Strecke für Walter und mich neu, und so habe ich auch ein Tagebuch begonnen. Dies schreibe ich jedoch nur in Kurzform jeden Tag, halte die wichtigsten Eindrücke und Erlebnisse des Tages am Abend fest. Da ich weiss, dass Du meine Briefe sammeln wirst, werden wir dann am Schluss der Reise zwei Berichte haben, einen im Tagebuchstil und eienen in Briefform. Zusammen sollen sie auch fur mich eine Erinnerung an diese Reise sein. Ich hole also tief Luft und beginne da, wo ich, so glaube ich, den letzten Bericht beendet habe, in Bagdad.
Durch die Autoreparatur am Frankfurter Wagen (Rumpelstilzchen genannt), wurden wir noch zwei weitere Tage in der dampfenden Stadt Bagdad festgehalten. Sie ist und bleibt für mich eine unfreundliche Stadt, dreckig und muffig, doch vielleicht tue ich ihr sogar unrecht, mancher andere Reisende findet die stickigen Suks (so nennt man hier die Bazare), die dreckige Brühe unter den Tigris-Brücken, das laute Treiben auf den Strassen, als Inbegriff einer arabischen Stadt, für mich jedoch war sie immer mit recht unfreundlichen Erlebnissen verbunden.
Ich musste damals, während der Cholera-Zeit und diesmal während der ansteigenden Spannungen mit Israel und der damit verbundenen antiwestlichen Haltung der Araber, alle Nerven dazu gebrauchen, nicht immer und dauernd in Streitigkeiten zu geraten. Das kuweitische Visum wurde uns nur widerwillig gegeben, für jedes Coca Cola muss man kämpfen, dazu die ständige Hitze, alles das lädt nicht gerade dazu ein, länger zu bleiben, geschweige denn 1001 Nacht. So waren wir denn froh, endlich in Richtung Süden gen Basra zu gondeln. Abends fuhren wir los, es war etwas erträglicher in der Temperatur des Abends zu fahren, und machten mitten in der Wüste halt, fuhren einige hundert Meter von der Strasse ab, waren wirklich allein und hatten Ruhe um uns. Das tat nach den turbulenten Tagen wirklich gut. Nach dem Essen (Walter sorgt wie eine Mutter für uns) entlockten wir unserem Radio noch eine Sinfonie mit dem Titel „Alle Aktionäre sind Papiertiger“, gesendet vom deutschsprachigen Sender in Peking und legten uns dann etwas verwundert, aber doch müde, in die Falle.
An langen Schlaf jedoch ist nicht zu denken. Fast ohne Dämmerung wechseln Tag und Nacht, und kaum kommt die Sonne um die Ecke, wird es schon wieder mollig muffig im Wagen, und man entfleucht japsend dem Schlafsack. Nach dem Frühstück geht es dann zurück durch den Sand auf die Strasse, die schon wieder zu flimmern beginnt. Die Strasse führt weiter gen Süden, durchquert einige Oasenortschaften und verschwindet wieder, ohne grosse Abwechslung zu bringen, am Horizont. Dennoch wird es kaum langweilig. Für Abwechslung sorgen die Fernfahrer, die einem entgegen kommen oder die man überholen muss. Wenn ich jetzt so zurückdenke, wird mir klar, warum Allah den Arabern nicht beistehen konnte, hat er doch alle Hände nötig, die turmhohen Ladungen auf den Wüstenlastwagen zu halten. Die hundertmal verknotete, mickrige Schnur kann das niemals alleine schaffen. So kommen einem denn diese schiefen Türme halbdiagonal entgegen; so hat sich der Rahmen verzogen, die grossen Reifen lassen schon beängstigend viele Gummifetzen mitkreisen, und mir macht das Autofahren erst dann wieder Spass, wenn man an einem solchen Ungetüm vorbei ist.
In der Mittagshitze erreichen wir dann das Sumpfgebiet des Shat-el-Arab. So nennt man das riesige Deltagebiet der beiden Flüsse Euphrat und Tigris. Wieder, wie so oft auf dieser Reise, fühle ich mich um Jahrtausende zurückversetzt. Hier leben die Menschen noch nicht einmal in Ziegelhäusern. Mitten im Sumpf, der rechts und links der Strasse beginnt, leben auf kleinen Inseln die Menschen in aus Ried geflochtenen Hütten. Mit langen Stäben, an deren Ende einige spitze Bambusstacheln gebunden sind, stehen die Männer bis zur Hüfte im Sumpf oder, nur Leinentücher um die Hüfte gelegt, auf ihren flachen Booten und jagen Fische. Die Frauen, vermummt bis auf Hände und Füsse, kümmern sich um „Haushalt“ und Vieh, magere Kühe oder schwarze zottelige Wasserbüffel, die bis zum Bauch im Wasser oder nur noch mit dem Kopf herausschauend, an dem Schilfgras knabbern. Die Kinder tollen nackt in den Fluten herum und scheinen immun gegen Sonnenbrand oder Sonnenstich und auch sonst noch gegen alle möglichen Krankheiten zu sein. Solche Dörfer liegen nicht nur an der Strasse. Immer wieder tauchen die braunen Schilfhütten weit drin in der spiegelnden Wasser- und Schilffläche auf, nur mit Booten zu erreichen. Unvorstellbar für uns, unter welchen Bedingungen man hier lebt.
5.7. 67
Lange hat dieses kurze Stückchen Reisebericht unbeendet in meiner Schublade gelegen, die Tage und Wochen waren wieder voll von Erlebnissen und vieles wird sich bis hierhin wieder an Erzählenswertem sammeln, so dass dieser Bericht doch noch länger werden wird. Heute sind die Wagen in der Werkstatt, Zeit genug, wieder anzufangen : klimatisierte Europa-Luft im Restaurant, Tee, alles bereit!
Weiter ging es durch diesen flimmernden Backofen nach Süden, nach Basra, der heissesten Stadt der Welt. Das letzte Stück fordert alle Konzentration. Es geht durch eine riesige Strassenbaustelle, Flugsand, Löcher ohne Boden, Risse, Staub, der Wagen schaukelt beängstigend, tuckert aber, wie schon so oft, ungerührt über jedes Hindernis hinweg, und so erreichen wir hupend und staubverklebt die Stadt. Vor der schmerzenden Mittagshitze müssen wir zuerst mal Zuflucht nehmen, Cola, Tee, Cola. Man fühlt sich lahm, der Schweiss läuft salzig in die Augen und nimmt einem die Freude am Schauen. Trotzdem gehe ich später in die Bazare. Es gibt einiges zu erledigen, einkaufen, Geld wechseln usw. (Geschäftchen: für 30 DM kaufe ich 50 DM persisches Geld). Viel Dreck umgibt mich, die Erdstrassen in den Bazaren werden dauernd mit Wasser bespritzt, ein muffiger Dampf hängt in der Luft, und man rutscht mehr als man geht. Die Radios überall sind auf einen Sender eingestellt, die Araber hängen in Trauben um die Lautsprecher: Nasser spricht, schreit und schimpft, die Leute schimpfen mit, Allah und Arabia, der heilige Krieg! Das alles trägt kaum dazu bei, unser Wohlbefinden zu steigern. Es wird einem in solchen düsteren Ecken recht mulmig.
Bepackt mit Lebensmitteln kommen Walter und ich zurück; das Thema der anderen ist, fahren wir noch nach Kuweit, oder verziehen wir uns lieber gleich. Das Geld für’s Blut spenden aber reizt doch, also weiter, wieder hinaus in die Wüste.
Es wird Abend, als wir uns der Kuweiti-Grenze nähern. Überall am Horizont brennende Ölfackeln, überall flackerndes Licht. Der Reichtum fliesst Tag und Nacht, wir werden sehen, was die Kanacken damit anfangen. Die Grenzformalitäten halten uns wieder einige Stunden auf, die Zollbeamten müssen erst geweckt werden. Missmutig und verklebt, nur in Schlafanzughosen, fertigen sie uns ab, und endlich betreten wir kuweitischen Boden, 10 km weiter und wir fahren wieder in den Wüstensand hinein, bauen unsere Wagenburg, kochen, essen und sind wieder vergnügt.
Supermoderne Tankstellen, Tankstellenwärter in Gala-Uniform, eisgekühltes Wasser und Aircondition, 50 km vom Shat-el-Arab-Sumpf bedeuten 3000 Jahre überspringen! Was für ein Kontrast!
Auf Autobahnen nähern wir uns der Stadt Kuweit, vorbei an Supervillen im Money-Stil, blitzende Strassenkreuzer, daneben wieder armselige Slums. Bettler und Millionäre, Luxus und Armut nebeneinander. In den aus Lumpen zusammengebastelten Zelten haust das grösste Problem Kuweits: die Hunderttausende, die auf allen möglichen Schleichwegen durch die Wüste in dieses Land kommen, auf Kamelen und Eseln, alle angelockt durch das Wundermärchen Kuweit, die auf ein Stückchen vom grossen Ölkuchen hoffen, aber bald in unbeschreiblichem Elend am Stadtrand vegetieren, ein ewiger Herd der Unruhe und der Seuchen, vom Militär bewacht, von der Unesco dürftig genährt.
Was interessiert es auch einen Kuweiti, er ist schon durch Geburt Millionär, hat alles in Hülle und Fülle; die anderen sind zwar auch Araber, sie gehören jedoch nicht zum Stamm der Auserkorenen, die schon längst vergessen haben, dass sie selbst noch vor 25 Jahren als Halbnomaden in Zelten gehaust haben und nur durch Englands Politik zum Staat und durch den Ölreichtum unter ihren Füssen zu Millionären geworden sind. Sie brauchen nicht zu arbeiten, wer dort arbeitet, ist Gastarbeiter aus allen möglichen Araberstaaten, schwimmt mit auf dem Öl und im Geld.
Wir schlendern durch die Geschäftsstrassen und staunen nur so über das Angebot. Da es hier keinen Einfuhrzoll gibt, ist alles da, in Hülle und Fülle und zu Preisen, die kaum möglich erscheinen. Meine Minox kostet hier komplett 350,- DM, ein Philips Super-Transistor, der in Deutschland 1200,- DM kostet, wird hier zu 650,- DM angeboten. Uhren, Swiss-Made, Rolls-Roys, 600 Mercedes. Wir greifen uns oft an den Kopf und nicht nur wegen der Hitze. Die Blutbank ist heute schon geschlossen, morgen also gibt’s Geld.
Wir fahren zum „Strand“ hinaus, schon bald aber wird uns auch dieses Vergnügen verdorben, das Wasser ist eine warme Drecksbrühe (Der Strand, ein lustig aufgedunsener Schafskadaver mitten zwischen den lustigen picknickenden Kanacken, stank erbärmlich.)
Nun, so suchten wir uns denn wieder mal „den Schlafplatz“. Dieser lag diesmal unter niedrigen Nadelbäumen in der Nähe des Strandes, und es wäre ja nett gewesen, hätten uns nicht wieder gleich die einheimischen Kanacken belästigt. Drei Meter an uns herangefahren, mit laufendem Motor, glotzen sie uns an, die gleichen Gesichter wie die Eseltreiber in der Wüste, bis ich mich einen Meter vor sie hinstelle, kschksch und jalla, jalla mache, und sie dann ganz beleidigt den Wagen loshopsen lassen und wegbrausen, nur um nach zehn Minuten wieder an genau der gleichen Stelle wieder anzuhalten. Herrlich!
Was macht man denn bloss als Kuweitisohn mit so einem Jaguar-Sportwagen? Um die Stadt und das Land nur Wüste und uninteressante arme Nachbarländer ringsum. Autorennen im Sand, das ist was, im 4. Gang Hügel rauf, Hügel runter, der Wagen setzt auf Steinen auf, die Räder drehen durch, eine schöne Hupe hat man, und wenn der Wagen kaputt ist, Papi kauft einen neuen.
Am anderen Morgen ist es dann soweit: Blut spenden. Wir begeben uns mit gemischten Gefühlen zur Blutbank, müssen zwei Stunden warten, bis uns dann gesagt wird, dass heute nur Blutgruppe O und B genommen würde, ja, gestern wurde auch noch A genommen, aber heute hätten sie genug A. Unser Walter und die beiden Frankfurter lassen die Kinnlade fallen, sie haben A, also kein Geld.
Peter und ich haben Glück, mein Blut stellt sich bei der Untersuchung als besonders positives B, Peters als O heraus. Genauso die beiden Mädchen. Also je 150,- Dollar in bar. Nach einer Weile bin ich dran, pumpe mein Blut für den Heiligen Krieg ins amerikanische Plastikbeutelchen (350 ccm) und kassiere mein Blutgeld.
Beim Verabschieden gebe ich noch der Hoffnung Ausdruck, dass in einem Kriegsfalle genügend A vorhanden ist. Wir lachen alle über diesen gelungenen Scherz, Schwestern und Arzt, alle.
Dann fahren wir wieder in die Stadt, warten auf irgendwelche Reaktionen des Blutverlusts (Hitze und sonstiges), die aber nicht eintreten. Ich fühle mich, genau wie vorher, auch mit weniger Blut in dieser Hitze unwohl. Mal sehen, was ich aus meinem Blutgeld machen kann: Ich investiere in ein Dutzend Wilkenson Klingen und 5 Schweizer Uhren.
Die Nachrichten, die wir hören, sind gar nicht so nett; wir fahren direkt am Abend noch weiter, zurück bis zur Grenze, bunkern noch HD-Öl für Indien, und verlassen dieses „gelobte Land“ mit weniger Sympathie. (Überall in der Stadt werden gerade Hetzplakate gegen Israel aufgehängt, die lustig-grimmige Filmstar-Soldaten zeigen, die vergnügt ihre Bajonette in kleine, mickrige Zwerge mit Davidstern stechen. Darueber gross1947-1967
Natürlich wissen wir, dass es an der irakischen Grenze beim Eintritt wieder grossen Ärger geben wird -- es ist immerhin halb 3 Uhr, in der Nacht, die Zöllner wollen schlafen. So geht es denn auch gleich los. Wir kommen mit vollem Horn hupend, an der Grenzstation an, kein Licht in den Büroräumen, die Grenzler schlafen alle im Freien auf Feldbetten, die massgebenden Leute rüttle ich nacheinander mit grösstem Freudelachen wach, gehe in die leeren Büroräume, drehe Festbeleuchtung an, rufe in der Gegend herum, bis alle wach sind und die richtige Stimmung haben.
Zuerst: heute keine Abfertigung. Wir schimpfen ohne Unterbrechung in voller Lautstärke (Peter spielt daneben seinen wilden Jazz auf der Gitarre). Also gut, Abfertigung! Man will von uns 20,- DM Versicherungsgebühr. Wir haben ADAC Informationen, dass „Deutsche keine Versicherung zu bezahlen brauchen“. Also doch keine Abfertigung! Die Kanacken wollen wieder schlafen gehen, wir drohen mit Hungerstreik, brüllen aus Leibeskräften, bis es dann doch noch klappt und wir abgestempelt werden. Alle dampfen bis zum Platzen, als wir uns einzeln freundlich lächelnd verabschieden. Uff, war das ein Happening! Wir fahren noch einige Kilometer in die Wüste hinaus, lachen uns kaputt und beglückwünschen uns zur schauspielerischen Leistung.
Noch vor Sonnenaufgang geht es weiter, da wir nun endgültig diesen malerischen Landstrich verlassen wollen. Wir brauchen wieder frische Luft, Berge und Bäche. Trotzdem müssen wir weiter durch Wüste fahren. Basra lassen wir schnell hinter uns, über eine wacklige Holzbrücke überqueren wir den Shat-el-Arab- durchqueren auf sandiger Piste den letzten Iraki Wüstenstreifen und kommen wieder zu einer aehnlich liebenswerten Grenzposten. Irak, Ausgangsstelle nach -– Persien.
Ein kleines Holzschild schickt uns von der Wellblech-Piste weg in eine Ansiedlung, wo wir uns zu einem alten Pferdestall durchfragen müssen. Über der niedrigen Tür steht „Custom-Office“.
Während sich Peter um die Formalitäten kümmert, schaue ich mich ein wenig um. Grinsende Soldaten in zerfetzten Uniformen und aufgeplatzten Schuhen zeigen mir stolz das „Gefängnis“. So etwas hatte ich noch nie gesehen! Ein vergittertes Loch, in dem ich nach längerem Hinschauen einige hockende Gestalten erkennen konnte. Sie waren nur mit Lappen-Unterhosen bekleidet, kein Licht, keine Lüftung, Tausende von Fliegen und ein Duft, ein Duft! Keine Kuh steht in Deutschland in solch einem Verschlag.
Einer von den Gefangenen (wer sie waren und was sie getan hatten, weiss ich nicht, ich konnte nichts erfahren) kroch zum Gitter, um mich um eine Zigarette anzubetteln. Fröhlich trat einer von den Soldaten gegen seine Hände am Gitter, und schnell verzog sich der Mann wieder nach hinten. Der Soldat grinste mich freundlich an und machte eine abfällige Bewegung in Richtung Gitter. Um das alles noch ein wenig besser beobachten zu können, setzte ich mich dann scherzend zu diesen Soldaten, beantwortete viermal die ewige Frage (Wats-yr-neim?), worauf einer der Gefangenen auf mich deutete, den gestreckten Zeigefinger an seinem Hals vorbeiflitzen liess, was bei mir ein eigenartiges Gefühl auf dem Rücken und in der Halsgegend hervorrief. Ich ging zum Wagen zurück.
Während Peter und die anderen wieder mal grossen Lärm machen mussten, um überhaupt „abgefertigt“ zu werden, blieb ich im Wagen, bis mir die Hitze zu gross wurde. Ich war gerade in Stimmung, ein wenig mitzubrüllen und ging dann auch vor in jenes „Custom-Office“, kam hinein, als der Zollner in holprigem Englisch gerade den Vorschlag machte, wir sollten doch mal eben zur Kuweit-Irak Grenze zurückfahren, da er mit diesem Carnet (Triptick von ADAC)) nichts anfangen könne. (Das Triptick muss bei Eintritt und bei Austritt des Wagens in einem Land abgestempelt werden, erst dann ist es gelöscht.)
Der verschlafene zornige Zöllner der vorigen Nacht hatte nämlich das Triptick bei unserer Einreise gleich völlig gelöscht. Freude über Freude! Ich brauche gar nicht mehr zu erzählen, was wir für eine Schau abgezogen haben. Frechheit siegt, eine Stunden später waren wir wieder “on the road“, durch das endlose Niemandsland bis zur persischen Grenzkontrolle.
Arabia a’sallam a’leikum - feiert Euren Krieg ohne uns !
Nachdem wir die persische Pass- und Zollkontrolle hinter uns gebracht hatten, ging es noch zwei Tage durch das heisse Tiefland Mesopotamiens, bis wir die Berge des Zagros-Gebirges und damit kühlere Regionen erreichten. 60 km vor Khorramabad fanden wir in einem breiten Tal einen malerischen Gebirgsfluss, seit der Türkei das erste Gebirge, der erste kühle Ort, den wir dann auch richtig genossen.
Unser nächstes Ziel ist Isfahan, also weiter durch eine wilde Gebirgslandschaft, durch steile Täler, durch kleine Gebirgsdörfer, halten in Khorramabad nur, um einen Reifen zu wechseln, verlassen dann die Asphaltstrasse, fahren auf fürchterlicher Sandpiste durch ein fruchtbares Hochtal, das links und rechts durch gewaltige Felsenmassen begrenzt wird, fahren den ganzen Tag, bis wir am Abend ziemlich spät und müde Isfahan erreichen, die schönste Stadt der Welt, wie Marco Polo sie nannte.
Noch am Abend treffen wir zwei Schweizer wieder, die wir in Bagdad getroffen hatten und die sich unserer Truppe anschliessen wollen. Drei VW-Busse also. Bruno heisst der eine, klein und bullig, Kurt der andere, mit langen Haaren und Vollbart. Die erste Nacht schlafen wir in einem kleinen Wäldchen etwas ausserhalb der Stadt. Es gibt noch viel zu erzählen bis in die Nacht hinein, dann lege ich mich auf die Matratze draussen auf das Dach des Schweizer VW-Busses, um die frische kühle Luft zu geniessen. Kaum ist die Sonne aufgegangen, werde ich durch eine wilde Schar Krähen geweckt, die sich sehr über uns wundern und in wildem heiserem Geschrei um mich herumflattern und mir keine Ruhe mehr lassen. Also aufstehen, in die Stadt, in den Bazar.
Am ersten Tag in Isfahan schaue ich nach, ob noch alles so ist, wie ich es in Erinnerung habe, ja, hier und da ein neuer Laden, mehr Touristenkram, dafür finde ich wieder Neues, einige Händler erinnern sich noch an uns, versuchen gleich wieder, am alten Geschäft einzuhaken, preisen alle möglichen Dinge an, aber ich bleibe vernünftig. Auf mich wartet ein grosses unbekanntes Gebiet -–Afghanistan, Pakistan, Indien, warum also mein Geld schon hier ausgeben?
Nach einem Besuch in der 1000-jährigen Freitagsmoschee, die mich auch bei diesem dritten Besuch wieder begeistert, ist mein erster Besuchstag beendet. Wir schauen nach einer Unterkunft, wo wir längere Zeit bleiben können. Dieter und Christa, ein Paar aus Frankfurt, war vor 2 Jahren bereits hier in Isfahan und kennt einige Pfleger des Christoffel-Blinden heims. Dies liegt ausserhalb der Stadt, über dem Fluss, der halb ausgetrocknet die Stadt teilt und über den man auf alten arabischen Brücken wandert. Dort werden uns freundlich die Tore geöffnet, und wir können unseren Wagen zwischen Bäumen voller Kirschen platzieren. Christoff war ein norddeutscher Priester, der vor 40 Jahren nach Persien ging, um sich der vielen Blinden dort anzunehmen. Nach der mohammedanischen Religion ist der Blinde ein von Gott gestrafter böser Mensch, der gerade noch zum Betteln gut genug ist.
Wie ich Euch schon nach meinen letzten Reisen von Persien erzählt habe, fielen mir schon damals, und auch jetzt wieder, die vielen Blinden an den Strassen auf, die dort bettelnd an den staubigen Rändern hocken. Wie gut, dass es Leute gibt, die sich ihrer annehmen. In diesem Heim sorgt man wirklich gut für sie, sie werden gekleidet und verpflegt, gehen zur Schule, lernen Deutsch, Englisch, und einige haben schon das Abitur gemacht. Der Leiter des Heims ist ein Herr Willem (oder Wilhelm), der, wie er mir sagte, auch Lehrer in der Nikolauspflege in Stuttgart war, (die Grundschule meiner Schwester Helga). Vielleicht kennst Du oder Helga ihn sogar noch. Mit einem der Blinden habe ich mich etwas angefreundet und ihm während der Zeit dort etwas Gitarrenspielen beigebracht. Wirklich ein sehr netter Kerl, dem ich Helgas Adresse gegeben habe und der ihr vielleicht mal schreiben wird.
Nachdem ich also den ersten Tag im Bazar verbracht hatte, blieb ich die nächsten Tage dort im Garten, schrieb meinen ersten Reisebericht an Dich, pflegte mich und faulenzte, was mir ausgesprochen gut tat.
12.7.67
Nach ereignisreichen Tagen sitze ich jetzt mitten in einer Steinwüste, jedoch an drei herrlichen Seen und ruhe mich von den Strapazen der letzten Zeit aus.
Zurueck nach Isfahan:
Eigentlich hatte ich von dort aus einen Ausflug in die persische Wüste vor, um die Türme des Schweigens anzuschauen, aber die Strasse dorthin war wirklich alles andere als einladend, und ausserdem hatten Walter und ich etwas anderes vor uns, was auch lohnend war. Unser Peter hatte ausserdem am zweiten Tag in Isfahan Fieber und Durchfall bekommen und wurde von den Leuten im Blindenheim kurzerhand ins Englische Hospital gesteckt, dasselbe, in dem vor zwei Jahren meine Freunde Winfried und Robert gelegen hatten. Wieder also gingen wir, Walter und ich, durch den immer noch überfüllten Wartesaal, um einen Kranken zu besuchen, der aber schon am zweiten Tag wieder munter dreinschaute. Also nichts Ernsthaftes, Gott sei Dank.
Wir "Künschtler“ waren in der Zwischenzeit dann auf Motivsuche, und so fuhren wir aus der Stadt hinaus in ein kleines Dorf, 40 km von Isfahan entfernt, das uns schon auf der Hinfahrt aufgefallen war. Wir schlenderten durch das Dörfchen, wurden als Wundertypen bewundert, klemmten jeden Winkel ins Hoch- und den anderen ins Querformat, manschten mit Farbe und Bleistift, verglichen die mageren, jedoch befriedigenden Ergebnisse und nahmen gerne eine Einladung zum Tee an. Alsbald sassen wir also in einem der ummauerten Innenhöfe, tranken den angebotenen Tee und liessen uns gleich wieder für morgen einladen. Ein Portrait, das ich von einem wettergegerbten Ur-Opa anfertigte, machte riesigen Eindruck.
Zurück ging’s dann wieder in die Nacht hinein nach Isfahan, wir assen Sandwiches zu Abend, liessen uns die von Peter erhandelten Reiseandenken vorführen und schliefen dann wieder auf der Luftmatratze, von wetterzerfressenen Ur-Opas und handziselierten Kupfertellern träumend.
Isfahan bleibt doch immer wieder in guter Erinnerung, für uns alle. Wenn auch der Tourismus mehr und mehr reinläuft, so bleiben doch viele Gässchen davon unberührt, obwohl überall das „Hello-Mister“ nachklingt. Noch ein Tag geschlendert, und dann verlassen wir wieder, gesund und kuriert und auf Neues gespannt, Isfahan in Richtung Teheran.
Wieder ein herrliches Gefühl, rollende Räder unter sich zu haben. Es geht in die Wüste hinaus, auf mittelmässiger Asphaltstrasse, durch kleine Oasendörfer. Nach einigen Stunden Fahrt wieder Halt an einem Teehaus, çay, çay, dann sitze ich hinten auf unserem Supersessel, die Wagentür offen und lasse den grossformatigen Naturfilm vor mir ablaufen. Von den Bergen herab in die endlose, trockene Ebene ziehen sich lange Reihen von Erdhügeln, von ferne, in hundert Meter Abstand, wie grosse Maulwurfhaufen anzuschauen. Seit über 2000 Jahren existieren diese unterirdischen Wasserleitungen in Persien, die von weither das Wasser von den Bergen bis zu den Dörfern bringen, oft in 30-50 m Tiefe. Von einem vererbbaren Berufsstand saubergehalten, der seit jeher eine stolze Kaste unter der Landbevölkerung bildet, ziehen sich diese Erdreihen durch die persische Wüste. An ihren Endpunkten wird das Wasser über einen primitiven Wasserzug von Eseln oder Kamelen in die Bewässerungskanälchen befördert. Hier wird um jeden Tropfen Wasser gerungen. In Teheran und an den Nordhängen des Elbursgebirges dagegen, dem Millionärsviertel von Teheran, tummeln sich lustig die Reichen im Ölgelder-Swimmingpool. Man kann wirklich einen Zorn auf den persischen Pfauentrohn bekommen, wenn man die Armut in diesen Perserdörfern sieht.
Ach so, seine korrupte Majestät ist gerade in Deutschland zu Besuch und wird, so berichten die hiesigen Zeitungen, von einer begeisterten Studentenschar mit dem Ruf "Lang lebe der Schah“ empfangen. Pustekuchen. Dramatisches aus Deutschland bei einer Anti-Shah-Demonstration in Berlin: Knueppeleinsatz der Polizei und ein Toter Student Benno Ohnesorg. Was soll denn das ?
Alles spricht ansonsten nur vom arab-israelischen Krieg, Radio und Zeitungen. Wir hängen jeden Abend am Kurzwellen Radio und hören die Schweizer Welle, die einzige deutschsprachige Welle, die wir hier in unserem Transistor empfangen können. Radio Wien empfangen wir auch, jedoch bringt es meist Walzer und Peter Alexander Melodien. (Wir wollen alle einen Dankesbrief an diese Idioten senden).
Die Nachrichten, die wir hören, sind schlimm, obwohl sie schon nach 4 Tagen den totalen Sieg der Israelis verkünden (Die armen ägyptischen Soldaten-Kanacken, armes Jordanien! Unser Offizier im Jordan Tal ? Unsere Sympathien sind geteilt). Aber Schluss von jenem Saukrieg.
Wir erreichen, nach einer Nacht im Wadi, Ghom, die heilige Stadt der Shiiten. Sie bleibt für uns jedoch eine verbotene Stadt; die mit Goldziegeln beschlagenen Minarette und Kuppeln können wir nur von ferne betrachten. Die Leutchen hier sind uns Christenhunden wenig gut gesinnt, wir fühlen uns wie Mohammedaner in Kevelaer, kaufen unsere Lebensmittel für die nächsten Mahlzeiten und verziehen uns wieder auf die Wüstenstrasse nach Teheran, das noch 60 km entfernt ist. Auch in Teheran wollten wir uns nicht lange aufhalten, es werden aber doch wieder 4 Tage, Wageninspektion, Visa für Afghanistan, Deutsche Botschaft, Spedition, Museum, Bekanntenbesuche usw.
Auch wieder Post von Zuhause. Die liebe Mutter ist furchtbar in Sorge wegen des Kriegsgeschehens, und ich muss sie schnell wieder beruhigen.
Um wieder einen kleinen Verdienst zu haben, tausche ich hier wieder Geld zum günstigeren Kurs auf dem Schwarzmarkt (wie’s genauer geht, kann ich Dir auch nicht erklären. Auf jeden Fall läuft die Sache für uns immer günstig).
Dann werden wir auf offener Strasse von Zeitungsreportern angehauen und am folgenden Tage auch noch als die ersten Fluechlinge „aus dem Kriegsgebiet“ in der Zeitung gefeiert, da wir zu den Ersten gehören, die aus der Kriegszone kommen. Den Zeitungsausschnitt hast Du ja wohl hoffentlich erhalten.
Übernachten ist hier im Wagen nicht möglich, mitten in der Stadt, daher fahren wir abends immer hinaus, das heisst hinauf in die Berge. Gen Norden steigt das Elburs-Gebirge steil an. Wir fahren am scharf bewachten, zur Zeit jedoch unbewohnten Sommerpalast des Schahs vorbei, weit hinauf, bis wir in der Nähe eines kleinen Gebirgsdorfes an einem kleinen Gebirgsbach Halt machen.
Da wir ab Isfahan mit drei VW-Bussen fahren, bilden wir dort ein nach dem Wasser offenes Quadrat, ein gemütlicher Innenhof entsteht, das Sonnendach der Frankfurter darüber, es lässt sich gut aushalten. Zu den schönsten Erinnerungen an diese Gegend gehört eine ausgedehnte Bergwanderung, der in einer vertrackten Klettertour endete. Mit Kurt, einem unserer Schweizer, stieg ich die Hügel hinauf, die sich auf der anderen Seite als steile Felsenzacken entpuppten. Nach einer vermaledeiten Klettertour gelangten wir wieder ins Tal, neben heimziehenden Schafherden her, am Gebirgsbach vorbei, bis wir mit leblosen Füssen und recht müde, den heimischen Herd (sprich Walters Bratkartoffeln) erreichten. Die Klettererfolge machten uns dann vollends grössenwahnsinnig. Wir nahmen uns vor, den Demavent, den höchsten Berg Persiens, zu besteigen.
Dieser, ein alter Vulkan, ist nur 6000 m hoch, schneebedeckt und, wie uns ein bayerischer Alpinist versicherte, im Spaziergang zu nehmen. Also nichts wie hin! Die Frankfurter waren nicht zu halten, sie fuhren einen Tag vorher los, um die Lage am Fuss des Berges zu sichten. Walter und ich, sollten einen Tag später folgen. Peter, der noch etwas länger in Teheran bleiben wollte, will mit den Schweizern nachkommen.
Bis hierhin war die Fahrt für Walter und für mich auf meist bekannten Pfaden verlaufen, von nun an stossen wir in Neuland vor. Ein neuer Abschnitt. Kein Wunder also, dass wir endlich das dreckige Teheran verlassen wollten.
1. Gang, 2. Gang, 3. Gang, es steigt erst leicht an, dann wieder zurück schalten, es wird wieder steil, wir sind mitten im Elburs-Gebirge. Durch viele Tunnels geht es an steilen Tälern entlang, noch sind die Berge kahl, Fels in allen Braun- und Grautönen, doch plötzlich, nachdem unser Panzer wieder einen Pass erklommen hatte, stand da der Demaventvor uns, und nahm uns mit einem Schlag all unsere alpinen Gefühle.
Walter sagte nur „haste dir den Zacken angeguckt ?“ und damit war die Besteigung gestorben. Ein grosser weisser Kegel, der ganz harmonisch in die Höhe wächst, bis hinauf zur Spitze, die in einer Wolke verschwand. Zwar suchten wir noch unsere Frankfurter Freunde, fuhren daher einige Kilometer von der Hauptstrasse ab auf einen halsbrecherischen Feldweg, fanden sie jedoch nicht. Auch sie musste der Mut verlassen haben. Weiter nach Norden, weiter bis zum Abend durch das zerklüftete Gebirge, bis wir mit einem Mal dichtbewaldete Hänge erreichten und an einem reissenden Fluss, unsere Nachtruhe fanden.
Wie verwandelt war die Landschaft am anderen Tag. Wir schienen plötzlich nach Ost-Asien versetzt, links und rechts der Strasse wurde Reis gepflanzt, Wasserbüffel zogen Holzpflüge durch knietiefen Matsch, Männer und Frauen mit grossen Strohhüten arbeiteten im Feld, mit farbenprächtigen Kleidern angetan, bunte Farbkleckse im Grün der Felder. Es tat richtig gut, nach all den braun- und beigefarbenen Wüsten kräftige Farben zu sehen, doppelter Genuss für uns.
Nach weiteren Kilometern Fahrt fanden wir auch unsere Frankfurter wieder und plantschten bald in den Fluten des Kaspischen Meers, suchten nach Kaviar, fanden jedoch nur Strand, was uns gerade passte. Die Welt war wieder nur schoen, ein herrliches Leben, dünenwandern und faulenzen.
Tags darauf trudelten auch die fehlenden Schweizer mit unserem Peter ein, brachten Briefe aus Deutschland mit, die wir gleich am Abend mit Wodka und Holzfeuer feierten. In der Nacht kamen aus dem sumpfigen Urwald, der gleich hinter der Küstenstrasse begann, die tollsten Geräusche.
Dort begann ich sogar diesen Bericht, aber Schlangenjagd im Sumpf und Wellenreiten verhinderten das ruhige Sitzen, und ich dachte mir dann, dass Du Dich auch noch einen Monat später über mein Geschreibsel freuen wuerdest.
Am dritten Tag dort tobte ein gewaltiger Sturm, der haushohe Wellen an den Strand warf. Es ist einfach was tolles, so mit den Wasserbergen zu kämpfen, um dann prustend nach einer Weile wieder am Strand zu liegen. Unser Speisezettel wurde durch drei muntere Hasen belebt, die sich ungeschickt in Walters Gewehrschüsse warfen. Sie schmeckten ausgesprochen deutschfreundlich und trugen allgemein zur richtigen Erholung bei.
Nach herrlichen Tagen dort ging es weiter, durch den fruchtbaren Küstenstreifen des Kaspischen Meeres nach Osten, immer an den bewaldeten Hängen des Elburs-Gebirges entland. Mesched, so hiess unser nächstes Ziel und die persisch-afghanische Grenze.
Hinter Gorgan weitete sich das Land links zu einer endlosen Steppe, dicht an der russischen Grenze entlang. Wir waren jetzt im Gebiet der Turkmenen, echte Mongolen, mit gewaltigen Pelzkappen, Schlitzaugen und dünnem Barthaar am Kinn. Die Trachten der Turkmenen sind weit farbenfreudiger als die der Perser, knalliges Blau und Rot. Noch heute sind sie ein grosses Reitervolk, mit wilden Reiterspielen in der Steppe, an denen sich bis zu 5000 Reiter beteiligen sollen. Solch einem Spiel beizuwohnen wäre etwas, doch sie sind erst im Winter oder Spätherbst, also im Augenblick nicht möglich für’s Hänschen. So muss ich mich mit den Erscheinungen am Strassenrand begnügen, meist in Gruppen von zehn und mehr, auf kleinen, kräftigen, vollblütigen Pferden mit silberbeschlagenem Saumzeug und farbigen, geknüpften Satteldecken. Den Reitern sieht man ihren Stolz an, kaum dass sie uns beachten oder nur ihr Gesicht zu verziehen.
Von Gorgan aus fahren wir wieder ab von der Hauptstrecke. Wir wollen nach Pachla Videsch, einem kleinen Dorf, recht weit in der Turkmenensteppe drin, wo einmal in der Woche Markt sein soll, doch leider haben wir den Tag verpasst, eine weitere Woche warten passt aber wieder nicht in unseren Plan, und so kehren wir wieder um, über staubige Piste zurück nach Gorgan, schlendern dort noch eine Weile umher und fahren dann weiter nach Osten. Wir sind uns langsam klar darüber, dass wir 10 Jahre brauchten, um alles das, was sich uns an Sehenswürdigem bietet, richtig auszukosten. Vor uns aber liegt Afghanistan und mehr, also weiter. Doch für mich steht schon fest, dass ich nicht das letzte Mal bei den Turkmenen war, wenn irgendwie möglich werde ich sie irgendwann mal ausgiebiger besuchen, so interessant und aufregend ist dieses Gebiet.
Bald hinter Gorgan hört nun die „gute“ Strasse endgültig auf. Wir fahren bis nach Afghanistan auf sogenannten Naturstrassen. Jetzt kam also das schlimmste Stück „Natur“ auf unseren Wagen zu. Fürchterliche Sandpisten mit heimtückischen Schlaglöchern machten uns wieder mürbe und dreckig, die Sorge um unser Wüstenschiff bestimmte die Gedanken, und jeden Donnerschlag auf die Räder empfanden wir tief schmerzend. Doch Allah fuhr mit, und bis auf einen geplatzten Reifen überstanden alle Wagen diese Albtraumstrasse besser als wir selbst. Erschoepft und gereizt brachten wir diese Strecke hinter uns.
Mesched, wie Ghom eine heilige Pilgerstadder Schiitent, empfing uns durch den Goldglanz der Minarette und Kuppeln, aber wieder waren diese Heiligtümer fuer uns nur aus der Ferne zu betrachten. Wir waren Persien jetzt langsam satt, wollten also so schnell wie möglich weiter nach Afghanistan, von dem uns schon unterwegs so viel erzählt wurde.
Wir machten einen Bummel durch den Bazar, in dem Türkise zu Spottpreisen angeboten werden und kümmerten uns dann wieder um unseren Wagen und die Lebensmitteleinkäufe. Durch einen Stein hatte unser Wagen das linke Vorderauge verloren, das war schnell behoben, und so konnten wir dann weiterfahren in Richtung Grenze. Wieder Saustrecke. Die Strasse war kaum bezeichnet, so mussten wir uns durchfragen, bis wir schliesslich den letzten persischen Ort erreichten. Grenzen – meine Freude : Stundenlang brauchte es, bis wir allen Kampf mit der Bürokratie ausgestanden hatten, und dann war es wieder so weit, wir liessen ein altes Land hinter uns, fuhren durch weites Niemandsland und waren dann da, in Afghanistan, der „Schweiz Asiens“. Vorerst jedoch waren es afghanische Saustrassen, doch wir wussten, dass bald russische und amerikanische Betonstrassen auf uns warteten, so war es dann halb so schlimm.
Herat war die erste Afghanenstadt. Für mich eine fast ueberwaaeltigende Wucht. Die Häuser klein und lehmgebaut, durch die dreckigen Strassen fliesst auch hier ein dreckiger Bach, und doch ist alles anders. Neu sind die Menschentypen. Schon äusserlich von den Persern verschieden, die meist zerlumpte europäische Kleidung tragen, trägt hier alles einen grossen Turban, lange weisse Gewänder, die Frauen sind völlig verschleiert bis auf die Hacken, blicken nur durch ein Stoffgitter vor ihren Augen. Die Gesichter der Männer, eines runzliger als das andere, lange schwarze Bärte, lange Haare, das Alter ist kaum zu schätzen. Man kümmert sich kaum um uns, auch das ist neu, man reisst sich nicht um unseren Einkauf – kaufe, oder nicht, egal – es ist schwer, zu handeln, und das „Hello Mister“ wird durch ein zischendes “ zzt-zzt“ ersetzt.
Und was es hier alles zu kaufen gäbe! In regelrechten Rumpelläden werden herrliche alte Waffen und Dolche angeboten, Felle hängen aussen in allen Preislagen, und schon habe ich eine herrliche Decke gekauft, genauso Walter, und Peter kann nicht ohne Schneeleopardenfell weggehen, alles zu Spottpreisen. Wäre es nicht so heiss, so dass wir uns über die grösste Hitze bei Tee im Schatten hinweg retten müssten, so wären wir wohl stundenlang in den Bazarstrassen herumgestrolcht. Es gibt kaum Autos, der Verkehr wird hier noch auf Pferderuecken oder Pferd und Wagen bewältigt. Statt Chromstangen also herrlich geschmückte Pferdegeschirre, bunt bemalte Wagen und gestreckter Galopp, Du kannst Dir vorstellen, wie ich dagestanden bin und staunte.
Ein anderes Erleben, das weiter durch ganz Afghanistan blieb, war die Begegnung mit wahnwitzigen Kontrasten: Das Spielchen der Grossmächte Russland und Amerika um diesen strategisch wichtigen Platz, das Buhlen der Grossen um die Gunst des Kleinen : Die Sovietunion begann mit einer Superautobahn von Herat nach Kandahar, Amerika zog nach mit einer Super-Superautobahn von Kandahar nach Kabul. Russen bauten daraufhin riesige Kapitalisten-Hotels an ihrer Strasse und Amerika Hotels an seiner.
Man stelle sich vor: plötzlich ein grosses Schild, Herat-Hotel direct and der leeren Autobahn, wir biegen neugierig ab, betreten ein Hotel im Hilton-Stil, grosse Empfangshalle, ein schlafender Portier im Nachthemd hinter einem Glastisch, auf Leder gebettet, sonst kein Mensch. Wir gehen erstaunt durch die Empfangshalle, ein grosser, leerer Aufenthaltsraum, die eingebaute Air-Condition ist abgeschaltet. Ich schleiche mich in eine Grossküche mit grosszügiger Einrichtung, alles Edelstahl und supermodern - kein Mensch. Der verschlafene Portier folgt uns erschrocken, damit hatte er wohl nicht gerechnet: richtige Gäste. Wir aber spekulieren nur auf den grossen Swimmingpool im Garten, zahlen ein Bakschisch und tummeln uns im kühlen Nass.
Das Hotel muss ein Vermögen gekostet haben, aber keine Kundschaft. Schon zeigen sich die ersten Risse im Putz. Wenn nicht etwas geschieht, fällt dieses Abbild des 20. Jahrhunderts in wenigen Jahren zusammen. Wir bestellen Tee und Omelette, der Portier rennt durch den Garten, steigt auf die Natursteinmauer und schreit seine Bestellung zu einer kleinen Holzbaracke hinüber, aus deren Kaminöffnung eine kleine Rauchsäule steigt. Nach einer Weile steigt von der anderen Seite ein kleiner Bursche samt Tablett über die Mauer und serviert uns unseren Tee auf dem Teakholztisch, der vor den schweren Ledersesseln steht, in denen wir uns in unseren nassen Badehosen herumlümmeln. Playboyleben mitten im Kanackenland, zum Totlachen, oder zum Heulen, wie man’s nimmt. Einfach der totale Wahnsinn.
Zwei Tage blieben wir also in Herat und vergnügten uns recht und fuhren (das heisst eigentlich flogen) über die Betonautobahn nach Osten. Jede Stunde vielleicht ein anderer Wagen, wieder, so schien es, war das alles für uns alleine. Unsere Stimmung stieg zur Albernheit. Jetzt hatten wir auch wieder Augen für die Landschaft, die wie eine riesige Filmkulisse für einen Western vor uns stand. Aus einer wirklich topfebenen Ebene rechts, durch die die Strasse führte, stiegen links ohne Übergang riesige Felszacken in die flimmernde Luft empor, einer neben dem anderen. Das ging so den ganzen Tag. Ein heisser Wind trieb Wolken von Sand über die einsame Strasse. Ganz selten begegneten uns riesige Kastenlastwagen, alte russische Modelle, bunt mit Alpenbildchen und Blümchen bemalt, turmhoch beladen, alle Museumsexemplare.
Oft kamen wir an Nomadenzelten vorbei, schwarze Zelte, in deren Nähe immer grosse Schafherden zu sehen waren. Doch wie sahen diese Hirten aus! Wie die Wilden. Fellfetzen, mit Lederriemen an den Beinen festgebunden, bildeten Schuhe und Strümpfe, ein grosser Umhang, darunter leuchten Waffengurt und Pistolen. Sie müssen bewaffnet sein, denn hier gibt es, laut Reiseführer, Wölfe, Tiger, Leoparden. Doch die scheinen sich zurückgezogen zu haben, die einzigen wilden Tiere, die wir sehen können, sind grosse Geier und Steinadler, die hoch in den Lüften kreisen oder auf den von Siemens errichteten Telefondrähten hocken.
Am Abend machen wir an einem ummauerten Gebäude halt, vermuten Militär, was sich als richtig herausstellt. Es sind Soldaten mit zerfurchten Gesichtern, zerlumpten Uniformen und Ringen in den Ohren, die hier einen modernen Russen-Bungalow behausen. Sie sehen aus wie Gangster, laden uns aber ein, zu bleiben. Wir fahren hinter die Umfassungsmauer, haben einen Brunnen mit gutem Wasser. Vier Soldaten hocken mit stumpfen Ausdruecken direct vor unseren Wagen und schauen uns zu ohne den Blick abzuwenden, wie wir unser Nachtlager herrichten und kochen. Sie geben uns dann zu verstehen, dass sie gerne die beiden Frauen benutzen wollen, doch als wir ihnen auf die Finger klopfen und unsere Befremdung darüber kundtun, ziehen sie einfach von dannen ohne weiteren Blick zurueck, und wir haben unsere Ruhe wieder.
Nach einigen Stunden Fahrt am anderen Morgen finden wir wieder ein Hotel an der Strasse, nach dem gleichen Plan wie das andere gebaut, wieder ohne Gäste, das gleiche Planschbecken, in dem wir auch gleich liegen und die Hitze verschlafen. Am Nachmittag besteigen wir wieder die Wüstenschiffe und erreichen bei Einbruch der Dunkelheit Kandahar, (was absolut nichts mit einem Skirennen zu tun hat). Kandahar liegt wie die meisten Städte in diesen Ländern an einem Fluss, der jedoch zu dieser Jahreszeit nur noch ein ausgetrocknetes Rinnsal bleibt. Sonst unterscheidet sich diese Stadt kaum von Herat, das gleiche Strassenbild, Pferde und Menschen, wieder ein Bummel durch die Strassen, bis wir uns vor der grossen Hitze in einen verlassenen, diesmal amerikanischen Hotel-Sitting-Room bei Mango-Sqash und kühlgefilterter Luft flüchten.
So, dann lass mich mal einen kleinen Sprung machen und zwar von Kandahar bis Kabul, wo wir den kleinen Haflinger und Roland und Sabrina, nach zwei Nachtfahrten Abschleppens, wohlbehalten in der Werkstatt abliefern konnten. Was die Begegnung mit den Beiden für mich bedeutet hat, habe ich Dir schon im Brief berichtet. Ich glaube auch, die Ereignisse bis Kabul kennst Du schon. Lass mich daher berichten, was seither in genau einer Woche, unglaublich, so alles geschehen ist.
Bamian, so hiess unser „Ausflugsziel“ von Kabul aus, ein Tal im Hindukusch Gebirge, herrlich gelegen zwischen zwei Gebirgszügen, die je 6000 m emporwachsen. Dieser Ort gehört zu den grossen Sehenswürdigkeiten Asiens. Hier haben vor 2000 Jahren Buddhistenmönche gelebt und 50 m hohe Buddhafiguren in die senkrecht abfallenden Felswände gemeisselt. Dorthin also ging unser Bestreben, aber nicht unser Wagen. Wie kam’s?
Uns wurde allerorts die beste Strecke empfohlen : 50 km zurück von Kabul auf Asphalt Richtung Kadahar, danach rechts ab ins Gebirge. Zwar, so sagte man uns, müssten wir zwei 4000 m Pässe überwinden, aber die Strecke sei wirklich sehr sehenswert und in ihrer Art einmalig. Recht hatten sie! Kaum waren wir vom Asphalt weg, als uns auch schon eine kleine, feldwegähnliche Strasse durch ein grünes Tal führte, durch kleine Bergdörfer, wo wir oft ausstiegen, Tee tranken und gut gelaunt weiterfuhren. Der Weg führte langsam, aber sicher höher hinauf, bis wir den grünen Baumwuchs hinter uns liessen, in die höheren Regionen hinauf, wo es nur noch Moos und kniehohes Gras gibt. Der Ausblick auf die Bergriesen war überwältigend, die kleinen Holzbrücken über die reissenden Gletscherwasser beängstigend. Obwohl die Sonne vom Himmel knallte, war es kühl. Wir zogen unsere Pelzkappen und Lederjacken an und begannen ab und zu nach Luft zu schnappen. So hoch waren wir noch nie gewesen, aber hinter der nächsten Wegbiegung musste es ja mal wieder runtergehen. Denkste! Vor uns stieg es steil in die Felsen hinein, beängstigend nahe an die Schneefelder heran, und der Weg zog sich wie eine weisse Schnur in halsbrecherischen Windungen daran hoch. Doch wir waren natürlich Optimisten und behielten für diesen Pass auch recht. Wenn auch mit hängen und würgen, im Rückwärtsgang und mit schieben, erreichten wir den ersten 4000 m Pass.
Welch ein Ausblick! Die Gletscher und Felsriesen waren nicht mehr über, sondern jetzt neben uns. Vom schieben und neben-dem-Wagen-rennen sassen Walter, Kurt und Peter keuchend und hustend am Rand der Strasse und brauchten einige Minuten, bis sie wieder ein Wort hervorbrachten, bevor sie einstiegen und wir den Weg zu Tal begannen. Am Abend waren wir dann wieder unten, fuhren an einem Fluss vorbei, bis wir einen herrlichen Platz, wo sich zwei solche Flüsse trafen, fanden. Unsere Wagenburg war schnell gebaut, nur die Kartoffeln wurden und wurden nicht gar. Wir mussten noch sehr hoch gewesen sein.
Ach so, ich vergass zu erzählen, dass wir uns In Kabul von den Frankfurtern getrennt hatten. Sie waren von einem Pakistani zur Jagd nach Nordpakistan eingeladen worden, was sie nicht ausschlagen wollten, und so verabredeten wir uns dann in Delhi, wo wir alle, wenn es klappt, eine Menge zu erzählen haben werden. Nun sind wir jetzt unter Männern, die Schweizer und wir, was hier in diesen Gegenden vielleicht ein Vorteil für uns ist. Mit Europa-Frauen durch Kanackenländer zu reisen, ist nicht ohne Problem, wie Du Dir jetzt sicher leicht vorstellen kannst.
Nach unserem ersten Hochbiwak stieg es dann gleich wieder steil an. Der zweite Pass. Wieder das gleiche Spiel: den ersten Wagen bei Vollgas hochschieben, zurücklaufen und unseren Wagen schieben. Alles ging gut, bis 100 m unter dem Gipfel unsere Kupplung mit einem Schlag versagte. Es dauerte eine Weile, bis wir begriffen, was das beteuted. Wir waren ziemlich verloren hier oben, keine Menschenseele zu sehen. Der Wagen hängt am Berg in grosser Höhe kurz unter der letzten grossen Steigung, ohne Antrieb. ..
Doch was half’s, wir mussten den Wagen vorsichtig zurückrollen lassen, bis er in einer etwas ausgefahrenen Haarnadelkurve einigermassen gerade stand. Nach kurzer Beratung fuhren dann Bruno und ich mit ihrem Schweizer VW, der leichter war und den Pass gerade noch geschafft hatte weiter nach Bamian hinab, das unserer Schätzung nach nur noch einige Kilometer entfernt liegen konnte. Aus diesen „einigen“ wurden dann 45 km, bis wir dieses Dorf, erreichten. Die Lage wurde immer hoffnungsloser, als wir uns vergebens um einen Wagen bemühten, der stark genug gewesen wäre, unsere Kiste noch zum Pass zu schleppen.
Auch war klar dass der Pass war von dieser Seite noch steiler war, also konnten wir mit Brunos VW nicht mal zurück! Zum Glueck kam uns ein französischer Geologe mit seinem Land-Rover zu Hilfe, fuhr mich zurück zum Pass, wo wir nach kurzer Beratung und Stoeckchen ziehen folgendes beschlossen: Walter und ich beim Wagen bleiben, Peter nach Möglichkeiten von Bamian aus nach neuer Kupplung suchen. Kurzes Händeschütteln, winke, winke, und da standen Walter und ich allein am Pass, in Sonnenuntgang gebadet und waren beide gleich der Meinung, dass uns sowas ja eigentlich noch in unserer Erlebnis Sammlung fehlen würde, kein Grund zur Sorge also, es geht ja sowieso immer schön weiter!
Es gab ja eigentlich nur wenig Problemchen. Da war erst mal das Wasser. Zu diesem Zweck hatten wir von den Schweizern einen handlichen Wasserfilter, der jedes Wasser ungefährlich macht. Verpflegung hatten wir genügend in Reserve, also auch nicht schlimm. Und wie werden sich die Leutchen hier oben verhalten? Da waren wir wie immer Optimisten. Unten im Tal war ein festungsartiges Dörfchen, das heisst, eigentlich nur 4 oder 5 Häuser hinter hoher Umfassungsmauer. Während der Sommermonate ziehen diese Nomaden mit Kind und Kegel samt Herden in die Berge und kehren erst im Herbst zu ihren Dörfern ins Tal zurück. Auf gleicher Höhe mit uns, nur auf einem kleinen Pfad erreichbar, standen in einer kleinen Mulde zwei Nomadenzelte am Horizont, eng an den gegenueberliegenden Hang angeschmiegt.
Dann waren sie ploetzlich einfach da, wie aus dem Boden gewachsen. Sie hockten sich in drei Meter Abstand vor uns nieder und betrachteten uns mit unbewegten Gesichtern, sassen nur da und starrten uns an. Dann nach einer Weile, als wir sie zu uns heran winkten, fingen sie an, in ihrer fremdartigen Turkmenen-Sprache Fragen zu stellen und einfach auf uns einzureden. Als wir ihnen begreiflich machen wollten, dass wir sie nicht verstehen, fingen sie an, die gleichen Fragen entweder zu schreien oder mit grossen Hand-Gesten begleited, oder nur durch Mundbewegung zu sprechen. Wir machten ihnen nur schwer klar, dass wir zwar gut hören, sie aber trotzdem nicht verstehen konnten, offensichlich ein neues fremdes Erlebnis fur sie.
Die meisten sprechen neben ihrer Sprache noch Persisch, so konnten wir uns denn mit unseren mageren Kenntnissen etwas verständigen. Es waren schon lustige Typen, vor denen wir in Deutschland bestimmt wegen ihres Aussehens alleine davongelaufen wären. Wie aus einem Karl May-Film herausgeholt, doch zweifellos echter, mit geschickt gebundenem Turban auf dem Kopf, breiten Ledergürteln, lange, bis zu den Knien reichende Hemden, eine lange Pluderhose, alles 100 mal übereinander geflickt und ausgebessert, alte Uniformjacken und darüber einen riesiges Schal, aus dickem Zeltstoff, den sie geschickt über Kopf und Körper zweimal herumdrehen, bis nur noch schwarz umrandete Augen und Füsse darunter hockend hervorschauen. So schützen sie sich gegen die dauernde Kälte und gegen den eisigen Wind, der den Pass herunterfegt und jetzt an unserem Wagen rüttelt.
Wir haben Hosen, Socken, Pullover und Pelzmützen an, darueber unsere Lederjacken, trotzdem wird es uns bitter kalt, wenn die Sonne sich hinter den grossen Felszacken verzieht. Kaum haben wir den ersten Kontakt gemeistert, schon müssen wir ihnen mit Nachdruck begreiflich machen, dass man nicht alles, was man sieht anfassen muss, dass man evtl. vorher fragen sollte bevor man fremde Schublade oeffnet und dass ich gleich mein verschwundenes Fahrtenmesser kurzerhand selbst beim Sippenchef aus dessen Jackentasche zurückhole. Er zieht beleidigt ab, kommt aber nach einer halben Stunde mit Fladenbrot und einem Kännchen frischer Ziegenmilch zurück, die er uns scheinheilig grinsend schenkt. So ists Recht.
Damit ist der Bann gebrochen. Wir schenken ihm ein Päckchen kuweitische Rasierklingen, und schon sind wir enge Freunde. Von nun an bringen sie uns Eier, Yoghurt, Brot, Tee, und würden wir nicht abwehren, so wäre wohl dauernd einer von ihnen zwischen uns und dem etwa1000 m entfernten Nomadenlager hin und her gependelt. Natürlich haben wir immer was dafür zurueckgegeben, wir hatten ja noch unsere nützlichen Altklamottensammlung aus Krefeld, und so wird heute manches Kinder-Pullöverchen von einem kleinen Nomadenkind in 4000 m Höhe getragen. Toll, was?
So hatten wir dann keine Minute Langeweile während der drei Tage Isolation da oben. Meist hatten wir drei oder vier solcher Burschen vor uns sitzen, die stundenlang nur da hocken konnten um uns zu betrachtend. Ich wusste gar nicht dass ein Mensch so lange starren kann. Wollten wir sie für eine Weile beschäftigen, so gaben wir ihnen das geliehene Schweizer Fernglas, das sie ehrfurchtsvoll entgegen nahmen und untereinander in begeisterte Diskussionen über das Gesehene ausbrachen. Sie drehten sich den Bergten zu hatten wir wirklich für ein - zwei Stunden Ruhe. Es war zu schön, nun sie zu beobachten. Sie waren alle Schäfer. Jeder war für eine Herde verantwortlich. So sassen sie dann mit unserem Fernglas, beobachteten ihre Herden, die oft sehr weit weggezogen waren. Die Vergroesserung durch das Glas war irgendwie verwirrend und sie wollten ihre Herden am liebsten gleich von hier aus zusammenhalten. Fluchend verschwanden sie dann für eine Weile und wir konnten sie von Ferne beobachten, wie sie mit heiseren Schreien ihre Tiere wieder zusammen trieben, wie sie geschickt und zielsicher mit ihren David-Schleudern selbst auf grössere Entfernung kurz neben dem zurück bleibenden Schaf oder der Ziege einen Stein platzierten, bis sie, ohne sichtbare Anstrengung, nach einiger Zeit wieder bei uns erschienen und sich wieder in ihre tiefe Sitzhaltung auf die Hacken niederliessen. Sie haben eigentlich alles, was sie brauchen, und ich war manches Mal drauf und dran, sie zu beneiden, um ihr einfaches Leben in diese Natur. Na ja, aber davon wissen sie ja Gott sei dank nichts, doch merkt man ihnen an, dass sie sehr gefestigte Persönlichkeiten sind, die anscheinend mit ihrem Leben gut zufrieden sind.
Vom Oberhaupt der Sippe fertigte ich ein Portrait an, bei dem er selbst mit Spucke und dann mit einem Kuli die Augen und den Mund zerkritzelte, es dann aber doch stolz einsteckte. Ein Bild von jemandem machen, bedeutet für sie „über denjenigen Macht haben“. Durch diese Prozedur aber wird diese Macht gebrochen und alles ist wieder in Ordnung.
Manchmal waren irgendwelche Eselkarawanen auf dem Pass unterwegs. Was diese kleinen Esel so alles schleppen, da kann unser Wagen noch oftmals neidisch werden. Den Pass herauf und herunter, bei uns vorbei : Frauen mit herrlichem Schmuck behängt, in farbigen Kleidern und Umhängen. Kein Auto.
Ich stieg keuchend höher und höher, bis ich eine Felsspitze über dem Pass erreicht hatte und für eine Weile den grossartigen Aus- und Überblick genoss. Die ungewohnte Höhe hier machte uns eigentlich nur die ersten zwei Tage zu schaffen, dann hatten wir uns daran gewöhnt und konnten auch ohne Herzklabastern einige Strecken hochsteigen. Beim Kochen bemerkten Walter dann auch, dass er ohne sich zu verbrennen, die Finger in kochendes Wasser stecken konnte; es war höchstens 75° heiss.
Am Ende des dritten Tages dann war es soweit. Ich war gerade wieder meinen alpinen Erbanlagen gefolgt, als ich von meinem Ausblick aus mit dem Glas einen Wagen unten im Tal erspäte, der sich schon von weitem durch seine Staubfahne verriet. In der Hoffnung, dass es sich um Peter handeln würde, stieg ich eilig hinunter und tatsächlich, Peter kam aus Kabul mit einem geliehenen Wagen und zwei Mechanikern samt Ersatzkupplung. Wir begrüssten uns freudig, während die beiden Mechaniker, sie waren höchstens 14 -–16, sich mit Eifer an den Motorausbau heranmachten. Schon nach einer halben Stunde hatten wir unsere gebrochene Kupplung in der Hand. Bis wir dann mit überlangen Gesichtern feststellen mussten, dass diese lieben VW-Freunde in Kabul (es gibt da eine deutsche VW-Garage) leider die falsche Kupplung mitgegeben hatten.
Aber was nützt da schon schimpfen und fluchen ? Alles wieder in den Wagen gepackt, winke, winke, Peter und Mannschaft wieder zurück nach Kabul. Wie mag es da wohl in Peter ausgesehen haben, der fast ohne Schlaf im Kanackenbus bis nach Kabul gefahren war, dort alle Hebel in Bewegung gesetzt hatte, bis er dann endlich bei uns eingetroffen war, und dann so was! Wir beide richteten uns seelisch auf weitere Tage ein. Wieder kamen unsere Nomadennachbarn, die sich nun wirklich wundern mussten, mit mehr Eiern und Milch und möbelten unsere Stimmung auf.
Mitten in der nachfolgenden Nacht, gegen 3 Uhr, wurden wir polternd geweckt. Peter war wieder da, (wie das so schnell möglich war ist mir bis heute noch nicht ganz klar) diesmal in einem VW der gelobten Garage und dem Chef persönlich (ein Belgier, der gut deutsch sprach), die anscheinend seinen Fehler eingesehen hatten. Jetzt dauerte es noch bis zum Morgengrauen, da war unsere Kiste fertig, und der andere VW-Bus verschwand samt Besatzung wieder so schnell, wie er gekommen war.
Peter war zum Umfallen müde, aber hier bleiben und erstmal schlafen wollte er nun auch nicht, und so begann der letzte Gewaltakt, der Wagen war ja noch nicht oben. Nachdem wir endlich alles ausluden, Benzinkanister, Sessel, Werkzeug und alles Gepaeck und Kram, siehe da, mit neuem Anlauf und heulendem Motor konnte ich es schaffen, im Rueckwaertsgang ! Und ich war oben!
Einen Jauchzer. Da stand er nun oben, und alle Sachen standen unten. Also Muli spielen. Nach einer weiteren Stunde hatten wir es dann geschafft. Oben am Pass Wagen plus Inhalt, und daneben drei japsende und keuchende Jünglinge. Endlich, waren wir überm Berg. Peter schlief auf der Stelle ein und war kaum mehr wach zu bekommen.
Die Fahrt ging hinab auf einem halsbrecherischen Pfad, durch ein Canyon mit reissendem Wasserfall und Wildbach, durch Felsen, die über uns wieder zusammenzugehen schienen, so hoch und steil waren die Wände; die Brücken, mit Steinen und Sand belegte Holzstämme, sahen nicht gerade Vertrauen erweckend aus, und jedes Mal gab’s ein Aufatmen, wenn wir schnell rüber rutschten. Dann öffnete sich das Tal, purpurroter Sandstein überall, in unwirklichen bizarren Formen, wie von riesiger Hand gemeisselt. Wir sahen wieder grüne Wiesen, das Tal von Bamian war erreicht, die Strasse wurde wieder breiter und besser, und bald waren wir am verabredeten Platz, fanden die Schweizer wieder, die uns in lautem Jubel in die Arme schlossen.
So, ich glaube, damit kann ich meinen zweiten Reisebericht schliessen. Bamian wird ein neuer Start, auch für Dich !
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