Letters home 1967 -1978

Tuesday, February 12, 2008

From Krefeld to Afghanistan **


18. 4. 67        

 Liebe Mutter!

 Kurz schon mal einen Gruss aus Belgrad. Herrlicher Sonnenschein und gute Stimmung. Wagen läuft prima obwohl er ja ganz schön beladen ist. Der nächste Gruss kommt dann aus Istanbul, Inshallah ...

 Dein Hans

 

 22. 4. 67

 Liebe Mutter!

Noch ist keine Woche um, und wir sind schon in Istanbul. Es klappt einfach alles ganz toll.

Trotz echtem Aprilwetter ist es mal wieder ein Vergnügen sich hier herumzudrücken. Ich werde Dir in einigen Tagen wohl den ersten ausführlichen Brief schicken. Im Augenblick bin ich mal wieder so mit Eindrücken ausgefüllt, dass ich keine Ruhe dazu habe.

 Viele Grüsse und Küsse Dein Hans

4. 5. 67

 Liebe Mutter!

Ich glaube ich war noch nie so beschäftigt wie die letzten Tage. Von Istanbul sind wir nach Ankara, von dort nach Göreme (Höhlendörfer) wo wir ein paar Tage waren und auch viel gezeichnet haben. Von dort ans Meer nach Kizkalesi. Das Wetter war zwar nicht so besonders, aber trotzdem war ich sehr viel im Wasser und habe für einige Mahlzeiten Fische geschossen. Wir sind jetzt auf dem Weg nach Persien und zwar nicht wie eigentlich geplant über die Ost-Türkei sondern über Jerusalem – Bagdad. Die gleiche Strecke also, die ich letztes Jahr auf dem Rückweg gemacht habe. Ich fühle mich hier schon et­was einheimisch, da ich überall alte Bekannte von meinen früheren Reisen treffe. Trotzdem immer wieder Neues von morgens bis abends. Verzeih bitte meine jetzige Schreibfaulheit, aber ich habe mir jetzt doch fest vorgenommen jede Woche zu schreiben. Deine Karte habe ich erhalten aber den Brief noch nicht, er wird wohl in Teheran sein.

Viele liebe Grüsse von deinem Söhnlein Hans

 

(undatiert)

Liebe Mutter!

 Grade bin ich in Damaskus angekommen und möchte Dir gleich von der Post hier einen Gruss zum Muttertag senden. Also alles Liebe und Schöne und mache Dir nicht so viel Sorgen um mich. Achte auf Dich, damit ich Dich gesund wiederfinde!! Ich fühle mich langsam aber sicher richtig wohl auf meiner Reise. Wir haben sehr viel gesehen in der Zwischenzeit und viel erlebt. Wir waren in der Syrischen Wüste (Palmyra), sind dann in den Libanon über Tripolis nach Beirut und von dort über Balbek nach Damaskus gereist. Eigenes Geld habe ich bis jetzt kaum ausgegeben. Wir leben wie Fürsten von den Konserven und von eingetauschten Sachen. Für Sprit brauchen wir auch kaum Geld. Einfach Klasse. Wir haben zwei Frankfurter Pärchen ge­troffen, die genau die gleiche Strecke nach Indien fahren wollen. Nette Typen.

 Grüsse die ganze Familie von mir, sei Du jedoch herzlich geküsst von Deinem Hans

 

22. 5. 67

 Liebe Mutter!

Sicherlich bist Du wieder etwas in Unruhe was wohl mit mir in der Zwi­schen­­zeit geschehen ist. Ich habe zwar schon einmal einen Brief an Dich angefangen, aber da kam wieder etwas dazwischen und schon sind seither wieder zwei Tage vergangen. Jetzt stehe ich in der Hauptpost in Bagdad und will Dir wenigstens in kürze etwas von unserer Reise berichten.

Von Damas­kus aus sind wir also nach Jerusalem gefahren, wo wir 3 Tage geblieben sind. Von dort aus machten wir einen Abstecher ans Rote Meer nach Aqua­ba. Es ist einfach unmöglich zu beschreiben, was sich dort im Wasser alles tut. Der Küstenstreifen ist zwar ziemlich trostlos da, kein Baum, nichts, nur Wüste, aber sobald man die Nase unter die Wasseroberfläche steckt, ent­deckt man ein Paradies. Du erinnerst Dich bestimmt an die Filme von Hans Hass vom Roten Meer. Es ist jedoch ganz einzigartig, das einmal alles selbst zu erleben. Den ganzen Tag verbrachten wir mit Harpune und Tau­cher­brille, und ich habe alleine zwei Fischmahlzeiten für 7 Personen ge­schos­sen. Der grösste Fisch war wohl 60 cm lang und wog 5 kg. Ein phan­tastisches Leben unter Wasser. Wir haben auch tatsächlich mit vereinten Kräften einen Sta­chelrochen von 1,50 m geschossen, der auch im Topf landete. Das war ziemlich aufregend, da sie ganz schön gefährlich werden können. Ausserdem habe ich 10 Haie von ungefähr 4 – 6 m Länge gesichtet, die uns allen einen gehörigen Schreck eingejagt haben.

Wir waren also gerade zwei Tage dort am Strand, als wir über unser Radio die Nachrichten über die politische Lage zwischen den Arabischen Ländern und Israel unterrichtet wurden. Ich wäre wirklich noch gerne ein paar Tage in Aquaba geblieben, aber die Demokratie, die unter uns eingeführt wurde, entschied gegen mich. Da wir nun an einem strategisch sehr wichtigen Punkt, nämlich am Schnittpunkt zwischen Ägypten, Israel, Jordanien und Saudi Arabien lagen, war die Lage etwas mulmig und wir machten uns noch in der Nacht auf nach Amman und non-stop weiter durch die Wüste nach Bagdad, wo wir etwas vom Schuss sind und wollen heute noch weiter in Richtung Kuweit, wo wir unser Blut so teuer wie möglich spenden werden.

Hier in Bagdad ist es mal wieder „etwas wärmer“ geworden, aber ich fühle mich sauwohl. Leider habe ich keine Nachricht bis jetzt von Euch, aber ich bin sicher, dass das an der Schlam­perei der hiesigen Kanackenpost und nicht an Euch liegt. Meinen Geburts­tag habe ich zum ersten mal in der Wüste gefeiert, was wohl auch was wert ist.

So liebe Mutter, jetzt habe ich etwas mein Gewissen erleichtert und Du bist wohl auch froh, wieder was von mir zu hören. Ich verspreche, Dir einen ausführlichen Bericht aus Isfahan in Persien zu schrei­ben, da das der nächste Ort ist, an dem wir einige Tage verweilen werden.

In der Hoffnung, dass Ihr alle gesund und munter seid, grüsse ich Dich und meine Lieben in Krefeld und Marburg recht herzlich,

Dein Hans

Grüsse von Walter und Peter.

 

2. 6. 67

 

Liebe Mutter! Liebe Familie! Liebe Freunde !

Walter und Peter sind heute nach Isfahan in die Stadt gegangen, um alles das, was ich schon durch meine früheren Besuche kenne, noch zu sehen. Ich selbst rühre mich heute nicht von der Stelle, sondern lege einen Tag der Ruhe ein, um alles das, was ich bis jetzt gesehen und erlebt habe, ein wenig zu verdauen und auch durch den Bericht, den ich Dir jetzt sende, an mir vorüberziehen zu lassen. Schon längst hättest Du solch einen Bericht erhal­ten sollen, jedoch es blieb nur immer gerade Zeit für eine kurze Karte, ein Lebenszeichen halt, das Dir etwas Sorge um Dein Söhnlein nehmen sollte.

Ich sitze also jetzt hier in einem Garten ausserhalb von Isfahan, die Reste des Frühstücks noch vor mir auf dem Tisch. Es ist 11 Uhr morgens, ziem­lich warm, doch im Schatten der Kirschbäume recht angenehm. Amerikanische Zigaretten aus Kuweit und ein paar Flaschen Persischen Bier, es lässt sich aushalten. Den zweiten Tag sind wir jetzt hier, die erste Nacht haben wir in einem kleinen Wäldchen kampiert, heute Nacht jedoch haben wir einen Platz im Evangelischen Blindenheim, das von Deutschen geleitet wird, bekommen, in dessen Garten ich also jetzt sitze. Wie ich hierher gekommen bin, das will ich Dir also jetzt berichten, etwas mehr im Zusammenhang, als Du es durch meine Karten erfahren hast. Aber wo be­ginnen? Am besten am Anfang, der jetzt schon fast zwei Monate zurückliegt. Mir scheint es viel länger, da jeder Tag Neues brachte.

Der Abschied von Euch war mir doch etwas schwerer gefallen, als ich erwar­tet hatte, und der Wasserpegel in meinem Hals war doch bedenklich hoch, als wir einstiegen und schleunigst losbrausten. Ich sass also im Wagen mit recht gemischtem Innenleben, die Freude auf das Kommende und die Trau­rigkeit, vieles Liebe und Gute zurückzulassen. Diese Stimmung blieb und wird wohl noch ne Weile bleiben, wenn auch durch die Faszination des Augenblicks meist die Freude überwiegt.

Nicht viel anders war es dann auch beim Abschied von Walters Familie, bis die Spannung sich dann auf der Autobahn nach Mün­­chen mit jedem Kilometer allmählich löste. Die erste Nacht schliefen wir bei Walters Schwester in Nürnberg, besuchten am anderen Tag in München kurz noch Christel, die wir mitten im Umzug überraschten, und näherten uns bald der jugoslawischen Grenze, durch das verschneite Öster­reich über schlechte Strassen, die durch die Frostaufbrüche des Winters eher Ackerwegen glichen. Wir nahmen von einer Baustelle als Erinnerung noch eine Strassenlater­ne Made in Germany mit, die uns bis heute jeden Abend deutsches Petro­leumlicht spendet.

Es galt Jugoslawien und Bulgarien zu überbrücken; die Landschaft links und rechts der Autoput (wie die Strasse zwischen Zagreb und Belgrad heisst), in ihrer Eintönigkeit eher lästig als schön, war sie für uns ja doch nur dazu da, uns dem Orient, also der Türkei und Istan­bul, näher zu bringen.

Uebernachtungen im Auto irgendwo am Strassenrand; es regnete in Strömen und so war das erste Gastgeschenk des Orients für uns drei ein gehöriger Schnupfen, den wir zuerst einmal mit Unmengen Tee zu bewältigen hatten. Der erste Tag in Istanbul galt also der Körperpflege und Gesundheitsreinigungen, wir stiegen dazu in einem der uns bekannten billigen Hotels ab, wuschen uns und einige Klamotten, reparier­ten Reifen und Nasen. Langsam trat wieder Ruhe ein, wir konnten uns auf Istanbul konzentrieren. Die Stadt gebärdete sich wie eine alte Bekannte beim Wiedersehen, laut und aufgeregt, jedoch schien es ihr gleichgültig, ob ich das zweite oder fünfte Mal bei ihr war, sie störte sich wenig an mir, und die Wiedersehensfreude war allein auf meiner Seite. Fast nichts hatte sich verändert, das gleiche Getümmel auf den Strassen und im Bazar, der glei­che Lärm und Dreck, das gleiche Vertrauen auf Allahs Hilfe im Verkehr, nur mein Teeladen an der grossen Blauen Moschee war verschwunden und musste einem neuen neonbeleuchteten Laden Platz machen, was ich sehr bedau­erte, da ich in der alten schmuddeligen Bude so manche faule Stunde ver­bracht hatte.

Ich weiss jetzt gar nicht mehr, ob wir drei oder vier Tage in Istanbul waren, auf jeden Fall hat's mir wieder Spass gemacht, so durch die Strassen und Winkel zu wandern, nach einem Platzregen halb durchnässt in einem Teehaus abzutauen, zu sehen und zu hören, was ringsum geschieht. Schneller als erwartet fiel uns dann wieder ein, dass wir ja weiter wollten, also über den Bosporus Europa verlassen, nach Asien! (So wie’s sich anhört, so fühlt man’s dann auch).

Peter, der das alles zum erstenmal erleb­te, musste sich nun umstellen auf die orientalische Fahrweise, und so wun­derte er sich noch darüber, dass man auf der Strasse sitzt, lebt, Vieh hält, dass ein Zeichen mit dem Winker heisst, ich biege rechts, links oder über­haupt nicht ab, dass man auf einer Autobahn die Abwechslung liebt und auch mal auf der entgegengesetzten Fahrspur fährt, dass der die Vorfahrt hat, der schneller beschleunigt oder stärker ist.

(Ach so, ich vergass zu berichten, dass wir von Jugoslawien ab kein Bargeld für Benzin bezahlt haben. Immer tauschten wir unsere mitgebrachten alten Kla­mottensammlung gegen Benzin ein, - das Meistergeschäft: 80 Liter gegen eine Anzug­jacke. Ausserdem haben wir unsere Krawatten im Bazaar für 470,- DM verkauft, was unserer Gemeinschaftsfresskasse sehr gut tat).

Die Landschaft bis Ankara, unserer nächsten Etappe, ist abwechs­lungs­reich, zuerst eine kurvenreiche Küstenstrasse, dann eine weite, fruchtbare Tiefebene, die schon zur Zeit der alten Griechen durch ihre Pferdezucht und ihre reichen Ernten bekannt war. Dann tuckern wir im zweiten Gang einen steilen Pass hinauf auf das karge Hochland Anatoliens, die Dörfer, durch die wir fahren, werden immer ärm­licher, wo in der Ebene schon Frühling war, ist jetzt wieder Winter, und doch überzieht eine dünne, grüne Haut die Berge, die im Sommer braun und staubig wird. Vor Ankara aus gen Sueden müssen wir noch einmal ein Gebirge überwinden. Wir fahren durch eine wilde Berglandschaft mit grünen Latschenwäldern, Schneewehen und Gebirgsflüssen, machen halt, vertreten unsere stei­fen Beine und stehen unversehens in Blumen­beeten mit Moos und allen möglichen Arten von Gebirgspflanzen. Die Men­schen hier leben in Armut, meist in Holzhütten, teilweise in niedrigen Lehmhäu­sern, die mehr Erdlöchern als Wohnungen gleichen. Dann sind wir in Anka­ra, auch einer Siebenhügelstadt wie Istanbul, das sich westlich zeigen will und doch so orientalisch lebt.

Peter hat eine Adresse in der Tasche, und nach eini­gem Suchen sitzen wir in der Wohnung des Herrn Max Meinecke, seines Zei­chens Gastintendant und Regisseur am Staatstheater in Ankara, und disku­tieren über dies und jenes, über moderne Kunst und alte Ikonen, über ana­to­lische Teppiche und über das Living Theatre, bekommen belegte Brötchen und Whisky. Er wünscht uns viel Glück und „schreiben Sie doch mal ne Karte“, und wir verabschieden uns gegen Mitternacht, nicht ganz ge­sättigt, parken unseren Wagen unter einer Laterne auf der Hauptstrasse der Stadt und begeben uns zur Ruhe.

Am anderen Morgen machen wir einen Be­such in der Deutschen Botschaft und erfahren dort, dass Herr Adenauer ge­stor­ben und keine Post für uns da ist, was uns beides betrübt. Wir waren schon in Istanbul des öfteren auf der Botschaft, haben jedoch nirgends Post erhal­ten, nur auf der Hauptpost eine Karte von Dir, poste restante, in der Du schreibst, Du hättest Briefe an mich zur Botschaft geschrieben. Hoffentlich nur gute Nachrichten. Seit einiger Zeit nennen wir die Einheimischen liebe­voll „Kanacken“,  aber sind richtig sauer über die Kanacken-Post­­. Doch ich schweife ab.

Nach unserer Besichtigung Ankaras war unser nächstes Ziel die Höhlen­kirchen von Göreme und ein Besuch der Ortschaft Ortahishar in der Nähe, wo ich im Vorjahr zusammen mit Volker auf einer Hochzeit eingeladen und Trauzeuge wurde. In Ortahishar gab’s dann wieder einige bekannte Gesichter, die uns freund­lich einluden zu einigen Tassen çay oder zum Wein, der dort angepflanzt wird und sogar schmeckt.

In einem verrauchten Teehaus dann setzten wir uns an einen Tisch, an dem einige stattliche Erscheinungen sassen, wovon sich der dick­ste und bärtigste als Bürgermeister vorstellte. Das Wort "Bürgermeischter“ war auch das einzige deutsche Wort, das er kannte, doch mit Hilfe eines Wörterbuchs und meiner spärlichen Kenntnisse Türkisch unterhielten uns mit „Händ’ und Füss“, und bald kam eine Un­terhaltung zustande, die dann jedoch nicht ohne Missverständnisse verlief. Wie ich verstand, wollte er uns zu sich nach Hause einladen, was wir gerne annahmen, und so brachen wir dann auf und schlenderten durch’s Dorf, dann weiter durch die Nacht. Bald kam ein kleiner Junge zu uns, der soviel Englisch wie ich Türkisch konnte, und durch den liess er nach einiger Zeit dann bescheiden anfragen, wo wir denn überhaupt hingingen …

Wir blieben noch einige Tage in der Gegend, fuhren zu abgelegenen Tälern, die ich noch nicht kannte, fühlten uns ganz auf Entdeckungsreise und stiegen in schatzgräberischer Absicht zu versteck­ten Kirchen und Höhlen hinauf, fanden natürlich nichts, waren abends hun­demüde und staub­bedeckt, aber glücklich über das Gesehene und Erlebte. Beim Zeichnen in den Winkeln des Dorfes habe ich dann auch den ersten saftigen Sonnen­brand abbekommen, nahm ihn aber gern in Kauf, da das die erste gute Skizze war.

Am letzten Tag dort machten wir die Bekanntschaft zweier junger Pärchen im VW-Bus, die den gleichen Plan wie wir heckten: nach Ne­pal und über die gleiche Strecke. Wir wollten ja eigentlich sofort von der Türkei aus direkt nach Persien, aber änderten unseren Plan, da uns die Strassen in der Osttürkei und bis Teheran sehr schlecht und noch verschneit erschienen. Wir  entschieden uns daher die gleiche Strecke, die ich im letzten Som­mer 1966 von Teheran aus zurückgetrammt war. Jetzt ging es also weiter Richtung Syrien, Libanon, Jordanien, Irak nach Teheran.

Diese Strecke ist zwar um etwa zweitausend Kilometer län­ger, jedoch nach unseren Karten immer auf Asphalt. Da unser Wagen ja doch sehr überladen war, entschlossen wir uns dann für diese Strecke, zumal sie sehr viel mehr Se­henswürdigkeiten als die andere, direktere Rute bietet.

Bevor wir uns aber nun auf diese Reise begeben wollten, sehnten wir uns nach einigen Tagen Faul­heit am Meer. Nichts lag da näher als mein Lieblingsplatz Kizkalesi. Dort angekommen, nach einer Nachtfahrt durch das Taurusgebirge, schlugen wir am alten Platz unser Lager auf, und keine Wie­dersehensfreude mit alten Be­kannten im Dorf konnte mich am anderen Morgen davon abhalten, mit gespannter Harpune und gespannten Nerven auf den tropfnassen Flossenspuren eines Herrn Hass zu wandeln, das heisst zu tauchen, und so habe ich dann auch gleich mindestens 50 mal daneben­geschossen, mich hoffnungslos in der Harpunenspur verheddert; die dicken Brummer kamen ganz nahe, wenn ich gerade die Harpune gesichert hatte oder verschwanden in dem Moment in dem ich schiessen wollte. Die Beute war ein Fischlein von 6 cm Länge, das mir dann bis zum Abend die Ameisen angefressen haben. Dennoch war ich meist im Wasser, bis meine Jagt geklappt hat und ich schon mal ne Mahlzeit zusam­mengeschossen hatte. Wie Du mich kennst, es gab da keine freie Minute.

Das Hinterland von Kizkalesi ist bedeckt mit Ruinen und Sarkophagen römischer und griechischer Herkunft. Ausser­dem haben dazu die alten Araber und die Kreuzritter die Guten, einiges dort hin­terlassen (man sagt Kaiser Barbarossa ertrank 5 km von hier beim morgendlichen Bade im Bach). Die einheimischen Kinder und Väter kommen mit Taschen voll altem oder gar antikem Zeugs daher und gehen uns mit ihren Dollar­preisen auf die Nerven. Was lag da also näher, als sich selbst mit Spaten und Brecheisen zu bewaffnen und über holpriges Gestein (viel Steine gab’s und wenig Brot) bei nächtlicher Stund, mit Schatzgräberstim­mung im Herzen und Funzellicht an die Überreste vergangener Zeiten heranzupirschen.  Doch nach Stunden verzweifelten Bohrens in Fels und Geröll, beschlossen wir gegen Morgen die alten Griechen, Römer und Seldschuken (türkischer Stamm) zu ver­fluchen und "echte" Grabfunde lieber direkt von den Kanacken und ihren Kindern zu kaufen.

Diese Nacht werde ich wohl nie vergessen, in der wir mit Hilfe einiger türkischer Jungens nach beschwerlichem Marsch ein kleines Grab ausgeschaufelt haben. Licht durften wir keines machen, nur unsere Ölfunzel dabei, Moskitos im Nacken, auf jedes Geräusch achtend (schatz­graben ist streng verboten!). Unsere Führer knieten alle Viertelstunde nieder und baten in leisem Gebet Allah um Verzeihung! Das einzige Fundstück war eine 50-Pfennigmünze aus deutscher Prägestätte, und ich habe den berechtigten Verdacht, dass sie aus der Hosentasche un­seres Freundes Walter mit gezielter Absicht ins Grab gefallen war. Da unsere "Leiche" nach einem Metern noch nicht zum Vorschein kam, gaben wir dann auf und stolperten zurück zum Lager, an Erfahrung und Blasen reicher.

Auch unsere Flitterwöchner aus Frankfurt (die Leutchen hatten einige Tage vor ihrer Ab­reise geheiratet) hatten sich in Kizkalesi eingefun­den, und wir taten uns nun zusammen, um unsere Reise gemeinsam fortzu­setzen. Weiter also geht’s über Adana nach Syrien; Aleppo ist die erste Stadt (hier hatten wir mal nen unfreiwilligen Aufenthalt wegen eines Militärputschs). Sie zeigte sich diesmal aber sehr viel freundlicher; wir gingen in die Bazars, feilschten nun nicht mehr mit Türken, sondern mit echten Arabern, tätigten unsere Einkäufe und verzogen uns danach in die syrische Wüste, um dort draussen zu nächtigen. Am Morgen wurden wir von der Hitze geweckt. Bis dahin war es zwar nie „richtig kalt“, aber jetzt stach der Planet schon ganz schön. Wir tankten Wasser und Benzin und dann ging es hinein in die syrische Wüste nach Palmyra.

Eigentlich müsste die „Wüste“ in dieser Jahreszeit die „Schöne“ heissen. Sie ist lebendig und grün, Störche in Mengen, riesige Schaf- und Kamelherden ziehen sich durch die weiten Wadis (das sind teilweise ausgetrocknete Fluss­bette); man sieht Blumen und viel Grün, alles Dinge, die wenig mit Wüste gemein haben. Den ganzen Tag fuhren wir so, bis wir gegen Abend Palmyra erreichten.

Palmyra war einst eine grosse Handelsmetropole zwischen Asien und dem Orient, am Ende der Seidenstrasse, eine mächtige Stadt mit über einer Million Einwohner, eine römi­sche Stadt mit mächtigen Bauten. Einige Jahrhunderte lang reich und berühmt, doch dann sehr schnell und plötzlich vergessen und verlassen. Der Wüsten­sand wehte sie zu, bis sie im letzten Jahrhundert wieder ausgegra­ben wurde. Man steht zwischen riesigen Säulenalleen und Palästen und kann es nicht fassen, welch eine Pracht hier geherrscht haben muss.

Eine alte arabische Burg aus spaeterer Zeit liegt einige Kilometer entfernt auf einem Berg, der an­steigt wie ein Vulkan. Den mussten wir natürlich besteigen, um den Anblick auf die Ruinenstadt und auf die Wüste zu geniessen. Alles unvergessliche Ein­drücke für’s Hänschen, wie Du glauben darfst. Am Abend dann ein Schach­spiel auf umgefallenen Säulen bei einem Sonnenuntergang, der jedes gut­deutsche Herz melancholisch werden liesse, so richtig kitschig und romantisch, aber echt.

Doch weiter: Wieder zurück ans Meer zum Libanon, Rich­tung Beirut, zur Touristenmetropole des Nahen Ostens. Unterwegs machen wir Nachtstation an einem winzigen Teehaus an der Wüstenstrasse. Wir wer­den eingeladen und bewirtet auf arabische Art, sitzen um einen grossen Topf mit allen möglichen Gerichten. Unser Gastgeber ist arm und kinderreich, aber er bewirtet uns stolz und will kein Geld. Wir sitzen auf der Erde im Kreis und nach dem Essen kramt er aus einer Ecke ein selbstgebautes In­strument hervor: ein alter zerdatschter Ölkanister, ein Holzstiel, Pferdehaa­re, fertig ist die Geige. Er klemmt sie zwischen die Beine, spannt einen Bo­gen und lässt uns gewaltig staunen. Das hätten wir nicht für möglich gehal­ten, was aus dieser Blechdose für weiche klagende Töne herauskommen. Wir sitzen herum und lauschen seinen arabischen Melodien. Ab und zu huscht eine Frau herbei und serviert Tee, der uns toll schmeckt. Als unsere Freunde ihr Tonbandgerät herausholen und er sich selbst spielen hört, ist dann das Staunen auf seiner Seite.

Am Morgen verabschieden wir uns unter vielen Verbeugungen und Freund­schaftsbeteuerungen und lassen ihm aus unserer Klamottenkiste Sa­chen für seine Kinderschar da. Frau Heckmann von der Ecke würde sich wundern, wenn sie ihre Kinderkleider dort wiederfinden würde. 

Über Tripolis fuhren wir dann weiter die Küstenstrasse entlang, machten an der Steilküste  halt und schwammen einige Stunden im glaskla­ren Wasser des Mittelmeers. Seit römischen Zeiten ist dieses Gebiet hier Tou­ristenland. Man kann das gut verstehen, denn hier scheint es alles zu geben. Direkt hinter dem herrlichen Strand steigen die Berge des Libanon auf bis in schneebedeckte Höhen. Strandbetrieb und Sessellift, Sommer- und Wintersport das ganze Jahr über. Das Land selbst ist sauberer und reicher als die umliegenden arabischen Länder.

Hier kann man einen Urlaub machen wie die alten Griechen und Roemer!

Beirut selbst ist an die Berghänge gebaut, Hochhäuser und Pracht­villen, Hotel neben Hotel, Nightclubs, teure Autos und billige Frauen. Die Creme Arabiens; vor allem die Herren Kanacken aus Kuweit mimen hier in gesteigerte Playboy-Atmosphäre und wollen die  Amerikaner und auch die lieben Neckermannreisenden übertrumpfen. Ein Abendspaziergang auf der Strand­promenade genügt uns. Wir fahren gleich am Abend weiter nach Baalbeck, noch eine römische Ruinenstadt, herrlich zwischen den Bergen des Libanon und Antilibanon gelegen.

Wir sind noch gar nicht richtig angekommen, da wer­den wir schon wieder in ein Haus eingeladen. Der Haus­herr scheint reich zu sein, wir sitzen im Gästezimmer auf kunstvoll geschnitzten und mit Intarsien übersäten Möbeln, an den Wänden hängen Wandteppiche, und gleich wird der unvermeidliche Tee serviert. Ungeniert erzählt er uns, dass er seinen Reichtum durch den Anbau und Verkauf von Haschisch erworben hat. Baalbeck ist der Hauptanbauplatz für das beste Haschisch. Er prahlt mit Kundschaft in der ganzen Welt, erzählt von gewaltigen Geschäftsabschlüssen. Wir fragen ihn, ob er denn keine Schwie­rigkeiten mit der Polizei hätte. Er lacht. Einer seiner Gäste, die bei uns sitzen, ist selbst von der Polizei, und der lacht auch und so lachen wir denn halt alle ...

Nun sollen wir alle auch auch seine Haschisch-Zigarette probie­ren. Er zeigt den uneingeweihten, wie man sie dreht und raucht, macht dazu Räucherker­zen an, wir sitzen in einer Dunst- und Rauchglocke und rauchen alle mit. Schme­cken tut’s natuerlich, bald sind wir in Stim­mung: Das Zimmer erscheint grösser, ich muss über jeden Satz lachen, finde alles so gut und schön. Auf dem Weg zum Wagen schwebe ich zwischen den Sternen, ich lache immer noch und könnte die ganze Welt umarmen. Unser enger Schlafplatz im Wagen kommt mir wie ein Saal vor. Man kanns aushalten.

In leich­ter Kater­stimmung besichtigen wir dann am anderen Tag das Ruinenfeld. Es war zwar mal ganz lustig, das Zeug mal zu versuchen aber auf die Dauer ist das wohl nichts fuer mich. Ein anständiger Bierrausch ist zwar nicht ganz so lustig, dafür aber legitim und von “ Staats wegen“ nicht verboten.

 Also keine Unruhe Deiner­seits, liebe Mutter, wegen Rauschgiftsucht und Entziehungsanstalt usw.

An der Grenze zwischen Libanon und Syrien bekommen Walter und ich eini­ge Schwierigkeiten wegen unerer Pässe. Sie sind endgültig bis zum letzten Platz voll mit Visas und Stempeln. Nach einigem Hin und Her jedoch können wir dann passieren, und weiter geht’s nach Damaskus. Wir sind des Besich­tigens müde und gehen daher zur Post und dann in den Bazar. Walter be­kommt einen Brief von zuhause mit dem Zeitungsbericht von unserer Abreise in Mechernich. Stolz kleben wir ihn an eines unserer Fenster, und es sollte sich noch zeigen, wieviel Vorteile uns das an den Grenzen bringt. Von nun an steht die gesamte deutsche Presse, ja das ganze Volk hinter uns. Wir ver­weisen ueberall mit einer lässigen Bewegung auf das grosse Foto in der Zeitung und sind sofort um eine soziale Klassen gestiegen.

Unser nächstes Ziel heisst Jordanien und Jerusalem. Von Amman, der Hauptstadt Jordaniens aus geht es dann steil hinab in den Jordangraben ans Tote Meer, das ja 400 m unter dem Meeresspiegel liegt. Dort unten ist eine Sauhitze, und wir wollen unbedingt testen, ob das Wasser immer noch so gut trägt wie letztes Jahr. Es trägt! Wir planschen mehr auf als im Wasser und finden’s sehr lustig. Am Abend kommt Wind auf, der lau und angenehm ist. Diesmal werden wir von einem Offizier der Jorda­nischen Armee eingeladen. Er stellt uns sein Haus in Jericho, der ältesten Stadt der Welt, zur Verfügung. Dort haben wir alles, was wir wünschen: vor allem frisches Wasser und Dusche. Bis spät in die Nacht sitzen wir zusammen bei Anis­schnaps und Bier und diskutieren über Localpolitik. Ja, hier direkt neben einem Flücht­lingslager von Palästinaflüchtlingen sieht die Sache etwas anders aus als zuhause bei der Zeitung am Frühstückstisch. Hier ist jeder unmittelbar an dem Konflikt Ara­b - Israel beteiligt. Wir erfahren eigentlich zum ersten Mal näheres über das Schicksal des Einzelnen. Und das gibt zu denken.

Am Morgen, nach­dem wir uns verabschiedet haben, müssen wir wieder hinauf. (Jerusalem liegt wieder 400 m über dem Meer). Es geht sehr steil hoch. Immer wieder kommen wir an Militärkontrollen vorbei. Die Lage hier ist scheint sehr gespannt. Aber wer denkt schon an Politik oder Krieg, wenn er in die Altstadt von Jerusalem kommt, ich wenigstens nicht. Da es schon Nachmittag war, kauften wir für unser Abendessen ein und fuhren dann ausserhalb der Stadt, um ein schönes Plätzchen für unsere Nachtruhe zu suchen. Das ist immer ein kleines Problemchen: Richtig ruhig und schön soll's halt sein, wenn möglich auch noch ohne irgendwelche Tierchen, als da sind Fliegen, Schlangen, Skorpio­ne, Krähen und Raben, Wölfe, Hyänen und Moskitos. Bäume sollten da sein, die Schatten spen­den, Wasser muss in der Nähe sein, möglichst weit weg von Kanackenkindern­. Diesen Platz also suchen wir nun jeden Abend fuer unser VW-Lager, was immer einige Diskussionen unter sieben Demokraten mit sich bringt.

Jerusalem, wie Berlin ist eine geteilte Stadt. 

Wir fuhren also hinaus aus der Stadt und sahen rechts neben der Strasse einen bewaldeten Hügel. Na, der schien gerade für uns geeignet, und so bogen wir eine Strasse nach rechts ab. Zu unserem Bedauern führte sie jedoch zwischen zwei Hügeln durch. Da wir aber zu faul waren, noch ein­mal zurückzufahren, blieben wir nicht weit davon stehen, um unser Lager aufzu­schlagen. Das war unser Glück wie wir spaeter erfahren! Wären wir nämlich auf den Hügel gefahren, so wäre unsere Reise sicher beendet gewesen. Durch die ständigen Grenz­zwischenfälle zwischen Israel und Jordanien herrscht hier ein ständiges Mas­saker zwischen Arabern und Israelis. Sicher wären wir sofort verhaftet worden als evtl. Spione.

 Um Dir nun zu erklären, wie wir um ein Haar wieder in die Räder der Poli­tik geraten wären, muss ich Dir eine kleine Skizze machen. 

 

(skitze)

 

Auf diesem Hügel liegt jordanisches Militär den Israelis gegenüber immer in höchster Alarmbereitschaft. Rundherum sind riesige Flüchtlingslager.

 Ein kleines arabisches Dorf. Hier haben wir übernachtet. Mit dem Fernglas konnten wir die ganze Geschichte dann gut betrachten.

 Das ist der Hügel der alten Hebrea-Universität. Bei der Gründung Israels wurde dieser Hügel den Israelis von der UN gegeben. Von diesem Hügel aus kann ein Geschütz alle Strassen, die nach Israel führen, bom­bardieren, heute ein waffenstrotzendes Gebilde u. d. ein strategisch wichtiger Punkt der Israelis.

Das Tor zum Hebron Hügel ist ständig auf, und so erfahren wir mancher arabische Fernfahrer sei dort schon spurlos verschwunden, nur weil er eine Strasse zu früh nach rechts abgebogen ist. Bei uns hätte es, nach unserer nachträglichen Spekulation, dann so ausgesehen, dass wir wohl nach genauesten Untersuchungen unter dem Schutz der UN nach Is­rael hätten einfahren müssen, denn kein Mensch kann von Israel zurück auf arabischen Boden.

Von den Palästinaflüchtlingen wurden wir dann schnell aufgeklärt über unsere Unkenntnis von den Dingen, und wir waren über unseren Dusel recht froh. Die Leute dort waren erstaunlich freundlich zu uns, und so wur­den wir nun jeden Abend in ein anderes Haus eingeladen. Alles in allem wird hier von beiden Seiten viel Schwei­nerei getrieben, und ich kann nur das Los des einzelnen Flüchtlings bedau­ern, denn er wird als dauerndes Druckmittel gegen Israel und für die „ara­bische Sache" benutzt, bekommt also kaum Hilfe, es sei denn von der UN, die ständig mehr oder weniger hilflos dazwischenliegt.

Die Tage in Jerusalem selbst liessen uns dies alles fast wieder verges­sen. Walter und ich gingen oft nur mit dem Zeichenblock bewaffnet in die Win­kel der Altstadt, fanden immer neue Winkel und Ecken, wurden in uralte Privathäuser eingeladen, die alle eine eigene Geschichte hatten, stolz von ihren Hausbesitzern in vollen Tönen gepriesen. Ausserdem habe ich eine herrliche Beduinendecke erhandelt, die mir in ihrer Farbigkeit jeden Tag Freude bereitet.

 (Pause. Eine Zigarette, ein paar Schluck Bier, wenn Du gestattest ...)

Nach den Tagen in der Stadt hatten wir dann wieder Sehnsucht nach Meer. Ich schielte schon wieder ab und zu nach Taucher­brille und Harpune. Also machten wir uns in Richtung Golf von Aquaba, zum Roten Meer auf. Nach dort führt eine ausgezeichnete Wüsten­strasse, immer an der Eisenbahn nach Saudi Arabien entlang, vorbei an den Oasen, die Laurence von Arabien damals nacheinander mit seinen Bedui­nen­truppen erobern musste, um dann die Türken endgültig von dort zu ver­treiben. Also, auf Laurence Spuren zum Roten Meer war die Losung! Zuerst aber noch zum herrlichen Wadi Musa, der alten Felsenstadt Petra, Rose der Wüste genannt, was sie ja auch wirklich ist.

Einen ganzen Tag verbrachten wir dort in den Felsen, stiegen auf alten Fel­sentempeln herum, bis uns die Luft wegblieb. Stelle Dir die zerklüftetste Karl-May-Landschaft vor, mit senkrecht abfallenden Felswänden, 150 m tief, alles in rotem bis violettem Gestein und darin dann noch Felsengräber und Tempel aus dem Fels herausgemeisselt und von unwirklicher Grösse. Von einem Beduinen bekam ich am Abend dann für ein paar Pfennig ein schönes Araberpferd geliehen, mit dem ich dann durch das Tal galoppierte und mich wie ein König fühlte.

 (Wir Leute aus der Wüste sind schon tolle Typen!)

Nach dem Besuch von Petra fühlte ich mich wohl so ähnlich, wie Du jetzt beim Lesen dieses Briefes. Es erschien mir langsam alles ein wenig zu viel; man braucht einige Tage, um vieles zu verdauen. Zwischen jedem Tag, der angefüllt von Ereignissen war, lag ein Abend mit Gesprächen zwischen uns Freunden, dann eine Nacht, die stärkte und mich für den nächsten Tag erfrischte.

Noch einen Tag musste unser Panzer (so nennen wir unser Auto) durch die Wüste schaukeln. Er tat’s ohne mucksen, dann kam Aquaba in Sicht – und blaues Rotes Meer. Hier gibt es noch keine Promenade, nur eine Sandpiste am Wasser entlang, links Wüste, rechts Wasser, kein Baum, keine Palme, nichts. Scheinbar trostlos. Wir fuhren ungefähr 10 km in Richtung Saudi Arabien, das von hier aus nur noch 20 km entfernt liegt, immer am Wasser entlang, bis wir an einer kleinen Bucht haltmachten. Noch im Fah­ren hatte ich mich umgezogen und hopste nun wie ein Frosch mit Harpune, Taucherbrille und Flossen zum Wasser. Humpelnd überwand ich die ersten Meter Korallen, die schon 10 cm unter der Wasserfläche beginnen. Und da hat’s mich dann wirklich umgehauen!

Was ich beim Eintauchen ge­sehen habe, jagte mir zugleich Schrecken und Freude ein. Das hätte ich wirk­lich nicht erwartet. Kein Film von Hans Hass kann so was vermitteln. Das muss man gesehen haben. Ein Paradies an Formen und Farben. Jede Koralle anders gefärbt. Jeder Fisch in einem intensiven Rot, Blau, Grün, Orange, Gelb, einfach nicht zu beschreiben. Ich weiss, dass ich sehr zum Übertreiben neige, wenn ich etwas erzähle, was mich begeistert. Aber hier spinne ich wirklich nicht. Das Wasser ist klar wie Glas und warm. Man kann es Stun­den darin aushalten, wäre da nicht die brennende Sonne da oben, die einem leicht einen Sonnenstich verpassen kann, gerade im Wasser. Ich schütze mich durch ein Hemd, einen Hut und eine dicke Schicht Olivenöl und kom­me dann wirklich nur aus dem Wasser, um mich auszuruhen. Betrüblich nur, dass unser Freund Walter schon nach einer Stunde aus dem Wasser stieg und, durch das Tauchen wie besoffen, voll in einen Seeigel trat. Er wurde dann gleich zum Arzt nach Aquaba gefahren, der ihm eine Spritze verpasste, die den Schmerz linderte. Er war wirklich zu bedauern, fühlte sich aber schon abends wieder ganz gut, nur mit dem Laufen und mit dem Schwimmen war es für ihn erstmal zu Ende.

Wir Landratten hatten uns auch bei den Einhei­mischen nach Giftfischen und nach den Haien erkundigt und wussten schon gleich Bescheid. Da sind die bunten Schleier- oder Stachelfische, die sehr giftig sind, aber nicht angreifen, sondern nur bei Dunkelheit aus ihren Felsspalten kommen und sich auch sonst sofort verziehen, wenn man sich ihnen nähert. Dann die Moränen, hässliche, bis zu 2 m lange Fische, die nur mit dem Kopf aus ihren Höhlen herausschauen. Sie sind nicht giftig, können aber emp­find­lich und schmerzhaft beissen. Wenn ich so eine gesehen habe, schwamm ich schleunigst einen grossen Bogen. Die waren mir äusserst unangenehm. Gefährlicher sind noch die grossen Stachelrochen, die einen giftigen Schwanz haben, mit dem sie nach ihren Opfern schlagen. Sie greifen genau so wenig an wie die Haie und kommen fast nie ins seichte Wasser, sondern halten sich mehr in grosser Tiefe auf, wo wir sowieso nie hinkommen. Noch nie, so erzählen die Einheimischen, ist in Aquaba ein Mensch von einem Hai an­gefallen worden. Doch ein komisches Gefühl bleibt einem trotzdem, und nie ist einer von uns alleine getaucht, wir waren meist zu dritt.

Wir entwickelte auch einige Routine im Harpunieren, und so gab es jeden Tag frischen Fisch in allen Variationen, von unserem Super Koch Walter zubereitet. Wenn es irgendwie mög­lich ist, werde ich einmal richtig tauchen lernen, mit Atemgeraet und allem, so hat mich diese Welt ge­fesselt.

Ausgerechnet dann, als wir uns so richtig wohlfühlten, fiel es dann diesem Herrn Nasser ein, eine grosse Schlacht gegen Israel anzusagen. Hassgebrüll aus dem Radio, Flugzeuge überflogen Aquaba mit Don­nerhall von Ägypten kommend nach Jordanien, alles sprach begeistert vom Hei­ligen Krieg, der seit 20 Jahren angekündigt, nun endlich bald losbrechen sollte. Und wir sassen am Strand in Jordanien, 10 km von Saudi Arabien, 14 km von Ägypten, 10 km von Israel, 10 km von Aquaba entfernt, richtig schön mittendrin, ein Platz im ersten Parkett – drüben am anderen Ufer des schmalen Golfs die israelische Stadt Elath und drum herum die Kanacken, viel Ge­schrei machend.

Das behagte keinem von uns. Jedoch gingen unsere Mei­nun­gen über das, was wir tun sollten, etwas auseinander. Peter und Dieter (einer der beiden Frankfurter) war das Risiko zu gross, länger hier zu blei­ben. Walter und ich dagegen meinten die Araber gut genug zu kennen, nichts würde wirklich passieren. Herr Nasser war doch gar nicht in der Lage, einen Krieg zu führen. Seine Truppen stehen mehr oder weniger offiziell im Jemen. Jordanien und Saudi Arabien, sind darob etwas böse (ägyptische Flugzeuge haben bereits saudiarabische Städte bombar­diert). Irak braucht alle Leute, um eine Flutkatastrophe zu verhindern, der Libanon wird sich raushalten, genau wie Herr Burgiba in Tunesien, ausser­dem, was machen die Amis, wenn ihnen der Ölhahn abgedreht wird usw. usw. - - Wir halten nicht viel von der arabischen Einheit, die besteht unserer Meinung nach nur bei den Hetzreden gegen Israel. Also wir wollten noch drei Tage länger bleiben. Ausserdem waren auf unserer Seite viele Fische und herr­liches Wasser, auf der anderen Seite nur blanke Wüste.

Jedoch, wie ich schon berichtete, die Wüste hat gesiegt, wir haben nach de­mo­kratisch gehandelt und redlich abgestimmt, da half kein Schimpfen: Es wurde noch in der Nacht gepackt und weg vom Golf nach Amman. Mohameds Flucht von Mekka nach Medina konnte nicht heftiger gewesen sein, jedoch folgenreicher. (Unsere Flucht ist schon wieder vergessen, und dort unten ist noch bis heute, am 3. Juni 67,  nichts wesentliche Neues passiert.)

In Amman brauchten wir dann noch ein Visa für den Irak, bevor wir in die Wüste stechen konnten – Richtung Bagdad. Walter bekam einen neuen Pass von der Deutschen Botschaft, auch Gelegenheit für mich, meinen Reservepass auszupacken und zu legalisieren. Wir beide sind also nun in der seltenen Lage,  mit je zwei Pässen zu reisen.

Beinahe hätte ich über diese Ereignissen meinen eigenen Geburtstag ver­ges­sen. Renate (das ist die Frau vom Frankfurter Walter) aber hat einen Tag später Geburtstag, und da Frauen ja meistens mehr von Geburtstagsge­schenken halten als wir, erinnerte sie uns alle an meinen Geburtstag, der dann in der syrischen Wüste begangen wurde. Bereits auf irakischem Wüs­ten­boden, der sich jedoch überhaupt nicht vom jordanischen oder saudi-arabischen unterscheidet, über mir viel Himmel, unter mir vermutlich viel Öl, dazwischen eine flimmernde Linie, Horizont genannt. In dieser Umge­bung gegebene Händedrücke sind eigentlich selten, daher nicht zu verges­sen. Wenn ich mich so beschaue, bin ich also tatsächlich jetzt 24 Jahre alt.

48° im Schatten in Bagdad – wir schwitzten und tranken, wollten so schnell wie möglich weiter nach Kuweit, um unser Blut zu verkaufen. Es kam aber anders! Auf der Fahrt nach Hilla (das frühere Babylon) machte der Frankfurter VW nicht mehr mit, wir mussten zurück in den Ofen Bagdad. Dort verbrachte wir schwitzend und schlafend zwei weitere Tage auf dem Campingplatz, auf dem wir schon letztes Jahr während der Cholerazeit 10 Tage lang geschwitzt hat­ten. Ausserdem hatte ich dadurch mehr Zeit für das Irakische Museum, wo nicht nur die meisten Schätze des Iraks, sondern auch die beste und grösste Klimaan­la­ge der islamischen Welt ist.

So, liebe Mutter, ich glaube, es wird Zeit, den Mammut-Brief für heute zu beenden. Von Bagdad nach Kuweit und von dort aus nach Isfahan, das werde ich Dir im nächsten Brief berichten. Wir werden wohl einige Tage hier in Isfahan bleiben, wollen einen Abstecher in die persische Salzwüste nach Jazst machen, um dort die „Türme des Schweigens“ zu sehen. (Es gibt hier noch Anhänger der Lehre Zoroasters, die ihre Toten den Geiern zum Frass vorwerfen). Dies alles werde ich Dir vom Kaspischen Meer aus schreiben, dann habe ich auch die Briefe, die in Poste Restante Teheran auf mich warten. So hoff ich jedenfalls. Ich hoffe, dass ich Dir mit diesem Brief einiges vermittelt habe.

In der festen Hoffnung, dass Ihr alle gesund seid, will ich Euch, vor allem aber Dich recht herzlich grüssen. Grüsse auch alle Bekannten und Verwan­d­ten von mir,

aus Isfahan

Dein Hans



 12. 6. 1967

 (Absender: Hans Höfer, Teheran, wohnhaft in einem Tal des Elbrus Gebir­ges, in 2800 – 3000 m Höhe, an einem klaren Gebirgsbach, zusammen mit 4 Frank­furtern und 2 verrückten dazugestossenen Schweizern, 30 km vom Schmutz der Stadt Teheran und 6 km vom Palast seiner Majestät des Shahs entfernt.  Viel Sonne, manchmal Schatten.  )

 

Liebe Mutter!

 Heute endlich habe ich Deine Post hier bekommen, die teilweise ueber einen Monat alt ist. Ich habe mich sehr gefreut, etwas von Euch zu hören. Gleichzeitig bin ich natürlich jetzt sehr in Sorge über Deinen verzweifelten Brief vom 4. Juni, aber ich hoffe doch sehr, dass Du schon am nächsten oder übernächsten Tag meinen 16seitigen Reisebericht aus Isfahan erhalten hast, der Dich dann beruhigt hat.

Also : Mir geht es sehr gut, ich werde regel­mässig und reichlich ge­nährt und fühle mich aeuserst gesund. Bitte, sei nicht so gleich so pessimistisch, wenn Du dort in Deutschland Nachrichten und Be­rich­te hörst, die das Kriegsgesche­hen auf dem hiesigen Teil der Erde betreffen. Bedenke doch bitte, dass das hier Länder von riesigen Ausmas­sen und Distanzen sind und dass ich hier vom eigentlichen Kriegsschauplatz fast genauso weit weg bin wie Du.

Ausserdem sind wir keine hilflosen Touristen im Neckermannbus, sondern haben schon einige Erfahrung. Auch, die Brenn­punkte sind meist nur die Städte, dazwischen Gebirge, Dörfer, Wüste usw. Und die Leute hier bekommen kaum etwas vom grossen Geschehen mit. Ihr seid, dass könnt Ihr mir glauben, besser informiert als die Menschen hier. Sie haben kaum Radio oder Zeitung und erfahren nur das, was sie erfahren sollen.

Wenn wir nicht jede Nacht die Kurzwellennachrich­ten von England, Moskau, Schweiz oder Österreich hörten, wir wären selbst nicht informiert. Wir alle sind hier entsetzt und erschüttert über das, was in den Ländern des Mittleren Ostens so schnell geschehen ist. Es ist kaum 3 bis 4 Wochen her, da waren wir noch überall dort, wo jetzt Schrecken und Grauen herrscht. Wir können fast mit Sicherheit annehmen, dass viele der freundlichen Menschen, die uns eingeladen haben und mit denen wir teil­weise Freundschaft ge­schlossen haben, umgekommen sind. Walter und ich kennen fast jeden Winkel der Altstadt Jerusalems. Es ist einfach nicht zu begreifen! Das Furchtbare ist, dass diesen Schweinen, die die Armut und das Elend des Ein­zelnen für ihre Hasspolitik ausnützten, nichts geschieht. Zu leiden hat hier wieder nur der einzelne arme Kanacke. Doch lass mich auf­hören. In einigen Tagen werde ich den zweiten Reisebericht an Dich senden und zwar vom Kaspischen Meer aus, wohin wir in einigen Tagen fahren werden um eine Pause zu machen.

 Die Pläne von uns sehen so aus: Teheran – Meschhed – Herat – Kabul bis zum 28. Juni (also ungefähr 14 Tage). Ein Luftpostbrief bis dort braucht ungefähr 4 – 6 Tage. Wenn Du schreibst, dann schreibe also bis zum 23. hauptpostlagernd (poste restante) nach Kabul (Afghanistan). Briefe, die Du nach dem 23. Juni schreibst, schicke nach Lahore (Pakistan). Aber bis dahin wirst Du wieder von mir hören. In Teheran habe ich einen Brief von Rolf von Anfang April erhal­ten. Rufe ihn bitte an. Ich werde ihm, wenn ich wieder mal was zur Ruhe komme, ausführlicher berichten. Harald soll mir auch mal schreiben, was er treibt, ausserdem habe ich von ihm keine neue Adresse.

Peter hat Andenken nach Hause geschickt. In diesem Paket befindet sich von mir ein Beduinenteppich aus Jerusalem und das fehlende Zwischen­stück aus Leder zu meiner persischen Kinderwiege (Du kennst ja die Intarsien Stäbe). 

So, also, das wars für heute in Kürze. Jetzt bleibt mir nur noch Dir noch einmal ans Herz zu legen, dass ich bestens auf mich aufpasse, dass wir unverbesserli­che Optimisten und Glückspilze sind, dass das Leben in jeder Situation faszinierend und lebenswert ist.

 Sei herzlich umarmt

 Dein Hans

 PS. Übrigens wurden wir hier in Teheran von der Presse interviewt. Die hiesige englischspra­chige Zeitung hat das etwas aufgebauscht und einen Sensationsbericht daraus gemacht. Das Foto anbei ist sehr schlecht gedruckt, in Wirklichkeit sehe ich viel besser aus.

 

Tagebuch 

Dienstag, 13. Juni - Abfahrt von Teheran Richtung Kaspishem Meer.

Zuerst letzter Besuch bei VW.   Passbilder, Verpflegung.   Peter bleibt bei den Schweizern.

13 Uhr nach Dorf Demavent, falsch, zurück nach Ab-Ali Richtung Amol.   3-4 Uhr am Demavent.   Mit Besteigung ist nichts. Wir treffen die Frankfurter nicht wie ausgemacht. Fahrt durch Elbrus Gebirge. Immer höher, dann vor dem Fuss des Demavent hinab, hinab, gegen 6 Uhr Wälder in Sicht.  Camp10 m neben der Strasse im Flussbett eines reissenden Flusses unter Baum. Um uns bewal­dete Berge, Himmel leicht bewölkt, hoffentlich keine Bären. Walter kocht gerade Gulasch mit Spaghetti und Gurkensalat, habe Sauhunger und bin müde.   Morgen ein paar Tage Kaspisches Meer und Ruhe.

Ein Nachrichtensprecher sagt: In der Altstadt von Jerusalem liegen die Lei­chen jordanischer Soldaten. Brief von zuhause: Gott sei Dank, die Mutter ist wieder etwas ruhiger.

Helga will sich verloben!

Die Büsche um uns hier haben rote Blüten wie Rosen. Endlich wieder viel Farbe in der Landschaft. Demavent ist noch zu sehen: Ein weisses Dreieck am Himmel.

 Mittwoch, 14. Juni

 Am Morgen vom Pech verfolgt.  Beim Drehen im Fluss­bett Butterdose kaputt, Kopf hingehauen, keine Streichhölzer zum Kocher­anmachen.

Die Strasse führt weiter hinab Richtung Meer, vorbei an riesigen Wäldern (Ur-). Die Täler werden breiter. Überall wird Reis angebaut. In bunten Klei­dern stehen die Frauen bis zu den Knien im Schlamm. Die Häuser sind aus Schilf geflochten und mit schwarzen Holzschindeln bedeckt.

Die Wolken von gestern haben sich verzogen, es wird wieder warm und feucht. Vorbei an Pferd- und Mulikarawanen. Tolle farbige Satteldecken. Von Amol bis Moha­mad-Abad. Wellblech. Dort wird noch einiges gekauft, Wasser getankt. Tauschhandel mit Klamotten : Benzin wieder umsonst.

Küstenstrasse. Nach 3 km zwi­schen den Sanddünen die Frankfurter. Dünenstreifen 100 m, dann Urwald. Riesige Seeadler. Wir schwimmen mal wieder ausgiebig. Gegen Nachmittag kommen die Schweizer mit Peter nach. Mit Harpune ist hier nichts. Sandstrand. Aber der sumpfige Urwald hinter mir reizt mich ganz schön. Am Strand ha­ben wir grosse Tatzenspuren gesehen. Übrigens, gibt’s hier noch Panther und Tiger ? Mahlzeit.

Am Abend ganze ganze Kampfformationen von Moskitos, kein Wunder, der Wald, die Reisfelder. Wir fangen mit Malariaprophylaxe an. Abends trin­ken wir viel Vodka! Hoffentlich kann ich morgen ein Pferd leihen!

Aus dem Sumpf kommen die letzten Geräusche der Nacht.

 Donnerstag, 15. Juni

 Am Morgen nach dem Aufstehen sofort ins Wasser über den heissen Sand. Man muss ganz schön wetzen sonst gibts Brandblasen. Von den gestrigen Turnübungen habe ich herrlichen Muskelkater, daher penne ich nach dem Essen und nach dem Einkaufen im Dörfchen zwei Stunden auf der Luft­matratze im Schatten. Aber dann: da es hier im Dorf keine Pferde zu leihen gibt, wenden wir uns heute dem Sumpf zu. Mit Gummistiefeln, Beil und Gabelstock geht’s in den Sumpf, der schon 50 m über die Strasse hinweg beginnt. Kurt und ich suchen nun den Rand ab, man kann ja kaum 20 m hineinschauen, ge­schweige denn gehen. Es wimmelt nur so von Viehzeug. Schon nach zwei Minuten sehe ich eine grosse Schlange, 1 m lang, schwarz, mit gelben Streifen. Sie verschwindet sehr schnell, noch ehe ich sie mit meinem Stock fangen kann. Wir stellen uns natürlich ganz schön doof an, sind zu laut und zu ungeschickt. Doch dann hat Kurt ein herrliches Exemplar ent­deckt, und schon zappelt sie zwischen der Gabel. Wie wir sie jedoch aufs Land ziehen wollen, macht sie sich frei und verschwindet. Gesehen haben wir dann noch einige, jedoch zu weit im Sumpf drin, "unerreichbar“. Wir pirschen noch eine Weile, als wir plötzlich von einem wütenden Grollen ganz in der Nähe zu Tode erschreckt werden. Ganz schön panisches Gefühl, nur mit einem Stock in der Hand. Was es war, das werde ich wohl nie erfahren.

Komische Reaktion in diesem Augenblick. Ich habe mich totgelacht! Komisch, aber das entsetzte Gesicht von Kurt ... und dann die ganze Situation. Er sagt in seinem Schwizerdeutsch: „Jetzt finde ich des aber gar nicht mehr so ko­misch“, und wir verziehen uns schleunigst.

Bis zum Sumpf ziehen sich die Reisfelder, auf denen viele Leute arbeiten. Wir gehen noch weiter bis zu einem Dorf, kehren um und gehen bei Sonnenuntergang am Meer zurück. Es ist herrlich, wieder am einem Meer zu sitzen und den Wellen zu­zuschauen.

Es gibt jetzt Kirschpfannekuchen. Der Walter ist wirklich ein toller Koch!

Freitag, 16. Juni

Heute also möchte ich unbedingt eine Schlange fangen. So verbringe ich die meiste Zeit im Sumpf. Es ist ziemlich aufregend, mit Stiefeln im Sumpf zu waten, aber es scheint doch schwieriger zu sein, als wir alle glau­ben. Plötzlich entdeckt Kurt eine ziemlich grosse und kann sie in ein Ge­büsch am Rand des Sumpfes jagen. Schon als wir glauben, sie sei wieder verschwunden, taucht sie plötzlich wieder auf und es gelingt Kurt, sie scheinbar zu töten, doch als wir sie dann heraus­ziehen, fängt sie wieder an zu zappeln. Gott sei Dank halte ich sie kurz hinter dem Kopf und schlage sie auf den Boden. Nachdem wir sie abge­häutet haben, spannt Kurt die Haut zum Trocknen auf ein Brett und hat am Abend eine schöne Trophäe. Ich bin natürlich neidisch und gehe mittags dann noch einmal in den Sumpf. Ich sehe noch eine schwarze, wohl an die 2 m lang, aber es gelingt ihr, sich in den Sumpf zu schlängeln. In meinem Kampfeifer stürze ich hinterher, kann sie noch einmal fassen, aber als sie sich dann wieder wie zum Angriff zurück­wendet, lasse ich sie schnell wieder los. Kurt ist mir durch mein Geschrei zu Hilfe geeilt, aber auch er sieht nur noch den Schwanz im Schilf verschwin­den. Jetzt habe ich mich auch noch in den dornigen Lianenwinden verhed­dert, und als ich dann nass und zerkratzt ans Ufer wate, noch ein paar schöne Exemplare Blutegel an den Beinen, schwöre ich mir, Schlangen in Ruhe zu lassen. Genug der Jagd.

Ausserdem fällt mir wieder ein, dass das Wasser hier sowieso nicht gerade zu empfehlen ist, und so wetze ich dann zum Salzwasser im Meer hinüber, um mich zu waschen. Ziemlich müde beginne ich dann am Abend noch meinen zweiten Reisebe­richt an Familie, bin aber nach dem Abend­essen zu müde, noch weiter zu schreiben.

Samstag, 17. Juni

Der Tag ist halb vertrödelt. Morgens einkaufen, schwim­men und Klamotten waschen. Gegen Nachmittag, als einige Wolken herauf­ziehen, bastle ich noch etwas an einer Steinschleuder. Grosse Lust zu schrei­ben habe ich nicht, meine angeborene Faulheit überwältigt mich. Ausserdem ist heute „Tag der deutschen Einheit“, und da faulenzt jeder gute Deutsche.

Nach dem Abendessen sitzen wir gemütlich beisammen, als sich uns 3 Hasen in selbstmörderischer Absicht nähern. Mit bebenden Händen wird das frankfurterische Gewehr entnestelt, und schon pirscht Walter von Busch zu Busch, ein Schuss knallt, und die Hasen sind weg. Nach einer improvisierten Treibjagd haucht dann eine Hasenseele zum Himmel und folgt der ersten: Auf dem Weg zurück finde ich nämlich den ersten Hasen, der sich in den ersten Schuss hineingeworfen haben muss. Mit vereinten Kräften wird ihnen das Fell über die Ohren gezogen, und zum Abendessen morgen werden wir den persischen Staat um 2 kg Hasenfleisch erleichtern.

 Die Chinesen haben heute eine H-Bombe gezündet, juhu !

 Sonntag, 18. Juni

Kein Tag ohne Ereignisse: Heute ist starker Wind, fast Sturm. Das heisst natürlich, jede freie Minute zum Schwimmen benutzen. Gegen Nachmittag werden die Wellen sogar beängstigend hoch, doch unsere Begeisterung steigt mit ihnen. Wellenberg, Wellental, tauchen, auftauchen, sich treiben lassen. Hier ist die Wiederholung keine Abschwächung, sondern eine Steigerung. Ziemlich fertig steigt man nach einer Weile aus dem Getöse. Ansonsten: Hosen waschen, Brief schreiben. Nach dem Frühstück nichts mehr bis zum Abend, da der Hasenbraten wartet. Vorzüglich gemundet. Von den trauernden Hinterbliebenen kam dann noch einer, der kommt morgen in den Pott. Um der täglichen Moskitoplage nach Sonnenuntergang zu entge­hen, lege ich mich dann noch eine Stunde an den Strand und lasse die Seele baumeln. Herrliches Leben!

Verdammt und zugenäht, wieder nicht am 2. Reisebericht weitergearbeitet, geschweige denn etwas für die heimische Zeitung geschrieben.

 Montag, 19. Juni

 Nach einigem Hin und Her ist der heutige Schlafplatz gefunden. Ein freundlicher Herr hatte ihn mir nach rasender Fahrt mit dem Jeep über grausiges Wellblech gezeigt. Auf einem abgemähten Erntefeld bauen wir unsere Wagenburg auf, direkt neben einem defekten Mähdrescher und einem gammeligen Zeltdach, unter dem einige freundliche Kanacken wohnen. Es sind die Feldarbeiter des Musterguts, auf dem wir uns befinden. Einer von ihnen ist mein erster echter Turkmene. Er hat Schlitzaugen, einen brei­ten Kopf und spärlichen Bartwuchs am Kinn. Einer von den Nach­kommen der wilden Reiterscharen Tschingis Khans, die vor 1000 Jahren Schrecken über die Menschheit verbreitet haben.

 Wir befinden uns hier am Ran­de der grossen Turkmenen Steppe, die sich weit nach Russland hineinzieht, 40 – 50 km von der russischen Grenze entfernt.

Von unserem herrlichen Platz in der Nähe von Babol-Sar waren wir weiter nach Osten gefahren, durch den fruchtbaren Küstenstreifen des Kaspi, am Fusse des Elburs-Ge­birges entlang, dessen Gipfel heute in den Wolken verschwanden. Es ist be­deckter Himmel und ab und zu fallen ein paar Regentropfen, die ersten seit der syrischen Wüste in Palmyra. Schon während der Fahrt merkte ich deut­lich einen Wechsel, nicht an der Landschaft, sondern an den Trachten und Gesichtern der Menschen, die uns freundlich zuwinkten.

Gegen Nachmittag erreichten wir Gorgan, eine kleine Stadt am Fusse des Elburs, wo wir unsere Lebensmittelvorräte aufbessern. Es gibt hier herrliche Turkeman-Teppiche. In einem Teppich­geschäft hingen ausserdem viele Satteldecken, Pferdebe­schläge und Kelims, alles viel zu teuer, als dass einer von ihnen die Reise nach Germany hätte antreten können. In ein silberbeschlagenes Pferdege­schirr habe ich mich besonders verliebt, mein erster Blick darauf war aber wohl zu begeistert, daher war eine Einigung über den Kaufpreis mit dem Händler nicht mehr möglich.

 Kirschpfannekuchen mit Sauerkirschen –

 UN Vollversammlung

 Dienstag, 20. Juni

 Heute hatte ich Gelegenheit, dieses Volk der Turkmenen besser zu betrachten. Auf der Fahrt Richtung Mesched machten wir an einer Teestube neben der Piste halt, angezogen durch zwei farbenprächtige Teppi­che und einige Reiter, die auf ausgezeichneten Reitpferden in ihren bunten Sätteln ein tolles Bild abgaben.

Ungefähr 80 km nach Gorgan war die Asphaltstrasse zu Ende, und wir fahren seither auf einer fürchterlichen Schotter- und Sandpiste bis Afghanistan, wohl das schlechteste Stück auf der ganzen Reise bis jetzt. Wie ein riesiges Landmeer blieb die Steppe zurück, als die Strasse wieder in die Berge des Elburs-Gebirges zurückführte. Auf halber Höhe zu einem 1500 m Pass fanden wir dann jenes kleine Dorf mit dem çay-Laden, dessen Einwohner ich kurz beschreibe.

Unter dem halblangen Kleid tragen die Frauen lange, bunt gemusterte Stoffhosen, selten tragen sie San­dalen, meist gehen sie barfuss. Das Kleid ist langärmelig, ebenso grell und kontrast­reich wie die langen Kopfschleier gefärbt. Ihr schwarzes Haar tra­gen sie streng nach hinten gekämmt, in der Mitte gescheitelt. Viele schmücken sich durch farbige Ketten oder grosse, fein gearbeitete Filigranbroschen. Wie Farbtupfer in der Landschaft sehen sie aus, wenn sie auf dem Feld stehen, in grossen Gruppen, oft mit Kindern auf dem Rücken, die durch die Arbeit ihrer Mutter nicht aus dem Schlaf zu rütteln sind. Ich habe mich heute so manches Mal nach solch einer Schönheit umgedreht, die, ihre Last auf dem Kopfe tragend, anmutig mit dem Hintern wackelte.

Die Männer: Turban oder Pelzhut, oft alter Waffenrock, Wams, langes Hemd bis zu den Knien, Pluder­hosen, Schuhe aus Autoreifen, bis zum Knie geschnürt, über Strümpfen oder Tüchern.

 Wir haben uns verfahren, abends über den Pass, an einem Bach Halt. Ziemlich müde.

Mittwoch, 21. Juni

Das kleine Flüsschen am Anfang eines Dorfes, ziemlich hoch und kurz hinter dem Pass, an dem wir die letzte Nacht verbracht ha­ben, verliessen wir heute morgen etwas später, da am Wagen die Vorderrä­der abgeschmiert werden mussten und der Wagen auch sonst noch einiger Pflege bedurfte. Von ihm wird jetzt wirklich eine Menge verlangt, das zeigte sich besonders heute, als die „Strasse“ mehr und mehr zum Ackerweg wurde. Ständig tanzt der Wagen über Wellblech-Slalom zwischen riesigen Schlaglöchern. Wir schlucken ganz schön Staub. Bis jetzt hatten wir noch keinerlei Schwierigkeiten mit unserem Fahrzeug, toi toi toi. Noch ungefähr 400 km schlechte Strecke stehen uns bevor, bis wir die russischen Auto­bahnen in Afghanistan erreichen.

Gestern waren wir noch bei den Turkmenen, jetzt sind wir wieder bei den Persern. Nur noch vereinzelt finden wir Schlitzaugen und Pelzmützen unter der Bevölkerung. Auch das Bild der Dörfer und auch der Landschaft hat sich wieder geändert. Das Grün der bewaldeten Hänge hat sich in die Täler verzo­gen, die Berge sind wieder blank und kahl und leuchten in allen Braun- und Beigetönen herüber. Die Dörfer sind wieder aus Lehm gebaut, flach, an die Hänge gestreckt und erinnern an die, durch die ich letztes Jahr im Nord­westen Persiens gefahren bin. Nur die Gewänder der Frauen haben mehr Farbe, wenn sie auch nicht die Leuchtkraft der turkmenischen Trachten erreichen.

 Besuch in einem Dörfchen. Peitsche, Färberei, Filzmacher. Dieter tauscht Gewehr. Wetter schlecht, Regen und Wolken. In einem Flussbett hunderte von Schafen, die von Frauen gemolken werden.

Donnerstag, 22. Juni

Beim Reparieren am Schweizer Wagen erschienen 4 Iraner und machten einladende Handbewegungen in Richtung Berge, an deren Hängen kleine Dörfer im flimmernden Licht zu sehen sind. Da wir noch in keinem solchen Dorf abseits der Strasse waren, nehmen wir diese Einladung an und sind alsbald auf dem Weg ins Dorf. „Weg“ ist etwas viel gesagt, denn es ist ein trockenes Flussbett, durch das wir langsam schau­keln. Dort angelangt, geben wir natürlich die Sensation des Jahres ab und werden bestaunt und begafft wie selten zuvor.

Ich hatte den Eindruck, dass wir zuviel auf einem Haufen waren, jeder zückte den Photoapparat in die gleiche Richtung. Daher löste ich mich von der Horde und schlenderte al­leine durch die engen Gässchen. Alles ist hier aus Lehm gebaut, die Mauern ineinander verschachtelt. Zu jedem Haus gelangt man durch einen Innenhof, in dem sich scheinbar das ganze Leben abspielt. Durch die Gassen fliesst ein graues Bächlein, Waschmaschine und Müllabfuhr zugleich. Das Trinkwasser muss mit Eseln weit hergeholt werden. Wir werden in einen Innenhof geholt, dort wird ein Kelim von zwei Frauen gewebt. Ohne eine Vorlage weben sie herrliche geometrische Ornamente, abwechselnd mit einfarbigen Streifen, wie es schon Generationen vorher überliefert haben. Die Kette ist kurz über dem Boden gespannt, und so weben sie, auf dem fertigen Stück sitzend, die Fäden mit der Hand einziehend. Wir werden in das Innere des Hauses einge­laden, sitzen auf der Erde in einem grossen Kreis zusammen mit einigen Pro­minenten des Dorfes, von denen einer einen langen Pelzmantel umgelegt hat, während Tee serviert wird, wird sich mit Händen und Füssen verständigt, Komplimente ausgetauscht und sich über wer weiss nicht was unterhalten. Wir verbringen mehrere Stunden dort, bis wir uns dankend verabschieden, zurück auf die Hauptpiste schaukeln, auf der wir gegen Mittag Meschhed und damit ein Stückchen Asphaltstrasse erreichen.

Die Sandpiste macht uns alle etwas fertig. Wir sind gereizt und trotzdem re­gelrecht lahm. Mir fehlt es im Augenblick an Konzentration.

Vor Meschhed Asphalt. Basar, Türkise gesehen, keine Lust zum Kauf. Wir müssen hier bleiben, da heute Feiertag ist. Die Strecke hat uns ein Lampen­glas, eine Auspuffhalterung und ein Stückchen Benzinleitung gekostet. Den Frankfurtern 2 M+S Reifen, daher Werkstatt. Afghanistan lässt auf sich war­ten.

 Samstag, 24. Juni

 Fast der ganze Tag geht mit Autowerkstatt, einkaufen usw. verloren. Leider sind die Schönheiten und Heiligtümer dieser heiligen Stadt für uns nicht zugänglich, wir müssen uns mit dem Blick aus der Ferne auf die goldenen Kuppeln und Minarets begnügen. Wir tauschen noch eini­ges pakistanisches Geld, dann wieder auf die Dreckspiste, die uns einiger Sympathien für den Iran beraubt.

Nach zwei Stunden Fahrt machen wir wieder in einem Flussbett halt. Walter gibt sich ans Frikadellenbacken und die abendliche Ruhe kann wieder ein­kehren. Später gesellen sich noch 3 Gesellen aus Australien zu uns, die Tolles von dort berichten.

 Sonntag, 25. Juni

 Je mehr wir uns der afghanischen Grenze nähern, um so schlechter wird die Strasse. Die Felder links und rechts der Strasse sind mehr als karg, alle 10cm ein mageres Hälmchen. Sie verschwinden oft ohne Übergang in der Wüste, nur am Rande der Oasen, die sich schon von ferne durch ihr Grün anmelden, sind sie wieder saftig und dicht.

Hier hocken, mit weissen Turbanen auf dem Kopf, die Männer vor ihren Lehmhütten in klei­nen Gruppen. Die Köpfe drehen sich neugierig nach uns, die Kinder rennen ein Stück mit und rufen „good bye“. Dicht gedrängt sind die Häuser mit ih­ren halbrunden Dächern, von hohen Lehmmauern umgeben.

Am Rande eines solchen Dorfes können wir aus der Ferne eine Beerdigung beobachten. Das schrille Geschrei der Klageweiber, die um das Grab hocken, dringt bis zu uns. Als sich uns die Männer dann jedoch nähern, machen wir uns aus dem Staub (vielmehr: in den Staub).

 Grenzkontrolle 1 Stunde. Endlich weg von den Zoellnerkanacken. Sau­mässiges Stück bis zur Afghanischen Grenze, dann noch an einem Fluss vorbei bis zu einer Baustelle. Am Fluss Halt. Sandsturm gegen Abend.

 Montag, 26. Juni

 3 Jahre hat er sich verpflichtet, und an Weihnachten kann er wieder nach Hause. Er ist Italiener, arbeitet als Brückenbauer bei den Amerikanern, die hier eine Strasse bis Herat bauen, flucht über die Faulheit der Afghanen und über die Arroganz der Amis, säuft, raucht Ha­schisch und amerikanische Zigaretten. Er ist recht nett zu uns, füllt unsere Tanks mit Ami-Benzin und schenkt uns Zigaretten.

Wir fahren auf dem Unterbau der Superstrasse, die mit typisch amerikani­scher Schnelligkeit gebaut wird. Wie Riesenkäfer fressen sich die grossen Sandbeweger durch den Sand und Fels der Wüste. Nach ein paar Stunden Fahrt erreichen wir Herat; das schlechteste Stück der Strecke endlich hin­ter uns.

Die erste Begegnung mit den Afghanen raubt mir den Atem. Wieder neue Ein­drücke, neue Kleidung, neue Gesichter. Reiter galoppieren durch die breite Hauptstrasse. Sie sehen aus wie die Wilden. Es wird mir zuviel, die Hitze, der ganze Körper klebt vor Dreck und Staub. Wir ziehen uns zurück ins nächste Hotel und trinken çay. Ziemlich fertig sind wir am Abend, als wir etwas ausserhalb der Stadt an einer Tankstelle haltmachen.

 Ich bin langsam wieder für einen Erholungstag reif.

 

 4.7.67

 Liebe Mutter!

 Seit dem letzten Brief hat sich so viel ereignet, ich habe so viel gesehen und erlebt, dass ich nicht einmal jetzt, wo ich in einem ruhigen Restaurant in Kabul sitze, weiss, was und wovon ich zuerst berichten soll. Dazu kommt, dass die letzte Strecke ziemlich viel Nervenkraft gekostet hat, so dass ich abends sehr müde war und auf die Matratze sank.

Dann, die Postverbindung in den letzten Städten, die wir besucht haben, war ziemlich schlecht. (In Meschhed zum Bei­spiel liegt die Post im heiligen Bezirk, für einen Nichtmuselmanen also nicht zu betreten). Auch hatte ich hier in Kabul einige Post erwartet, aber leider nichts vorgefunden. Ich nehme aber folgen­des an: Peter hat von Teheran nach Hause telegrafiert „alles zur Botschaft nach Delhi zu schicken“. Das bezog sich nur auf das Geld, das er von seinen Eltern braucht. Leider habe ich das von ihm zu spät erfahren, sonst hätte ich das so­fort klären können.

Also halte Dich daran, schick weiter alles hauptpostlagernd. (poste restante).

Peter hat eben teuere Dinge gekauft und muss daher wohl noch etwas Geld haben. Ich brauche auf keinen Fall Geld, ich komme sehr gut aus, und wie es sogar scheint, werde ich in Nepal wieder mehr Geld ha­ben, als ich bei Abreise bei mir hatte. Du wirst natürlich sagen, er rechnet wieder mit Geld das er noch nicht hat, aber schon hier wurden uns für den Wagen 4000 DM geboten, und das ohne Ersatzteile und sonstige Dinge, die wir nicht mitnehmen werden. Wir haben aber „sichere“ (man weiss ja nie ge­nau) Informationen von mehreren Reisenden aus Nepal, dass wir dort mehr erhalten koennen.

Ich weiss nicht, ob ich Dir schon erzählt habe, dass ich von dem Geld, das ich in Kuweit für meine Blutspende bekommen habe, dort gleich 5 Schweizer Uhren gekauft habe, die wiederum in Indien je 250 DM wert sein sollen. Ausserdem mache ich von Land zu Land immer wieder kleine Geschäfte durch Geldumtausch zu günstigem Kurs, so dass ich alles in allem bis jetzt nur 700 DM ausgegeben habe, also noch nicht einmal die Hälfte meiner Reisekasse.

Aber jetzt Schluss da­von!

Die Eindrücke der letzten 14 Tage waren überwältigend. Wir waren tage­lang nur von afghanischen Einheimischen umgeben, teilweise mit Schlitzaugen, teilweise schwarz, bis auf die Augen vermummt oder teilweise halbnackt, mit schwarzen langen Haaren und Bärten, auf Pferden mit grossartigem Saum­zeug, auf Strassen, neben Herden, auf Feldern, in Dörfern. Ein ganz neuer Menschenschlag, stolz, und mit unbewegten Gesichtern.

Aber das will ich Dir noch ausführlicher schreiben, jetzt ist alles noch zu frisch, und im Restaurant hier kommen ständig andere Reisende, die er­zählen von Australien, Indien, Nepal, von allen möglichen Ländern und Na­tionen.

Kabul ist die Stadt, in der sich die Reisenden treffen, auf dem Reiseweg nach Asien und zurück. Das Kyber-Re­staurant, in dem ich hier sitze, ist jedem Reisenden als Treffpunkt be­kannt. Hier wird von morgens bis abends erzählt und werden Informationen getauscht.

Das grosse Ereignis der letzten Tage war für mich die Begegnung mit einem französi­schen Ehepaar, Roland und Sabrina Michaud. Ganz grossartige Menschen. Sie sind schon seit 4 Jahren hier in Asien, besonders in Indien, unterwegs, studieren Leute und Sitten und arbeiten dabei für grosse Zeitschriften (hauptsächlich für Paris-Match). Nächstes Jahr bringen sie ein Buch über Indien heraus, das bereits im Druck in der Schweiz ist. Sie ist gebürtige Marokkanerin, eine bildschöne kleine Person, die sich wunder­bar mit pakistanischer Kleidung zu kleiden versteht, er ein sympathischer Mensch mit grossem Vollbart und glasklaren blauen und besonders lustigen Augen. Was diese Beiden schon gesehen und erlebt haben, ist unbeschreib­lich. Er war zum Beispiel einige Monate lang im indischen Himalaya bei Yogis in ihren Höhlen, sie lebte derzeit mit turkmenischen Frauen im afgha­nischen Gebirge. Er fuhr mit dem Fahrrad in Rotchina herum, sie lebte derweil in Abessinien.

Wir haben sie praktisch am Strassenrand aufgelesen. Sie benutzten für die­se Reisen einen unmöglich aussehenden Haflinger Geländewagen, der von der letzten Strecke entlang der russischen Grenze hier in Afghanistan dermassen in Anspruch genommen war, dass wir ihn fast durch ganz Afghanistan bis hier nach Kabul abgeschleppt haben, Walter aus Frankfurt und ich, in unserem Wagen. Die anderen waren derweil schon nach Kabul vorgefahren. 4 Tage durch Afghanistan im 30 km Tempo. Tagsüber bei grosser Hitze ha­ben wir geschlafen oder kleine Dörfer besucht, Nachts sind wir gefahren.

 Was mir diese Gespräche durch die ganzen Nächte hindurch gegeben haben, ist mehr, als ich jemals über Indien, Afghanistan und sonst noch über Asien erfahren habe. Ich bin begeistert und voll mit den besten Informationen über die Länder, die ich demnaechst besuchen werde. Unseren Plan für Indien mussten wir ändern, unsere Einstellung, und ich glaube, bei mir noch einiges mehr, hat sich gestärkt und verbessert. Und ich habe dazu noch zwei Freunde gefunden, es ist herrlich. Wir werden auch weiterhin in Verbindung bleiben und uns bestimmt wieder sehen. Sie haben auf ihren Reisen bis jetzt 50.000 Aufnahmen ge­macht, davon 37.000 Dias. Unvorstellbar ! Sie wollen sich in einigen Jah­ren nach Paris begeben, um dann alles auszuwerten, was bis jetzt noch nicht ausgewertet ist.

Doch nun noch schnell einmal zu unseren eigenen Plänen. Dieser Brief sollte eigent­lich kürzer werden, wieder ein Lebenszeichen statt Postkarte, mein eigentli­cher Reisebericht liegt immer 1/4 beendet in meiner Schublade. Das wird für mich jetzt die dringendste Sache. Daher fahren wir von hier in die Berge nach Bamian, einer alten buddhistischen Mönchskultur nachgehend, die dort in den Bergen 50 m hohe Buddha-Statuen in den Fels gehauen haben. Auch landschaftlich ist es dort herrlich, in grosser Höhe rundherum 4-5000 m hohe Berge, und dort werden wir uns wieder Ruhe gönnen. Dann, hoffe ich, wird der zweite  Bericht fertig. Mit meinem Tagebuch bin ich durch die letzten Ereignisse im Rückstand, das wird dann auch nach­geholt, und auch sonst brauche ich einige Tage zum Verkraften.

Dann: Von Bamian aus müssen wir wieder zurück nach hier (vielleicht habe ich dann Post?), und dann geht es nach Pakistan. In Lahore erwarte ich dann wiederum Post, aber wenn Du bis jetzt nicht geschrieben hast, so schreibe doch bitte auch die nächsten Briefe nach Delhi, und zwar bis vor 22. Juli abschicken. Danach schreibe bitte nach Bombay, alles poste restante. (Ich will mit diesen saublöden deutschen Bot­schaften nichts mehr zu tun haben.)

Nach Lahore gehen wir über die indische Grenze und fahren, direkt zum Himalaya. Dort erwarten wir wohl das Tollste in unserem bishe­rigen Leben. Die zwei Schweizer und wir werden, falls wir eine Genehmigung von einer Stelle in Indien bekommen, dort in ein abgelegenes Tal reiten, um ein buddhistisches Kloster zu besuchen. Die Menschen dort leben in einer herrlichen Abgelegenheit von allem westlichen und verderblichen Einfluss in ihren Jahrhunderte alten religiösen Traditionen und wurden bis jetzt von kaum jemandem besucht. Wenn das klappt, so haben wir das Roland und Sabrina zu verdanken, die die Mönche besucht haben und einfach Wunder­dinge erzählen. Du kannst Dir ja vorstellen, wie ich dem entgegenfiebre.

Die Menschen in diesem Gebiet leben in absoluter Bindung an ihre Religiosität und an ihren Glau­ben, der ihnen verbietet, irgendein Lebewesen, und sei es eine Ameise, auch nur zu verletzen. Der Fremde ist dort König, dem alles nur Mögliche geboten wird. Sollte das jedoch nicht klappen, fahren wir weiter nördlich nach Srinagar in den Gebirgen Kashmirs, um dort einige Tage auf dem Pferderücken zu verbringen. (Für 10 Rupies am Tag, bei meinem Um­wechslungskurs auf dem hiesigen Schwarzmarkt 3,- DM, kann man dort eine komplette mehrtägige Exkursion in die Berge machen, Pferde, Waffen und Führer werden gestellt!)

 Klappt das aber mit dem Kloster, so lassen wir das fallen, fahren am Rande des Himalaya entlang, werden dort evtl. einen österreichischen Bergsteiger besuchen, der nach einer Himalaya Expedition sein bisheriges Leben aufgegeben hat und heute unter dem Namen Lama Gorinda als Yogi und Weiser ein Leben völliger Abgeschiedenheit führt und von vielen, selbst einflussreichen Indern als Heiliger verehrt wird. Danach nach Delhi. Von unseren weiteren Plänen werde ich Dir später von dort noch berichten. Du wirst über alles das staunen, verständlich, kommt es mir doch selbst unvorstellbar vor.

Gerade war ich wieder bei Roland und Sabrina, die mir einige ihrer Sachen gezeigt haben. Schon wieder ist es darüber dunkel geworden, so toll waren die Sachen anzuschauen, Teppiche, Schmuck, Puppen, Textil, phantastisch!

So, und nun muss ich wieder innehalten, meine Gedanken müssen wieder nach Krefeld und zu Euch zurück. Was ist mit der Verlobung? Hat es mit den Karten geklappt? Das ist ja toll, diese Beiden. Wie geht es Dir? Schreibe mir was Dich bewegt, was Du von meinen Plänen hältst, schimpfe ruhig oder verstehe das alles, damit Du es ein wenig aus der Ferne mit­erlebst, dieses herrliche Leben!

Grüsse wieder alle, besonders mein Brüderlein, das im Augenblick ein so ganz anderes Leben führt bei der Bundeswehr.

 Dein Weltenbummersöhnlein

 Hans


 13.7.67

 Liebe Mutter,

Jetzt liegt er also einigermassen beendet vor Dir :  mein zweiter Reisebericht ist 29 Seiten lang geworden. Einen Monat hat’s gebraucht, bis er fertig war, immer wieder durch Ereignisse oder Weiterfahrt unterbro­chen, daher bin ich jetzt recht froh, dass ich ihn heute und hier, an wunderbaren blauen Seen, bei einigen Tagen schönster Ruhe beenden konnte.

 Damit dieser Brief nicht verloren geht, sende ich ihn per Einschreiben. Ich setze also alle meine Hoffnung in die afghanische Kanackenpost und halte sonst beide Daumen. Vielleicht kommt der Brief noch rechtzeitig zur Verlo­bung und so kann ich durch ihn etwas unter Euch sein.

 Ich wünsche Euch viel Vergnügen beim Lesen.

 

 16. Juni 67

 Seit meinem letzten Reisebericht aus Isfahan hat sich die Situation etwas ge­ändert. Jetzt sitze ich in unserem Wagen, statt Bier habe ich nur kaltes Was­ser, aber für den Komfort, den wir im Christoffel-Heim in Isfahan gehabt ha­ben, werden wir durch den Sandstrand, Dünen und Meer voll und ganz ent­schädigt.

 Ich befinde mich also jetzt am Kaspischen Meer, nördlich von Te­heran, die Berge des mächtigen Elbrus-Gebirges hinter mir, keine Wolke ist am Himmel, und wir aalen uns schon zwei Tage am Meer und in den Dünen herum. Seit Teheran ist die Strecke für Walter und mich neu, und so habe ich auch ein Tagebuch begonnen. Dies schreibe ich jedoch nur in Kurzform jeden Tag, halte die wichtigsten Eindrücke und Erlebnisse des Tages am Abend fest. Da ich weiss, dass Du meine Briefe sammeln wirst, werden wir dann am Schluss der Reise zwei Berichte haben, einen im Tagebuchstil und eienen in Briefform. Zusammen sollen sie auch fur mich eine Erinnerung an diese Reise sein. Ich hole also tief Luft und beginne da, wo ich, so glaube ich, den letzten Bericht beendet habe, in Bagdad.

Durch die Autoreparatur am Frankfurter Wagen (Rumpelstilzchen ge­nannt), wurden wir noch zwei weitere Tage in der dampfenden Stadt Bagdad festge­halten. Sie ist und bleibt für mich eine unfreundliche Stadt, dreckig und muffig, doch vielleicht tue ich ihr sogar unrecht, mancher andere Reisende findet die stickigen Suks (so nennt man hier die Bazare), die dreckige Brühe unter den Tigris-Brücken, das laute Treiben auf den Strassen, als Inbegriff einer arabischen Stadt, für mich jedoch war sie immer mit recht unfreundlichen Erlebnissen verbunden.

Ich musste damals, während der Cholera-Zeit und diesmal während der ansteigenden Spannungen mit Israel und der damit verbundenen antiwestlichen Haltung der Araber, alle Nerven dazu gebrauchen, nicht immer und dauernd in Strei­tigkeiten zu geraten. Das kuweitische Visum wurde uns nur widerwillig gegeben, für jedes Coca Cola muss man kämpfen, dazu die ständige Hitze, alles das lädt nicht gerade dazu ein, länger zu bleiben, ge­schweige denn 1001 Nacht. So waren wir denn froh, endlich in Richtung Süden gen Basra zu gondeln. Abends fuhren wir los, es war etwas erträgli­cher in der Temperatur des Abends zu fahren, und machten mitten in der Wüste halt, fuhren einige hundert Meter von der Strasse ab, waren wirklich allein und hatten Ruhe um uns. Das tat nach den turbu­lenten Tagen wirklich gut. Nach dem Essen (Walter sorgt wie eine Mutter für uns) entlockten wir unserem Radio noch eine Sinfonie mit dem Titel „Alle Aktionäre sind Papiertiger“, gesendet vom deutschsprachigen Sender in Pe­king und legten uns dann etwas verwundert, aber doch müde, in die Falle.

An langen Schlaf jedoch ist nicht zu denken. Fast ohne Dämmerung wech­seln Tag und Nacht, und kaum kommt die Sonne um die Ecke, wird es schon wieder mollig muffig im Wagen, und man entfleucht japsend dem Schlafsack. Nach dem Frühstück geht es dann zurück durch den Sand auf die Strasse, die schon wieder zu flimmern beginnt. Die Strasse führt weiter gen Süden, durchquert einige Oasenortschaften und verschwindet wieder, ohne grosse Abwechslung zu bringen, am Horizont. Dennoch wird es kaum langweilig. Für Abwechslung sorgen die Fernfahrer, die einem entgegen kom­men oder die man überholen muss. Wenn ich jetzt so zurückdenke, wird mir klar, warum Allah den Arabern nicht beistehen konnte, hat er doch alle Hände nötig, die turmhohen Ladungen auf den Wüstenlastwagen zu halten. Die hundertmal verknotete, mickrige Schnur kann das niemals alleine schaf­fen. So kommen einem denn diese schiefen Türme halbdiagonal entgegen; so hat sich der Rahmen verzogen, die grossen Reifen lassen schon beängstigend viele Gummifetzen mitkreisen, und mir macht das Autofahren erst dann wie­der Spass, wenn man an einem solchen Ungetüm vorbei ist.

In der Mittagshitze erreichen wir dann das Sumpfgebiet des Shat-el-Arab. So nennt man das riesige Deltagebiet der beiden Flüsse Euphrat und Tigris. Wieder, wie so oft auf dieser Reise, fühle ich mich um Jahrtausende zurück­versetzt. Hier leben die Menschen noch nicht einmal in Ziegelhäusern. Mitten im Sumpf, der rechts und links der Strasse beginnt, leben auf klei­nen Inseln die Menschen in aus Ried geflochtenen Hütten. Mit langen Stäben, an deren Ende einige spitze Bambusstacheln gebunden sind, stehen die Männer bis zur Hüfte im Sumpf oder, nur Leinentücher um die Hüfte gelegt, auf ihren flachen Booten und jagen Fische. Die Frauen, vermummt bis auf Hände und Füsse, kümmern sich um „Haushalt“ und Vieh, magere Kühe oder schwarze zottelige Wasserbüffel, die bis zum Bauch im Wasser oder nur noch mit dem Kopf herausschauend, an dem Schilfgras knabbern. Die Kinder tollen nackt in den Fluten herum und scheinen immun gegen Sonnenbrand oder Sonnenstich und auch sonst noch gegen alle möglichen Krankheiten zu sein. Solche Dörfer liegen nicht nur an der Strasse. Immer wieder tauchen die braunen Schilfhütten weit drin in der spiegelnden Wasser- und Schilffläche auf, nur mit Booten zu erreichen. Unvorstellbar für uns, unter welchen Bedingungen man hier lebt.

 

5.7. 67

 Lange hat dieses kurze Stückchen Reisebericht unbeendet in meiner Schublade gelegen, die Tage und Wochen waren wieder voll von Erlebnissen und vieles wird sich bis hierhin wieder an Erzählenswertem sammeln, so dass dieser Bericht doch noch länger werden wird. Heute sind die Wagen in der Werkstatt, Zeit genug, wieder anzufangen : klimatisierte Europa-Luft im Restaurant, Tee, alles bereit!

 Weiter ging es durch diesen flimmernden Backofen nach Süden, nach Basra, der heissesten Stadt der Welt. Das letzte Stück fordert alle Konzentration. Es geht durch eine riesige Strassenbaustelle, Flugsand, Löcher ohne Boden, Risse, Staub, der Wagen schaukelt beängstigend, tuckert aber, wie schon so oft, ungerührt über jedes Hindernis hinweg, und so erreichen wir hupend und staubverklebt die Stadt. Vor der schmerzenden Mittagshitze müssen wir zuerst mal Zuflucht nehmen, Cola, Tee, Cola. Man fühlt sich lahm, der Schweiss läuft salzig in die Augen und nimmt einem die Freude am Schauen. Trotzdem gehe ich später in die Ba­zare. Es gibt einiges zu erledigen, einkaufen, Geld wechseln usw. (Geschäft­chen: für 30 DM kaufe ich 50 DM persisches Geld). Viel Dreck umgibt mich, die Erdstrassen in den Bazaren werden dauernd mit Wasser bespritzt, ein muffiger Dampf hängt in der Luft, und man rutscht mehr als man geht. Die Radios überall sind auf einen Sender eingestellt, die Araber hängen in Trau­ben um die Lautsprecher: Nasser spricht, schreit und schimpft, die Leute schimpfen mit, Allah und Arabia, der heilige Krieg! Das alles trägt kaum dazu bei, unser Wohlbefinden zu steigern. Es wird einem in solchen düste­ren Ecken recht mulmig.

Bepackt mit Lebensmitteln kommen Walter und ich zurück; das Thema der anderen ist, fahren wir noch nach Kuweit, oder verziehen wir uns lieber gleich. Das Geld für’s Blut spenden aber reizt doch, also weiter, wieder hin­aus in die Wüste.

Es wird Abend, als wir uns der Kuweiti-Grenze nähern. Überall am Horizont brennende Ölfackeln, überall flackerndes Licht. Der Reichtum fliesst Tag und Nacht, wir werden sehen, was die Kanacken damit anfangen. Die Grenz­formalitäten halten uns wieder einige Stunden auf, die Zollbeamten müssen erst geweckt werden. Missmutig und verklebt, nur in Schlafanzughosen, fer­tigen sie uns ab, und endlich betreten wir kuweitischen Boden, 10 km weiter und wir fahren wieder in den Wüstensand hinein, bauen unsere Wagenburg, kochen, essen und sind wieder vergnügt.

 Supermoderne Tankstellen, Tankstellenwärter in Gala-Uniform, eisgekühltes Wasser und Aircondition, 50 km vom Shat-el-Arab-Sumpf bedeuten 3000 Jahre überspringen! Was für ein Kontrast!

 Auf Autobahnen nähern wir uns der Stadt Kuweit, vorbei an Supervillen im Money-Stil, blitzende Strassenkreuzer, daneben wieder armselige Slums. Bettler und Millionäre, Luxus und Armut nebeneinander. In den aus Lum­pen zusammengebastelten Zelten haust das grösste Problem Kuweits: die Hunderttausende, die auf allen möglichen Schleichwegen durch die Wüste in dieses Land kommen, auf Kamelen und Eseln, alle angelockt durch das Wun­dermärchen Kuweit, die auf ein Stückchen vom grossen Ölkuchen hoffen, aber bald in unbeschreiblichem Elend am Stadtrand vegetieren, ein ewiger Herd der Unruhe und der Seuchen, vom Militär bewacht, von der Unesco dürftig genährt.

Was interessiert es auch einen Kuweiti, er ist schon durch Geburt Millionär, hat alles in Hülle und Fülle; die anderen sind zwar auch Araber, sie gehören jedoch nicht zum Stamm der Auserkorenen, die schon längst vergessen haben, dass sie selbst noch vor 25 Jahren als Halbnomaden in Zelten gehaust haben und nur durch Eng­lands Politik zum Staat und durch den Ölreichtum unter ihren Füssen zu Millionären geworden sind. Sie brauchen nicht zu arbeiten, wer dort arbeitet, ist Gastarbeiter aus allen möglichen Araberstaaten, schwimmt mit auf dem Öl und im Geld.

Wir schlendern durch die Geschäftsstrassen und staunen nur so über das Angebot. Da es hier keinen Einfuhrzoll gibt, ist alles da, in Hülle und Fülle und zu Preisen, die kaum möglich erscheinen. Meine Minox kostet hier komplett 350,- DM, ein Philips Super-Transistor, der in Deutschland 1200,- DM kostet, wird hier zu 650,- DM angeboten. Uhren, Swiss-Made, Rolls-Roys, 600 Mercedes. Wir greifen uns oft an den Kopf und nicht nur wegen der Hitze. Die Blutbank ist heute schon geschlossen, morgen also gibt’s Geld.

Wir fahren zum „Strand“ hinaus, schon bald aber wird uns auch dieses Ver­gnügen verdorben, das Wasser ist eine warme Drecksbrühe (Der Strand, ein lustig aufgedunsener Schafskadaver mitten zwischen den lustigen pick­nickenden Kanacken, stank erbärmlich.)

Nun, so suchten wir uns denn wieder mal „den Schlafplatz“. Dieser lag diesmal unter niedrigen Nadelbäu­men in der Nähe des Strandes, und es wäre ja nett gewesen, hätten uns nicht wieder gleich die einheimischen Kanacken belästigt. Drei Meter an uns herangefahren, mit laufendem Motor, glotzen sie uns an, die gleichen Gesichter wie die Esel­treiber in der Wüste, bis ich mich einen Meter vor sie hinstelle, kschksch und jalla, jalla mache, und sie dann ganz beleidigt den Wagen loshopsen lassen und wegbrausen, nur um nach zehn Minuten wieder an genau der glei­chen Stelle wieder anzuhalten. Herrlich!

 Was macht man denn bloss als Kuweitisohn mit so einem Jaguar-Sportwagen? Um die Stadt und das Land nur Wüste und uninteressante arme Nachbarländer ringsum. Autorennen im Sand, das ist was, im 4. Gang Hügel rauf, Hügel runter, der Wagen setzt auf Steinen auf, die Räder drehen durch, eine schöne Hupe hat man, und wenn der Wagen kaputt ist, Papi kauft einen neuen.

Am anderen Morgen ist es dann soweit: Blut spenden. Wir begeben uns mit gemischten Gefühlen zur Blutbank, müssen zwei Stunden warten, bis uns dann gesagt wird, dass heute nur Blutgruppe O und B genommen würde, ja, gestern wurde auch noch A genommen, aber heute hätten sie genug A. Unser Walter und die beiden Frankfurter lassen die Kinnlade fallen, sie haben A, also kein Geld.

Peter und ich haben Glück, mein Blut stellt sich bei der Untersuchung als besonders positives B, Peters als O heraus. Genauso die beiden Mädchen. Also je 150,- Dollar in bar. Nach einer Weile bin ich dran, pumpe mein Blut für den Heiligen Krieg ins amerikanische Plastikbeutel­chen (350 ccm) und kassiere mein Blutgeld.

 Beim Verabschieden gebe ich noch der Hoffnung Ausdruck, dass in einem Kriegsfalle genügend A vorhanden ist. Wir lachen alle über diesen gelungenen Scherz, Schwestern und Arzt, alle.

Dann fahren wir wieder in die Stadt, warten auf irgendwelche Reaktio­nen des Blutverlusts (Hitze und sonstiges), die aber nicht eintreten. Ich fühle mich, genau wie vorher, auch mit weniger Blut in dieser Hitze unwohl. Mal sehen, was ich aus meinem Blutgeld machen kann:  Ich investiere in ein Dutzend Wilkenson Klingen und 5 Schweizer Uhren.

Die Nachrichten, die wir hören, sind gar nicht so nett;  wir fahren direkt am Abend noch weiter, zurück bis zur Grenze, bunkern noch HD-Öl für Indien, und verlassen dieses „gelobte Land“ mit weniger Sympathie. (Überall in der Stadt werden gerade Hetzplakate gegen Israel aufgehängt, die lustig-grimmige Filmstar-Soldaten zeigen, die vergnügt ihre Bajonette in kleine, mickrige Zwerge mit Davidstern stechen. Darueber gross1947-1967

Natürlich wissen wir, dass es an der irakischen Grenze beim Eintritt wieder grossen Ärger geben wird -- es ist immerhin halb 3 Uhr, in der Nacht, die Zöllner wollen schlafen. So geht es denn auch gleich los. Wir kommen mit vollem Horn hupend, an der Grenzstation an, kein Licht in den Büroräumen, die Grenzler schla­fen alle im Freien auf Feldbetten, die massgebenden Leute rüttle ich nach­ein­ander mit grösstem Freudelachen wach, gehe in die leeren Büroräume, drehe Festbeleuchtung an, rufe in der Gegend herum, bis alle wach sind und die richtige Stimmung haben.

Zuerst: heute keine Abfertigung. Wir schimpfen ohne Unterbrechung in voller Lautstärke (Peter spielt daneben seinen wilden Jazz auf der Gitarre). Also gut, Abfertigung! Man will von uns 20,- DM Versiche­rungsgebühr. Wir haben ADAC Informationen, dass „Deutsche keine Versiche­rung zu be­zahlen brauchen“. Also doch keine Abfertigung! Die Kanacken wollen wieder schla­fen gehen, wir drohen mit Hungerstreik, brüllen aus Leibes­kräften, bis es dann doch noch klappt und wir abgestempelt werden. Alle dampfen bis zum Platzen, als wir uns einzeln freund­lich lächelnd verabschieden. Uff, war das ein Happening! Wir fahren noch einige Kilometer in die Wüste hinaus, lachen uns kaputt und beglückwün­schen uns zur schauspielerischen Leistung.

Noch vor Sonnenaufgang geht es weiter, da wir nun endgültig diesen male­rischen Landstrich verlassen wollen. Wir brauchen wieder frische Luft, Berge und Bäche. Trotzdem müssen wir weiter durch Wüste fahren. Basra lassen wir schnell hinter uns, über eine wacklige Holzbrücke über­queren wir den Shat-el-Arab- durchqueren auf sandiger Piste den letzten Iraki Wüsten­streifen und kommen wieder zu einer aehnlich liebenswerten Grenzposten. Irak, Ausgangsstelle nach -– Persien.

Ein kleines Holzschild schickt uns von der Wellblech-Piste weg in eine Ansiedlung, wo wir uns zu einem alten Pferdestall durchfragen müssen. Über der niedrigen Tür steht „Custom-Office“.

Während sich Peter um die Formalitäten kümmert, schaue ich mich ein wenig um. Grinsende Soldaten in zerfetzten Uniformen und aufgeplatzten Schuhen zei­gen mir stolz das „Gefängnis“. So etwas hatte ich noch nie gesehen! Ein vergittertes Loch, in dem ich nach längerem Hinschauen einige hockende Gestalten erkennen konnte. Sie waren nur mit Lappen-Unterhosen bekleidet, kein Licht, keine Lüftung, Tausende von Fliegen und ein Duft, ein Duft! Keine Kuh steht in Deutschland in solch einem Verschlag.

Einer von den Gefan­genen (wer sie waren und was sie getan hatten, weiss ich nicht, ich konnte nichts erfahren) kroch zum Gitter, um mich um eine Zigarette anzu­betteln. Fröhlich trat einer von den Soldaten gegen seine Hände am Gitter, und schnell verzog sich der Mann wieder nach hinten. Der Soldat grinste mich freundlich an und machte eine abfällige Bewegung in Rich­tung Gitter. Um das alles noch ein wenig besser beobachten zu können, setzte ich mich dann scherzend zu diesen Soldaten, beantwortete viermal die ewige Frage (Wats-yr-neim?), worauf einer der Gefangenen auf mich deutete, den gestreckten Zeigefinger an seinem Hals vorbeiflitzen liess, was bei mir ein eigenartiges Gefühl auf dem Rücken und in der Halsgegend hervorrief. Ich ging zum Wagen zurück.

Während Peter und die anderen wieder mal grossen Lärm machen mussten, um überhaupt „abgefertigt“ zu werden, blieb ich im Wagen, bis mir die Hitze zu gross wurde. Ich war gerade in Stimmung, ein wenig mitzubrüllen und ging dann auch vor in jenes „Custom-Office“, kam hinein, als der Zollner in holprigem Englisch gerade den Vorschlag machte, wir sollten doch mal eben zur Kuweit-Irak Grenze zurückfahren, da er mit diesem Carnet (Triptick von ADAC)) nichts anfangen könne. (Das Triptick muss bei Eintritt und bei Austritt des Wagens in einem Land abgestempelt werden, erst dann ist es gelöscht.)

Der verschlafene zornige Zöllner der vori­gen Nacht hatte nämlich das Triptick bei unserer Einreise gleich völlig gelöscht. Freude über Freude! Ich brauche gar nicht mehr zu erzählen, was wir für eine Schau abgezogen haben. Frechheit siegt, eine Stunden später waren wir wieder “on the road“, durch das endlose Niemandsland bis zur persischen Grenzkontrolle.

Arabia a’sallam a’leikum - feiert Euren Krieg ohne uns !

Nachdem wir die persische Pass- und Zollkontrolle hinter uns gebracht hatten, ging es noch zwei Tage durch das heisse Tiefland Mesopo­tamiens, bis wir die Berge des Zagros-Gebirges und damit kühlere Regionen erreichten. 60 km vor Khorramabad fanden wir in einem breiten Tal einen malerischen Gebirgsfluss, seit der Türkei das erste Gebirge, der erste kühle Ort, den wir dann auch richtig genossen.

Unser nächstes Ziel ist Isfahan, also weiter durch eine wilde Gebirgsland­schaft, durch steile Täler, durch kleine Gebirgsdörfer, halten in Khorra­mabad nur, um einen Reifen zu wechseln, verlassen dann die Asphalt­strasse, fahren auf fürchterlicher Sandpiste durch ein fruchtbares Hochtal, das links und rechts durch gewaltige Felsenmassen begrenzt wird, fahren den ganzen Tag, bis wir am Abend ziemlich spät und müde Isfahan errei­chen, die schönste Stadt der Welt, wie Marco Polo sie nannte.

Noch am Abend treffen wir zwei Schweizer wieder, die wir in Bagdad getroffen hatten und die sich unserer Truppe anschliessen wollen. Drei VW-Busse also. Bruno heisst der eine, klein und bullig, Kurt der andere, mit langen Haaren und Vollbart. Die erste Nacht schlafen wir in einem kleinen Wäldchen etwas ausserhalb der Stadt. Es gibt noch viel zu erzählen bis in die Nacht hinein, dann lege ich mich auf die Matratze draussen auf das Dach des Schweizer VW-Busses, um die frische kühle Luft zu geniessen. Kaum ist die Sonne aufgegangen, werde ich durch eine wilde Schar Krähen geweckt, die sich sehr über uns wundern und in wildem heiserem Geschrei um mich herumflattern und mir keine Ruhe mehr lassen. Also aufstehen, in die Stadt, in den Bazar.

Am ersten Tag in Isfahan schaue ich nach, ob noch alles so ist, wie ich es in Erinne­rung habe, ja, hier und da ein neuer Laden, mehr Touristenkram, dafür fin­de ich wieder Neues, einige Händler erinnern sich noch an uns, versuchen gleich wieder, am alten Geschäft einzuhaken, preisen alle möglichen Dinge an, aber ich bleibe vernünftig. Auf mich wartet ein grosses unbekanntes Ge­biet -–Afghanistan, Pakistan, Indien, warum also mein Geld schon hier aus­geben?

Nach einem Besuch in der 1000-jährigen Freitagsmoschee, die mich auch bei diesem dritten Besuch wieder begeistert, ist mein erster Besuchstag beendet. Wir schauen nach einer Unterkunft, wo wir längere Zeit bleiben können. Dieter und Christa, ein Paar aus Frankfurt, war vor 2 Jahren bereits hier in Isfahan und kennt einige Pfleger des Christoffel-Blinden ­heims. Dies liegt ausserhalb der Stadt, über dem Fluss, der halb ausgetrock­net die Stadt teilt und über den man auf alten arabischen Brücken wandert. Dort werden uns freundlich die Tore geöffnet, und wir können unseren Wa­gen zwischen Bäumen voller Kirschen platzieren. Christoff war ein nord­deutscher Priester, der vor 40 Jahren nach Persien ging, um sich der vielen Blinden dort anzunehmen. Nach der mohammedanischen Religion ist der Blinde ein von Gott gestrafter böser Mensch, der gerade noch zum Betteln gut genug ist.

Wie ich Euch schon nach meinen letzten Reisen von Persien erzählt habe, fielen mir schon damals, und auch jetzt wieder, die vielen Blinden an den Strassen auf, die dort bettelnd an den staubigen Rändern hocken. Wie gut, dass es Leute gibt, die sich ihrer annehmen. In diesem Heim sorgt man wirklich gut für sie, sie werden gekleidet und verpflegt, gehen zur Schule, lernen Deutsch, Englisch, und einige haben schon das Abitur gemacht. Der Leiter des Heims ist ein Herr Willem (oder Wilhelm), der, wie er mir sagte, auch Lehrer in der Nikolauspflege in Stuttgart war, (die Grundschule meiner Schwester Helga). Vielleicht kennst Du oder Helga ihn sogar noch. Mit einem der Blinden habe ich mich etwas angefreundet und ihm während der Zeit dort etwas Gitarrenspielen beigebracht. Wirklich ein sehr netter Kerl, dem ich Helgas Adresse gegeben habe und der ihr vielleicht mal schreiben wird.

Nachdem ich also den ersten Tag im Bazar verbracht hatte, blieb ich die nächsten Tage dort im Garten, schrieb meinen ersten Reisebericht an Dich, pflegte mich und faulenzte, was mir ausgesprochen gut tat.

 

12.7.67

Nach ereignisreichen Tagen sitze ich jetzt mitten in einer Steinwüste, jedoch an drei herrlichen Seen und ruhe mich von den Strapazen der letzten Zeit aus.

 Zurueck nach Isfahan:

 Eigentlich hatte ich von dort aus einen Ausflug in die persische Wüste vor, um die Türme des Schweigens anzuschauen, aber die Strasse dorthin war wirklich alles andere als einladend, und ausserdem hatten Walter und ich etwas anderes vor uns, was auch lohnend war. Unser Peter hatte ausser­dem am zweiten Tag in Isfahan Fieber und Durchfall bekommen und wurde von den Leuten im Blindenheim kurzerhand ins Englische Hospital gesteckt, das­selbe, in dem vor zwei Jahren meine Freunde Winfried und Robert gelegen hatten. Wieder also gingen wir, Walter und ich, durch den immer noch überfüllten Wartesaal, um einen Kranken zu besuchen, der aber schon am zweiten Tag wie­der munter dreinschaute. Also nichts Ernsthaftes, Gott sei Dank.

 Wir "Künschtler“ waren in der Zwischenzeit dann auf Motivsuche, und so fuhren wir aus der Stadt hinaus in ein kleines Dorf, 40 km von Isfahan entfernt, das uns schon auf der Hinfahrt aufgefallen war. Wir schlenderten durch das Dörfchen, wurden als Wundertypen bewundert, klemmten jeden Winkel ins Hoch- und den anderen ins Querformat, manschten mit Farbe und Bleistift, verglichen die mageren, jedoch befriedigenden Ergebnisse und nahmen gerne eine Einladung zum Tee an. Alsbald sassen wir also in einem der ummauerten Innenhöfe, tranken den angebotenen Tee und lies­sen uns gleich wieder für morgen einladen. Ein Portrait, das ich von einem wettergegerbten Ur-Opa anfertigte, machte riesigen Eindruck.

 Zurück ging’s dann wieder in die Nacht hinein nach Isfahan, wir assen Sandwiches zu Abend, liessen uns die von Peter erhandelten Reiseandenken vorführen und schliefen dann wieder auf der Luftmatratze, von wetterzerfressenen Ur-Opas und handziselierten Kupfertellern träumend.

 Isfahan bleibt doch immer wieder in guter Erinnerung, für uns alle. Wenn auch der Tourismus mehr und mehr reinläuft, so bleiben doch viele Gässchen davon unberührt, obwohl überall das „Hello-Mister“ nachklingt. Noch ein Tag geschlendert, und dann verlassen wir wieder, gesund und kuriert und auf Neues gespannt, Isfahan in Richtung Teheran.

 Wieder ein herrliches Gefühl, rollende Räder unter sich zu haben. Es geht in die Wüste hinaus, auf mittelmässiger Asphalt­strasse, durch kleine Oasendörfer. Nach einigen Stunden Fahrt wieder Halt an einem Teehaus, çay, çay, dann sitze ich hinten auf unserem Su­persessel, die Wagentür offen und lasse den grossformatigen Naturfilm vor mir ablaufen. Von den Bergen herab in die endlose, trockene Ebene ziehen sich lange Reihen von Erdhügeln, von ferne, in hundert Meter Ab­stand, wie grosse Maulwurfhaufen anzuschauen. Seit über 2000 Jahren existieren diese unterirdischen Wasserleitungen in Persien, die von weither das Wasser von den Bergen bis zu den Dörfern bringen, oft in 30-50 m Tiefe. Von einem vererbbaren Berufsstand saubergehalten, der seit jeher eine stolze Kaste unter der Landbevölkerung bildet, ziehen sich diese Erdreihen durch die persische Wüste. An ihren Endpunkten wird das Wasser über einen primitiven Wasserzug von Eseln oder Kamelen in die Bewässerungs­kanälchen befördert. Hier wird um jeden Tropfen Wasser gerungen. In Tehe­ran und an den Nordhängen des Elbursgebirges dagegen, dem Millionärsviertel von Teheran, tummeln sich lustig die Reichen im Ölgelder-Swimmingpool. Man kann wirklich einen Zorn auf den persischen Pfauentrohn bekommen, wenn man die Armut in diesen Perserdörfern sieht.

Ach so, seine korrupte Majestät ist gerade in Deutschland zu Besuch und wird, so berichten die hiesigen Zeitungen, von einer begeisterten Stu­dentenschar mit dem Ruf "Lang lebe der Schah“ empfangen. Pustekuchen. Dramatisches aus Deutschland bei einer Anti-Shah-Demonstration in Berlin: Knueppeleinsatz der Polizei und ein Toter Student Benno Ohnesorg. Was soll denn das ?

Alles spricht ansonsten nur vom arab-israelischen Krieg, Radio und Zeitungen. Wir hängen jeden Abend am Kurzwellen Radio und hören die Schweizer Welle, die einzige deutschsprachige Welle, die wir hier in unserem Transistor empfangen können. Radio Wien empfangen wir auch, jedoch bringt es meist Walzer und Peter Alexander Melodien. (Wir wollen alle einen Dankesbrief an diese Idioten senden).

 Die Nachrichten, die wir hören, sind schlimm, ob­wohl sie schon nach 4 Tagen den totalen Sieg der Israelis verkünden (Die armen ägyptischen Soldaten-Kanacken, armes Jordanien! Unser Offizier im Jordan Tal ? Unsere Sympa­thien sind geteilt). Aber Schluss von jenem Saukrieg.

 Wir erreichen, nach einer Nacht im Wadi, Ghom, die heilige Stadt der Shiiten. Sie bleibt für uns jedoch eine verbotene Stadt; die mit Goldziegeln beschlagenen Minarette und Kuppeln können wir nur von ferne betrachten. Die Leutchen hier sind uns Christenhunden wenig gut gesinnt, wir fühlen uns wie Mohammedaner in Kevelaer, kaufen unsere Lebensmittel für die nächsten Mahlzeiten und verziehen uns wieder auf die Wüstenstrasse nach Teheran, das noch 60 km entfernt ist. Auch in Teheran wollten wir uns nicht lange aufhalten, es werden aber doch wieder 4 Tage, Wageninspektion, Visa für Afghanistan, Deutsche Botschaft, Spedition, Museum, Bekanntenbesuche usw.

 Auch wieder Post von Zuhause. Die liebe Mutter ist furchtbar in Sorge wegen des Kriegsgeschehens, und ich muss sie schnell wieder beruhigen.

Um wieder einen kleinen Verdienst zu haben, tausche ich hier wieder Geld zum günstigeren Kurs auf dem Schwarzmarkt (wie’s genauer geht, kann ich Dir auch nicht erklären. Auf jeden Fall läuft die Sache für uns immer günstig).

 Dann werden wir auf offener Strasse von Zeitungsreportern angehauen und am folgenden Tage auch noch als die ersten Fluechlinge „aus dem Kriegsgebiet“ in der Zeitung gefeiert, da wir zu den Ersten gehören, die aus der Kriegszone kommen. Den Zeitungsausschnitt hast Du ja wohl hof­fentlich erhalten.

 Übernachten ist hier im Wagen nicht möglich, mitten in der Stadt, daher fahren wir abends immer hinaus, das heisst hinauf in die Berge. Gen Norden steigt das Elburs-Gebirge steil an. Wir fahren am scharf bewachten, zur Zeit jedoch unbewohnten Sommerpalast des Schahs vorbei, weit hinauf, bis wir in der Nähe eines kleinen Gebirgsdorfes an einem kleinen Gebirgsbach Halt machen.

 Da wir ab Isfahan mit drei VW-Bussen fahren, bilden wir dort ein nach dem Wasser offenes Quadrat, ein gemütli­cher Innenhof entsteht, das Sonnendach der Frankfurter darüber, es lässt sich gut aushalten. Zu den schönsten Erinnerungen an diese Gegend gehört eine ausgedehnte Bergwanderung, der in einer vertrackten Klettertour endete. Mit Kurt, einem unserer Schweizer, stieg ich die Hügel hinauf, die sich auf der anderen Seite als steile Felsenzacken entpuppten. Nach einer vermaledeiten Klettertour gelangten wir wieder ins Tal, neben heimziehenden Schafherden her, am Gebirgsbach vorbei, bis wir mit leblosen Füssen und recht müde, den heimischen Herd (sprich Walters Brat­kartoffeln) erreichten. Die Klettererfolge machten uns dann vollends grössenwahnsinnig. Wir nahmen uns vor, den Demavent, den höchsten Berg Persiens, zu besteigen.

 Dieser, ein alter Vulkan, ist nur 6000 m hoch, schneebedeckt und, wie uns ein bayerischer Alpinist versicherte, im Spazier­gang zu nehmen. Also nichts wie hin! Die Frankfurter waren nicht zu halten, sie fuhren einen Tag vorher los, um die Lage am Fuss des Berges zu sichten. Walter und ich, sollten einen Tag später folgen. Peter, der noch etwas länger in Teheran bleiben wollte, will mit den Schweizern nachkommen.

 Bis hierhin war die Fahrt für Walter und für mich auf meist bekannten Pfaden verlaufen, von nun an stossen wir in Neuland vor. Ein neuer Abschnitt. Kein Wunder also, dass wir endlich das dreckige Teheran verlassen wollten.

 1. Gang, 2. Gang, 3. Gang, es steigt erst leicht an, dann wieder zurück schal­ten, es wird wieder steil, wir sind mitten im Elburs-Gebirge. Durch viele Tunnels geht es an steilen Tälern entlang, noch sind die Berge kahl, Fels in allen Braun- und Grautönen, doch plötzlich, nachdem unser Panzer wieder einen Pass erklommen hatte, stand da der Demaventvor uns, und nahm uns mit einem Schlag all unsere alpinen Gefühle.

 Walter sagte nur „haste dir den Zacken angeguckt ?“ und damit war die Besteigung gestorben. Ein grosser weisser Kegel, der ganz har­monisch in die Höhe wächst, bis hinauf zur Spitze, die in einer Wolke ver­schwand. Zwar suchten wir noch unsere Frankfurter Freunde, fuhren daher einige Kilometer von der Hauptstrasse ab auf einen halsbrecherischen Feld­weg, fanden sie jedoch nicht. Auch sie musste der Mut verlassen haben. Weiter nach Norden, weiter bis zum Abend durch das zer­klüftete Gebirge, bis wir mit einem Mal dichtbewaldete Hänge erreichten und an einem reissenden Fluss, unsere Nachtruhe fanden.

Wie verwandelt war die Landschaft am anderen Tag. Wir schienen plötzlich nach Ost-Asien versetzt, links und rechts der Strasse wurde Reis gepflanzt, Wasserbüffel zogen Holzpflüge durch knietiefen Matsch, Männer und Frauen mit grossen Strohhüten arbeiteten im Feld, mit farbenprächtigen Kleidern angetan, bunte Farbkleckse im Grün der Felder. Es tat rich­tig gut, nach all den braun- und beigefarbenen Wüsten kräftige Farben zu sehen, doppelter Genuss für uns.

Nach weiteren Kilo­metern Fahrt fanden wir auch unsere Frankfurter wieder und plantschten bald in den Fluten des Kaspischen Meers, suchten nach Kaviar, fanden jedoch nur Strand, was uns gerade passte. Die Welt war wieder nur schoen, ein herrliches Leben, dünenwandern und faulenzen.

 Tags darauf trudelten auch die fehlenden Schweizer mit unserem Peter ein, brachten Briefe aus Deutschland mit, die wir gleich am Abend mit Wodka und Holzfeuer feierten. In der Nacht kamen aus dem sumpfigen Urwald, der gleich hinter der Küstenstrasse begann, die tollsten Geräusche.

Dort begann ich sogar diesen Bericht, aber Schlangenjagd im Sumpf und Wellenreiten verhinderten das ruhige Sitzen, und ich dachte mir dann, dass Du Dich auch noch einen Monat später über mein Geschreibsel freuen wuerdest.

 Am dritten Tag dort tobte ein gewaltiger Sturm, der haushohe Wellen an den Strand warf. Es ist einfach was tolles, so mit den Wasserbergen zu kämpfen, um dann prustend nach einer Weile wieder am Strand zu liegen. Unser Speisezettel wurde durch drei muntere Hasen belebt, die sich ungeschickt in Walters Gewehrschüsse warfen. Sie schmeck­ten ausgesprochen deutschfreundlich und trugen allgemein zur richtigen Erholung bei.

 Nach herrlichen Tagen dort ging es weiter, durch den fruchtbaren Küstenstreifen des Kaspischen Meeres nach Osten, immer an den bewalde­ten Hängen des Elburs-Gebirges entland. Mesched, so hiess unser nächstes Ziel und die persisch-afghanische Grenze.

 Hinter Gorgan weitete sich das Land links zu einer endlosen Steppe, dicht an der russischen Grenze entlang. Wir waren jetzt im Gebiet der Turkmenen, echte Mongolen, mit gewaltigen Pelzkappen, Schlitzaugen und dünnem Barthaar am Kinn. Die Trachten der Turkmenen sind weit farbenfreudiger als die der Perser, knalliges Blau und Rot. Noch heute sind sie ein grosses Reitervolk, mit wilden Reiterspielen in der Steppe, an denen sich bis zu 5000 Reiter beteiligen sollen. Solch einem Spiel beizuwohnen wäre etwas, doch sie sind erst im Winter oder Spätherbst, also im Augenblick nicht möglich für’s Hänschen. So muss ich mich mit den Erscheinungen am Strassenrand begnügen, meist in Gruppen von zehn und mehr, auf kleinen, kräftigen, vollblütigen Pferden mit silberbeschlagenem Saumzeug und farbigen, geknüpf­ten Satteldecken. Den Reitern sieht man ihren Stolz an, kaum dass sie uns beachten oder nur ihr Gesicht zu verziehen.

 Von Gorgan aus fahren wir wieder ab von der Hauptstrecke. Wir wollen nach Pachla Videsch, einem kleinen Dorf, recht weit in der Turkmenen­steppe drin, wo einmal in der Woche Markt sein soll, doch leider haben wir den Tag verpasst, eine weitere Woche warten passt aber wieder nicht in unseren Plan, und so kehren wir wieder um, über staubige Piste zurück nach Gorgan, schlendern dort noch eine Weile umher und fahren dann weiter nach Osten. Wir sind uns langsam klar darüber, dass wir 10 Jahre brauchten, um alles das, was sich uns an Sehenswürdigem bietet, richtig auszukosten. Vor uns aber liegt Afghanistan und mehr, also weiter. Doch für mich steht schon fest, dass ich nicht das letzte Mal bei den Turkmenen war, wenn irgendwie möglich werde ich sie irgendwann mal ausgiebiger besuchen, so interessant und aufregend ist dieses Gebiet.

 Bald hinter Gorgan hört nun die „gute“ Strasse endgültig auf. Wir fahren bis nach Afghanistan auf sogenannten Naturstrassen. Jetzt kam also das schlimmste Stück „Natur“ auf unseren Wagen zu. Fürchterliche Sand­pisten mit heimtückischen Schlaglöchern machten uns wieder mürbe und dreckig, die Sorge um unser Wüstenschiff bestimmte die Gedanken, und jeden Donnerschlag auf die Räder empfanden wir tief schmerzend. Doch Allah fuhr mit, und bis auf einen geplatzten Reifen überstanden alle Wagen diese Albtraumstrasse besser als wir selbst. Erschoepft und gereizt brachten wir diese Strecke hinter uns.

 Mesched, wie Ghom eine heilige Pilgerstadder Schiitent, empfing uns durch den Goldglanz der Minarette und Kuppeln, aber wieder waren diese Heiligtümer fuer uns nur aus der Ferne zu betrachten. Wir waren Persien jetzt langsam satt, wollten also so schnell wie möglich weiter nach Afghanistan, von dem uns schon unterwegs so viel erzählt wurde.

 Wir machten einen Bummel durch den Bazar, in dem Türkise zu Spottpreisen angeboten werden und kümmerten uns dann wieder um unseren Wagen und die Lebensmitteleinkäufe. Durch einen Stein hatte unser Wagen das linke Vorderauge verloren, das war schnell behoben, und so konnten wir dann weiterfahren in Richtung Grenze. Wieder Saustrecke. Die Strasse war kaum bezeichnet, so mussten wir uns durchfragen, bis wir schliesslich den letzten persischen Ort erreichten. Grenzen – meine Freude : Stundenlang brauchte es, bis wir allen Kampf mit der Bürokratie ausgestanden hatten, und dann war es wieder so weit, wir liessen ein altes Land hinter uns, fuhren durch weites Niemandsland und waren dann da, in Afghanistan, der „Schweiz Asiens“. Vorerst jedoch waren es afghanische Saustrassen, doch wir wussten, dass bald russische und amerikanische Betonstrassen auf uns war­teten, so war es dann halb so schlimm.

 Herat war die erste Afghanenstadt. Für mich eine fast ueberwaaeltigende Wucht. Die Häuser klein und lehmgebaut, durch die dreckigen Strassen fliesst auch hier ein dreckiger Bach, und doch ist alles anders. Neu sind die Menschentypen. Schon äusserlich von den Persern verschieden, die meist zerlumpte europäische Kleidung tragen, trägt hier alles einen grossen Turban, lange weisse Gewänder, die Frauen sind völlig verschleiert bis auf die Hacken, blicken nur durch ein Stoff­gitter vor ihren Augen. Die Gesichter der Männer, eines runzliger als das andere, lange schwarze Bärte, lange Haare, das Alter ist kaum zu schätzen. Man kümmert sich kaum um uns, auch das ist neu, man reisst sich nicht um unseren Einkauf – kaufe, oder nicht, egal – es ist schwer, zu handeln, und das „Hello Mister“ wird durch ein zischendes “ zzt-zzt“ ersetzt.

 Und was es hier alles zu kaufen gäbe! In regelrechten Rumpelläden werden herr­liche alte Waffen und Dolche angeboten, Felle hängen aussen in allen Preis­lagen, und schon habe ich eine herrliche Decke gekauft, genauso Walter, und Peter kann nicht ohne Schneeleopardenfell weggehen, alles zu Spottpreisen. Wäre es nicht so heiss, so dass wir uns über die grösste Hitze bei Tee im Schatten hinweg retten müssten, so wären wir wohl stunden­lang in den Bazarstrassen herumgestrolcht. Es gibt kaum Autos, der Verkehr wird hier noch auf Pferderuecken oder Pferd und Wagen bewältigt. Statt Chromstangen also herrlich geschmückte Pferdegeschirre, bunt bemalte Wagen und gestreckter Galopp, Du kannst Dir vorstellen, wie ich dagestan­den bin und staunte.

 Ein anderes Erleben, das weiter durch ganz Afghanistan blieb, war die Begegnung mit wahnwitzigen Kontrasten: Das Spielchen der Grossmächte Russland und Amerika um diesen strategisch wichtigen Platz, das Buhlen der Grossen um die Gunst des Kleinen :  Die Sovietunion begann mit einer Superautobahn von Herat nach Kandahar, Amerika zog nach mit einer Super-Superautobahn von Kandahar nach Kabul. Russen bauten daraufhin riesige Kapitalisten-Hotels an ihrer Strasse und Amerika Hotels an seiner.

 Man stelle sich vor: plötzlich ein grosses Schild, Herat-Hotel direct and der leeren Autobahn, wir biegen neugierig ab, betreten ein Hotel im Hilton-Stil, grosse Empfangshalle, ein schlafender Portier im Nachthemd hinter einem Glas­tisch, auf Leder gebettet, sonst kein Mensch. Wir gehen erstaunt durch die Empfangshalle, ein grosser, leerer Aufenthaltsraum, die eingebaute Air-Con­dition ist abgeschaltet. Ich schleiche mich in eine Grossküche mit grosszügi­ger Einrichtung, alles Edelstahl und supermodern - kein Mensch. Der ver­schlafene Portier folgt uns erschrocken, damit hatte er wohl nicht gerechnet: richtige Gäste. Wir aber spekulieren nur auf den grossen Swimmingpool im Garten, zahlen ein Bakschisch und tummeln uns im kühlen Nass.

 Das Hotel muss ein Vermögen gekostet haben, aber keine Kund­schaft. Schon zeigen sich die ersten Risse im Putz. Wenn nicht etwas ge­schieht, fällt dieses Abbild des 20. Jahrhunderts in wenigen Jahren zusam­men. Wir bestellen Tee und Omelette, der Portier rennt durch den Garten, steigt auf die Natursteinmauer und schreit seine Bestellung zu einer kleinen Holzbaracke hinüber, aus deren Kaminöffnung eine kleine Rauchsäule steigt. Nach einer Weile steigt von der anderen Seite ein kleiner Bursche samt Tablett über die Mauer und serviert uns unseren Tee auf dem Teakholz­tisch, der vor den schweren Ledersesseln steht, in denen wir uns in unseren nassen Badehosen herumlümmeln. Playboyleben mitten im Kanackenland, zum Totlachen, oder zum Heulen, wie man’s nimmt.  Einfach der totale Wahnsinn.

 Zwei Tage blieben wir also in Herat und vergnügten uns recht und fuhren (das heisst eigentlich flogen) über die Betonautobahn nach Osten. Jede Stunde vielleicht ein anderer Wagen, wieder, so schien es, war das alles für uns alleine. Unsere Stimmung stieg zur Albernheit. Jetzt hatten wir auch wieder Augen für die Landschaft, die wie eine riesige Filmkulisse für einen Western vor uns stand. Aus einer wirklich topfebenen Ebene rechts, durch die die Strasse führte, stiegen links ohne Übergang riesige Felszacken in die flimmernde Luft empor, einer neben dem anderen. Das ging so den ganzen Tag. Ein heisser Wind trieb Wolken von Sand über die einsame Strasse. Ganz selten begegneten uns riesige Kastenlastwagen, alte russische Modelle, bunt mit Alpenbild­chen und Blümchen bemalt, turmhoch beladen, alle Museumsexemplare.

 Oft kamen wir an Nomadenzelten vorbei, schwarze Zelte, in deren Nähe immer grosse Schafherden zu sehen waren. Doch wie sahen diese Hirten aus! Wie die Wilden. Fellfetzen, mit Lederriemen an den Beinen festgebun­den, bildeten Schuhe und Strümpfe, ein grosser Umhang, darunter leuch­ten Waffengurt und Pistolen. Sie müssen bewaffnet sein, denn hier gibt es, laut Reiseführer, Wölfe, Tiger, Leoparden. Doch die scheinen sich zurückgezogen zu haben, die einzigen wilden Tiere, die wir sehen können, sind grosse Geier und Steinadler, die hoch in den Lüften kreisen oder auf den von Siemens errichteten Telefondrähten hocken.

 Am Abend machen wir an einem ummauerten Gebäude halt, vermuten Mi­litär, was sich als richtig herausstellt. Es sind Soldaten mit zerfurchten Ge­sichtern, zerlumpten Uniformen und Ringen in den Ohren, die hier einen modernen Russen-Bun­galow behausen. Sie sehen aus wie Gangster, laden uns aber ein, zu bleiben. Wir fahren hinter die Umfassungsmauer, haben einen Brunnen mit gutem Wasser. Vier Soldaten hocken mit stumpfen Ausdruecken direct vor unseren Wagen und schauen uns zu ohne den Blick abzuwenden, wie wir unser Nachtlager herrichten und kochen. Sie geben uns dann zu verstehen, dass sie gerne die beiden Frau­en benutzen wollen, doch als wir ihnen auf die Finger klopfen und unsere Befremdung darüber kundtun, ziehen sie einfach von dannen ohne weiteren Blick zurueck, und wir haben unsere Ruhe wieder.

 Nach einigen Stunden Fahrt am anderen Morgen finden wir wieder ein Hotel an der Strasse, nach dem gleichen Plan wie das andere gebaut, wieder ohne Gäste, das gleiche Planschbecken, in dem wir auch gleich liegen und die Hitze verschlafen. Am Nachmittag besteigen wir wieder die Wüstenschiffe und erreichen bei Einbruch der Dunkelheit Kan­dahar, (was absolut nichts mit einem Skirennen zu tun hat). Kandahar liegt wie die meisten Städte in diesen Ländern an einem Fluss, der jedoch zu dieser Jahreszeit nur noch ein ausgetrocknetes Rinnsal bleibt. Sonst unterscheidet sich diese Stadt kaum von Herat, das gleiche Strassenbild, Pferde und Menschen, wieder ein Bummel durch die Strassen, bis wir uns vor der grossen Hitze in einen verlassenen, diesmal amerikanischen Hotel-Sitting-­Room bei Mango-Sqash und kühlgefilterter Luft flüchten.

 So, dann lass mich mal einen kleinen Sprung machen und zwar von Kandahar bis Kabul, wo wir den kleinen Haflinger und Roland und Sabrina, nach zwei Nachtfahrten Abschlep­pens, wohlbehalten in der Werkstatt abliefern konnten. Was die Begegnung mit den Beiden für mich bedeutet hat, habe ich Dir schon im Brief berichtet. Ich glaube auch, die Ereignisse bis Kabul kennst Du schon. Lass mich daher berichten, was seither in genau einer Woche, unglaublich, so alles geschehen ist.

Bamian, so hiess unser „Ausflugsziel“ von Kabul aus, ein Tal im Hindukusch Gebirge, herrlich gelegen zwischen zwei Gebirgszügen, die je 6000 m empor­wachsen. Dieser Ort gehört zu den grossen Sehenswürdigkeiten Asiens. Hier haben vor 2000 Jahren Buddhistenmönche gelebt und 50 m hohe Buddha­figuren in die senkrecht abfallenden Felswände gemeisselt. Dorthin also ging unser Bestreben, aber nicht unser Wagen. Wie kam’s?

 Uns wurde allerorts die beste Strecke empfohlen : 50 km zurück von Kabul auf Asphalt Richtung Kadahar, danach rechts ab ins Gebirge. Zwar, so sagte man uns, müssten wir zwei 4000 m Pässe überwinden, aber die Strecke sei wirklich sehr sehenswert und in ihrer Art einmalig. Recht hatten sie! Kaum waren wir vom Asphalt weg, als uns auch schon eine kleine, feldwegähnliche Strasse durch ein grünes Tal führte, durch kleine Bergdörfer, wo wir oft ausstiegen, Tee tranken und gut gelaunt weiterfuhren. Der Weg führte langsam, aber sicher höher hinauf, bis wir den grünen Baumwuchs hinter uns liessen, in die höheren Regionen hinauf, wo es nur noch Moos und kniehohes Gras gibt. Der Ausblick auf die Bergriesen war überwältigend, die kleinen Holz­brücken über die reissenden Gletscherwasser beängstigend. Obwohl die Sonne vom Himmel knallte, war es kühl. Wir zogen unsere Pelzkappen und Lederjacken an und begannen ab und zu nach Luft zu schnappen. So hoch waren wir noch nie gewesen, aber hinter der nächsten Wegbiegung musste es ja mal wieder runtergehen. Denkste! Vor uns stieg es steil in die Felsen hinein, beängstigend nahe an die Schneefelder heran, und der Weg zog sich wie eine weisse Schnur in halsbrecherischen Windungen daran hoch. Doch wir waren natürlich Optimisten und behielten für diesen Pass auch recht. Wenn auch mit hängen und würgen, im Rückwärtsgang und mit schieben, erreichten wir den ersten 4000 m Pass.

 Welch ein Ausblick! Die Gletscher und Felsriesen waren nicht mehr über, sondern jetzt neben uns. Vom schieben und neben-dem-Wagen-rennen sassen Walter, Kurt und Peter keuchend und hustend am Rand der Strasse und brauchten einige Minuten, bis sie wieder ein Wort hervorbrachten, bevor sie einstiegen und wir den Weg zu Tal begannen. Am Abend waren wir dann wieder unten, fuhren an einem Fluss vorbei, bis wir einen herrlichen Platz, wo sich zwei solche Flüsse trafen, fanden. Unsere Wagenburg war schnell gebaut, nur die Kartoffeln wurden und wurden nicht gar. Wir mussten noch sehr hoch gewesen sein.

 Ach so, ich vergass zu erzählen, dass wir uns In Kabul von den Frankfurtern getrennt hatten. Sie waren von einem Pakistani zur Jagd nach Nordpaki­stan eingeladen worden, was sie nicht ausschlagen wollten, und so verabredeten wir uns dann in Delhi, wo wir alle, wenn es klappt, eine Menge zu erzählen haben werden. Nun sind wir jetzt unter Männern, die Schweizer und wir, was hier in diesen Gegenden vielleicht ein Vorteil für uns ist. Mit Europa-Frauen durch Kanackenländer zu reisen, ist nicht ohne Problem, wie Du Dir jetzt sicher leicht vorstellen kannst.

 Nach unserem ersten Hochbiwak stieg es dann gleich wieder steil an. Der zweite Pass. Wieder das gleiche Spiel: den ersten Wagen bei Vollgas hochschieben, zurücklaufen und unseren Wagen schieben. Alles ging gut, bis 100 m unter dem Gipfel unsere Kupplung mit einem Schlag versagte. Es dauerte eine Weile, bis wir be­griffen, was das beteuted. Wir waren ziemlich verloren hier oben, keine Men­schenseele zu sehen. Der Wagen hängt am Berg in grosser Höhe kurz unter der letzten grossen Steigung, ohne Antrieb. ..

Doch was half’s, wir mussten den Wagen vorsichtig zurückrollen lassen, bis er in einer etwas ausgefahrenen Haarnadelkurve einigermassen gerade stand. Nach kurzer Beratung fuhren dann Bruno und ich mit ihrem Schweizer VW, der leichter war und den Pass gerade noch geschafft hatte weiter nach Bamian hinab, das unserer Schätzung nach nur noch einige Kilometer entfernt liegen konnte. Aus diesen „einigen“ wurden dann 45 km, bis wir dieses Dorf, erreichten. Die Lage wurde immer hoffnungsloser, als wir uns vergebens um einen Wagen bemühten, der stark genug gewesen wäre, unsere Kiste noch zum Pass zu schleppen.

 Auch war klar dass der Pass war von dieser Seite noch steiler war, also konnten wir mit Brunos VW nicht mal zurück! Zum Glueck kam uns ein französischer Geologe mit seinem Land-Rover zu Hilfe, fuhr mich zurück zum Pass, wo wir nach kurzer Beratung und Stoeckchen ziehen folgendes beschlossen: Walter und ich beim Wagen bleiben, Peter nach Möglichkeiten von Bamian aus nach neuer Kupplung suchen. Kurzes Händeschütteln, winke, winke, und da standen Walter und ich allein am Pass, in Sonnenuntgang gebadet und waren beide gleich der Meinung, dass uns sowas ja eigentlich noch in unserer Erlebnis Sammlung fehlen würde, kein Grund zur Sorge also, es geht ja sowieso immer schön weiter!

 Es gab ja eigentlich nur wenig Problemchen. Da war erst mal das Wasser. Zu diesem Zweck hatten wir von den Schweizern einen handlichen Wasserfilter, der jedes Wasser ungefährlich macht. Verpflegung hatten wir genügend in Reserve, also auch nicht schlimm. Und wie werden sich die Leutchen hier oben verhalten? Da waren wir wie immer Optimisten. Unten im Tal war ein festungsartiges Dörf­chen, das heisst, eigentlich nur 4 oder 5 Häuser hinter hoher Umfassungs­mauer. Während der Sommermo­nate ziehen diese Nomaden mit Kind und Kegel samt Herden in die Berge und kehren erst im Herbst zu ihren Dörfern ins Tal zurück. Auf gleicher Höhe mit uns, nur auf einem kleinen Pfad erreichbar, standen in einer kleinen Mulde zwei Nomadenzelte am Horizont, eng an den gegenueberliegenden Hang angeschmiegt.

Dann waren sie ploetzlich einfach da, wie aus dem Boden gewachsen. Sie hockten sich in drei Meter Ab­stand vor uns nieder und betrachteten uns mit unbewegten Gesichtern, sassen nur da und starrten uns an. Dann nach einer Weile, als wir sie zu uns heran winkten, fingen sie an, in ihrer fremdartigen Turkmenen-Sprache Fragen zu stellen und einfach auf uns einzureden. Als wir ihnen begreiflich machen wollten, dass wir sie nicht verstehen, fingen sie an, die gleichen Fragen entweder zu schreien oder mit grossen Hand-Gesten begleited, oder nur durch Mundbewegung zu sprechen. Wir machten ihnen nur schwer klar, dass wir zwar gut hören, sie aber trotzdem nicht verstehen konnten, offensichlich ein neues fremdes Erlebnis fur sie.

 Die meisten sprechen neben ihrer Sprache noch Persisch, so konnten wir uns denn mit unseren mageren Kenntnissen etwas verständigen. Es waren schon lustige Typen, vor denen wir in Deutschland bestimmt wegen ihres Aussehens alleine davongelaufen wären. Wie aus einem Karl May-Film herausgeholt, doch zweifellos echter, mit geschickt gebundenem Turban auf dem Kopf, breiten Ledergürteln, lange, bis zu den Knien reichende Hemden, eine lange Pluder­hose, alles 100 mal übereinander geflickt und ausgebessert, alte Uniformjacken und darüber einen riesiges Schal, aus dickem Zeltstoff, den sie geschickt über Kopf und Körper zweimal herumdrehen, bis nur noch schwarz umrandete Augen und Füsse darunter hockend hervorschauen. So schützen sie sich gegen die dauernde Kälte und gegen den eisigen Wind, der den Pass herunterfegt und jetzt an unserem Wagen rüttelt.

 Wir haben Hosen, Socken, Pullover und Pelzmützen an, darueber unsere Lederjacken, trotzdem wird es uns bitter kalt, wenn die Sonne sich hinter den grossen Felszacken verzieht. Kaum haben wir den ersten Kontakt gemeistert, schon müssen wir ihnen mit Nachdruck begreiflich machen, dass man nicht alles, was man sieht anfassen muss, dass man evtl. vorher fragen sollte bevor man fremde Schublade oeffnet und dass ich gleich mein verschwundenes Fahrtenmesser kurzerhand selbst beim Sippenchef aus dessen Jackentasche zurückhole. Er zieht beleidigt ab, kommt aber nach einer halben Stunde mit Fladenbrot und einem Kännchen frischer Ziegenmilch zurück, die er uns scheinheilig grinsend schenkt. So ists Recht.

 Damit ist der Bann gebrochen. Wir schen­ken ihm ein Päckchen kuweitische Rasierklingen, und schon sind wir enge Freunde. Von nun an bringen sie uns Eier, Yoghurt, Brot, Tee, und würden wir nicht abwehren, so wäre wohl dauernd einer von ihnen zwi­schen uns und dem etwa1000 m entfernten Nomadenlager hin und her gepen­delt. Natürlich haben wir immer was dafür zurueckgegeben, wir hatten ja noch unsere nützlichen Altklamottensammlung aus Krefeld, und so wird heute manches Kinder-Pullöverchen von einem kleinen Nomadenkind in 4000 m Höhe getragen. Toll, was?

So hatten wir dann keine Minute Langeweile während der drei Tage Isolation da oben. Meist hatten wir drei oder vier solcher Burschen vor uns sitzen, die stundenlang nur da hocken konnten um uns zu betrachtend. Ich wusste gar nicht dass ein Mensch so lange starren kann. Wollten wir sie für eine Weile beschäftigen, so gaben wir ihnen das geliehene Schweizer Fernglas, das sie ehrfurchtsvoll entgegen nahmen und unterein­ander in begeisterte Diskussionen über das Gesehene ausbrachen. Sie drehten sich den Bergten zu hatten wir wirklich für ein - zwei Stunden Ruhe. Es war zu schön, nun sie zu beobachten. Sie waren alle Schäfer. Jeder war für eine Herde verantwortlich. So sassen sie dann mit unserem Fernglas, beobachteten ihre Herden, die oft sehr weit weg­gezogen waren.  Die Vergroesserung durch das Glas war irgendwie verwirrend und sie wollten ihre Herden am liebsten gleich von hier aus zusammenhalten. Fluchend verschwanden sie dann für eine Weile und wir konnten sie von Ferne beobach­ten, wie sie mit heiseren Schreien ihre Tiere wieder zusammen trieben, wie sie ge­schickt und zielsicher mit ihren David-Schleudern selbst auf grössere Ent­fernung kurz neben dem zurück bleibenden Schaf oder der Ziege einen Stein platzierten, bis sie, ohne sichtbare Anstrengung, nach einiger Zeit wieder bei uns erschienen und sich wieder in ihre tiefe Sitzhaltung auf die Hacken niederliessen. Sie haben eigentlich alles, was sie brauchen, und ich war manches Mal drauf und dran, sie zu beneiden, um ihr einfa­ches Leben in diese Natur. Na ja, aber davon wissen sie ja Gott sei dank nichts, doch merkt man ihnen an, dass sie sehr gefestigte Persönlichkeiten sind, die anscheinend mit ihrem Leben gut zufrieden sind.

 Vom Ober­haupt der Sippe fertigte ich ein Portrait an, bei dem er selbst mit Spucke und dann mit einem Kuli die Augen und den Mund zerkritzelte, es dann aber doch stolz einsteckte. Ein Bild von jemandem machen, be­deutet für sie „über denjenigen Macht haben“. Durch diese Prozedur aber wird diese Macht gebrochen und alles ist wieder in Ordnung.

 Manchmal waren irgend­welche Eselkarawanen auf dem Pass unterwegs. Was diese kleinen Esel so alles schleppen, da kann unser Wagen noch oftmals neidisch werden. Den Pass herauf und herunter, bei uns vorbei : Frauen mit herrlichem Schmuck behängt, in farbigen Kleidern und Umhängen. Kein Auto.

 Ich stieg keuchend höher und höher, bis ich eine Felsspitze über dem Pass erreicht hatte und für eine Weile den grossartigen Aus- und Überblick genoss. Die ungewohnte Höhe hier machte uns eigentlich nur die ersten zwei Tage zu schaffen, dann hat­ten wir uns daran gewöhnt und konnten auch ohne Herzklabastern einige Strecken hochsteigen. Beim Kochen bemerkten Walter dann auch, dass er ohne sich zu verbrennen, die Finger in kochendes Wasser stecken konnte; es war höchstens 75° heiss.

 Am Ende des dritten Tages dann war es soweit. Ich war gerade wieder meinen alpinen Erbanlagen gefolgt, als ich von meinem Ausblick aus mit dem Glas einen Wagen unten im Tal erspäte,  der sich schon von weitem durch seine Staub­fahne verriet. In der Hoffnung, dass es sich um Peter handeln würde, stieg ich eilig hinunter und tatsächlich, Peter kam aus Kabul mit einem geliehe­nen Wagen und zwei Mechanikern samt Ersatzkupplung. Wir begrüssten uns freudig, während die beiden Mechaniker, sie waren höchstens 14 -–16, sich mit Eifer an den Motorausbau heranmachten. Schon nach einer halben Stunde hatten wir unsere gebrochene Kupplung in der Hand. Bis wir dann mit überlangen Gesichtern feststellen mussten, dass diese lieben VW-Freunde in Kabul (es gibt da eine deutsche VW-Garage) leider die falsche Kupplung mitgegeben hatten.

 Aber was nützt da schon schimpfen und fluchen ? Alles wieder in den Wagen gepackt, winke, winke, Peter und Mannschaft wieder zurück nach Kabul. Wie mag es da wohl in Peter ausgesehen haben, der fast ohne Schlaf im Kanackenbus bis nach Kabul gefahren war, dort alle Hebel in Bewegung ge­setzt hatte, bis er dann endlich bei uns eingetroffen war, und dann so was! Wir beide richteten uns seelisch auf weitere Tage ein. Wieder kamen unsere Nomadennachbarn, die sich nun wirklich wundern mussten, mit mehr Eiern und Milch und möbelten unsere Stimmung auf.

 Mitten in der nachfolgenden Nacht, gegen 3 Uhr, wurden wir polternd geweckt. Peter war wieder da, (wie das so schnell möglich war ist mir bis heute noch nicht ganz klar) diesmal in einem VW der gelobten Garage und dem Chef persön­lich (ein Belgier, der gut deutsch sprach), die anscheinend seinen Fehler eingesehen hatten. Jetzt dauerte es noch bis zum Morgengrauen, da war unsere Kiste fertig, und der ande­re VW-Bus verschwand samt Besatzung wieder so schnell, wie er gekommen war.

 Peter war zum Umfallen müde, aber hier bleiben und erstmal schla­fen wollte er nun auch nicht, und so begann der letzte Gewaltakt, der Wagen war ja noch nicht oben. Nachdem wir endlich alles ausluden, Benzinkanister, Sessel, Werkzeug und alles Gepaeck und Kram, siehe da, mit neuem Anlauf und heulendem Motor konnte ich es schaffen, im Rueckwaertsgang ! Und ich war oben!

 Einen Jauchzer. Da stand er nun oben, und alle Sachen standen unten. Also Muli spielen. Nach einer weiteren Stunde hatten wir es dann geschafft. Oben am Pass Wagen plus Inhalt, und daneben drei japsende und keuchende Jünglinge. Endlich, waren wir überm Berg. Peter schlief auf der Stelle ein und war kaum mehr wach zu bekommen.

Die Fahrt ging hinab auf einem halsbrecherischen Pfad, durch ein Canyon mit reissendem Wasserfall und Wildbach, durch Felsen, die über uns wieder zusammenzugehen schienen, so hoch und steil waren die Wände; die Brücken, mit Steinen und Sand belegte Holzstämme, sahen nicht gerade Vertrauen erweckend aus, und jedes Mal gab’s ein Aufatmen, wenn wir schnell rüber rutschten. Dann öffnete sich das Tal, purpurroter Sandstein überall, in unwirklichen bizarren Formen, wie von riesiger Hand gemeisselt. Wir sahen wieder grüne Wiesen, das Tal von Bamian war erreicht, die Strasse wurde wieder breiter und besser, und bald waren wir am verabredeten Platz, fanden die Schwei­zer wieder, die uns in lautem Jubel in die Arme schlossen.

So, ich glaube, damit kann ich meinen zweiten Reisebericht schliessen. Bamian wird ein neuer Start, auch für Dich !

 

 

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