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Sunday, July 27, 2008

A Letter from Ubud





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27.7.68
Ubud

Liebe Mutter,

ich weiss nicht, warum ich es bis jetzt so lange nicht mehr geschafft habe, eine längeren und ausführlichen Brief zu schreiben. Der letzte lange ging, glaube ich, vom Schiff von Indien nach Malaysia an Schwester und Schwager, aber jetzt will ich es mir auch ein wenig selbst beweisen, dass ich doch noch mal was anderes zustande bringe :

Liebe Mutter, (aber das hatte ich schon) äh, also, wie soll ich anfangen? Ja, … also gestern sagte der Werner, es ist mir unmöglich, hier in Bali etwas zu schreiben. Recht hat er, was soll man da auch noch schreiben!

Da kommt so ein Weltenbummler nach Indonesien. Mit’m Schiff in’n Hafen, der fast genauso ist, wie alle Häfen, die er schon gesehen hat, in eine Stadt, die Djakarta heisst und schon beim zweiten Blick so aussieht, wie viele Städte, die er schon gesehen hat.

Zwar eine neue Sprache, aber bald stellt sich heraus, die gleiche wie in Malaysia. Stinkender Dreck, wie so oft und auch anderswo, Menschengedränge und Glotzköppe um sich, unbeholfener Entwicklungstrümmerhochhäuserprotz ebenfalls nebenan, Ärger an Post und Strassenecken, alles bekannt! Er erkennt, dass nach alledem, was Bücher füllen könnte, die nie geschrieben werden, nach all dem Gesehenen und Erlebten eines ausgewalzten Wanderjahres eine Pause von längerer Dauer ausgesprochen dringend wäre, ansonsten tät’s einen Knall, irgendwo ...

So sah es mit mir aus, als ich Indonesien betrat. Die Pause, die dringende, war wirklich nötig und zeichnete sich auch schon ab, das Australienvisum war ja in der Tasche, jetzt brauchte ich ja nur noch mal eben Indonesien zu durchwetzen. Die faule, lahme und träge Welt der Arbeit, die segensreiche und scheintote Lebenskultur des gepriesenen Westens hätte mich wieder in den Klauen und bald hätte ich mich schön und rechtschaffen vom schönsten Leben, vom intensiven und bewussten, ausruhen können. Arbeitsstelle, Lohngelder, Arbeitskollegen, geregelter Bierverbrauch und alles wieder schön und gewohnt gewärmt. Man ist zwar in Australien und schluckt englisch, aber sonst kaum andere Gehirne.

Also, Mütterchen, ich habe mich also rich¬tig gefreut auf Australien.

Dann verliess ich Djakarta, die Duftglocke von Europäisch Westlichem verzog sich wieder langsam. Pralle Landschaften, saftiges Wäldchen, dampfender Urwald, Gewächshaus ohne Glas, viele schöne Menschen, viele; leider schon wieder viel zu viele, um zufrieden zusammenzuleben, aber so was nur beim zweiten Mal hinsehen; an der Oberfläche bleibt Schönheit der Landschaft und Natur und einfachem Leben ringsum.

Kopfwiegend denk ich mir: schöner Fleck, musst Du mal zurück von Australien, länger bleiben, Zu¬kunftspläne wanken etwas; Mensch, was für eine Landschaft, ja gibt’s denn so was, Vulkane ! Reisfelder, alles grün; der Zug tuckert langsam. Die Leute sind nett, so viele - und doch nett, ja gibt’s denn das ? Ein Zeitungsjunge ist hartnäckig. Wie seine 400 Kollegen im gleichen Zug will auch er mir unbedingt eine schlechtgedruckte, wenig bebilderte (viel zu hartes Papier dazu), also völlig unnütze locale Zeitung andrehen, dieselbe in Indonesisch. Ich erklär’s ihm, er kauderwelscht ja englisch, ich: kän not spik indonesian ! Er schiebt sich näher vor meine Nase: For learning, Mister ! Ich kauf sie.

Ja gibt’s denn das ?! Und ich fahr nach Australia! Steig aus, Hotel, steig um, dann Bandung, dann Jogjakarta. Berge, grün, kleine Stadt, komisch sauber, aber weiter, ich will ja nach Australia. Hotel, Strassen, Fahrradrikscha, lachende Mädchen drin, bisschen flach die Landschaft, aber ein Wahnsinnsvulkan, gleich da hinten, um die Ecke geradeaus. Der dampft auch noch gen Himmel, da wollt ich mal gern rauf; aber, das nächste Mal, ich will ja nach Australia. Schon zeigt sich in meinem Reisegehirn eine Sympathie für Indonesien ab. Ich Trottel doch, in Jogjakarta hatte ich ja noch gar nichts gesehen am ersten Abend, bis auf den Vulkan, bis auf die paar Berge und Palmen, und Bananenstauden und blauen Himmel. Dabei ist Jogjakarta das Zentrum der javanischen Kultur und daher so unbekannt in Europa und überhaupt ?

Hast Du denn schon jemals was von Jogjakarta gehört? Ich bin ja auch aus Deutschland, ich kenn auch nichts davon. Hotelleben, Touristeninformation besteht hier kaum, was besteht, verwirrt nur, als ob sie’s extra täten. Aber einen Tempel will ich mir „trotzdem“ noch einmal antun, denk ich, reiseerfahren, nehme kleinen engen Bus, steige aus, lauf ein wenig. Brambanan. Ruinenmüde, trotzdem begeistert vom Bau und was davon übrig, hinke ich auf alten Mauern an lauter auch wieder schönen Reliefs vorbei.

Pause. Setze mich in den Schatten, Sauhitze diese Tropen! Schaue Kindern zu, die unter riesigen Baumverzweigungen Fussball spielen, als wenn sie keinerlei Ehrfurcht hätten, wie man es doch vor einer echten Ruine haben sollte. Da hammers, der Ball hätte um ein Haar diese schöne Steinplastik gekippt!

Gehe weiter rum und bin auf der anderen Seite der Ruine und stutze. Da hocken zwei rum - und zeichnen. Pirsche mich dahinter (das wird schon was sein, was die da machen) und nicke, gleich auf Deutsch, da ich am Sortiment der Farben, Pinsel und Stifte nur auf westdeutschen Faberkastel-Schmincke-Pelikan-Rapitografen-Grafiker schliessen kann.

"Aha, auch da (?) schön habt ihr’s hier (!) bin auch Gebrauchsgraphiker ..." Und erzählen und schwatzen heute noch. So geht’s. So habe ich Werner Hahn und Gerd Veit aus Nürnberg kennengelernt und gottseidank, ohne die beiden, sässe ich jetzt im Australischen Kontinent und würde Bierdrinker sein und Arbeitskraft.

( Ich schreib Dir wohl etwas zu klein, aber die Post ist so unverschämt teuer, und wenn ich erst mal ein schönes Bild verkauft habe, schreib ich auch mal einen Brief mit einem Wort nur, per Seite. Aber Gerd bestätigte mir eben, meine Schrift sei so „charakterlos wie die eines Kindes“, und daher auch in dieser Grösse noch zu entziffern. Dabei steckt er mir eine brennende Zigarette in den Mund und sagt „bitte, Herzchen!“
Es hat jetzt übrigens aufgehört zu regnen, und statt Regenmelodie auf Palmenblättern sind jetzt die Vögel und die Grillen der Tropen dran, die immer so eine schöne Musik machen, vor und um unser Hausle, dass ich Dir jetzt erstmal beschreiben will, damit Du es Dir genauestens vorstellen kannst, wo Dein Sohn gerade sitzt und mit einer dünnen Schreibfeder und Tinte, gebrannte Siena, schreibt, weil alle indonesischen Kugelschreiber klecksen und Füllhalter immer leer sind. Uff, was für Sätze ! )

Also, unser Haus in Ubud auf der Insel Bali, das ist wohl der schönste Platz auf dieser Erde. Auf der nächsten Seite habe ich einen Plan gemacht, Aufriss und Grundriss; dieser Plan wurde von Gerd begutachtet und gestempelt mit seinem Siegelring, (der aus Bagdad stammt wo gerade eine Militärrevolte war und ich mir genau ausrechnen kann auf welchen Häusern an der Harun al Rashid Strasse die Maschinengewehrnester gebaut wurden).

Also das Haus gehört einem balinesischen Schneider, der auf einer Singer-Nähmaschine älteren Modells für 75 Pfennig ein Hemd nach Mass schneidert und eine Hose für 3 Mark und ‚Pak’ Klepin heisst, über eine dicke schwarze Hornbrille linst und ein sehr, sehr freundlicher Mann ist, der sich immer tiefer setzt, als wir gerade sitzen, wenn er seinen täglichen Besuch macht und uns eine Nelkenzigarette anbietet.

Das Haus kostet jeden von uns dreien im Monat 5 DM. Es hat drei Räume, die so gross sind, wie meine ehemalige Bude. Um uns zu finden geht man, wenn man eben will, von der kleinen Hauptstrasse an der richtigen Stelle nach links ab und kommt an einem steinbewohnten, moosüberwucherten Dämonen vorbei, kurz bevor man über einen kleinen Bambuslattenzaun klettern muss, der die Schweine drinnen hält im Wald, den man jetzt betritt.

Links eine Mauer entlang, farnbesetzt und total bemoost, extra für uns. Es duftet sehr verschieden nach Pflanzen und Blumen und Schweinescheisse, jedoch immer sehr stark, je nach Witterung und Schweinezahl. Wenn ich aus Versehen da so hineintrete, so liegt das an diesem Flusstal, das rechts gleich sehr steil hinabfällt. Also weniger am Tal an sich, denn das ist nur schön, sondern mehr an diesen Frauen dort, die unten zweimal täglich nackt baden. Das ist nicht nur schön, sondern ausgesprochen sauber.

An Palmen und blühenden Bäumen vorbei, kommt schon gerade dann, wenn man sich an den jeweiligen Duft und Ausblick gewöhnt hat, von links eine Treppe herunter, die Wasserspülung hat, aber nur bei einem der täglichen Regenfälle. Diese Treppe gehst Du nun hinauf und kommst nach wenigen Schritten so in den kleinen Hof, wo die punktierte Linie hier drauf hinführt. Nun kannst Du auf meinem Plan verfolgen, wie ich mir Deinen Besuch bei mir vorstelle:


Beginnen wir bei A. (Pfeile geben Richtung an).

Über eine Stufe trittst Du auf unsere Veranda, wo wir abends sitzen auf feinen Bambussesseln, die zwei Mark kosten und in Deutschland unbezahlbar sind, weil kunstvoll gemacht und geflochten. Dort drehst Du Dich einmal um die eigene Achse, mit dem Ausruf: Wie hübsch! Dann geht es weiter, wieder geradeaus, wie mit mir, und Du betrittst das Zimmer von Gerd (B), kurvst erst scharf nach rechts zum Spiegel, dann zum Fenster und hast einen herrlichen Ausblick auf unseren eigenen Haustempel und auf die Blumen und Blätterwand dahinter. Dann wendest Du Dich vor Staunen ab und um und gehst gemächlich an Gerds Bett vorbei zum Schrank in der Ecke und wirfst einen verstörten Blick in seine Unordnung.

So was! denkst Du und gehst weiter in mein Zimmer (C) zu meinem Bett, setzest Dich drauf und findest es hart und etwas kurz. Nach einem Blick unter das Bett gehst Du zu meinem Tisch, auf dessen Ecke ein kleines Schränkchen steht. Dort räumst Du erst mal auf, und ich warte so lange auf der Veranda (A). Nach etwa 1 ½ Stunden dann gehst Du durch die Tür ins dritte Zimmer, welches Werners ist, am Bett vorbei, den Pfeilen nach und betrittst nach diesem Rundgang, von dessen Anstrengung Du Dich erholen willst, wieder die Veranda, probierst die beiden Bambussessel aus und landest auf der gemütlichen Bambusbank (O). Nach einer Verschnaufpause gehen wir dann gemeinsam zum Haustempel und bitten die dort anwesenden Götter um die Gnade, dass wir noch lange dort wohnen können.

Zur weiteren Erklärung des Plans: Die kleinen Punkte auf dem Plan sind Ameisen, und der Kamin (G) ist kein Kamin, sondern deutet die Palmen im Hintergrund an. (G) also viele Palmen mit Kokosnüssen dran. Ich sitze gerade im Kreis (ich) in meinem Zimmer, weil ich genügend Licht habe, obwohl es kein Fenster gibt, wie Du auf dem Plan ersehen kannst. Was Du nicht sehen kannst, ist die Tatsache, dass ich vor ein paar Tagen ein grosses Plastikdach eingebaut habe und daher fast im Freien sitze. Herrlich, herrlich!

So, jetzt weißt Du, wie unser Häuschen genauer aussieht. Die Inneneinrichtung ist nett und nützlich, aber die Wände hängen voll von allem möglichen. Bilder, Bilder, Bilder, Figuren, Fotos, Schnitzereien, und es nimmt kein End. Der Punkt P auf dem Plan gibt den Punkt an, von wo ich die nächste Skizze in Pfeilrichtung gemacht habe. So ungefähr sieht es von dort aus, beim flüchtigen Hinsehen. Das Porträt von Gerd und die ganze Skizze kann und muss ich als wenig gelungen bezeichnen, aber so weisst Du wenigstens etwas mehr. Besonders muss ich auf das Schwein hinweisen. Der Rücken von balinesischen Schweinen hängt wirklich so jämmerlich durch. Es sind ganz intelligente und daher wohlschmeckende Tiere.

Die Zeit, die wir nicht draussen in Ubud und Umgebung verbringen, verbringen wir also hier in trautem Kreis zu viert. Gerd, Werner, Hans und Haus.

Lass Dich jetzt nicht weiter vom Schwein ablenken, denn ich bin mit meiner längeren, doch wie ich feststellen muss, keinesfalls ausführlichen Schilderung meines Zustandes und Zustandekommens hier in Bali, immer noch in Java in Jogjakarta, jenem Zentrum der viel zu unbekannten javanischen Kultur. Es ergab sich also, wie durch ein Wunder, dass sich Gerd und Werner und ich in solch eigenartiger Weise gut verstanden von Anfang an.

In Jogjakarta führten sie mich, den Fremdling, sofort in ihren Freundes- und Bekanntenkreis ein, und der war bereits ausgeprägt, denn die beiden waren schon sechs Monate allein in Indonesien und zwei Jahre von Zuhause entflohen, wie ich Dir schon berichtet habe. Jogjakarta war meine Ouvertüre zu Indonesien, alles andere bis dahin war mehr oder weniger nur Durchreise. Durch die Freundschaft mit den beiden gingen mir zuerst Türen und Tore zu geheimem Verborgeneren, dann die Augen für Indonesien auf. Ja, Mensch, gibt es denn so was ? Und ich wäre um ein Haar da nur so durchgerauscht mit meinem müden Gehirndarm.

Abends Theater: Vor einfacher Kulisse, die eigentlich gar keine ist, tanzen verzauberte Wesen, die vielleicht einmal Menschen waren, in Kostümen mit kunstvoller Ornamentik, in Bewegungen, die einem die Zunge heraus hängen lassen. Man traut seinen Augen nicht. Kleiderfalten fallen bei den fliegenden Bewegungen der vier Tänzerinnen nebeneinander alle gleich. Solch eine Perfektion und dazu so voll Charme und Grazie; wo bin ich denn hier hingeraten? Dazu die Musik, die überall her kommen könnte, nur nicht aus den metallenen Gongs und Becken, die da vorne von normalen Menschen, in einer aufreizenden Langeweile und scheinbarer Unbeteiligtheit bedient werden. Engelstöne ? Dazwischen bizarrer Rhythmus, der ewig zu hinken scheint und doch immer stimmt. Dazwischen flöten und fiedeln welche, und ich glaub, ich spinne, da singt noch eine, aber wie sich das alles zusammen anhört? Für mich ist das gar nicht zu fassen.

Dazu das Publikum! Kind und Kegel, die gar nicht so wie bei uns daneben sitzen, sondern alle dazu gehörten. Kinder spielten für sich herum, schliefen bald, mittendrin. Es wird Zeit, finde ich, dass bei uns auch Kinder schlafen im Theater, bei der Oper, dann geht diese alberne Andacht flöten.

Gerd und Werner waren bessere Kenner und sagten „Mist, heute Abend ist das gar nicht gut, Du solltest mal richtiges Wajang Orang sehen, ausserdem ist das hier allerkleinstes Laientheater. Da gibt es viel bessere.“ Ausserdem, wenn ich aufs Ende warten wollte, müsste ich sowieso bis morgen früh 3-4 Uhr warten ... Ich glaub, ich spinn. Wenn das dort Mist sein soll, wie wird’s dann erst noch kommen ?

Und es kam wirklich was hinterher, aber das kann ich jetzt nicht beschreiben, denn dann fehlen mir alle Superlative spaeter für das, was mich auf Bali erwarten sollte.

Was hatte ich schon von Bali gewusst, ich Supertourist, der in seinem Australienwahn schon seine Reise halb abgeschlossen wähnte ? Vom Maler Walter Spiess hatte ich’s mal munkeln hören und von „Kultur“, ich Trottel. Schöne Insel, Traum der Träume, schöner Strand. Da machste noch mal Urlaub, bevor Du schön Geld verdienst für ein halbes Jahr in jenem Australia.

Wir Trottel kann ich sogar sagen, denn meine beiden Kenner gaben sich vor dem, was wir dann wirklich sahen, auch geschlagen mit ihren Kenntnissen um indonesische Kultur. Es ist nämlich so, lass Dich belehren, liebe Henny-mutter, Bali und Balinesisches kann man nicht kennen, ohne dort gewesen zu sein. Orientalistik kann man ruhig in Deutschland studieren, zur Balinistik muss man hin, nicht als Tourist, auch nicht als Globetrottel, man muss dort leben. Aber das verstehst Du vielleicht besser am Ende des Briefes, wenn mir das in meinem komisch einfältigen Geschreibsel gelingen sollte. Ich will es herzlich gern weiter versuchen, aber ... von Bali kann man ja nichts schreiben.

Aber weiter im Text der Ereignisse: Von Jogjakarta ging es gen Osten nach Surabaja. Zugreise und mein 25. Geburtstag an einem Tag. Schöne Bescherung : in solch einer Landschaft und mit zwei neuen Freunden als Geburtstagsge¬schenk obendrauf.

In Surabaja angekommen fahren wir schon gleich wieder am nächsten Morgen ab und zwar nur zu zweit. Werner hat da so ein schlitzäugiges Mädel, das ihn nach Bandung zurück ruft, see you later, alter Freund, ich kenn Dich ja schon sechs Tage. Gerd dafür fühlt sich, mit mir zusammen, nach Bali gezogen, so schnell wie möglich, denn ein Bekannter vom Goethe-Institut in Surabja meint, wir sollten uns beeilen. Ende Mai sei einer der grössten Festmonate in Bali, und wir könnten was versäumen. Ein Bus ist teuer, aber schnell, und so fahren wir weiter durch die Landschaft, links das Meer mit herrlich bemalten Auslegerbooten, die am glitzernden Silber des Horizontes schweben. Rechts Gegend, und was für eine! Aber ich will mich bremsen und nichts von den steilen Wänden, von weichen Hügeln, von dampfenden Vulkanen sagen, weil das ja auch alles in Bali kommt, zusätzlich, zum anderen Wahnsinn auf diesem Gottesfleck.

Also es regnet zwischendurch, als wir mitsamt Bus auf die wackelige Autofähre hupfen, die uns an die Küste Balis bringt, ein grüner Haufen Vegetation, der langsam aus dem Meer steigt, wie es solche Inseln so an sich haben.

„Typisch Bali“, lästern, ein paar Häuser, die gleichen Schlaglochstrassen, Bäume, viele. Wir sind im Westen, noch 100 km bis Denpasar, unserem ersten Ziel und nebenbei auch noch die Hauptstadt.

Wir gucken herum aus dem Bus, und das erste, was uns besonders ins Auge fällt, sind freie Brüste einiger Damen, mit Tragekörben auf dem Kopf, und Kühe. Die Kühe sind ja wirklich hübsch, wie Rehe, irgendwie.

Dann sind wir in Denpasar, steigen aus und streiten uns mit so ein paar Pferdekutschern herum, die uns zu der Wohnung eines Malers bringen sollen, für den wir ein Empfehlungsschreiben eines andern Malers (Affandi in Jogja) haben. Dort sollen wir dann auch die ersten 14 Tage wohnen.
Wir sind aber noch lange nicht da, da uns der Pferdekutscher einen Preis nennt, der eher dem Wert seines Pferdes näher kommt als einer Reise von etwa 3 km. Die erste Begegnung mit einer Hartnäckigkeit, die da meint, von jedem Touristen gleich das zehnfache zu erpressen.

Das Bemo – eine Art Sammelminibus mit begrenzten Sitzmöglichkeiten, unbegrenzter Aufnahmefähigkeit an Personen, Schweinen, Rindern, Balast und allem, was beweglich ist und transportiert werden kann, bringt uns für nur doppelten Preis zu Bambang Soegeng; Ein Naturtalent und echter Boheme aus Java, der jedoch Bali liebt bis zur Selbstauflösung. Offene Tür und Herz; wir ziehen in seine kleine Galerie. Nach Kaffee und gegenseitigem Beriechen sagt er, ob wir etwa einen balinesischen Tanz sehen wollten, der ganz in der Nähe „für Touristen“ aufgeführt würde. Wir sind zwar von der Bus¬reise müde, aber so eine Gelegenheit will man sich ja nicht entgehen lassen, wir Trottel. Denn genau das, was wir als Gelegenheit bezeichnet hatten, spielt sich ja jeden Tag an gleich hundert verschiedenen Stellen in Bali ab, aber wir wussten ja noch nichts davon, und daher gehen wir gleich hin; die erste Begegnung mit dem Legongtanz und der Gamelanmusik in Bali war also gleich am ersten Abend, bevor wir überhaupt da waren.

Jetzt muss ich erst wieder abschweifen, sonst meinst Du, genau wie ich damals, ich spinne wirklich. So wie ich die ersten 14 Tage auf Bali verbracht habe, kann ich sie unmöglich hintereinander schildern, weil ich es einfach nicht kann, ganz einfach. Das geht nämlich gar nicht, oder man wäre ein Genie der ständigen Superlativen.

Ich bin ja jetzt auf Bali immerhin seit zwei Monate und habe Abstand. Lass Dir sagen, dass die ersten 14 Tage in Bali wirklich zu dem Wahnsinnigsten gehörten, das ich bis dahin in meinem ganzen Leben erlebt habe, und habe ich nicht schon einiges gesehen ? 14 Tage lang gab es täglich umwerfendes zu erleben, 14 Tage lang keine Ruhe. 14 Tage lang keine Nacht vor 3 Uhr ins Bett, und nicht, weil das Geschehen beendet war, sondern meist nur deshalb, weil ich einfach nicht mehr gucken konnte. (Manches Mal habe ich während den Tempelzeremonien einfach in irgendeiner Tempelecke für ein paar Stunden auf einer Bastmatte ge¬pennt, zu den Höhepunkten lang nach Mitternacht liess ich mich dann wieder wecken.)

In Bali gibt es nach offizieller Angabe etwa 10.000 Tempel. Jeder Tempel hat alle sieben Monate seinen besonderen Festtag. Natürlich fallen solche Festtage teilweise zusammen, insbesondere in Festmonaten, die der Gegend entsprechend verschieden liegen, aber es gibt noch unzählige religiöse Feste nebenbei; der 210taegige balinesische Kalender ist gespickt davon. Dann gibt es wieder Feste, die alle fünf, alle zehn oder, wie jetzt hier gerade in Ubud, die nur alle 30 Jahre oder in 100 Jahre einmal vorkommen. Also bitte, jetzt bist Du dran. Könnte man jeden Tag die Informationen bekommen, was wo gerade los ist, dann hätte man täglich eine Auswahl von was weiss ich wie viel religioeser Veranstaltungen jeder, aber auch jeder Art.

(Die Skizzen, die ich Dir hier so in den Brief hinein zeichne, entstanden zwischendurch bei irgendwelchen Festen, die ich gerade besucht habe. Hoffentlich machen sie Dir Freude und bringen etwas Bali zu Dir nach Krefeld. Die Damen, die da so auf dem Papier rumtanzen, sind ganz normale hiesige Hausfrauen. Ja, gibt’s denn so was?)

Doch, wo war ich stehen geblieben? Tempelfest in Abiang-Kabas, gleich um die Ecke bei dem Häuschen, das wir in der Nähe Denpasars gemietet hatten. Das war einer der Geburtstage eines kleinen Tempelchens. Das war Ende Mai. Mitten am helllichten Tag ziehen wir dann los mit unseren Zeichenmappen zum Tempel, vor dem bereits der Hahnenkampf in vollem Gange ist. Im Tempel drin klimperts auf den Gamelan-Instrumenten. Vor Beginn der Zeremonien klimpern Klein- und Kleinstkinder darauf herum, bis in die Dunkelheit, und man staunt, was diese Kleinen da zustande bringen. Können kaum laufen und haben schon halbe Symphonien im Kopp. Kein „leg jetzt den Schlegel weg und geh ins Bett !“

Ausserhalb des Tempeltores sind kleine Stände errichtet. Dort gibt es viele Arten von balinesischen Leckereien, Bananen, hunderterlei Gebäck in grossen Gläsertürmen, Wassermelonen, gegorene Süsswurzeln, Süsskartoffeln und Kräuter, mal scharf, dass es einem die Tränen ins Auge treibt, dann wieder so süss, dass man nach Luft schnappt, oder alles wird auf Wunsch auf einem flachen Stein zusammengemanscht, Zucker und Salz, Paprikaschoten im gleichen Brei, mit Sojabohnensprösslingen und Papayafrüchten. Alles wird liebevoll bereitet und auf gerollten Bananenblättern serviert. Daneben Bauch- und Kleinstläden mit den verschiedenen Arten von Reiswein und – schnaps, Tee oder Kaffee. Balinesische Kirmes.

Überall stehen oder hocken kleine Gruppen von Balinesen in ihrer Festtracht, kunstvoll gebundenem Batikkopftuch, eine Blume hinter dem Ohr oder im Haar, sauberes Hemd oder meist nackter Oberkörper, dann der Sarong, ein langer Batikrock, der je nach Wunsch seitlich oder in der Mitte in kunstvollen Falten gerafft wird. Man legt sehr grossen Wert auf einen gleichmässigen Faltenwurf, und jeder legt Beachtung auf die eigene Note. Darüber noch mal ein andersfarbiges, anders gemustertes Tuch um die Hüften, der ‚Slendang’, ohne den niemand den Tempel betreten darf. Die Frauen haben ihre Prachtfarben gewählt, grellbunte Blusen und Leibbinden, die Haare sorgfältig gekämmt und zu langen Schlaufe gebunden, Blumen und Goldkrönchen, aus Blattgold gebastelt, im Haar. Zum saftigen Grün der Baumriesen, zur nassbraunen Erde und zu den verwitterten Tempelmauern bildet diese bunte Farbenpracht eine einzigartige Atmosphäre. Dazwischen Hunde ohne Zahl und Enten und Schweine. Das reine Vergnügen für mich, über solch einen Festplatz zu schlendern, hier einen Tee am ‚Warong’ zu schlürfen, mich dort über die hohen Einsätze der Glückspieler an ihren kleinen, niedrigen Spieltischen zu wundern. Wetten ist Leidenschaft hier.

Vom Tempelvorplatz aufgeregtes Gemurmel. Hah¬nenkampf in abgetrennter Arena. Im grossen Zirkel der Zuschauer ist ein Quadrat von ungefähr 5 x 5 Metern abgesteckt. Autorennen, Boxkampf, Trainingslager, Stierkampf, die gleiche hitzige Geschäftigkeit und doch so ganz anders. Ein Gegackere und Kikeriki aus den grossen Bambuskörben mischt sich mit dem Geschrei und Gemurmel der Zuschauer. Vor Beginn des eigentlichen Kampfes werden die prächtigen Gegner vorgestellt. Wunderbare Hähne in schillernden Far¬ben, die wirklich böse dreinblicken und nach jedem Artgenossen picken, der in die Quere kommt. Die stolzen Besitzer zeigen ihre Gladiatoren in die Runde. Scharfe Messer sind an einen der Sporen gebunden; das Spiel be¬deutet für einen der beiden Gegner das blutige, meist sehr schnelle Ende. Die beiden Besitzer hocken sich gegenüber in die Mitte des Quadrats und reizen ihre Recken durch Zupfen am Gefieder, schlagen gegen die langen Schwanzfedern und zeigen den Gegner. Während dieser Zeremonie beginnen die Zuschauer zu wetten, rufen ihre Einsätze, und das Gemurmel steigert sich zum Orkan von wildem Gebrüll, das sofort verstummt, wenn die beiden Hähne aufeinander losjagen. Federn fliegen, ein Getümmel von schlagenden Flügeln, das mit ah und oh der Zuschauer begleitet wird. Oft schon nach wenigen Sekunden wird ein Hahn von dem rasierklingenscharfen Messer des Gegners tödlich verletzt, selten gibt es ein Unentschieden. Vorbei. Das näch¬ste Paar. Der Gewinn wird sofort ausgezahlt, Geldscheine, eng zusammengerollt, fliegen durch die Luft zum Gewinner. Wer schon alles Geld verspielt hat, jetzt sein Hemd, sein Feuerzeug, seinen Hut, ohne Rücksicht auf weitere Verluste. Monatsgehälter verschwinden in nichts. Pech gehabt. Irgendwie geht es ja immer weiter, spätestens beim nächsten Hahnenkampf, und der ist meistens schon morgen an einem anderen Tempel. Frauen sind besorgt.

Das Gamelan-Orchester beginnt. Bei ihren Instrumen¬ten am Boden sitzen die 20 bis 30 Musiker, wie jeder hier Reisbauer und ganz normaler Mitmensch. Was für eine Musik ! Wildes Brausen, dann melancholischer Klingklang wie Glocken, abgehackte Rhythmen und schrille Harmonien, dann wieder fliesst ein Bächlein von Tönen aus den Xylophonen und runden Messingbecken. Ein langes Instrument wird oft von vier Spielern gleichzeitig gespielt. Bei der Vielseitigkeit und Kompliziertheit der variieren¬den Melodien wird es mir immer ein Rätsel bleiben, wie ein Mensch sich so etwas merkt und wie er es dann mit solch einer Perfektion bringt. Bei einigen Tempelfesten, die ich besuchte, spielte solch ein Orchester mit ganz kleinen Kaffeepausen etwa acht Stunden hintereinander! Unbegreiflich.
Zu dem, eines ist noch ganz unwahrscheinlich: Während die tollsten Melodien erklingen von irgendwo her, wie es scheint, wenn man von Trommeln und Becken die aufreizenden Rhythmen hört, sitzen die Musiker wie absolut unbeteiligt da, schauen in die Gegend oder unterhalten sich noch, als wenn es gar nicht sie wären, die da so Mit¬reissendes fabrizieren. Keine ekstatischen Schweissausbrüche, wie bei Jazz-Trommlern, eher ein schläfriges Träumen begleiten wahnsinnigen Rhythmen, welch ein unbegreiflicher Gegensatz.

Hoffentlich kann ich Dir irgendwie mal eine Schallplatte von dieser Musik besorgen, denn beschreiben kann man das nicht. Frag doch einmal nach ob es irgend so was schon gibt. (Bali Gamelan Musik). Ich könnte mir vorstellen, dass man sich sowas bestellen kann, vielleicht sogar noch eher in Deutschland als hier in Indonesien.

Doch zurück zum Tempelfest. Während nun diese herrliche Musik erklingt, kommen Frauen mit ihren Opfergaben. Das sagt sich sehr einfach. Aber wie beschreiben? Farben, Farben, Farben, Göttinnen der Anmut und Schönheit. Göttinnen der Anmut besonders, selbst im hohen Alter. Sie balangsieren auf ihrem Kopf grosse, rot und gelb bemalte Tonschalen. Darauf, durch einen Stab in der Mitte gehalten, türmen sich Reiskuchen, Bananen, Zuk¬kerrohr, Apfelsinen, Plätzchen in allen Färbungen, ganze Spanferkel, Kohl¬köpfe, einfach alles bis zu zwei Meter Höhe, liebevoll und kunstvoll arrangiert und zusammengesteckt. Solch eine Prozession von Balinesinnen ist allein eine Reise wert. So kommen sie also in langen Reihen oder einzeln durch eine Strassenalleen die zum Temel fuehren. Diese gebogenen, geschmückten Bambusrohre, ‚Penjor’ genannt, an denen Blattgirlanden und grosse geflochtene Sterne hängen, die an Weihnachtssterne aus Stroh erinnern könnten, wäre dieser Vergleich nicht allzu armselig. Diese Sterne sind bis zu einem Meter im Durchmesser und ganz fantastische palmgeflochtene Kunstwerke. Dass sie nach einer Woche bereits verdorrt sind und herunterfallen, macht auch nichts, es folgen sowieso bald neue.

Die Prozession (die längste vorgestern bestand aus etwa 700 Frauen) betritt nun nach und nach das grosse Tempeltor, von dem hunderte von steinerne Dämonenfratzen starren, und kommt auf den grossen Tempelhauptplatz, der erfüllt ist von der Gamelanmusik, von Farben und wohlduftenden Rauchfahnen. Die Opfergaben werden in langen Reihen vor einen der vielen kleinen Einzelaltare gestellt und mit Räucherkerzen bespickt. Priester in weissen Gewändern und langen gebundenen Haaren, oft mit den herrlichsten Gesichtslandschaften und mystischem schwarzem Kohleblick, sprechen ihre geheimnisvollen Texte und Formeln in tiefer Konzentration, einer Trance nahe. Vor ihnen knien Frauen und Kinder, die die Opfergaben brachten, mit gesenktem Haupt und erhobenen Händen, kleine Schälchen mit Reis gefüllt, und Blumen werden auf den Tempelplatz gestreut, der bald einen Teppich von kleinen Herrlichkeiten bildet, denn jedes Schälchen, jedes Körbchen ist aus Bambus- oder Palmenblättern geflochten und mit Essbarem gefuellt. Und überall Hunde und Enten dazwischen, ganz selbstverständlich. Bis zum Dunkelwerden, wenn alle Farben eine eigene Leuchtkraft erhalten, vom gelborange der untergehenden Sonne, die sich in den Wolken bricht, wenn die Gas¬lampen aufgehängt werden, ein Kommen und Gehen immer neuer Frauen¬gruppen, segnen und verspritzen von Weihwasser und Blumen, Gamelan-Musik und spielende Kinder, Gruppen von Maedchen die sich zusammenklammern im Flirt und Gelaechter, Entengequake und dann gleich wieder Kaffee und Leckereien aus Reis und Mais, und was weiss ich noch alles das uns angeboten wird. Man sitzt herum in träumerischem Nichtstun oder geht hinaus, um die letzten Hahnenkämpfe zu sehen, ein Schwätzchen hier und da, und wir zeichnen und skizzieren, von Horden von Kindern umstanden. Ganz gelöst und gelockert geht alles vor sich, das ist Leben und Religion, Riten und Vergnügen, Gewohnheit und Zuhause, keine Hast und nichts, was an gespielte Andacht oder Falschheit und Lüge erinnert. Religion ist nicht moralisch, in der Kirche darf geraucht werden. Und diese Farben, ein Schauspiel vor meinen Augen, das gar keines ist, nur eins von den vielen, vielen Festen, die nie ein Ende nehmen im Leben der Balinesen.

Für eine Weile hört der Gamelan auf, man trinkt weiter Kaffee und mampft Reiskuchen. Tänzerinnen legen ihre Tanzkostüme an, dazwischen zwei kleine, engelhaft geschmückte Knaben. Sie eröffnen eine Weile später den Tanzreigen, an dem sich nach und nach Männer und Frauen aller Altersstufen beteiligen. Die Glocke von Gamelan-Virtuositäten legt sich wieder für einige Stunden über den Tempelplatz, mit seinen vielen kleinen und grossen Tempeln, mitten in den Palmen, eine Lichtung im Schwarz der Bäume und der Nacht.

Das Staunen und Kopfschütteln hat für Gerd und mich gar kein Ende. Kaum haben die beiden Knaben ihren puppenhaften, traumleichten Tanz der feinsten Bewegungen beendet, als sich ein dicker, ungeschlachter Bauer mit Riesenarmen und Trampelfüssen in den Tanzkreis stellt, seine Augen schliesst und sich, mir fällt nichts anderes dazu ein, in einen Marcel Marceau oder, noch blödbildlicher, in eine Elfe verwandelt. Wir halten einfach die Luft an, wie er fast für eine halbe Minute erstarrt, um dann für den Bruchteil einer Sekunde und genau auf einen winzig mehr betonten Trommelschlag des Gamelans hin, den Kopf um einen halben Zentimeter nach rechts dreht, dann plötzlich zu einem Wirbel von sich verknotenden Bewegungen wird, um wieder zu erstarren.

Der Mann hat vielleicht auf seinen Riesenschultern noch vor wenigen Stunden eine Ladung Reis vom Feld in sein Haus getragen. Ich hab mal so eine Bambusstange auf den Schultern gehabt, die hinten und vorn mit riesigen Reisgarben behängt war. Nach meinem Schmerzpunkt zu urteilen etwa 1 ½ Zentner. Und damit kamen die Bauern täglich mehrere Male an unserem Haus vorbei. Nicht geschleppt, sondern „gefusselt“. Und danach so was! Am Abend spielt er mit im Gamelan-Orchester oder probt Theater oder tanzt oder gleich alles zusammen. In Bali gibt es keinerlei Trennung zwischen Arbeit, Leben, Religion, Schweinefuettern, Kunst und Kinderkriegen. Alles ist ein Teil des grossen Schauspiels ihres Lebens. Alles setzt sich in Bewegung. Tanzend wird den Göttern geopfert. Schalen mit kleinen Opfergaben werden zu den einzelnen kleinen Tempelchen getragen und dort geweiht. Lange Reihen von tanzenden Gläubigen und dazwischen die Hunde, die im Blumenteppich nach kleinen Happen Reis oder Fleisch suchen. Das geht wieder einige Stunden lang, Stunden, an die keiner denkt, denn Zeit hat nichts zu bedeuten. Dann wieder eine kleine Pause. Während einige alte Priesterinnen die nächsten Riten vorbereiten, trinkt man Kaffee oder auch den scharfen Arrak, Reisschnaps.

Eine Bastmatte wird in die Mitte gelegt. Davor eine Gruppe von Priestern, vor sich Kokosnussschalen mit glühenden Holzkohlen. Die Geister, durch die vorigen Opfertänze wohlgestimmt, sollen nun herbei gerufen werden. Und dass sie nun kommen werden, ist für jeden sicher und nichts Aussergewöhnliches. Sie werden in die Körper der Medien kommen, aus ihnen sprechen. Vor den fünf ausgesuchten Frauen wird nun zelebriert, geheiligte Verse gewispert, Weihwasser gespritzt. Die Melodien des Gamelans werden fein und lieblich, ziehen kleine Fäden zwischen Medium und Priester. In einer Ecke des Tempelplatzes eine Gruppe von Priesterinnen, die langgezogene, in sich übergehende Melodien und Lieder singen. Fremdartig und geheimnisvoll, beschwörend, wie von den Geistern selbst komponiert. Die Stimmung auf dem Tempelplatz ist mystisch und körperlich spürbar. Die Medien fangen langsam an, sich nach dem Rhythmus der Musik zu wiegen. Dann gerät die erste in Trance, wirft die Arme hoch, windet sich wie eine Schlange, wie von unsichtbaren Händen geschüttelt. So etwas zu sehen, treibt mir sämtliche Körnungen einer Gänsehaut über den Rücken. Die Geister sind gegenwärtig, sprechen durch die Medien in geheimnisvoller Sprache in erregendem Dialog mit den Priestern.

Die Frauen werden weg geführt; ihr Gang ist taumelnd, ihre Augen geschlossen. Jetzt versammeln sich die Priester, 10 asketische Gestalten in weisser Kleidung, unter einem Tempeldach. In sich versunken sitzen sie eng beisammen, die Augen geschlossen. Priesterinnen hantieren geschäftig und ohne sichtbare innere Beteiligung. Wir gehen näher an die Gruppe heran, wollen alle Stadien der Trance aus nächster Nähe miterleben. Niemand hält uns zurück, es gibt da keine Geheimnisse, Gamelan-Melodien, gleissendes Licht der zischenden Gaslampen, Hundegeknurre, der gespens¬tische Gesang der Frauen, beissender Rauch der Opferfeuer, mitternächtliche Stunde, Kinder drängen sich näher, unbeschreiblich gespannte Atmosphäre!

Plötzlich überfällt einen der Priester ein Vibrieren und Schütteln, das den ganzen Leib erbeben lässt. Dann der nächste, dann der nächste. Ein unbeschreibliches Schluchzen beginnt in der Runde der Priester, Schaum tritt auf die Lippen, Tränen quellen aus den geschlossenen Augen, Männer, die von zuckender Kraft geschüttelt werden. Nach und nach werden sie von den Priesterinnen mit besonderen Gewändern gekleidet, während das Schluchzen ununterbrochen anhält. Der Priester, der zuerst in Trance gefallen war, wirft sich plötzlich vor und hält beide Hände in die glühenden Kohlen eines Opferfeuers. Nichts geschieht, die Trance macht ihn unverwundbar.
Es ist für mich unmöglich, meinen eigenen Zustand während solcher Vor¬gänge zu beschreiben. Fassungsloses Kopfschütteln von Gerd, der solchen Dingen zum ersten Mal begegnet. Wie lange der Priester seine Hände in der glühenden, rauchenden Kohle hält, kann ich nicht sagen, jedenfalls lange. Er liegt nach vorne gebeugt und atmet ruhig, das Beben seines Körpers beginnt erst, als er seine Hände wieder zu sich nimmt und sich langsam aufrichtet. Alle Priester öffnen nun die Augen und erheben sich, doch an ihrem schwingenden Gang ist zu erkennen, dass sie sich alle noch im Stadium tiefster Trance befinden. Die Musik und der Gesang gehen weiter, die Melodien schwellen an und fallen wieder zurück, ohne Unterbrechung.

Nun beginnt ein neues Phänomen, das es nur auf Bali geben kann: Der „Kris-Tanz".

Der Kris ist ein langer Dolch mit feinster flammenförmiger, scharfer und spitzer Klinge, der in der Geschichte und Mystik Balis eine grosse Rolle spielt. Solchen Dolchen wird geheime Macht zugesprochen, und überall in Bali wurden mir fantastische Geschichten über solche Dolche erzählt. (Doch ich will nur von den Dingen berichten, die ich mit eigenen Augen gesehen habe, sonst würde ich diesen Brief wohl kaum in den nächsten Tagen beenden können. Ich kann mir ja jetzt sowieso schlecht vorstellen, wie es sich, in Deutschland gelesen, anhört. Ich für meinen Teil habe inzwischen schon zuviel mystische und unerklärliche Dinge erlebt, als dass ich noch nach erschöpfenden und erklärenden Antworten suchen würde. Die gibt es leider, leider noch nicht. Asien ist in solchen Dingen für einen kritisch denkenden Europäer zum Wahnsinnigwerden, glaub mir das.)

Der Oberpriester gibt nach und nach jedem der Trancetänzer einen Kris Dolch in die Hand. Ein Tänzer nimmt ihn, und im gleichen Moment wird er am ganzen Körper geschüttelt, er windet sich wie verzweifelt, bis seine eigene Hand wie ohne eigenes Zutun den Dolch gegen sich selbst wendet. Ein Balinese erklärt mir flüsternd, dass nun ein anderer, zerstoerender Gott versucht, den Tänzer zu töten, jedoch der Geist des ewig Guten, der sich augenblicklich im Körper des Tänzers befindet, ist mächtiger und wehrt den Stich ab. Schön und gut, diese Erklärung. Jedenfalls krümmt sich der Tänzer unter wildem Schrei unter dem Druck der Klinge weit nach hinten, fällt und taumelt zurück, die nadelspitze Klinge des Dolches sitzt auf seiner entbloesten Brust und zittert gewaltig, ja, und das ist das Wahnsinnigste, die Klinge biegt sich durch den Druck ders Stiches halbrund, ohne jedoch die nackte Haut des Tänzers auch nur anzuritzen. Es ist unfassbar, aber da ich das Ganze aus einem Meter Entfernung selber mit ansehe, ist eine Täuschung nicht möglich. Die Klinge, dieser harte, spitze Stahl, biegt sich durch den Druck seiner eigenen Arme, ohne den Menschen auch nur zu ritzen. Oft dauert diese Prozedur eine halbe Minute, bevor der Tänzer plötzlich das Messer wieder von seiner Brust reisst, faellt und wie erlöst von Wahnsinn, voll Freude und Seligkeit, erwacht aus seiner Trance. Wieder ein glücklicher normaler Reisbauer. Alle Priester beteiligen sich an diesem Ritus, bis auch der letzte den Dolch gegen sich selbst geführt hat und dadurch befreit ist von seiner Trance.

So klingt ein solches Tempelfest aus. Oft wird es schon dämmrig, und wir schleichen uns kopfschüttelnd und noch ganz unter dem Eindruck des gerade Gesehenen zu unserem Haus, inmitten von Palmen, inmitten eines Kampongs, einem kleinen balinesischen Dorf.

Feste, wie das beschriebene, habe ich in den ersten zwei Monaten viele erleben können. Gerd und ich waren dabei immer die einzigen Fremden.
Die Beschreibung dieser Ereignisse müsste nun weitergehen, jedes Mal mit dem Anfang: „Stunden darauf…“ oder „am darauf folgenden Abend..“ oder „kurz danach“, denn uns blieb kaum Zeit zur Erholung, kaum Zeit, das Gesehene zu verdauen.

Dazu kamen Musikaufführungen (regelrechte Vergleichsgefechte der groessten Gamelan Orchester Balis), Theateraufführungen, Schattenspiele, Hahnenkämpfe, Maskentänze, Leichenverbrennungen, Prozessionen zum Meer und so weiter und so weiter.

Gerd und ich ploetzlich einfach kapituliert, haben uns Fahrräder geliehen und sind regelrecht geflohen aus Denpasar und aus dem kleinen Dörfchen von Bambang, in dem wir ein kleines Haus gemietet hatten. So ging sie dann weiter, die Begegnung mit der Insel Bali und ihrer Bevölkerung, doch jetzt mit Fahrrad, Minimalgepaeck und Zeichenmappe, etwas laendlicher, doch mindestens ebenso heftig und vielseitig.

(So, ich werd jetzt mal Pause machen, ich bekomm ja kaum einen vernünftigen Satz zusammen. Mach auch mal ne Kaffeepause, Junge, der Brief läuft ja nicht weg!)

Ein paar Stunden später. Gleich weiter : aufs Fahrrad geschwungen, Landschaft, am rauschenden Meer entlang, hinein gehupft, wenn’s uns Spass macht, keine Menschenseele, nur irgendwo an die Bucht gezaubert, zwischen Palmen und viel schwarzem Sand, Bambushütten mit grossen, leicht geschwungenen Dächern bis zur Erde, Fischerboote, herrlich einfach, doch grellfarbig bemalt, Auslegeboote mit geschnitzter Delphinschnauze, draussen weisse Segel und grosse, grausilbrige Fische, die aus lauter Übermut oder weil es eben ihre Art ist, in die Luft schnellen, zwei bis drei Meter hoch, zurückklatschen und den Blick wieder freigeben zur kleinen Insel am Horizont, Nusa Penida, wo nach der Legende die Geister der Verstorbenen sich treffen und was weiss ich für Sachen machen. Wir bekommen Kokosnüsse gebracht, die gleich geschlachtet werden, vom Baum in den Magen, so ist’s recht, und das Aquarell wird schon ganz gut. Gelbes Licht und orangefarbene Boote hintereinander und Palmen und blaugelber Himmel und grüngelbe Berge, richtig schön und wahr. Natürlich gibt es nennenswerte Gegenargumente, aber egal, ich will ja malen. Am Warong an der Strasse Reis und getrockneter Fisch vom Bananenblatt, mit Händen zusammengemanscht, es gibt ja kein Besteck, und wenn es stimmt, dass man Lukullisches auch mit den Augen isst, so stimmt’s hier besonders, denn Reis, mit den Händen vom Bananenblatt gegessen, schmeckt eben besser.

Leichtes Auf und Ab von Hügeln aus Terrassenbauten, Reisfelder, Bauern, mit breitem halbrunden oder spitzrunden Geflochtenem auf dem Kopf, pflügen, ganz im saftigen Dreck des Feldes, fast bis zu den Knien im Wasser. Palmenwald über uns oder Waldtempel links oder rechts, selten ein Auto und wenn, dann ein zum Bersten gefüllter klappriger Bus, der tuckert, und die Leute winken. Hängebrücken, schmal und baufällig, über tiefe, steil abfallende Täler, rauschender brauner Fluss und waschende, badende Frauen, richtig schön nackt mitunter, Hans, guck doch noch mal ! Der maechtige Vulkan Gunung Agung, Sitz der Götter in fast 4000 Meter Hoehe und das letzte Mal 1963 böse und Lava in den Osten Bali’s speiend, kommt immer näher. Die Strasse verschwindet unter schwarz-violetter Sandmasse. Wir überqueren erkaltete graue Lava, die ein ganzes Dorf ins Meer und wegschwemmte, verbrannte Palmenstämme wie riesige Zahnstocher daneben, doch schon längst wieder neues Grün ueber allem. Es ist heiss, und wir schieben die Fahrräder durch einen Fluss; die Brücke holte die Lava. Was für ein Berg, dieser Vulkan, hört bis obenhin nicht auf, schlanker und gewaltiger zu werden, ueber 3000 Meter, und das auch noch in Bali . Kleine Dörfer, geschmückte Mädchen, Blumen im Haar.

Schon wieder ein Tempelfest. Ein Riesenungeheuer, ein ‚Barong’ von zwei Menschenbeinen getragen, langes zottigschwarzes Fell und gieriger Blick, mit vergoldeten Lederschnitzarbeiten, über und über Zotteln und kleinen Flitterspiegeln behängt, dabei Gamelanmusik und Trommeln und Beckengerassel, links und rechts kleine lange weisse Schirme. Das Ungeheuer schüttelt sich, mal vorne, mal hinten, wippt, beisst, fürchtet sich, wirbelt und glotzt herum. Es verkörpert ausge¬rechnet das Gute, ist Gott und Dämon zugleich und nebenbei auch noch Hauptdarsteller in einem besonderen Tanzdrama, wo er einfach wahnsinnig wird und lebendig und Liebling aller Balinesen. Er tanzt vorbei, verschwindet hinterm Tempeltor, wo er wohnt und verehrt wird, und wir sitzen wieder auf dem Fahrrad.

Abends schlafen wir in Polizeistationen oder sonst wo, Adressen zum Wiederkommen, aber dann bitte für länger. Wohnen zwei Tage beim Bürgermeister von Tenganan, einem kleinen Dorf im Osten, mittendrin im Dschungel, bei den Bali-Agas, den sittenstrengen Ur-Balinesen, die wieder andere Riten haben, rein und ohne Einfluss von links und rechts im Laufe ihrer Geschichte, Waldgötter und Tempelfestvorbereitungen, Schweinefleisch und geröstete Hornissen, Delikatesse übrigens!

Wieder entlang Berghügelreisfelderterrassenbewässerungsgeplätscher, dann wieder das rauschende Meer, Ostküste, schwaerzer, rauer und karger und trockener und ärmer. Frauen endgültig und konsequent jetzt immer und noch : „oben-ohne“. Schönes Wort!

Du glaubst es kaum, während ich hier jetzt sitze, seit zwei Tagen, und Dir schreibe, hätte ich schon zehnmal wegrennen können, denn immer mal wieder tönt Musik oder Holzglockengetrommelgeschrei von irgendwo her, aber ich bleibe sitzen, wie jetzt, wo ich schon wieder Trommeln höre durch das Blättergewirr aus dem Kampong 10 Minuten hinter unserem Haustempel, links rum über den steilen Bach, wieder rechts, die Waldallee entlang. Also ich geh nicht zu meinem jungen Trommlerfreund mit dem feingeschnit¬tenen Gesicht, sondern schreibe weiter an meinem Versuch, wieder schreiben zu lernen. Dort üben sie wieder Musik auf Bambusxylophonen, einfache Wahnsinnstat, und dieser junge Trommler, der mich aufregt mit seinem abwesenden Gesicht, das zuschaut, wie ich skizziere und der dabei mit nur zwei Händen an den beiden Häuten seiner Trommel herumnestelt, und wenn man die Augen schliesst, hört man gleich zwei komplette Orchesterschlag¬zeuge in Ekstase, und dieser Bursche glotzt in die Gegend, und seine Hände, die spinnen total. Das ist für mich einfach unbegreiflich, wenn ich abends dort oben hocke, bis mir die Augen, die Ohren und der Rücken schmerzt, aber jetzt gehe ich nicht hin und schreibe das hier, damit Du auch gleich merkst, wie einfach das für mich ist, einen Brief von diesem Bali, über dieses Bali zu schreiben, zu Dir, von der ich durch einen mystischen Geist erfahren habe, dass Du im Augenblick schon in Erholung bist und dieser Brief Dir hoffentlich nachgeschickt wird. Ich werde noch wirklich überschnappen hier, aber ich bin ja ein sachlicher rationaler Mensch, der wirklich weiss, was er will, oder ?

(Was meinst Du übrigens, ob ich wohl, wenn ich wieder Zuhause in Krefeld bin, abends in Heckmann’s Kneipe sitzen, einem Kegelclub beitreten oder evtl. Billard spielen kann? Vielleicht sind Vergleiche mit Kegelclubs gar nicht so abwegig, eine Parallele mit der deutschen Freizeitbeschäftigung zu finden, denn letztlich ist diese Kunst hier für die Leute gar nichts anderes als Leben und normales Vergnügen. Leider hat die Kunst bei uns ja wenig mit dem taeglichen Leben selbst zu tun; was uns der Kegel ist, ist deren der Gamelan ... )

Aber, wieder aufs Fahrrad. Ich hatte Dir ja schon die Begebenheit mit der Priesterin und ihrem kleinen Waldtempelchen berichtet. Nicht? Du weißt schon, die, die uns andauernd gesegnet hat, bevor, während und nachdem wir gezeichnet und gemalt und alle ihre gesegneten Süssigkeiten genossen hatten. Dann brauch ich die nicht noch mal zu erwaehnen.

Nach langem Strampeln und Schieben und Reifen flicken und Pedale richten, kamen wir dann plötzlich in die Mitte Balis und standen hoch oben am Rand eines riesigen Kraters, in dem sich gleich ein ganzer neuerer Vulkan und auch noch ein Ammersee befindet, der glasblau ist und richtig wild aussieht, mit den dampfenden Lavafeldern daneben, etwas höher und unter der steil abfallenden Kraterwand, auf der sich die Ortschaft Kintamani befindet, wo wir gleich vier Tage blieben. Das Losmen, das ist ein indonesisches Hotel, kostet dort 40 Pfennig die Nacht, ist aber unbezahlbar, so wie’s da liegt und samt Bedienung und so einer Aussicht auf gleich drei Vulkane, davon zwei staendig tätig. So auch wir, die wir viel gemalt und gefroren haben, weil es erstens schön und zweitens abends saukalt war. Mit Decken umschlungen und Zähne klappernd in balinesischen Nebelwolken. So was gibt’s auch hier, inmitten der Tropen. Das Klima überhaupt ist eins der schönsten, nie zu heiss, nur ab und an ein Regenguss, aber dann gleich wie wahnsinnig, aus vollen Eimern, die die Geister da oben zur Verfügung haben. Also, Kintamani hat neben seiner erholsamen Kühle und seiner einzigartigen Aussicht auf violett-schwarze Lavafelder einen herrlichen Markt, alle drei Tage, was so ein richtiges Vergnügen ist, mit den alten und natürlich auch freibrüstigen jungen Marktweibern, um mit etwas zu handeln, das wie grüner Schlamm aussieht und als Erfrischungstrunk gilt. Alles wird versucht, die Devise. So was ähnliches wie Marktleben sollen auch diese schiefen Gestalten auf der Skizze über diesem komischen Schreibstil darstellen. Aber ich lerne ja noch.

Von Kutamani aus also wieder hinab ins Tal nach Denpasar, zur Post gerast, keine Luft mehr gekriegt. Immer noch kein Brief da; (der kam dann auch schon zwei Wochen später, na also.)

Zurück zu unserem Malerfreund Bambang, und siehe da, da ist auch der Werner, der Dritte im Bunde, angekommen aus Java, ist schon eine Woche da und hat gleich ein Ölbild fertig. Wir beziehen für einige Tage eine Prachtvilla direkt am Meer, hüpfen am eigenen Strand herum wie die Blöden und lassen alles baumeln und sind selig. Die Villa mit zwei Dienern gehört einem der bekanntesten indonesischen Architekten, der einige Bilder meiner beiden Freunde gekauft hatte und dazu bemerkte: Wenn Sie Lust haben, können Sie mein Haus auf Bali bewohnen. Das Haus war dann eben eine Villa, wie sie selten ist sogar in Europa.

Irgendwie wurden wir nach einigen Tagen für kurze Zeit wieder vernünftig und beschlossen, uns zurückzuziehen von der Hauptstadt und wählten Ubud, wo wir jetzt wohnen in diesem Superhaus. Wöchentlich zwei Mal fahren wir in einem dieser wahnwitzigen Omnibusse, die die 25 km nach Denpasar in ein bis drei Stunden durchrasen. Wie man das macht, ist uns immer noch nicht klar, denn die Zeit vergeht uns immer im Fluge, aber wenn wir dann in Denpasar ankommen, ist’s halt immer zwei Stunden später. Dann geht’s zur Post und zu Freunden, hier ein Schwätzchen, da ein Tee, und am Abend fahren wir wieder heim, weil wir so schnell Heimweh kriegen nach Ubud.

(Also jetzt habe ich gerade gegessen, bin für ein paar Stündchen herum¬gelaufen und bin wieder zurück mit vollem Reisbauch und hab auch schon wieder diese Seite fast voll gekritzelt, und was ist? Die trommeln und spielen immer noch dahinten, ein paar Palmenstämme, Farnkräuter und Waldgeister weiter. Wenn sie jetzt nicht bald aufhören, muss ich doch noch dahinter laufen, durch die zirpende Nacht.)

Vier oder fünf Wochen sind wir jetzt in Ubud, haben schon viele Freunde und Bekannte. Es kommen schon ab und zu ein paar neugierige Touristen um die Ecke, wollen diese drei deutschen Maler besuchen. Und das schon ein paar Mal. Zwei meiner richtig schönen Aquarelle hängen in der grossen Galerie eines sehr netten Malermenschen aus Holland, Han Snell, ganz in der Naehe, der schon zwölf Jahre hier in Bali lebt, und unter den Bildern steht: Hans Höfer, Bali, 50 und 60 Dollar, was sind zusammen 440 Märker, und wenn die verkauft sind, dann lach ich mir einen, das heisst, eigentlich schon wieder einen. Das wird, wie mir unser kleiner Hausgeist voraussagte, am nächsten Samstag sein, also in vier Tagen. Ich werd Dir dann sagen, ob er Recht behalten hat. Dass ich zwei Geschwister habe, hat er ja schliesslich auch gewusst und auch, dass ich noch nach Australien komme und auch wieder nach Deutschland. (Komisches Zeug schreibt der Junge da). In Vollpension sind wir übrigens auch inzwischen, pro Tag drei wahnsinnig leckere Mahlzeiten, plus Nachtisch, für je 30 Pfg. pro Mahlzeit. Mit Zigaretten macht das pro Tag etwa 1 DM, da könnte ich also von den 440 Mark wie lange hier leben ?

Sei aber doch etwas beruhigt, ganz bin ich der westlichen Kultur doch nicht verloren gegangen. Nach Australien werde ich schon noch irgendwann gehen und nach Deutschland auch, und ganz im Vertrauen, Südamerika werde ich mir ganz sicher auch noch ansehen, bevor ich dann endgültig … Also die hören heute wohl nie mehr auf mit ihrem Bambus Gamelan !

Liebe Mutter mein!
Sei mir bitte nicht bös, aber ich bekomm diesen Brief doch nicht zu einer vernünftigen Abrundung am Ende. Ich geb auch zu, dass es alles andere als eine schriftstellerische Leistung war, aber ich hab’s ja gleich am Anfang gesagt, auf Bali kann man nicht schreiben. Besorge Dir inzwischen die Bücher, die ich Dir schon empfohlen habe, und warte auf meinen nächsten Brief, dann erzähle ich Dir etwas genauer über mehr Tänze und Feste und Riten und Geister und alles, was mir einfällt. Ich hoffe, dass dieser Brief etwas zu Deiner Erholung beiträgt.

Sei tausendmal geküsst und umarmt von
Deinem Sohn der Winde

Hans