Letters home 1967 -1978

Monday, April 7, 2008

Bali - The First Steps



                                                                                                      

Bali, 29. 5. 68

Liebe Mutter

Wir sind in ein kleines Dorf, 3 km ausserhalb der Hauptstadt Den Pasar gezogen. Ein kleiner Raum, mitten drin im Bali-Leben. Wir treffen uns jedenTag mit einem der bekanntesten Maler Indonesiens, Affandi, der im Augenblick auch hier in Bali malt. Dann geht es in seinem roten Mustang Sportwagen zu den schönsten Stellen Balis.

Jeden Tag gehen wir zeichnen und malen, die restliche Zeit ist ausgefüllt mit Besuchen von Tanz und Musik, religiösen Festen und Riten, die sich nur so häufen. Zum Schreiben komme ich bei der Fülle von Eindrücken kaum, ich werde Dir aber später ausführlich berichten.

Noch einige Tage bleiben wir hier in Den Pasar, dann geht es für eine Woche in die Berge. Die Dörfer dort sind einfach paradiesisch. Blumen und Farben wie kaum zuvor gesehen. Einfach traumhaft. Ich habe noch nie ein solches Volk gesehen. Alles, was sie anfassen, wird schön. Lauter Künstler. Die Musik, der Tanz, die verschiedenen Formen des Theaters, alles ist von einzigartiger Anmut und Schönheit. Und dabei sind es ganz einfache Menschen, meistens Bauern, die solche Dinge hervorbrachten. Die Tempel stehen verwittert und überwachsen inmitten üppiger und wuchernder Vegetation. Dann gibt es auch noch einen schwarzen Sandstrand mit farbig bemalten Auslegebooten.

Ein Leben ist das wieder!
Übrigens ist die Erdkruste hier am dünnsten. Daher sind die einzigen, die hier ständig tätig sind, ein paar Vulkane. 

Ich hoffe nur, dass das mit der Postverbindung zu Dir gut geht und Du nicht zu lange auf die Briefe warten musst. Indonesien ist halt wieder ein Land, wo der ganze Verwaltungsapparat hinkt und stinkt. Korruption ist Trumpf. Hier gab es in der letzten Zeit überall eine zwei- bis dreihundert prozentige Preiserhöhung, und das entwertet mein Geld so sehr, dass ich sparen muss. (Essen und wohnen ist jedoch noch reichlich billig, und so komme ich mit 2 DM am Tag hin). Je genauer ich mich nach den Kosten für die Weiterreise erkundige, um so teurer scheint es zu werden. Oh Elend, die ewigen Penunzen! Ich sehe daher, obwohl alles sehr farbig ist, manchmal grau bis schwarz. Mit tränendem Auge muss ich halt auch die Wichtigkeit meines beruflichen Erfolges wieder ins Auge fassen. Aber dann! In Australien komme ich dann blank an: eine lange Hose, eine zur kurzen Hose abgetrennte Blue Jeans, einem Paar Badeschlappen, einem Khakihemd und einem blau-weiss karierten, zwei Unterhosen und sonst Kleinkram. - Aber einen Rucksack voll herrlicher Erinnerungen. Ich bin also reich !

So gesehen ist Bali ein Abschluss des schönsten Lebensabschnitts meines Lebens. Wenn ich jemals hierher zurückkomme, dann hat sich sicher alles verändert. Denn das geht rasend schnell. Wir werden sehen, was daraus wird. 

PS. Ich möchte ja sooo gerne mal wieder einen richtig langen und schönen Brief schreiben, habe aber einfach keine Lust.

Verzeih die Kürze.

Viele Grüsse von Deinem Hans




Bali, 4. 6. 68

Liebe Mutter,

ich hoffe nur, dass Dich meine Post bis jetzt regelmässig erreicht hat. Ich schreib Dir heute noch einmal, da ich morgen mit Gerd zu einer kleinen Rundreise durch Bali starte. Zeichenmappen und kleinstes Gepäck nehmen wir auf unseren geliehenen Fahrrädern mit. Fahren, bis was Schönes vorbei kommt, dann malen und wieder weiter. Du kannst Dir vorstellen, wie schön das ist und wie ich mich darauf freue. Nur ist es wieder schwierig, im Landesinnern eine Post zu finden, daher wirst Du wohl zwei Wochen lang nichts von mir hören. Mach Dir also keine Sorgen, wenn Du eine Weile nichts von mir hörst.

Das Erlebte und Gesehene der letzten Tage stellt alles in den Schatten, was es bis jetzt gab. Ich bin am Rande meiner Fähigkeit angelangt, so was Eindrucksvolles zu schildern. Das muss später mal geschehen. Hier in dem kleinen Dörfchen, in dem unser gemietetes Haus steht, ist so viel los, in Deutschland nicht mal in den kühnsten Träumen auszumalen. Farbe, Farbe, Kunst, Religion, Tanz, Theater. Die kleinen, schmalen Erdstrassen sind links und rechts mit kunstvoll geflochtenen Bambusmasten geschmückt. Die Frauen arbeiten von morgens bis abends an der Zubereitung der religiösen Opfergaben, 5 Tage in der Woche, der Rest bleibt für Feldarbeit und den Haushalt. Was sie so selbstverständlich zusammenflechten, schmücken und bereiten, wird zu Kunstwerken, die freilich nur wenige Tage anhalten, bevor sie verdorren, verbrannt oder geopfert werden. Dann werden sie sofort durch neue ersetzt. Kleine Tempelchen überall. Hunderte. Den ganzen Tag über Musik von irgendwo her, Xylophon und Glocken, riesige Gongs, Trommeln und Flöten. Jeden Tag können wir Programm machen, uns aus den verschiedenen Tempelriten die passenden und nächsten regelrecht aussuchen. Solch ein Opferfest beginnt gegen 2 Uhr nachmittags und geht dann gleich bis zum nächsten Morgen durch.
Wir malen und zeichnen täglich in irgend einem Tempel, bis die Augen weh tun. Da wir die einzigen Fremden sind, werden wir überall mehr als freundlich aufgenommen. Wenn wir zu müde werden, legen wir uns in eine Tempelecke auf ausgebreitete geflochtene Matten und schlafen erschöpft, während die Zeremonien weitergehen. Kaum eine Nacht kommen wir vor 3 oder 4 Uhr in unser Haus zurück. Jetzt haben Gerd und ich einen Punkt erreicht, wo wir einfach kopfschüttelnd daneben stehen, es nicht mehr fassen können, was es da noch alles gibt. Du kannst Dir das nicht vorstellen.
Allein die Schilderung eines Tages würde Seiten füllen. Jetzt sind nur Notizen und Zeichnungen möglich. Täglich Hahnenkämpfe. Die Nächte hindurch opfern und zelebrieren die Priester. Alles geht tanzend vor sich, von einer Anmut und Ausdruckskraft, wie ich sie noch nie gesehen habe. Spät dann geraten die Tänzer und Priester in tiefe Trance und Ekstase. Fremd und mit komischen Gefühlen in der Rückengegend stehen dann Gerd und ich dazwischen, während Dinge geschehen, die ich nur mit Magie beschreiben kann und die unbegreiflich erscheinen für uns. Noch müde und von dem letzten Abend beeindruckt, werden wir gegen 10 bis 11 morgens schon wieder aus unserer kleinen Hütte geholt, wenn lange Reihen von zauberhaften Frauen mit ihren neuen Opfergaben an unserem Haus vorbei ziehen. Sie tragen Schalen, die bis zu ein bis zwei Meter hoch aufgestockt sind mit Früchten und Figuren, Masken und Opfergaben. Manchmal glaube ich wirklich, ich spinne. Glaube mir, dass ich einfach so lange, wie es eben geht, noch hier bleiben muss und malen. Nach der langen Zeit des Nichtstuns ist das wirklich wichtig, und ich lerne viel durch den gegenseitigen Austausch mit Gerd und den vielen Malerfreunden, die wir bereits haben. Australien ist eben dann für einige Wochen hinausgeschoben. Wenn Du das alles sehen könntest, Du würdest mich besser verstehen.
Wir planen auch eine kleine Ausstellung unserer Bilder, und wer weiss, vielleicht kann ich was verkaufen. Ich arbeite zwar nicht auf den Verkauf hin, male für mich und um zu lernen und meinen Stil zu verbessern.
Ich werde dann von Australien aus einen Teil meiner Bilder schicken. Bis jetzt habe ich etwa 30 gemacht. Heute habe ich wieder neues Papier für die Rundreise gekauft. Am Schluss, so hoffe ich, kann ich ein beibendes Bali, mein Bali, mitnehmen. Nur noch wenige Jahre wird es hier noch so sein. Dann wird Bali ein geschäftiges Hawaii oder Mallorca. Ein asiatische Oberammergau. Das Bali, wie ich es jetzt noch erleben kann, ist dann nur noch Slogan für Werbeprospekte und Dollar, Dollar, Dollar.
Sei mir nicht böse, wenn ein längerer Aufenthalt hier vielleicht nicht so ganz Deinem Wunsch entsprechen sollte. Schreib mir nach hier.

Für heute, und für 1 bis 2 Wochen, sei herzlich umarmt und geküsst

von Deinem Hans

der sich die Haare wieder ganz kurz geschnitten hat und in langem Batikrock hier herumhüpft, zwischen herrlichen Frauen, die meistens oben ohne herumlaufen, das muss man sich mal vorstellen!



Bali, 19. 6. 68

Liebe Mutter,

So oder so ähnlich ging es 4 Tage lang : An einem kleinen Markt halten wir an, stellen unsere beiden Fahrräder zwischen die kleinen Verkaufsstände und schlendern durch die Reihen von Marktweibern, zwischen geflochtenen Körben voll vom Allerlei der balinesischen Küche, trinken Tee und essen Reis, getrockneten Fisch, zerriebenes Fleisch, scharf gewürzt mit winzigen Peperonischoten, den Chillys. Die Leute schauen uns an, als kämen wir vom Mars. Wir tragen die gleiche Kleidung, Batikrock, Sarong genannt und dünne Latschen. Ein junger Mann, dessen weisse Kleidung und lange, hinten geknotete Haartracht einen Hindupriester verrät, spricht uns an. Gerd, der schon gut indonesisch spricht, übersetzt mir ab und zu. Er erzählt uns vom Leben in diesem kleinen Dorf, von Tempelfesten und spricht über mystische Geschehnisse von Heilungen durch gesegnetes Blumenwasser und vieles mehr. Wir nehmen unsere Zeichensachen mit und folgen ihm auf glitschiger Erdstrasse, die direkt in den Dschungel zu führen scheint.
Am Morgen hatte es etwas geregnet. Saftiges, tropfendes Grün umgibt uns. Wir betreten das Dorf, eine Schar von schwarzhaarigen halbnackten Kindern folgt uns. Grobe Steintreppen, von Moos überwuchert, führen vom Hauptweg zu ummauerten Häusergruppen, deren Bambus gedeckte Dächer aus der wuchernden Vegetation lugen. Frauen stampfen in grossen steinernen Köchern Reis, ein dumpfer Rhythmus der niedersausenden Holzstampfer liegt in der Luft.
Wir betreten einen Tempel durch ein steinernes Tor, über und über mit fürchterlichen Dämonenmasken geschmückt. Bevor wir anfangen zu malen, bittet uns der Priester zu einem kleinen Tempelbau. Er schlägt einige weisse Tücher zurück, und wir stehen vor riesigen Masken, holzgeschnitzt, bemalt, die uns anglotzen, halb Tier und halb Dämon, geschmückt mit kleinen Spiegeln, Leder und Zottelfell. Der Priester erzählt ehrfurchtsvoll von der geheimen Kraft, die in diesen Masken wohnt, entzündet dünne Räucherstäbchen und bittet uns, uns niederzusetzen. Er betet halblaut für unsere gesunde Wiederkehr in West-Germany, bittet um den Segen für unsere Arbeit, besprenkelt uns mit geweihtem Blumenwasser, räuchert uns noch ein bisschen ein. So gesegnet und nach der religiösen Sitte mit einer Blume hinterm Ohr wollen wir anfangen, aber da gibt es erst noch Tee, und dann steigt einer der Jungen wie ein Affe auf die nächste Palme und holt uns zwei riesige Kokosnüsse herunter.
Gesegnet und gelabt also malen wir vor uns hin, meine Tempel werden grell orange und gelb, alles wuchert; ich bin bescheiden, also zufrieden. Dann gibt es Süssigkeiten aus Reis und Zuckerguss, dazu die süsse Kokosnussmilch und den Segen der Dämonen. Uns geht es gut.
Nach einigen Stunden dann ziehen wir weiter, nicht ohne noch einmal ein köstliches Mahl mit den Händen von Bananenblättern verspeist zu haben, und mit einer Einladung, ins Dorf zurück zu kommen, beim Priester einige Tage zu wohnen und dort zu malen.

Fast 3 Wochen lang also sind Gerd und ich mit dem Fahrrad um Bali gekurvt, haben wie immer einheimisch gegessen, geschlafen in Bambushütten, in Polizei- oder Militärstationen und in billigen Losmens. Fast täglich gemalt. So ist die Ausbeute befriedigend, und ich glaub, Dir wird es gefallen. Zurück hier in Denpasar zogen wir wieder für einige Tage um in ein grosses Haus am Meer, mit Ausblick auf eine Bucht, Palmenwälder und Stufenbauten der Reisfelder, am Horizont der fast 4000 m hohe Vulkan Gunung Agung, der noch tätig ist. Herrlich, herrlich!
Dann sind wir jetzt zu dritt, da der Freund von Gerd, Werner Hahn, aus Java nachgekommen war. Inzwischen haben wir in Ubud im Landesinnern ein kleines Haus gemietet mit drei Räumen, zwischen riesigen Bäumen und Bananenpalmen, ein Ziehbrunnen mit frischem kalten Wasser, ein kleines Paradies wie alles hier und dazu für die Unsumme von 6 DM pro Monat. Dort werden wir Ende dieser Woche einziehen und malen, malen. Mein Aquarellkasten geht schon zur Neige, ich werde mir was neues kaufen.
Was soll ich noch erzählen – ich glaube, Du verstehst langsam, was sich hier tut. Wie erwartet, sind noch keine Briefe an mich hier angekommen. Die Post ist eben katastrophal wie die ganze Verwaltung Indonesiens. Schreibe bitte noch einen Brief und zwar poste restante Denpasar, Bali, da ich inzwischen einen Freund hier in der Post habe, der die Briefe an uns persönlich sammelt und zurückhält.
So weiss ich wenigstens, dass es hier in Bali etwas zuverlässiger ist. Die Vorstellung, dass man sich für etwa 500 DM noch ein Haus bauen kann am Meer, in einer Landschaft, die einfach einzigartig schön ist, kann einen wahnsinnig machen, denn schon jetzt zeichnet sich ab, dass Bali einmal eins der grossen Touristenzentren sein wird. Das wäre was fürs Hänschen, stehe aber mit weinendem Auge da und muss einsehen, dass das liebe Geld noch fehlt, und dann bin ich alt und reich, und es ist wieder zu spät. O Elend, o Elend. Doch ich geb mich halt zufrieden mit dem, was ich jetzt hier sehe und erlebe.
Gestern habe ich einen alten „Stern“ in die Hände bekommen. Wir drei haben uns abwechselnd daraus vorgelesen. Es ist gar nicht zu beschreiben, wie eigenartig es ist, hier auf Bali solch einen Mist zu lesen! Was für eine wahnsinnige Welt ist das doch! Die einzigen Informationen, die wir seit 4 Wochen bekamen, war der Mord an Kennedy und die Studentenunruhen in Europa. Kennedys Tod ist das erschütterndste Ereignis seit langem für mich. Die unsinnige Gewalt, die Amerika predigt, kehrt sich nun mehr und mehr gegen sich selber, ein Wahnwitz, wenn man bedenkt, dass dieses Land die ganze Erde glücklich machen könnte mit seiner Macht und mit seinem Reichtum. 60 Millionen kostet jeder Tag in Vietnam; Indonesien bettelt seit Monaten um einen Kredit über 300 Millionen. Fünf Tagesraten Vietnam und Menschen hungern weiter.
Das Zusammensein mit Gerd und Werner ist einfach Klasse. Es sind grossartige Burschen, die ständig lachen. Es gibt stundenlange Diskussionen über dies und das, Kunst, Religion, Leben, Malen, Lieben und ohne Ende. Ich lerne viel von ihnen.
Ich lebe fürstlich gut, wie kaum zuvor und gemessen an den hiesigen Verhältnissen sogar luxuriös. Und das Wichtigste nicht zu vergessen: ich male meine Bildchen. Wann habe ich jemals zuvor in 4 Wochen 30 Aquarelle gemacht? Nie. In Kintamani zum Beispiel, wo wir 5 Tage in einem kleinen Hotel am Rande eines alten Vulkankraters in 1600 m über den Wolken gewohnt haben, gingen wir zwei nur zum Essen aus dem Haus. Die andere Zeit wurde gemalt von morgens bis abends. Der Blick von dort auf einen riesigen See, auf violette erstarrte Lavamassen und auf noch rauchende kleinere Krater am Berg vor uns, Palmenwälder, Reisfelder und klare kalte Luft gehört halt mit dazu in Bali. Abends Maskentänze, religiöse Riten, die nie zu enden scheinen. Die Götter und Dämonen sind lebendig in Bali, meinem Paradies.

Ich will Dir nur wieder ans Herz legen, Dir einige Bücher über Bali zu besorgen. Bitte, tu’s auch für mich, damit ich weiss, dass Du Dir ein Bild von dem machen kannst, was ich hier sehe und erlebe, in welcher Umwelt sich Dein Sohn befindet.

Von hier gehen wieder meine Gedanken zu Dir, meiner Mutter, zu Harald und Helga und zu allen, die ich liebe.

Dein glücklicher Sohn Hans



1. 7. 68 Bali

Liebste Mutter

Diesmal ganz kurz, dafür zum gucken. Wohnen jetzt schön einheimisch in Ubud, das ist so was wie Kultur-Zentrale Bali. Das Leben zeigt sich schön wie nie zuvor. Arbeite an längerem Brief, der bald in ein paar Jahren fertig sein wird. Habe gestern eine Leichenverbrennungszeremonie gesehen. Man kann wahnsinnig werden, was es hier alles gibt. Bali ist einfach wahnsinnig, wahnsinnig, wahnsinnig, wahnsinnig, und ich bin hier!

Wahnsinnskuss
Ein Urbewohner von Bali


Way to Bali

Auf dem Weg nach Djakarta, 4. 5. 68

Lieber Rolf!

Da kannste mal wieder sehen, wie es so geht!
In Kuala Lumpur hatte ich also nach ein paar Tagen meine Visasammlung bis Australien zusammen. Ich hatte den zweiten Bericht noch nicht beendet und wollte die Neuigkeiten auf der Post in Singapore noch abwarten. Nach einem ganzen Tag Hitchhiken kam ich erst spät abends in Singapore an. Im Sikh-Tempel dort, einem der Gammler-Treffpunkte, traf ich am Abend noch einen alten Freund, den ich seit einem Jahr immer mal wieder getroffen hatte. Er war schon seit einigen Wochen in Singapore und hatte inzwischen schon Kontakt mit einigen Schiffsagenten aufgenommen. Am anderen Morgen flitzten wir gleich zusammen in so ein Büro, und stell Dir vor, es klappte und zwar in rasender Geschwindigkeit. Ich hatte gerade noch Zeit, zur Post zu rasen, mir 4 Filme zu kaufen und meine Sachen zusammenzupacken. Um 1 Uhr mittags war ich auf einem Frachter. Kosten für eine Woche Mampfen an Bord: 28 DM. Sonst freie Überfahrt! Das ist mal wieder einer von jenen seltenen Glücksfällen, denn es ist sehr schwierig normalerweise, von Singapore nach Indonesien zu gelangen. Jedenfalls viel, viel teurer. Du kannst Dir natürlich wieder meine Jubelstimmung vorstellen.
Jetzt sitze ich in einer Offizierskabine, meine Koje direkt hinter mir. Ich esse mit den Offizieren zusammen und lebe wie ein König. Die Leute zerfliessen vor Freundlichkeit. Zuerst geht es nach Norden, zu irgendeinem Hafen in Sumatra und von da wieder nach Süden, über den Äquator bis nach Djakarta, von wo ich dann erst diesen Brief abschicken kann.
Inzwischen habe ich auch Grüsse von Dir durch meine Mutter erhalten und höre, dass es Dir doch noch gelungen ist, den Bericht über Malaysia in die Zeitung zu bringen. Ich danke Dir herzlich für Deine Hilfe. Hoffentlich macht Dir die ganze Sache Spass, und hoffentlich hast Du nicht zu viel Arbeit und Telefoniererei. Diese beiden Berichte nun werden wohl etwas leichter an den Mann zu bringen sein, zumindest der über Laos, da wohl auch bei Euch die Zeitungen voll von Asiens Problemen sind. Eben hörte ich auch im Radio die Nachrichten, dass in Nordthailand wieder neue Kämpfe ausgebrochen sind, ganz in der Nähe der Orte, die ich erst vor 4 Wochen besucht hatte.So habe ich also noch einige Tage Zeit, den Brief an Dich wirklich zu beenden.
Aber jetzt gehe ich erst mal in die Kantine essen. MAHLZEIT!!!

Ich lebe bestens. Reis, zwei Sorten Fleisch, eine Gemüsesuppe und ein Apfel zum Nachtisch. Die Mannschaft besteht aus meistens sehr dunkelhäutigen Prachttypen. Englisch können nur wenige, dafür wundern sich die Älteren, dass sie einiges Deutsch verstehen können. Sie haben ja noch Holländisch in der Schule gelernt und wussten gar nicht, dass Deutsch so ähnlich klingt. Wir fahren langsam durch die See, die so flach und unbewegt ist wie meine Schreiblaune. Daher immer mal wieder ein paar Sätze mehr. Sauhitze, wenn die Sonne am Mittag im Norden steht!
Nachts liege ich übrigens im rechten Winkel abwärts von Euch!
Das kann ich kaum glauben, so ein Matrose verdient 900 Rupiahs im Monat, bei freier Kost und Kleidung ! Einen Dollar wechselte ich in Singapore für 335 Rupiahs auf dem Schwarzmarkt. Wo bin ich ?

Nächster Tag !
Gegen Nachmittag stoppten wir zwischen zwei Palmeninseln vor einem Ölhafen in Ost-Sumatra. Dumai heisst der Ort. Gegen Abend ging ich von Bord, um mich ein wenig umzuschauen. Der erste Eindruck: zu viele Kinder und absolutes Elend. Ich befürchte schon jetzt viel Kummer für Indonesien, da es mich gleich an Indien erinnert. Mit einigen Matrosen dann kehrten wir ein, tranken warmes Bier und kalten Kaffee. Alles Holzhäuser und matschige Erdstrassen. Selbst nachts läuft der Schweiss in Strömen, es ist feucht drückend heiss. Eine Menge Dschungel gleich am Rande der Stadt. Spät erst kommen wir zurück an Bord.

Heute Morgen kamen Zollmenschen an Bord. Alles ging prima! Meine neueste Schmuggelaktion ist also wieder erfolgreich. Durch den Schwarzmarktkurs in Singapore habe ich mein Geld verdoppelt. Natürlich ist es verboten, Geld einzuführen. Aber na ja, -
Ich habe noch nie so viele Kakerlaken gesehen wie hier auf dem Schiff. Hatte heute Nacht gleich 5 davon in meinem Bett. Sie sind zwar harmlos, doch ich bitte Sie, gleich 5 auf meim nackten Leib ?
Es ist wirklich sagenhaft, in wie viel Arten man Tee zubereiten kann. Jedes Land in Asien (und deren sind ja viele) hat seine eigene Teemixtur. Der Tee hier schmeckt wie süsse Milch, ist aber trotzdem Tee.

8. 5. 68

Heute ist bitterer Mittwoch, das bedeutet Malariatag. Resochin zur Vorbeugung. Von der bekannten Nebenwirkung, unter der so manche europäische Tropenehe leidet und das dem Mittel obendrein den Spitznamen Stossdämpfer oder Schlappy gegeben hat, merke ich wenig. Wüste Brunstschreie ertönen Nacht für Tropennacht vom Oberdeck in den schwülen Nach-Monsun-Abendhimmel. O je, man müsste….
So gesehen sind die Tage hier, siehe Karte, Sumatra, Mitte, Osten, fast paradiesisch. Seemanns(k)los!!
Habe mir in Malaysia eine Wurzel gekauft, die todsicher Schlangenbisse abhält. Und siehe da, ich bin seither noch nicht gebissen worden. Rätselhaftes Asien !
Habe soeben wieder grosse Wäsche beendet. Hemd flattert am Fahnenmast. Hose wurde zur prallen Windhose, wehrte die Annäherungsversuche eines aufgeblähten Hemdsärmels erfolgreich ab! – Mensch, ich kann doch nicht schon wieder was essen! Mahlzeit !
Ach so, finde beim Reisen viel zu wenig Zeit zum Malen. Ich finde keine Ruhe. Habe mich im letzten Jahr zu sehr verändert!

9. 5. 68

Die Reise ging gestern endlich weiter. Tags zuvor wurde entladen und zwar auf dem Wasser mit einem Schwimmkran. Das war eine halsbrecherische Aktion. Alles Ausrüstung einer grossen Holzfäller-Organisation, darunter drei riesige Caterpilar. Hierbei kamen einige Europäer an Bord, die uns zur Nacht ins Landesinnere mitnahmen, in ihr Camp, wo sie mit ihren Familien wohnen. Es war nett dort, es wurde viel erzählt und gesoffen. Morgens früh waren wir wieder an Bord. Wir, das ist eine englische Dame und ich. Diese habe ich, wie ich gerade feststelle, noch gar nicht erwähnt, was aber kein Wunder ist. Ich habe noch nie ein solch geschlechtsloses Wesen kennen gelernt wie sie. Sie kleidet sich auch sehr verdächtig männlich und ist kaum Frau. Schönes Pech. Sie bewohnt eine andere Kabine natürlich. Sie reist seit 6 Monaten auf die gleiche Art und Weise wie ich, und sie hält es gut aus, was viel von ihrem Wesen verrät. Wir vertragen uns ansonsten gut. Ich bin halt ein umgänglicher Mensch !
Heute gegen 16 Uhr werden wir den Äquator überschreiten oder besser überqueren. Es regnet leicht. Zum Wochenende werden wir in Djakarta sein.

Der Schreibblock geht sehr schnell zur Neige. Nicht nur, weil ich von vorne schreibe, sondern weil ich die Blätter von hinten für andere Zwecke benutze. Du weisst ja, was das für eine Hetze in Singapore war.

Ansonsten haste ja genug zu lesen. Viele Grüsse an alle!

Also, auf wiederschreiben!

Dein Hans



Im Hafen von Djakarta, an Bord der Duren,
13. 5. 68

Liebe Mutter!

Am Samstag sind wir hier angekommen, da war die Hafenbehörde schon geschlossen. So liegen wir bis Montagmorgen hier vor Anker und warten darauf, dass die Behörden wieder aufmachen und wir endlich an Land können. Das gibt es nur in Asien ... dass solch ein grosser Hafen übers Wochenende Ferien macht.
Jetzt ist Sonntagnachmittag 3 Uhr, und ich sitze hier gelangweilt in der Offiziersmesse; es ist ja sowieso schon lange her, dass ich Sonntags in einer Messe war.

Bei Dir ist es jetzt 8 Uhr morgens, und da ich mir nicht recht vorstellen kann, dass Du zu den Langschläfern übergewechselt bist, wähne ich Dich, und wenn Harald übers Wochenende nach Hause gekommen ist, Euch am Frühstückstisch.

Ich habe die Zeit nach dem Essen mit dem Studium einer Weltkarte begonnen und kam gerade zu dem Ergebnis, dass ich jetzt seit Deutschland an die 40.000 km zurückgelegt habe. Ausserdem bin ich Dir in Deutschland nun um 7 Stunden voraus.
Wo wir gerade bei Schwindel erregenden Berechnungen sind, Indonesien ist auf meiner Reise das 21. Land und das 32. in meinem Leben. Hach, wie sexy sind doch statistische Zahlen! Da ich inzwischen beinahe unter die Seeleute gegangen bin: Unsere augenblickliche Position ist Süd 6° - 4Min 41 Sek/Ost 106° - 52 Min 41 Sek, das bedeutet, dass ich jetzt über den Äquator gerutscht bin und, falls ich mich hier aufrecht stelle, um ungefähr 58° Grad schiefer stehe, als ich in Krefeld aufrecht stünde.
Das ist auch der Grund, warum der Mond nachts so lustig auf dem Rücken liegt und auch, warum ich hier einen ganz anderen Sternenhimmel sehe, als zu Hause. Interessant, nich?!
Ganz nebenbei, und zu Deiner Beruhigung: Solltest Du jemals einen Brief von mir aus Neuseeland erhalten, so bedeutet das, dass ich dann, wohin ich auch fahre, immer auf dem Heimweg bin. Weiter weg geht’s dann nicht mehr, und Neuseeland ist schon gar nicht mehr so weit weg von hier. Da siehst Du mal wieder, wie klein unsere Erde ist ! So, das waren blödsinnige Betrachtungen am Rande eines schwülen, faulen Sonntagnachmittags.

Bevor ich Dir jetzt genauer erzähle, wie ich hierher gekommen bin, will ich noch mal schnell Deine letzten Briefe aus Singapore aus den Tiefen meines Rucksacks hervorkramen und erst auf diese eingehen. Entschuldige mich also einen Moment, bis zu meiner Kombüse sind es immerhin 7 Meter hin und 7 Meter zurück.
So, da bin ich wieder zurück („Junge, du musst ordentlicher werden,“ mahnte es gerade in meinem Gehirnkastel, als ich Deine Briefe nicht, wie fälschlich vermutet, unten rechts zwischen der sauberen Wäsche, sondern mehr oben links zwischen Arzneikästchen und Badebüchse auffand.)

Also : Harald hat eine Bude bezogen und ist ins Studentenleben eingetreten. Das ist schön!
Ich hoffe nur, dass er keine Zeit zum Demonstrieren findet. Studenten sind so’ne Typen, die auf unsere Kosten rumfaulenzen und dann auch noch Unruhe stiften. Die sollen lieber was schaffae ...
(Habt Ihr noch nicht an die Möglichkeit gedacht, dass Harald seine Studentenbude aufgibt und, so wie ich in Indien, im Wagen wohnt ? Er könnte dadurch Geld sparen, gehörte zu den so genannten „beweglichen Geistern“ und, bei bescheidenen Ansprüchen, kann man so einen Wagen ja gemütlich einrichten).
Dass er trotzdem 70,- DM aus Frankfurt für mich mitgebracht hat, das ist auch schön!
Dass Du Volker einen argen Faulpelz nennst, ist nicht schön!
Dass Du dabei bist, „auch wieder etwas“ für Deine Gesundheit zu tun, ist schön !
Man kann ja richtig ins Schleudern kommen, bei soviel Kinderkriegen in unserer Verwandtschaft. Im Kaffeeklatsch-Kreise kannst Du berichten, dass ich bei vorsichtiger Schätzung bis jetzt in 21 Ländern etwa 7 Kinder habe, 4 davon schlitzäugig und 3 mit analphatischen Müttern.
Und jetzt kommt Bali !

Meine geliebte Bangkok Touristin Steffi hat Dich angerufen und Dir sicher inzwischen auch meine Souvenirs zugeschickt. Sie ist ein liebes Mädel und schön. Komm mir bloss nicht auf die Idee, mir abends mein Opium wegzurauchen !
Ist die tolle Kette aus Tibet eingetroffen, die ich einer süssen Berlinerin mitgab?
Gottseidank sind auch die Souvenirs die ich den Frankfurtern mitgab angekommen. Da ist also eine kleine indische Tuchmalerei dabei, die auch der Walter kennt. Sollte Walter noch mal im Lande sein, gib sie ihm bitte. Wenn er noch Geduld mit mir hat, so zieht er sie auf und bepinselt sie mit farblosem Lack. Dann ist da eine kleine Bronzefigur eines krabbelnden Kindes, das eine Kugel in der einen Hand hält. Das ist der kleine Hindugott Krishna als Kind, wie er gerade seiner Mutter eine Kugel Butter klaut. Das ist eine der lieblichsten Gottesdarstellungen Indiens, ein sog. Lalschi. Die Figur ist sehr alt, wie ich annehme und mir sehr viel wert. Wenn Rolf noch mal vorbeikommt, so gib sie ihm bitte zur Aufbewahrung, bis ich zurückkomme. Die anderen Sachen bitte in Deinen Räumen oder bei Harald oder Helga an den Wänden verteilen.
Leider konnte ich ihm in Bangkok nichts mehr kaufen, da man bei Übertritt von Thailand nach Malaysia an der Grenze mindestens 150 US Dollar vorzeigen muss. Das ging bei mir sehr knapp. Ich hatte 154 Dollar in der Tasche.
Dass ich Omis Geburtstag vergessen habe, lag daran, dass ich den Brief mit Deiner Erinnerung zu spät bekommen habe.
Die Zeitungsausschnitte über Nepal und Wagenverkauf habe ich bekommen.

Stand der Dinge: Nach meiner Schätzung bis Ende Mai Bali, danach bis ungefähr 10. Juni Timor nach Darwin, hoffe auf einen Berg Post. Adresse dort: H.H. General Post Office Darwin, N.T. Australia.
„Busch“ in Australien bedeutet soviel wie „ausserhalb von Städten“, nicht, wie Du falsch annimmst, Wald oder gar Dschungel. Alles was dort herumhüpft, sind Kängurus, die so gefährlich sind wie Haralds Auto!

So viel also zu Deinen Singapur Briefen.

Inzwischen ist es Nacht geworden, und der Generator, der Elektrizität zauberte, ist nicht mehr. Bei einer winzigen Ölfunzel schreibe ich jedoch noch ein wenig weiter, da ich bei dieser Affenhitze kaum einschlafen kann. Ich habe hier in meiner Kabine reichlich Gesellschaft von schätzungsweise 436 Kakerlaken, die das bescheidene Format zweier ausgewachsener Maikäfer haben, existieren so seit 100 millionen Jahren, stolze Tiere also und mit Recht, sehr harmlos und liebenswert, wenn man nicht gleich 5 davon auf dem nackten Leib im Bett hat wie gestern Nacht. Hi, grad wieder eine am Bein, am linken !

Da zähle ich gerade nur noch zwei Blätter auf’m Block. Das hat man davon, wenn man soviel daherschwatzt.
Von Kuala Lumpur aus hatte ich einen guten Autostoppertag bis Singapore, wo ich am Abend im Regen ankam. Dort traf ich dann einen „Kumpan der Strasse“, der sich im Sikhtempel neben mir auf den Boden niederliess, zur Nachtruhe. Weiter draussen in der Chinesenstrasse brannte gerade ein kleines Haus gemütlich bis auf die Grundmauern nieder, als er mir ganz nebenbei erzählte, dass er jetzt durch einen grossen Zufall ZWEI freie Reisen mit dem Schiff auf einmal habe. Er hatte der zweiten gerade heute zugesagt und wollte am anderen Tag die erste absagen.
Da spitzte ich die Ohren, schon wegen dem Lärm auf der Strasse und arbeitete mit ihm zusammen einen Kriegsplan aus, wie ich es anstellen könnte, seinen Namen von der Passagierliste zu streichen und meinen dafür einzusetzen. Die Ausführung des Plans am naechsten Morgen kostete einiges an Energie und an Taxikosten von Botschaft zu Immigrationsbüro, zum Schiffsbüro, zurueck zum Tempel, zur Post ...
Doch stell Dir vor: Nachdem alles geregelt war, verabschiedete ich mich von diesem Knaben in der Eile irgendwo nahe Post, doch etwas hatte ich vergessen: mir die Adresse des Schiffsbüros aufzuschreiben ! Nun, da ich mich von ihm verabschiedet hatte, stand ich allein an einem ganz anderen Ende der Stadt und er war in der Menschenmenge verschwunden. Es war 11.45 Uhr, und um 12 sollte ich dort sein, aber wusste weder Strasse noch Namen der Agentur! Eine Minute lang totale Panik. Aber dann kommt die wohl grösste Leistung meines nun als Wunderbegabung bewiesenen Ortsgefühls: Ich bestieg ein Taxi in wütender Verzweiflung, denn ich hatte meine freie Reise schon schwinden sehen, jagte es zurück zur indonesischen Botschaft, von wo aus wir am morgen bei strömendem Regen zur Schiffsagentur gestartet waren. Singapore, ein Gewirr von Strassen und Gassen ... Wie ich mir das merken konnte, weiss ich nicht, denn bei der ersten Fahrt hatte ich mich in der Freude des gelungenen Streiches ständig mit meinem Freund unterhalten und garnicht auf die verregneten Strassen geachtet. Doch, um das stinkende Eigenlob zu beenden: Ich weiss nicht wie, aber um 12.05 Uhr dirigierte ich den perplexten Fahrer an einem Haus vorbei, und meine Nase juckte: hier. Nach wilder Kreuzfahrt sah mich der chinesische Taxifahrer schräg an, als ich ihm freudig einen Dollar Trinkgeld gab und noch rechtzeitig beim Schiffsagenten eintrudelte. Eine halbe Stunde später stachen wir in See. Mensch Meyer, das werde ich nie vergessen!

Das Schiff selbst ist ein kleiner Dampfer, ein ausgedienter polnischer Frachter, schon verrostet. Die Mannschaft, 32 Mann, sind sehr nette Leute, vor allem die Offiziere, junges Volk meist. Sie pflegen mich seit 9 Tagen nun wirklich rührend. 3 Mahlzeiten am Tag und zwischendurch Tee.
Die Fahrt ging zuerst nach Dumai, einem winzigen Ölhafen an der Ostküste Sumatras, wo wir drei Tage vor Anker lagen, bis unser Schiff entladen wurde. Dort hatte ich auch Gelegenheit, einige Stunden von Bord an Land zu gehen und das Leben in einer sehr armen, kinderreichen Kleinstadt auf Sumatra zu beriechen. Dort traf ich auch einige Europäer, meist Engländer, die für eine grosse Holzfabrik in Holland arbeiten, bei denen ich dann auch eine Nacht im Waldlager verbrachte. Von Sumatra ging es dann wieder nach Süden, durch eine spiegelglatte Südsee, an hundert kleinen Inseln vorbei. Das Leben an Bord war, wie meist auf Schiffen, sonst wenig abwechslungsreich; ich schrieb viel, spielte Schach mit dem Kapitän, lungerte stundenlang auf der Brücke herum, sah beim Funker, Steuermann und bei der Navigation zu und verbrachte viel Zeit in meiner Koje, im Kampf mit Kakerlaken und Bücher lesend.
Mein Reisegeld für Indonesien habe ich vorweg in Singapore gewechselt auf dem Schwarzmarkt. Dadurch habe ich es fast verdoppelt. Die 60 Dollar, die ich gewechselt habe, werden bestens reichen. 1 Dollar pro Tag plus einige schöne Souvenirs, wenn’s gut geht. Leider, leider sind mir wieder die Filme für die Minox ausgegangen. Einige Dollars habe ich mir noch für Australien aufbewahrt, damit ich mich dort bis zu der ersten Arbeitsstelle über Wasser halten kann. Und dann geht es ernsthaft ans Millionär werden. Optimismus steht quer über meiner Fahne, und Du wirst sehen, es geht alles gut.

Soviel für heute. Morgen schreibe ich auf der Botschaft noch schnell einige Zeilen dazu, und dann geht der Brief sofort auf die Luftreise!


14. 5. 68

Wieder denkste! Kam am Montag zu spät vom Schiff weg und gerade noch zurecht, um das Schlusslicht des letzten abfahrenden Botschaftswagens zu sehen. Ab 14 Uhr geschlossen ! Die haben’s Gut.
Jetzt ist also Dienstagmittag, und ich hab endlich die Post: einen Brief von Walter, einen von Frank Baier und auch von Dir, auf den ich ganz kurz eingehen will, bevor ich zur Post rase :
Ich fahre morgen gleich weiter durch Java, da es hier in Djakarta kaum Reizendes gibt. Gut, dass Du alle Souvenirs hast. Jetzt fehlen nur noch einige aus Katmandu, die ich einem Geologen in Thailand in die Seekiste gesteckt habe : Horn mit Schriftzeichen, Tschang-Holzflasche und Kupferkrug aus Tibet. Tolle Sachen !
So, nun aber endgültig zur Post mit dem Brief!

Sei lieb umarmt und vielmals geküsst von

Deinem Söhnchen.

P.S.
Die ersten Beträge auf meinem Konto gehören Dir zur Rückzahlung Deiner , mein Gott, 350,- DM. Ich wohne noch auf dem Schiff. Das Visum für Portugiesisch Timor war unerwartet teuer.
Und bitte, bitte, pflege Dich !



Bali, 23. 5. 68

Liebe Mutter!

Endlich bin ich in Bali.
In der letzten Woche habe ich wieder so viel gesehen und erlebt, dass ich es gar nicht mehr glauben kann, dass ich erst 10 Tage in Indonesien bin. Von Djajarkta fuhr ich gemütlich durch Java, durch ein herrliches Treibhaus mit vielen armen Menschen. Stellenweise werde ich an die Zustände Indiens erinnert. Doch die Menschen sind einzig. Ich habe unverhofft wohl das schönste Land und die schönsten Menschen auf der ganzen Welt gefunden, und das will nach alldem, was ich gesehen habe, etwas heissen. Die besten Frauen sind es jedenfalls, sicher.
In Zentraljava, in Jogjakarta, traf ich dann zwei deutsche Maler, mit denen ich mich angefreundet habe. Beide ganz grossartige Burschen, aus Nürnberg, die das gleiche Studium wie ich hinter sich haben. Sie sind seit 2 Jahren unterwegs, haben fast die gleiche Route wie ich gemacht, waren sogar am Everest. Der Unterschied zu mir ist, dass sie weniger gereist sind und mehr gemalt und gezeichnet haben. So ist es ihnen gelungen, in Bangkok mit Hilfe der Deutschen Botschaft eine Ausstellung ihrer Aquarelle und Zeichnungen zu machen, die wirklich erfolgreich war. Sie wurden weitergereicht und haben seither in jeder Botschaft in Kuala Lumpur und in Djakarta eine Ausstellung gehabt und sehr gut verkauft. Und ihre Sachen sind wirklich klasse. Innerhalb von wenigen Tagen sind wir dicke Freunde geworden und zusammen nach Surabaja gefahren. Da der eine noch etwas in Java bleiben möchte, fuhr ich mit dem anderen, Gert, nach hier. Ich staune nun täglich, welche grossartige Verbindungen, Empfehlungen und Adressen sie hier haben. So leben wir jetzt zum Beispiel bei einem einheimischen Maler im Atelier. Für die nächsten Tage sind wir bereits wieder eingeladen, ein tolles Haus am Meer zu bewohnen. Toll, toll ! Das wird mir gestatten, einige Wochen hier zu bleiben und selber wieder etwas zu arbeiten, bevor ich weiter fahre.

Bali ist einfach wieder ein Höhepunkt einsamer Klasse. Wenn ein Platz überhaupt etwas an Inspiration zu bieten hat, so ist es Bali. Schon nach den zwei Tagen, die ich jetzt hier bin, häufen sich die Eindrücke nur so. Tempel an jeder Ecke, Farben und Vegetation, Tanz, klassische Musik, Theater, religiöse Riten von bezaubernder Schönheit. Mit weinendem Herzen muss ich schon jetzt daran denken, dass ich diesen Platz viel zu früh wieder verlassen muss, um meinem Geldmangel ein Ende zu bereiten. Ich konnte mal wieder nicht an so vielen herrlichen Dingen vorbeigehen, habe mir Batiken und Schattenfiguren gekauft. Etwas unvorsichtig vielleicht, doch auf jeden Fall einzigartig. Doch Du kennst das ja, Optimismus geht nie unter.
Durch die Begegnung mit Gert und Werner bin ich wie aufgestachelt, selber wieder etwas zu schaffen, nicht mehr nur einsaugen. Mein Geburtstag war ganz nett im Kreise von Gleichgesinnten. Da ich ziemlich sicher mindestens zwei Wochen hier bleibe, kannst Du mir jetzt doch einen Brief nach hier schreiben. Aber wie gesagt, nur einen. Du wirst dann weiteres von mir hören. Schreibe bitte an

Hans Höfer, d/a Bangbang Soegeng
desa Tandjung-Bungkak
Djl. Sanur
DENPASAR, Bali Indonesia

Wir schlagen vorerst unser Ausgangslager hier in der Hauptstadt auf und verziehen uns dann tageweise ins Landesinnere.
Ich werde Dir das alles aber dann sehr ausführlich beschreiben, dann wirst Du besser verstehen, was mich so begeistert und gepackt hat. Gestern sagte Gert: „Wir sind wieder heimgekehrt!!“ Er spielt damit auf unsere gemeinsamen Schwärmereien über Nepal an, und es stimmt, Nepal und Bali haben sehr viel Gemeinsames. Schon jetzt aber glaube ich, dass dieser Platz alles übertreffen wird.
Ich habe kaum Zeit, selbst diesen kurzen Brief zu beenden. Inzwischen ist schon wieder ein Tag vergangen. Keine Nacht kam ich vor 3 Uhr ins Bett. Im Augenblick ist hier ein Festival. Die Tempelzeremonien dauern bis in die Nacht. Obwohl schon Touristen hier sind, sieht man sie kaum, Gottseidank. So waren wir bis jetzt die einzigen Ausländer bei den Tempelzeremonien. Da man nur in den traditionellen balinesischen Gewändern die Tempel betreten kann, laufen wir hier in farbigen langen Röcken und Blumen im Haar herum, weil es eben die Tradition so verlangt!
Es ist angenehmes Klima, nicht zu heiss. Alles eben ideal. Wie ich eben erfahre, beträgt die Miete für einen Monat für einen 3 x 3 Meter Raum 3,- DM. Da eine Frau für uns kocht, kostet das Leben pro Tag etwa 2 DM. Ich werde jetzt mal ausrechnen, wie lange ich für einen Fernsehapparat hier leben könnte. – Eben kam Herr Gerstenmaier vorbeigefahren. Ich habe ihn aber versäumt, da ich mich gerade am Ziehbrunnen hinterm Haus gewaschen habe. Zu schade! Den hätte ich gut um Entwicklungshilfe fragen können.
Hab keine Sorgen um mich, ich lebe wie ein Prinz. Viel Liebe sendet Dir aus dem 7. Himmel

Nichts Wertvolles in Briefe einlegen! Briefe werden fast alle geöffnet.

Dein Hans


"Kaffeklatsch" with Bangkok


Bangkok, den 10.04.1968


Liebe Mutter!


Seit vorletzten Montag, als ich Dir von der Botschaft aus Deine Post bestätigt habe, sind nun wieder einige Tage vergangen, die ich meist mit Schreiben und Faulenzen ausgefüllt habe. Doch heute bist Du wieder dran mit einem Brief. 


Du weißt ja auch inzwischen, dass ich darauf verzichtet habe, durch Süd-Laos bis nach Kambodscha zu pirschen, durch böses Feindesland; ich bin lieber kein Held und verzichte auf das Risiko, durch pures Pech in eine missliche Lage mit den aufständischen Pathet Lao oder mit wem auch immer, zu geraten. Dass ich da Deine volle Zustimmung habe, weiss ich ohne Nachfrage. So werde ich mir die herrlichen Tempelruinen von Angkor Watt aufsparen für später mal. 


In der Zwischenzeit hat sich ja die Lage hier unten etwas verbessert, doch jetzt noch einmal zu starten, habe ich inzwischen auch verworfen. Jetzt würde es mir zu lange dauern, und ausserdem spare ich mein Geld für einen intensiveren Besuch ganz Indonesiens. Wollte ich mir alles hier in Thailand und Kambodscha ansehen, käme ich wohl nie nach Australien. Mein Visum für Thailand läuft am 20. April ab. So muss ich also am 20. nach Malaysia übersiedeln. 


Deinen Scheck habe ich nach anfänglichen Schwierigkeiten dann doch eingelöst, habe jetzt also wieder Geld im Gürtel, wo ich es aufbewahre. Also am 16. verlasse ich Bangkok, was bedeutet: Schreibe jetzt nicht mehr nach Bangkok, sondern nach Singapore, General Post-Office, poste restante. Dort werde ich wohl um den 25. herum eintrudeln. 


So geht es also am Jahrestag meiner Abreise von Krefeld mit Volldampf nach Australien. Unterwegs will ich mich auf irgendeiner Südseeinsel niederlassen, vielleicht für 1 -–2 Wochen. Bali hört sich da ja nicht schlecht an, muss aber erst rausfinden, wie es wirklich dort ist. 


Ich habe mich damals in Kathmandu mit einem jungen Österreicher aus Wien abgesprochen, dass wir den letzten Teil der Reise gemeinsam machen wollten. Er ist im Augenblick noch in Laos, ich denke jedoch, dass er bald hier eintrudelt. Er ist ein rechter Wiener und ein lustiger Bursche. Als ich ihn damals in Kathmandu traf und ihm vom Everest erzählte, ist er gleich mit Tsering, unserem Sherpa, die selbe Route nachgetigert.


Helga hatte mir einige Aufnahmen von der Hochzeit geschickt. Sie sah ja ganz entzückend aus in ihrem Kleid. Dich habe ich leider nur einmal auf dem Bild, aber Du versprachst mir ja, bald noch einige andere zu schicken. Harald scheint inzwischen dicker, aber bester Laune gewesen zu sein. Und die Ringe glänzen. Ich wünsche den Beiden ja so von Herzen, dass sie glücklich werden. Öffne Dich auch Heri ganz, es ist so wichtig für die Beiden, und betrachte ihn mit Deinem Herzen als Deinen Sohn. Du schreibst sehr wenig von Heri’s Pekelsheimer Familie. Sicher war das Zusammensein mit ihnen etwas verkrampft, ich könnte mir das vorstellen. Zu gerne hätte ich auch die Rede von Onkel Fredi mitgehört. Er ist ja Meister des gewaltigen Wortes, und ich erinnere mich an seine Reden zu anderen Anlässen.

 

Du schriebst auch von einem Besuch bei Ladwigs und dass Onkel Fredi sich sehr für meine Reise interessiert. Das freut mich doch sehr, jedoch liess es mich auch viel über mein Verhältnis zu ihm nachdenken und darüber hinaus an mein Verhältnis zu meinem Vater. Durch irgendeine Diskussion über die Nazi-Zeit, die sicher von meiner Seite zu aggressiv geführt worden war und die schon ewig lange zurückliegt, wurde unser gegenseitiges Verhältnis in eine ungute Richtung gelenkt. Die jeweiligen weiteren Besuche in Benrath und die Gespräche danach haben unterschwellig auf die vorhergehenden aufgesteckt, und eigentlich war von beiden Seiten wohl kein recter Wille zu einer herzlicheren Verständigung vorhanden. So muss ich mir eingestehen, dass ich nie richtig glücklich war in Ladwigs Sessel, wie ich es bei all meinen anderen Onkeln gewesen bin, vor allem bei Onkel Josef.

 

Dazu kommt, dass er auch noch Doktor Onkel jur., der erfolgreiche bei Henkel war, der prüfende Blick zu meinen mageren Schulleistungen usw. usw. Es ging auch anderen Sprösslingen der Familie so. Ich erinnere mich gut an Vetter Klaus ; aber der hat’s dann mit einem Mal gefunden, das rechte Rezept der Anerkennung. Es ist nun nicht so, dass eine Anerkennung für mich sooo wichtig wäre, denn im Grunde sind unsere Ansichten wirklich sehr verschieden, doch zumindest wäre eine Verständigung wünschenswert.


 Und im Grunde genommen habe ich den alten Knacker doch sehr gerne. 

Also auf, Hänschen, räume Deine Komplexe beiseite, und schwinge die Mine zu einem richtig schööönen Brief, über den man sich dann auch ganz begeistert äussert und sich zunickt: siehst Du, soo ist der Junge ja gar nicht… Gleich morgen fang ich damit an, oder vielleicht übermorgen, oder ganz bestimmt bald oder demnächst.

 

Gestern traf ich einen Schweizer, der fast genau die gleiche Ausbildung hatte wie ich. Er ist mit seinen 28 Jahren Manager einer Werbefirma und lebt auf grossem Fuss. Gestern Abend haben wir uns bis in die Nacht hinein über die Arbeitsweisen usw. unterhalten, und er sagte mir, ich solle unbedingt hier bleiben. Der Haken an der Sache ist nur, dass die Agenturen einen Kontrakt für gleich zwei Jahre machen wollen, was mir wiederum nicht passt. Der Verdienst nach einem Jahr ist 2400 DM im Monat, was bei dem hiesigen Lebensstandard ein Vermögen ist. (Die Miete für ein Haus im Thai-Stil ist 800 DM, Koch und Diener eingeschlossen).


Meine Pläne haben sich jedoch inzwischen anders eingependelt. Jetzt geht es mit Volldampf nach Australien, wo ich zuerst einmal im Busch als Malorcher arbeiten werde, um mir eine gute Ausstattung und etwas Geld zu verdienen. Habe ich dann einiges Geld zusammen, geht es sofort nach Sydney, wo ich schon jetzt einige Bekannte habe, sogar in einer Werbeagentur. Doch ich habe keinesfalls vor, dort zu bleiben. Sobald ich dort mal rumgeschaut und mir genügend Geld zusammengespart habe, geht es weiter über Neu-Guinea, Borneo, die Philippinen, Korea, Formosa, Japan und von dort mit der Transsibirischen Eisenbahn nach Deutschland. Wie lange ich also in Australien bleibe, liegt an vielem, vor allem daran, wie ich als Werbegrafiker dort einschlage. Keinesfalls jedoch bleibe ich danach in Deutschland. Für zwei Jahre höchstens. Es gibt da noch viele andere Länder zu sehen. Aber Du weißt ja, wie das so mit Plänen ist und wie schnell sie sich ändern können. Doch heute, nach einem Jahr Reisen, kommt es mir so vor, als hätte ich noch nie besser gewusst, was ich will.


Ich bin gespannt, ob sich die Bundeswehr noch einmal meldet. Wie ich mich erinnere, habe ich meinen Wehrpass noch in einer Schublade. Ich glaube, es wäre ganz gut, ihn zurückzugeben, mit der Bemerkung, dass ich mich im Augenblick bei halbnackten Mädchen auf Bali befinde, oder anders formuliert, dass ich auf dem besten Weg nach Australien bin. Du erinnerst Dich sicher, dass ich bis zu Haralds Entlassung freigestellt wurde ...


Ich bin sehr gespannt, ob die Zeitungen sich für meine Berichte interessiert haben, wenn nicht, ooch juut. Dann schreib ich es halt demnächst wieder nur für Dich und für die, die es spaeter interessiert.

Inzwischen könnte ich schon wieder zwei weitere Berichte über meine Rundreise hier in Südostasien schreiben, vor allem über mein Erlebnis mit den Bergvölkern. Apropos Völkern. Der Volker scheint entweder sehr in seinen Abschluss verwickelt, oder er ist wirklich von zäher Schreibfaulheit befallen. Menschenskind, ich würde wirklich gerne wissen, was sich da so in der Schule tut. Hast Du mal irgendwen von meiner alten Klasse getroffen? Sicherlich treffen sich einige von ihnen bei Herbst-Pitter. Mach 

mal den Vorschlag, mir vom Biertisch aus einen gemeinsamen Brief zu schreiben, da kommen einem ja meist die albernsten Gedanken.


Von Peter habe ich inzwischen einen Brief erhalten, der mich jedoch etwas sauer gemacht hat. Da fährt der Bursche über ein halbes Jahr durch die halbe Welt und schreibt mir kaum zwei Seiten. Ich hätte sehr gerne etwas ausführlicher über die Einzelheiten seiner Reise erfahren, aber da schreibt er, er wüsste nichts Besonderes mehr zu berichten. Det vasteh ik nich! 


Volker soll doch bitte meine Malereien aus Tibet einmal mit in die Schule nehmen und die Dozenten befragen, wie man sie vor weiterem Verfall schützen kann. Oder, falls Du den Walter zu Gesicht bekommst, gib sie ihm. Sicher zieht sie Walter gern für uns auf und bastelt einen Rahmen. Wir hatten uns damals darüber unterhalten, wie. Ich vertrau dem Dicken ja völlig. Sicher findet sich ein Platz bei Dir oder in Haralds Bude zur Aufbewahrung fürs Hänschen.

 

Wie fühlt sich Harald denn jetzt? Das ist ja doch eine Umstellung, die Selbstkontrolle verlangt. Ich halte alle Daumen für seinen Erfolg.Dass ich Dir über so viele Kilometer so sehr auf der Tasche liege, macht mich trübe. Aber bei der ersten Gelegenheit werde ich Dir das ausgelegte Geld zurück bezahlen.

 

Das war mal ein richtiger Kaffeeklatschbrief vom Höckske auf et Stöckske. Ich könnte mich so noch ‚ne Weile dranhalten, doch mein Schreibblock geht zu Ende.Jetzt gehe ich wieder mal so eine geheimnisvolle chinesische Platte essen: 60 Pfg., gebratene Nudeln mit getrocknetem Viehzeug aus dem Meer und allerlei Geheimzutaten. Mit Essstäbchen bin ich inzwischen perfekt, könnte damit Spaghetti mit Tomatensosse rollen. 


Ich hoffe, dass es Dir und meinen Geschwistern gut geht und umarme Dich für heute wieder 


Dein Hans



Ich habe eine schöne Briefesammlung vom ersten bis zum letzten Brief, die ich im letzten Jahr erhalten habe. Du sammelst ja meine sicher auch ?




Bangkok, den 23. 4. 68 


Liebe Mutter!



Morgen also werde ich Bangkok endgültig verlassen, fahre nach Malaysia zurück. In Kuala Lumpur werde ich mein Arbeitsvisum für Australien auflesen.

Mir geht es natürlich, wie immer, bestens. Die Frauen hier sind wirklich wahnsinnig Klasse. Damit ich nicht vollends hier bleibe, gehe ich schnell von hinnen, sonst wird nie ein Erfolgsmensch aus mir.

Was ich auf meiner letzten Rundreise an Gewicht ausgeschwitzt habe, habe ich mir inzwischen wieder angegessen. Ansonsten genoss ich ein ausgesprochen süsses Leben. Frech, wie ich geworden bin, bewege ich mich in Super-Hotel-Hallen, spiele den selbstbewussten Geldmenschen und schlängle mich so bis in die exklusiven Swimmingpools vor, ohne Geld natürlich. Dort tummeln sich viele nette und fette Menschen, teure Touristen, und man sagt mir, höre und staune, Erfolg bei deutschen Touristinnen nach. Auch mal ganz schön. Vielleicht hast Du inzwischen schon einen Anruf erhalten, aus Berlin, Saarbrücken oder Wanne-Eickel, da ich den Damen ans Herz gelegt habe, mal Mutter Henny anzurufen und nur Gutes von mir zu berichten. Einige Souvenirs sind auch unterwegs: eine Buddhafigur aus einem winzigen Tempel aus Laos. Ein Ring aus Tibet, gekauft von einem Bergmenschen im Himalaya. Eine Original Opiumpfeife (Opium im Pfeifenkopf) von den Bergstämmen. Dann eine Wahnsinns-Kette aus Tibet – Türkise, Silber, Gold, einmalig. Der kleine silberne Spiess wurde aus dem Körper eines Thaipussam-Tänzers gezogen und mir als Andenken überreicht. Das wird dann alles demnächst bei Dir eintrudeln, so hoffe ich, und meine kunterbunte Sammlung ergänzen. Meine Lederjacke ist übrigens auch mit einem Engländer unterwegs zu Dir. Wenn diese Sachen ankommen, vergiss bitte nicht, sie mir zu bestätigen. Dass Filme angekommen sind, ist schön. Volker soll sie doch kurz begutachten. Vielen Dank für den Zeitungsartikel. Da hat ja einer lustig gesponnen.

Harald ist also inzwischen Student. Auch gut.

Weißt Du etwas von Walter?


Um eine Verlängerung für mein Visum zu bekommen, musste ich eine Zug-Fahrkarte lösen. Morgen fahre ich also mit dem Zug nach Alorstar in Malaysia. Dann bin ich endlich wieder auf Achse. Lange werde ich mich jetzt nicht mehr in Singapore aufhalten, daher schreibe von jetzt ab nach Djakarta/Indonesien und zwar wieder zur German Embassy. Wie und wann ich dort ankomme, werde ich Dir dann noch schreiben. Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Ich würde sehr gerne durch ganz Sumatra reisen, was etwas abseits liegt und wo sehr wenige Leute durchgefahren sind. 


Onkel Otto hat mir auch geschrieben und zwar vor Ostern noch, in Erwartung Eures Besuches. Schreib mir doch mal ausführlich, was Du inzwischen von ihm weißt. Er schrieb mir so was von einem Brand und von Pleite, da nicht versichert. Das gibt es doch gar nicht, dass so eine Fabrik nicht versichert war!!! Aber wer weiss, bei Onkel Otto scheint so viel möglich oder unmöglich. Es wäre ja nicht zu fassen, wenn es stimmen würde. So ein Pechvogel! Er trug mir auf, etwas für ihn zu kaufen. Das geht jetzt auch nicht. An der Grenze nach Malaysia müssen alle Leute mindestens 150 Dollar vorzeigen. Mein Betrag bei Grenzübertritt ist 152 Dollar. Scharf kalkuliert. 

Von Indonesien weiss ich sehr viel inzwischen, nicht nur, dass es ein Elendsstaat wie Indien ist und dass dort oft Post verschwindet, sondern vor allem, dass es ungeheuer billig ist. Für einen Dollar bekomme ich in Singapore 300 Rupiahs. Ein Mittelhotel kostet 20 Rupiahs. Eine Mahlzeit Marke Hans Höfer 10 – 15 Rupiahs. Das wird ein Leben! Bali ruft schon gewaltig. Beim Sturm war ich natürlich schon längst weg. 

Ich hoffe, dass Du wenigstens alle Post von mir bekommen hast. Aus Singepore oder von unterwegs lasse ich wieder von mir hören. Ich starte also zur letzten Etappe und wünsche mir selber viel Glück.

Mach Dir keine Sorgen ums Hänschen!


Für heute drücke ich Dich ganz herzlich,

Dein Hans


Dass Du Dir den Lichtbildervortrag angeschaut hast, ist richtig schön. Hast Du Dir auch die Bücher mal besorgt?

Gleich noch ein Buchvorschlag: „Wo die Berge jung sind…“ Han Suin

(über Nepal)


PS. Abends: Was plötzlich in die thailändische Post gefahren ist, mag der liebe Himmel wissen. Erst vorher bekam ich noch Deinen Brief vom 26. März. Er war, wie ich aus dem Stempel ersehe, schon Anfang April hier, brauchte dann jedoch so lange bis zur Botschaft. Jetzt ist also Dein letzter Brief schon wieder einen Monat alt, und beruhigen tut’s mich wenig, dass Du keine 100 Pfund mehr wiegst und Dich elend fühlst. Ich will Dich noch einmal ganz inständig bitten, Dich für uns gesund zu erhalten und Dich selber zu pflegen. - Ich hoffe sehr, dass das mit Deiner Kur klappt !

 

 

Kuala Lumpur, 27. 4. 68

Lieber Rolf!

 

Da haben sich unsere Briefe gekreuzt, falls Dich mein letzter aus dem Norden Thailands überhaupt erreicht hat. Das segensreiche Ord­nungs­prinzip eines Briefwechsels: Du-eins-ich-eins-Du…, lässt sich durch meinen augenblicklichen Lebenswandel sowieso kaum einhal­ten, daher ist heute halt wieder „ich-eins“ dran. So frage ich mich jetzt wieder, wo zum Teufel sind die letzten vier Wochen geblieben?

 Zuerst habe ich mal wieder saumässig Glück gehabt, beim Tramp zurück nach Bangkok. Dort sind Elendsstrassen, Sand, Staub und Windstille, doch haarsträubender, haarstäubender Verkehr, Lastwa­gen, die irgendein amerikanisches Heerlager mit Nützlichem versor­gen. Solch ein Dreier-Konvoi las mich auf von der Strasse. Zuerst verreckte meinem das Getriebe, daher stieg ich auf den zweiten um. Dieser über­nahm die Spitze im Rennen nach Stunden- und Kilometergeld. In einer besonders staubigen Kurve dann hatte sich eine träge Büffelherde im Staub verlaufen. So ein Büffel ist zwar dick und schwer, aber der Last­wagen Marke Chevrolet natürlich auch. Während sich der Büffel zu seiner nächsten Inkarnation vorbereitete, half ich die Scheinwerfer und Stossstange richten. Ich stieg nicht, wie mir angeboten wurde, in den dritten Lastwagen um, und das war oben genanntes Sau-Glück, denn eine halbe Stunde später landete jener dritte am Baum, der sich als noch härter herausstellte. Eine Kommentierung dieses Ereignisses würde weiss Gott zu weit führen, daher sehe ich davon ab. Jedenfalls meinte Stiffi, eine Neckermann Touristin in Bangkok, an die ich mich in meiner Frühlingsbrunst heranmachte, dass ich „ja richtig gefähr­lich“ leben würde.

So lebe ich also weiter und, wie gehabt, nicht schlecht.

In Bangkok eingetroffen, bekam ich Deinen Brief und rundherum viele Neuigkeiten, die nun schon wieder vier Wochen alt sind. Da war die Hochzeit meiner Schwester, die Befreiung meines Bruders von der Heils-Armee und sonst noch Erfreuliches und Unerfreuliches. Auch kam wieder Reichtum über mich, der die Weiterfahrt bis Australien sichert. So zehre ich also nicht nur von unserem gemeinsamen Freund Saint-Ex, der, schon reichlich zerknautscht, in meinem Rucksack mit­reist. - Was mich etwas beunruhigt, ist die letzte Nachricht von meiner Mutter über ihren Gesundheitszustand. Ich hoffe sehr, dass sich das wieder bessert. Was sie braucht, ist ein wenig Zuspruch und Aufmun­terung, doch ich habe das Gefühl, dass das von hier aus nie so richtig hinhaut, sie kann sich wohl nicht ändern und zersorgt sich über un­gelegte Eier, über Helga, Heri, Harald und die Zukunft überhaupt. Dass sie dabei die eigene Pflege völlig vergisst, scheint sie nicht zu be­merken.

 Das Leben in unseren Breiten scheint überhaupt bei allen, die mir schreiben, recht beschissen. Je länger ich reise, umso wütender wer­de ich darüber. Wenn diese Jammerei über das Alltagsleben so weiter­geht, dann verliere ich noch völlig die Lust, jemals wieder zurückzu­kehren. Mit dem „Glücklichsein“ scheint es bei uns überhaupt so eine Sache zu sein.

 Lieber Rolf, Du bist nun ein Mitglied unserer Gesellschaft, die eine Wohlstandsgesellschaft ist. Wohlstand ist, man höre und staune, auf den Verbrauch von Gütern aufgebaut, sie fällt und steigt mit dem Verbrauch. Deiner dunkelhaarigen Frau sagt der Werbe­mensch Hans Höfer, dass sie viel besser aussähe, wenn sie rot tra­gen würde, weil ich ja das Färbemittel verkaufen will, nein, muss. So bom­bardiere ich böser Mensch sie dauernd mit meinem farbenprächtigen Argument, und siehe da, sie wird ungemütlich, sprich unzufrieden. Doch wehe, sie färbt sich die Haare. Dann ist für mich schon dieser Fall erledigt, ich kitzle (verzeih’) sie von neuem, mit Auto, Fernseher, Lebensversicherung, Underberg, Waschpulver, Mode, Partei, zeige ihr berufliche Super-Erfolgs-Ehe-Männer, wecke den Wunsch nach Frei­zeit, Glücklichsein (ha, ha), zufriedenes Kinderschaukeln, Urlaubs­ziel.

  Und Dir verbiete ich hiermit, Deine endlich eingebaute Stereo-Anlage ruhig zu geniessen, da Du noch keinen (?) Fernsehapparat hast, Farbe übrigens. Solltest Du dennoch zufrieden Musik hören, so bist Du, ver­dammt noch mal, Dir wohl nicht darüber bewusst, welch eine Ge­fahr Du darstellst, Du mit Deinem glücklichen Lächeln beim Play-Bach-Play-Boy. Jetzt wundere Dich nur nicht, wenn Du darin den Grund von Aggression findest. Und was meinst Du, wie aggressiv wir sind! (Beobachte mal die lieben Mitmenschen unter diesem Aspekt: ver­steckte Aggression, Böswilligkeit, so genannter Ehrgeiz). Im Geschäft, im Freundeskreis, im Gespräch, im Verkehr, Dein Gras in der Müll­tonne.

 Gegenvorschlag: Verzieh Dich auf eine Insel, ernte Fische, Kokosnüs­se, Mais. Sitze abends zufrieden und glücklich mit Deiner zufriedenen Frau und Deinen sieben glücklichen Kindern vor Deiner Bambushütte und erfreue Dich am Einfachen, Schönen, Huaaaa-Sonnenuntergang, und stelle dann in einer lichten Minute, etwa beim Löschen der Kerzen auf Deiner Weihnachtspalme, fest, wie beschissen langweilig Dein Le­ben ist!!! Das geht natürlich auch nicht, und wo es ginge, hier in Asien z.B., ist es ebenfalls aus damit, weil die glückseligen Kinder Feuer an die Palmen legen und unseren Wohlstand gerochen haben usw. usw.

 Äh, grosse Stille. – Ich würde Dir gerne eine Tasse Lebenselexier aus meinem philosophischen Eimerchen anbieten, doch leider habe ich alle Hände voll zu tun, die ständigen Lecks zu verstopfen. Ausserdem muss ich darauf achten, dass es voll wird. Mein Pech, dass ich es an einem rotierenden Rasensprenger füllen muss. Doch sei sicher, dass ich Dich um die Stereo-Anlage beneide. Das ist nämlich eine schöne Sache, auf die ich hoffentlich nicht verzichten muss. Auf jeden Fall werden wir zusammen demnächst mal davor sitzen. Ich werde Dich dann in die Traumwelt einer Haschisch-Zigarette entführen.

 Ich sehe Dein schreckensbleiches Gesicht vor mir und glaube, Deine Gedanken zu hören. Hihi, zum Totlachen. Den hat’s erwischt, verlo­ren, süchtig, unter die Räder gekommen, es war zuviel für den Jungen, jetzt ist es aus, verloren, da geht er dahin. Verzeih mir mein Lachen. Du bist eben noch nicht einge­weiht. Das muss ich jetzt machen und dabei an Dein Vertrauen in mich appellieren.

Also, mit dem Haschisch ist es wie folgt: Man dreht sich so ein Ding, in Vorfreude der Dinge, die da kommen. Man raucht, inhaliert kräftig. Dann kommt das Neue. Rausch. Aber wie! Alles, was Du denkst, fühlst, hörst, tust, wird intensiver. Sonst nichts. Stereo-Anlage zum Beispiel oder Musik überhaupt. Du gehst mit den Tönen auf Reise, hörst alles, folgst dem Rhythmus des Schlagzeugs, hörst jeden Ton der Melodie. Wir reden miteinander. Verstehen auf ganzer Linie und lächeln. Du sagst etwas, was sofort mein Gehirn anregt, ich bringe ein neues Bild, einen neuen Gedanken, mit Begeisterung greifst Du ihn auf, spinnst daran weiter. Du lachst, ich lache, Freude auf der ganzen Linie. Wir gehen zusammen auf die Strasse, es regnet, wie meist abends in Krefeld, Du spürst jeden Tropfen. Jemand hat einen Fahrschein fallen lassen, Du zeigst ihn mir, ich hebe ihn auf und nehme mir vor, Fahrscheine zu sammeln. Wie verzückt zeigen wir uns gegenseitig die Reflexe der Strassenlampen in den perlenden Pfützen. Die Gesichter, die uns begegnen, sprechen für uns alberne Vögel Bän­de. Wir gehen in eine Kneipe und trinken ein Cola. Du geniessest jede Perle auf der Zunge. So ist das. Dann gehen wir wieder zurück zur Ste­reo-Anlage, jeder macht es sich im Sessel so gemütlich, wie kaum zu­vor. Musik, Musik, Musik. Dann nach ein paar Stunden ist es vorüber. Kein Kopfweh, gar nichts. Das Erlebte bleibt voll in Deiner Erinnerung zurück. Jede Einzelheit. So ist das, mit dem Haschisch. Süchtig wird man nicht physisch. Die einzige Gefahr dabei bist Du selber, wenn Du Dich immer wieder nach diesem Rausch sehnst. Aber, und das musst Du mir abnehmen, diese Gefahr besteht nicht bei Dir und nicht bei mir. Es bleibt Rausch. Und wehe dem, der glaubt, dieses Zeugs würde über Probleme und Kummer hinweghelfen. Erinnere Dich daran, alles was Du fühlst, wird intensiver, auch Kummer und Elend.

 Also beruhige ich Dich nochmals, Deine Bedenken sind unbegründet.

 So was kann ich natürlich nur Dir schreiben. Mutter würde sich ganz schön zerfetzen. Ja, mit dem Vertrauen ist es auch so eine Sache.

 Also dieser Brief ist alles andere als ein Reisebericht. Es ist komisch, aber ich kann keine kurzen Briefe mehr schreiben. Mir macht es Spass, zu schreiben, Dir zu erzählen, zu plaudern. Eine Unterhaltung mit einem geistig anwesenden Partner. Ob das daran liegt, dass ich allein reise, ohne mich einsam zu fühlen? Vielleicht! Mensch, so glück­lich wie im letzten Jahr war ich noch nie zuvor. Dauerzustand in Fülle. Der jute alte Joethe mit seiner Interpretation des Glücks: Glück heisst, sich wachsend fühlen! Gar nicht schlecht, der Junge.

 Solch ein Glück muss auch bei uns möglich sein. Sich’s bewusst machen, ist die Paro­le.

 Und diese Buddhisten. Mensch, Rolf, besorg Dir jede Lektüre darüber, die Du grabschen kannst. Sammle Dir Dein Päckchen daraus aus. Das ist toll interessant. Eine grossartige Weisheit, eine Fülle an, für uns, neuen Gedanken. Vor allem die Techniken der Meditation in der An­fangsstufe. Da ist alles erklärt, vom Rosenkranz beten, über das Gebet zu einem Gott, bis hin zu Erscheinungen. Auch hier gibt es einiges zu diskutieren, wenn ich zurückkomme oder nicht.

 Pause. Ich gehe was essen. Der platschende Monsun-Erguss hat sich ausgeleert. Bis die nächste Wolke leerläuft, bin ich zurück im Sikh-Tempel. Mahlzeit!!

 Wenn Deine Frau gesehen hätte, was ich gerade in mich hineingestopft habe…. Was macht übrigens Dein Magen? Meiner läuft gut und verar­beitet alles, was ich ihm liefere. Und das ist manches. Scharf war das wieder! Zum Abschluss drei Bananen, von diesen halbwilden, die einfach etwas wilder als diese zahmen schmecken !

 Hast Du Dir meine Minox Kleinst-Dias angesehen? Ich weiss, dass das bei Minox nicht so einfach ist. Ich mache Dir den völlig uneigennützigen Vorschlag, Dir bei Schamberg und Pottkämper eine sog. Minox-Be­trachter-Lupe zu kaufen. Irgendwann findest Du dann sicher einen An­lass, sie mir zu schenken. Dann wüsste ich auch endlich mal, was tatsächlich drauf ist auf den Bildern. Brennend interessieren mich die Bilder von diesem Thaipusam Festival. Da habe ich geblitzt, in der Höhle, könnte mir jedoch vorstellen, dass einige daneben gegangen sind. Dann kommen demnächst die nächsten Filme an von Thailand und Laos. Hier sind mir die Bergstämme wichtig und die liegenden Personen mit den Opiumpfeifen. Wo ich gerade beim Betteln bin, gehe auch schön wieder zu Henny und frage sie genau, was sie zu ihrer letzten Mahlzeit gegessen hat. Falls Dir dann die Kalo­rienmenge nicht ausreichend erscheint, drohe mit Hungerstreik ihres Sohnes in Asien.

 Mit einigem Bangen sehe ich Australien entgegen. Ich gehe also erst mal in den sog. Busch, in solch ein frauenloses Arbeiterlager (See­mannslos!) Doch dann wird es höchste Zeit, wieder in meinem Beruf zu arbeiten. Falls das nicht klappt dort, kehre ich schleunigst um ins Reich, über Japan natürlich, um Berufserfahrung zu sammeln in Deutschland. UND VIELLEICHT AUCH, UM EIN VERNÜNFTIGER MENSCH (MIT STEREO-ANLAGE) ZU WERDEN.

 Auf Deinen nächsten Brief bin ich sehr gespannt. Schreibe mir, was Du denkst, machst, tust. Über Deinen Spross und alles andere. Das gibt es doch gar nicht, dass es nichts zu berichten gibt. Was ist denn überhaupt in Deutschland los? Es scheint sich ja einiges zu regen, die meisten jedoch wohl auf.  Schreibe mir Deine Meinung darüber. Er­zähl mir bloss nicht, dass man schon in Krefeld demonstriert. Das wäre schon zum Piepsen.

 Die letzten Wochen in Bangkok waren ausgesprochen ruhig und er­holsam. Es gab in der Zwischenzeit wieder mal ein Neujahrsfest, das fünfte übrigens, nach dem tibetanischen im Oktober, unserem im Dezember, dem buddhistischen am 30. Januar, dem chinesischen am 15. Februar, nun das thailändische zu Ostern. Bin mal gespannt, was mich jetzt in Indonesien auf Bali alles erwartet. In Bangkok jedenfalls war toll was los, fun auf allen Strassen, Theater, Rummelplatz, Tanz usw. usw. Da dieses Fest auch gleichzeitig als Fest des Wassers ge­feiert wird, bei dem es erlaubt ist, jeden mit beliebiger Menge Wasser zu bespritzen, hatte ich drei Tage lang kaum einen trockenen Faden am Leib. Dann erlebte ich den Introitus des Monsuns mit einem Unwetter, das gleich alles für einen Tag unter Wasser setzte.

 Zwischendurch spielte ich Playboy in vornehmen Swimmingpools, erholte mich kräftig nach allen Seiten; auch mal wieder schön, für die Kürze. Übrigens, so nebenbei hab ich dann noch ins Nachtleben ge­rochen. Ich weiss ehrlich nicht mehr, was es in dieser Beziehung dort in Bangkok nicht gibt. Wenn einer nur Geld hat, alles, jede auch noch so ausgefal­lene Neigung kann befriedigt werden. Und was dort für Typen auftau­chen! Alles fette Säcke in einflussreicher Position. UN, US, sämtliche Botschaften scheinen vertreten, Geschäftsleute, Entwicklungsfachleu­te. Mein Adressenbuch füllte sich mit Namen von Leuten, die sicher alles andere als freudig überrascht wären, wenn sie mir mal wieder in Deutschland begegneten.

 1 Flasche Bier = 40 Mark, und das in einem Land mit einem Jahres­durchschnittseinkommen von pro Kopf 550 DM. Na ja, es lebe Mao-Tse-Tung. Glaube nicht, dass nur westliche Kapitalisten in solchen Lokalen verkehren. Mehr als zwei Drittel sind Thais. Auf die Dauer kann das kaum gut gehen. Wir werden’s noch erleben.

 Bis zum nächsten Brief alles Liebe, alles Gute, alles Schöne und und und. Grüss mir wie immer in die Runde.

 Dein Hans, der wettergegerbte !



3. 5. 68 – Singapore


Liebste Mutter!


Ganz schnell die letzten Neuigkeiten. Bin also von Bangkok aus nach Kuala Lumpur in Malaysia. Dort bekam ich mein australisches Arbeitsvisum. Gottseidank! Dann auch das indonesische Visum. Gestern bin ich dann von dort bis hier nach Singapore getrampt. Heute morgen ging alles rasend schnell.

Durch einen wahnsinnigen Glücksfall bekam ich eine freie Überfahrt auf einem Frachter von hier bis Djakarta. Stell Dir vor ! Von 9 – 10 habe ich alles dort geregelt. Von 10 Uhr – 10.45 habe ich Deine beiden Briefe hier auf der Post abgeholt. Vielen Dank ! Jetzt kann ich hier per Taxi herumrasen, muss um 12 Uhr im Büro der Schiffsgesellschaft einzutrudeln. Um 1 Uhr laufen wir aus : nach Indonesien. Solch ein Glück hat man selten im Leben!!! Daher bin ich jetzt in ganz grosser Eile!! 

Ich denke, dass ich von heute ab in 5 – 6 Wochen in Australien sein werde.

Weiteres aus Indonesien.


Sei für heute ganz lieb geküsst und umarmt von Deinem

Glückspilz Hans