Letters home 1967 -1978

Monday, April 7, 2008

Bali - The First Steps



                                                                                                      

Bali, 29. 5. 68

Liebe Mutter

Wir sind in ein kleines Dorf, 3 km ausserhalb der Hauptstadt Den Pasar gezogen. Ein kleiner Raum, mitten drin im Bali-Leben. Wir treffen uns jedenTag mit einem der bekanntesten Maler Indonesiens, Affandi, der im Augenblick auch hier in Bali malt. Dann geht es in seinem roten Mustang Sportwagen zu den schönsten Stellen Balis.

Jeden Tag gehen wir zeichnen und malen, die restliche Zeit ist ausgefüllt mit Besuchen von Tanz und Musik, religiösen Festen und Riten, die sich nur so häufen. Zum Schreiben komme ich bei der Fülle von Eindrücken kaum, ich werde Dir aber später ausführlich berichten.

Noch einige Tage bleiben wir hier in Den Pasar, dann geht es für eine Woche in die Berge. Die Dörfer dort sind einfach paradiesisch. Blumen und Farben wie kaum zuvor gesehen. Einfach traumhaft. Ich habe noch nie ein solches Volk gesehen. Alles, was sie anfassen, wird schön. Lauter Künstler. Die Musik, der Tanz, die verschiedenen Formen des Theaters, alles ist von einzigartiger Anmut und Schönheit. Und dabei sind es ganz einfache Menschen, meistens Bauern, die solche Dinge hervorbrachten. Die Tempel stehen verwittert und überwachsen inmitten üppiger und wuchernder Vegetation. Dann gibt es auch noch einen schwarzen Sandstrand mit farbig bemalten Auslegebooten.

Ein Leben ist das wieder!
Übrigens ist die Erdkruste hier am dünnsten. Daher sind die einzigen, die hier ständig tätig sind, ein paar Vulkane. 

Ich hoffe nur, dass das mit der Postverbindung zu Dir gut geht und Du nicht zu lange auf die Briefe warten musst. Indonesien ist halt wieder ein Land, wo der ganze Verwaltungsapparat hinkt und stinkt. Korruption ist Trumpf. Hier gab es in der letzten Zeit überall eine zwei- bis dreihundert prozentige Preiserhöhung, und das entwertet mein Geld so sehr, dass ich sparen muss. (Essen und wohnen ist jedoch noch reichlich billig, und so komme ich mit 2 DM am Tag hin). Je genauer ich mich nach den Kosten für die Weiterreise erkundige, um so teurer scheint es zu werden. Oh Elend, die ewigen Penunzen! Ich sehe daher, obwohl alles sehr farbig ist, manchmal grau bis schwarz. Mit tränendem Auge muss ich halt auch die Wichtigkeit meines beruflichen Erfolges wieder ins Auge fassen. Aber dann! In Australien komme ich dann blank an: eine lange Hose, eine zur kurzen Hose abgetrennte Blue Jeans, einem Paar Badeschlappen, einem Khakihemd und einem blau-weiss karierten, zwei Unterhosen und sonst Kleinkram. - Aber einen Rucksack voll herrlicher Erinnerungen. Ich bin also reich !

So gesehen ist Bali ein Abschluss des schönsten Lebensabschnitts meines Lebens. Wenn ich jemals hierher zurückkomme, dann hat sich sicher alles verändert. Denn das geht rasend schnell. Wir werden sehen, was daraus wird. 

PS. Ich möchte ja sooo gerne mal wieder einen richtig langen und schönen Brief schreiben, habe aber einfach keine Lust.

Verzeih die Kürze.

Viele Grüsse von Deinem Hans




Bali, 4. 6. 68

Liebe Mutter,

ich hoffe nur, dass Dich meine Post bis jetzt regelmässig erreicht hat. Ich schreib Dir heute noch einmal, da ich morgen mit Gerd zu einer kleinen Rundreise durch Bali starte. Zeichenmappen und kleinstes Gepäck nehmen wir auf unseren geliehenen Fahrrädern mit. Fahren, bis was Schönes vorbei kommt, dann malen und wieder weiter. Du kannst Dir vorstellen, wie schön das ist und wie ich mich darauf freue. Nur ist es wieder schwierig, im Landesinnern eine Post zu finden, daher wirst Du wohl zwei Wochen lang nichts von mir hören. Mach Dir also keine Sorgen, wenn Du eine Weile nichts von mir hörst.

Das Erlebte und Gesehene der letzten Tage stellt alles in den Schatten, was es bis jetzt gab. Ich bin am Rande meiner Fähigkeit angelangt, so was Eindrucksvolles zu schildern. Das muss später mal geschehen. Hier in dem kleinen Dörfchen, in dem unser gemietetes Haus steht, ist so viel los, in Deutschland nicht mal in den kühnsten Träumen auszumalen. Farbe, Farbe, Kunst, Religion, Tanz, Theater. Die kleinen, schmalen Erdstrassen sind links und rechts mit kunstvoll geflochtenen Bambusmasten geschmückt. Die Frauen arbeiten von morgens bis abends an der Zubereitung der religiösen Opfergaben, 5 Tage in der Woche, der Rest bleibt für Feldarbeit und den Haushalt. Was sie so selbstverständlich zusammenflechten, schmücken und bereiten, wird zu Kunstwerken, die freilich nur wenige Tage anhalten, bevor sie verdorren, verbrannt oder geopfert werden. Dann werden sie sofort durch neue ersetzt. Kleine Tempelchen überall. Hunderte. Den ganzen Tag über Musik von irgendwo her, Xylophon und Glocken, riesige Gongs, Trommeln und Flöten. Jeden Tag können wir Programm machen, uns aus den verschiedenen Tempelriten die passenden und nächsten regelrecht aussuchen. Solch ein Opferfest beginnt gegen 2 Uhr nachmittags und geht dann gleich bis zum nächsten Morgen durch.
Wir malen und zeichnen täglich in irgend einem Tempel, bis die Augen weh tun. Da wir die einzigen Fremden sind, werden wir überall mehr als freundlich aufgenommen. Wenn wir zu müde werden, legen wir uns in eine Tempelecke auf ausgebreitete geflochtene Matten und schlafen erschöpft, während die Zeremonien weitergehen. Kaum eine Nacht kommen wir vor 3 oder 4 Uhr in unser Haus zurück. Jetzt haben Gerd und ich einen Punkt erreicht, wo wir einfach kopfschüttelnd daneben stehen, es nicht mehr fassen können, was es da noch alles gibt. Du kannst Dir das nicht vorstellen.
Allein die Schilderung eines Tages würde Seiten füllen. Jetzt sind nur Notizen und Zeichnungen möglich. Täglich Hahnenkämpfe. Die Nächte hindurch opfern und zelebrieren die Priester. Alles geht tanzend vor sich, von einer Anmut und Ausdruckskraft, wie ich sie noch nie gesehen habe. Spät dann geraten die Tänzer und Priester in tiefe Trance und Ekstase. Fremd und mit komischen Gefühlen in der Rückengegend stehen dann Gerd und ich dazwischen, während Dinge geschehen, die ich nur mit Magie beschreiben kann und die unbegreiflich erscheinen für uns. Noch müde und von dem letzten Abend beeindruckt, werden wir gegen 10 bis 11 morgens schon wieder aus unserer kleinen Hütte geholt, wenn lange Reihen von zauberhaften Frauen mit ihren neuen Opfergaben an unserem Haus vorbei ziehen. Sie tragen Schalen, die bis zu ein bis zwei Meter hoch aufgestockt sind mit Früchten und Figuren, Masken und Opfergaben. Manchmal glaube ich wirklich, ich spinne. Glaube mir, dass ich einfach so lange, wie es eben geht, noch hier bleiben muss und malen. Nach der langen Zeit des Nichtstuns ist das wirklich wichtig, und ich lerne viel durch den gegenseitigen Austausch mit Gerd und den vielen Malerfreunden, die wir bereits haben. Australien ist eben dann für einige Wochen hinausgeschoben. Wenn Du das alles sehen könntest, Du würdest mich besser verstehen.
Wir planen auch eine kleine Ausstellung unserer Bilder, und wer weiss, vielleicht kann ich was verkaufen. Ich arbeite zwar nicht auf den Verkauf hin, male für mich und um zu lernen und meinen Stil zu verbessern.
Ich werde dann von Australien aus einen Teil meiner Bilder schicken. Bis jetzt habe ich etwa 30 gemacht. Heute habe ich wieder neues Papier für die Rundreise gekauft. Am Schluss, so hoffe ich, kann ich ein beibendes Bali, mein Bali, mitnehmen. Nur noch wenige Jahre wird es hier noch so sein. Dann wird Bali ein geschäftiges Hawaii oder Mallorca. Ein asiatische Oberammergau. Das Bali, wie ich es jetzt noch erleben kann, ist dann nur noch Slogan für Werbeprospekte und Dollar, Dollar, Dollar.
Sei mir nicht böse, wenn ein längerer Aufenthalt hier vielleicht nicht so ganz Deinem Wunsch entsprechen sollte. Schreib mir nach hier.

Für heute, und für 1 bis 2 Wochen, sei herzlich umarmt und geküsst

von Deinem Hans

der sich die Haare wieder ganz kurz geschnitten hat und in langem Batikrock hier herumhüpft, zwischen herrlichen Frauen, die meistens oben ohne herumlaufen, das muss man sich mal vorstellen!



Bali, 19. 6. 68

Liebe Mutter,

So oder so ähnlich ging es 4 Tage lang : An einem kleinen Markt halten wir an, stellen unsere beiden Fahrräder zwischen die kleinen Verkaufsstände und schlendern durch die Reihen von Marktweibern, zwischen geflochtenen Körben voll vom Allerlei der balinesischen Küche, trinken Tee und essen Reis, getrockneten Fisch, zerriebenes Fleisch, scharf gewürzt mit winzigen Peperonischoten, den Chillys. Die Leute schauen uns an, als kämen wir vom Mars. Wir tragen die gleiche Kleidung, Batikrock, Sarong genannt und dünne Latschen. Ein junger Mann, dessen weisse Kleidung und lange, hinten geknotete Haartracht einen Hindupriester verrät, spricht uns an. Gerd, der schon gut indonesisch spricht, übersetzt mir ab und zu. Er erzählt uns vom Leben in diesem kleinen Dorf, von Tempelfesten und spricht über mystische Geschehnisse von Heilungen durch gesegnetes Blumenwasser und vieles mehr. Wir nehmen unsere Zeichensachen mit und folgen ihm auf glitschiger Erdstrasse, die direkt in den Dschungel zu führen scheint.
Am Morgen hatte es etwas geregnet. Saftiges, tropfendes Grün umgibt uns. Wir betreten das Dorf, eine Schar von schwarzhaarigen halbnackten Kindern folgt uns. Grobe Steintreppen, von Moos überwuchert, führen vom Hauptweg zu ummauerten Häusergruppen, deren Bambus gedeckte Dächer aus der wuchernden Vegetation lugen. Frauen stampfen in grossen steinernen Köchern Reis, ein dumpfer Rhythmus der niedersausenden Holzstampfer liegt in der Luft.
Wir betreten einen Tempel durch ein steinernes Tor, über und über mit fürchterlichen Dämonenmasken geschmückt. Bevor wir anfangen zu malen, bittet uns der Priester zu einem kleinen Tempelbau. Er schlägt einige weisse Tücher zurück, und wir stehen vor riesigen Masken, holzgeschnitzt, bemalt, die uns anglotzen, halb Tier und halb Dämon, geschmückt mit kleinen Spiegeln, Leder und Zottelfell. Der Priester erzählt ehrfurchtsvoll von der geheimen Kraft, die in diesen Masken wohnt, entzündet dünne Räucherstäbchen und bittet uns, uns niederzusetzen. Er betet halblaut für unsere gesunde Wiederkehr in West-Germany, bittet um den Segen für unsere Arbeit, besprenkelt uns mit geweihtem Blumenwasser, räuchert uns noch ein bisschen ein. So gesegnet und nach der religiösen Sitte mit einer Blume hinterm Ohr wollen wir anfangen, aber da gibt es erst noch Tee, und dann steigt einer der Jungen wie ein Affe auf die nächste Palme und holt uns zwei riesige Kokosnüsse herunter.
Gesegnet und gelabt also malen wir vor uns hin, meine Tempel werden grell orange und gelb, alles wuchert; ich bin bescheiden, also zufrieden. Dann gibt es Süssigkeiten aus Reis und Zuckerguss, dazu die süsse Kokosnussmilch und den Segen der Dämonen. Uns geht es gut.
Nach einigen Stunden dann ziehen wir weiter, nicht ohne noch einmal ein köstliches Mahl mit den Händen von Bananenblättern verspeist zu haben, und mit einer Einladung, ins Dorf zurück zu kommen, beim Priester einige Tage zu wohnen und dort zu malen.

Fast 3 Wochen lang also sind Gerd und ich mit dem Fahrrad um Bali gekurvt, haben wie immer einheimisch gegessen, geschlafen in Bambushütten, in Polizei- oder Militärstationen und in billigen Losmens. Fast täglich gemalt. So ist die Ausbeute befriedigend, und ich glaub, Dir wird es gefallen. Zurück hier in Denpasar zogen wir wieder für einige Tage um in ein grosses Haus am Meer, mit Ausblick auf eine Bucht, Palmenwälder und Stufenbauten der Reisfelder, am Horizont der fast 4000 m hohe Vulkan Gunung Agung, der noch tätig ist. Herrlich, herrlich!
Dann sind wir jetzt zu dritt, da der Freund von Gerd, Werner Hahn, aus Java nachgekommen war. Inzwischen haben wir in Ubud im Landesinnern ein kleines Haus gemietet mit drei Räumen, zwischen riesigen Bäumen und Bananenpalmen, ein Ziehbrunnen mit frischem kalten Wasser, ein kleines Paradies wie alles hier und dazu für die Unsumme von 6 DM pro Monat. Dort werden wir Ende dieser Woche einziehen und malen, malen. Mein Aquarellkasten geht schon zur Neige, ich werde mir was neues kaufen.
Was soll ich noch erzählen – ich glaube, Du verstehst langsam, was sich hier tut. Wie erwartet, sind noch keine Briefe an mich hier angekommen. Die Post ist eben katastrophal wie die ganze Verwaltung Indonesiens. Schreibe bitte noch einen Brief und zwar poste restante Denpasar, Bali, da ich inzwischen einen Freund hier in der Post habe, der die Briefe an uns persönlich sammelt und zurückhält.
So weiss ich wenigstens, dass es hier in Bali etwas zuverlässiger ist. Die Vorstellung, dass man sich für etwa 500 DM noch ein Haus bauen kann am Meer, in einer Landschaft, die einfach einzigartig schön ist, kann einen wahnsinnig machen, denn schon jetzt zeichnet sich ab, dass Bali einmal eins der grossen Touristenzentren sein wird. Das wäre was fürs Hänschen, stehe aber mit weinendem Auge da und muss einsehen, dass das liebe Geld noch fehlt, und dann bin ich alt und reich, und es ist wieder zu spät. O Elend, o Elend. Doch ich geb mich halt zufrieden mit dem, was ich jetzt hier sehe und erlebe.
Gestern habe ich einen alten „Stern“ in die Hände bekommen. Wir drei haben uns abwechselnd daraus vorgelesen. Es ist gar nicht zu beschreiben, wie eigenartig es ist, hier auf Bali solch einen Mist zu lesen! Was für eine wahnsinnige Welt ist das doch! Die einzigen Informationen, die wir seit 4 Wochen bekamen, war der Mord an Kennedy und die Studentenunruhen in Europa. Kennedys Tod ist das erschütterndste Ereignis seit langem für mich. Die unsinnige Gewalt, die Amerika predigt, kehrt sich nun mehr und mehr gegen sich selber, ein Wahnwitz, wenn man bedenkt, dass dieses Land die ganze Erde glücklich machen könnte mit seiner Macht und mit seinem Reichtum. 60 Millionen kostet jeder Tag in Vietnam; Indonesien bettelt seit Monaten um einen Kredit über 300 Millionen. Fünf Tagesraten Vietnam und Menschen hungern weiter.
Das Zusammensein mit Gerd und Werner ist einfach Klasse. Es sind grossartige Burschen, die ständig lachen. Es gibt stundenlange Diskussionen über dies und das, Kunst, Religion, Leben, Malen, Lieben und ohne Ende. Ich lerne viel von ihnen.
Ich lebe fürstlich gut, wie kaum zuvor und gemessen an den hiesigen Verhältnissen sogar luxuriös. Und das Wichtigste nicht zu vergessen: ich male meine Bildchen. Wann habe ich jemals zuvor in 4 Wochen 30 Aquarelle gemacht? Nie. In Kintamani zum Beispiel, wo wir 5 Tage in einem kleinen Hotel am Rande eines alten Vulkankraters in 1600 m über den Wolken gewohnt haben, gingen wir zwei nur zum Essen aus dem Haus. Die andere Zeit wurde gemalt von morgens bis abends. Der Blick von dort auf einen riesigen See, auf violette erstarrte Lavamassen und auf noch rauchende kleinere Krater am Berg vor uns, Palmenwälder, Reisfelder und klare kalte Luft gehört halt mit dazu in Bali. Abends Maskentänze, religiöse Riten, die nie zu enden scheinen. Die Götter und Dämonen sind lebendig in Bali, meinem Paradies.

Ich will Dir nur wieder ans Herz legen, Dir einige Bücher über Bali zu besorgen. Bitte, tu’s auch für mich, damit ich weiss, dass Du Dir ein Bild von dem machen kannst, was ich hier sehe und erlebe, in welcher Umwelt sich Dein Sohn befindet.

Von hier gehen wieder meine Gedanken zu Dir, meiner Mutter, zu Harald und Helga und zu allen, die ich liebe.

Dein glücklicher Sohn Hans



1. 7. 68 Bali

Liebste Mutter

Diesmal ganz kurz, dafür zum gucken. Wohnen jetzt schön einheimisch in Ubud, das ist so was wie Kultur-Zentrale Bali. Das Leben zeigt sich schön wie nie zuvor. Arbeite an längerem Brief, der bald in ein paar Jahren fertig sein wird. Habe gestern eine Leichenverbrennungszeremonie gesehen. Man kann wahnsinnig werden, was es hier alles gibt. Bali ist einfach wahnsinnig, wahnsinnig, wahnsinnig, wahnsinnig, und ich bin hier!

Wahnsinnskuss
Ein Urbewohner von Bali


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