Letters home 1967 -1978

Friday, January 7, 2011

Tropischer Abend - 1971

Heute (Februar 1971)

Liebe Mutter,


mein Schreibtisch vor mir biegt sich förmlich von Zeichenpapier, Fotobehälter, Briefschaften, Farbpapieren, Zeichengeräten, Film, Farbtöpfen, Schneidemessern, Bücherentwürfen, Umschlägen, Photolinsen, Pinseln, Kästchen, Zeichenbrett, Kalender und was weiss ich nicht alles, und das Glas Bier, das ich dazwischenzwänge, hat kaum Platz. Meine Ellbogen kleben (man schwitzt ja dauernd, obwohl in Badehose und unter Ventilator) an drei Schichten von Entwurfpapieren.


Nichtsdestotrotz, ich muss endlich mein elendes Gewissen erleichtern und wenigstens Dir wieder eine Antwort zukommen lassen. Was sich so um mich türmt, ist der Anfang meines “Apa-Verlages” und auch der ständige Grund meines Schweigens in Briefen, kurz, die Arbeit steckt mir bis zum Haaransatz.


Da Star’s Schreibtisch ebenso voll ist mit Arbeit und zu allem Übel meine chinesische Hausmutter für eine Woche Ferien macht, sieht es in der Küche aus, also aus sieht’s da... (da Star äusserst liberated und autonom ist, wie es sich für ´ne echte amerikanische Tunte gehört, wird die Hausarbeit, hört, hört, geteilt -- und Du kannst Dir ja vorstellen, wie sehr ich schpülen, das schschschpülen liebe!!!) Dabei ist die Ama Margarete, unsere eben verreiste Hausdame, erst zwei Tage nicht da. So drunter und drüber ging’s noch nie.


Harald hat hoffentlich meinen Brief erhalten, und so hast Du sicherlich das neue Büchle Next Stop Indonesia gesehen - ganz hübsch, was?? Dein letzter Brief kam vor einigen Tagen hier an und war wieder so traurig. Ach je, er ist vom 13. Januar, und ich hab Dir bestimmt seit Wochen nicht mehr geschrieben. Eine Schande meinerseits, verzeih. Um Dir ein wenig über die Depressionen zu helfen, will ich Dir hiermit einige Fotos zuschicken, ein paar von Bali, die Du sicher noch nicht gesehen hast, mit Dir drauf und welche, die Du mir geschickt hast.


Da meine Photosammlung in die Tausende geht, schick ich sie lieber zu Dir, da sind sie viel besser aufgehoben. Zu schön, sie alle nochmal anzusehen und an Deinen Besuch zurück zu denken. Die etwas grösseren sind ganz schnell ums Haus hier rum photografiert und zeigen ein wenig von meinem neuen Heim. Und eins ist für den Harald sicher interessant, mein Auto nämlich, das mir vor ´ner halben Stunde mit defekter Benzinpumpe in der Stadt stehen blieb.


So lass mich mal schnell Deinen lieben Brief nochmal durchlesen: Harald macht Dir aweng Sorge! Allmächtiger, der Harald! Also mein Rat mal wieder (der dümmste natürlich): lass ihn ruhig durch’s Examen fallen. Was meinst Du, wieviele Studenten in einem Jahr so durchs Examen fallen, 100 tausende von Examen werden auf diesem riesigen Planeten Jahr für Jahr durchfallen und sicherlich irgendwo im Weltall, wo’s noch ein paar solcher lustigen Planteten gibt, fallen Millionen von Studenten durch’s Examen, da kommt es doch nicht auf ein lausiges Exämchen an, nicht wahr?

Selbst hier in Singapore fallen lauter Chinesen durch, und in Indonesien erst, Du machst Dir ja überhaupt keine Vorstellungen nicht, wieviele dort erst durchfallen in Indonesien, durch’s Examen hindurch, jawohl. Und es ist ja auch, wie Du selbst sehr richtig bemerkst, nunmal Haralds Examen. Also ehrlich, Mutter, wenn es Dein Examen wäre, ich würde bestimmt ganz anders reagieren. Also ich würde Dich so richtig zusammenreden und Dir die Ohren waschen und alles mögliche, daher sei lieber froh und heiter, dass es ja nicht Dein Examen ist und ich Dir daher lieber einen netten Brief schreibe.


Schreib mir bitte, wann Du es für richtig hältst, meine Deutschlandreise zu planen. Ich hatte sowas wie Karneval im Sinn, aber das wird jetzt schon wieder kanpp, wie ich es so mit meinen Examen vergleiche. Wie wär es, wenn Du Dir erstmal Deine Kur (also so ne richtige Erholskur mit Kurschatten und –Sonnenschein) einverleibst und alle anderen in Examen verwickelten erst sich mal entwickeln und ich mit meinen Büchern weiter arbeite.


Alle sollten frei sein vom Druck dieser Erde und sich freuen können und singen wie die Vöglein im Walde dortens. Oh, Mutter, sei ne liebe Mutter und aweng frohohohogemut!!!


(ScheissKrefeld!!)


Viele meiner Freunde haben also angerufen und sich um mich befragt, wie schön. Ich bin solch ein unsozialer Mensch, bin in überhaupt keiner Society drin und bin so gespannt, wie ich mich da so zurechtfinden würde in Deutschland.


Der Frank Baier hat mir einen riesigen Brief geschrieben und mir so durch die Runde erzählt, was sich so abspielt. Ach Jottchen! – Er ist einfach ein grossartiger Kerl, dass er so an mich denkt. Vielleicht reicht mein Wortschatz noch aus, ihm hinterher eins zu schreiben. Glaub kaum.


Tante Gertrud hat mir geschrieben und ich habe natürlich sofort nicht geantwortet. Waht a mess! Wann schreibst Du mir mal in englisch, because I’m talking always english in this lovely island city, that I kaum noch german denken can and I always so confused get and überhaupt net mehr weiss, wo I dra ben. Englisch wäre wirklich so viel schöner aus Deinem Munde zu hören, besonders hier in Singapore.


Es gibt zwar ein paar Deutsche hier, sogar sowas wie einen deutschen Club, dort singt man sonntags - im schönsten Wiesengrunde und warum ist es am Rhein nicht schöner, und es riecht mir zu sehr nach den Gründen, die mein völliges ausbleiben von Heimweh erklären.


Ach Gottchen ja, ich bin sooo sicher, dass im Falle einer deutschen Niederkunft meinerseits, ein riesiger Sirup des Alltäglichen mich immediately umlullt, dass ich in zwei Wochen sicher nur noch "Kaufhof“ denken kann. Jedoch, jedoch, ein Tourist zu sein, ein reisender Unhold mit Kamera vor dem Bauch, das Dach des Benrather Schlosses belieblinselnd und den Sonnenaufgang im winterlichen Marburg, das tät mir schon gefallen.


Ein Guidebuch für die Herbst Pitter Brauerei zu publizieren und evtl. eins für Heckmanns Sonntagsrunde. Ach wie schön wäre das !!! Ach wie schön.

Übrigens habe ich wirklich vor, mir mit allen meinen Millionen eines Tages ein Landgut in Europa, gegebenenfalls zwischen Madrid und Ulm, mit Pferden drauf und vielen Freunden als Besucher zu kaufen, und den Rest meines unfüglichen Lebens dortens zu vertrödeln mit Kamera vor dem Bauch und als reisender Unhold (siehe oben) nur noch den Sinn des Lebens zu photografieren. Ach ja wie schööööööööööööööööööööööööööön.


Leider muss ich Dich etwas enttäuschen, was Deinen letzten Wunsch: "dass Star Dich glücklich macht“ betrifft. Ich mache mich so viel wie möglich selbst glücklich, zusammen mit Star natürlich !!! Sie ist wirklich so ein liebes liberated Kerlchen, das Küchenarbeit genauso hasst wie ich leiderjottes (verdammt).


Ich bin jetzt etwas ins Träumen geraten unversehens, von Landgut, Endegut, allesgut und so ähnlich, das zweite Bier ist alle und ich klebe noch immer an der Sessellehne am Ellbogen. Es ist jetzt genau 29 Grad unter dem Ventilator und 10 Uhr abends und die Grillen pfeifen draussen wie aufgedrehte Kurzwellensender und ich denk an den Hans Pfeiffer in Heumaden und ich muss Dir noch schnell erzählen, dass meine zwei Katzen der Krätze zum Opfer gefallen sind und von uns beiden tüchtig beweint beim Tierarzt schlafen gingen.


...Sei für heute wieder herzlich geküsst und so weiter, sei nicht so romantisch in Examen vertieft, lieber ins Englishlernen, lach ein wenig bis viel und habe den Kopf und die Heizung hoch und grüss Frl. Macke über Dir und ruf Frank Baier an und lass Dir einen von ihm aufspielen auf seiner Laute, freu Dich auf den Frühling und auf’s vonEnkelngeküsstwerden. Ich werde nämlich zwei bis drei Kinder aus Asien adoptieren, einen Chinesen, einen Inder und einen Balinesen zwar, und damit die Familie Höfer verunzieren, irgendwann.


Umarmung Hans


Singapore Settlement

Singapore im Januar 1971



Meine Lieben,


natürlich bin ich ganz wahnsinnig beschäftigt.


Das Haus, das ich gemietet habe, hat kaum Möbel, und da muss ich ne Menge neu entwerfen, zum Schreiner rennen, zum Anstreicher und zu hundert anderen Leuten. Ich hab nen Gärtner für den Garten, der etwa 100 m lang und 30 m breit ist. Das Haus hat ein riesiges Wohnzimmer und drei Schlafzimmer, eins für das grosse Gemeinschaftsbett, mit Badezimmer dran, eins wird gerade mein Studio und ein anderes Star’s Studierzimmer, wenn sie mal studiert. Da ist auch nochmal ein Badezimmer dazwischen. Eine Wildwest-Schwingtür führt zum Wohnzimmer hinaus in einen Raum, der von meiner Ama, das ist meine ständige Hausfrau, als Bügel- und Nähzimmer verwandt wird; dahinter ´ne grosse Küche, etwas grösser als Mütters. Dahinter dann ist das sogenannte Servants-Quarter, ´ne kleine Wohnung für die Dienerschaft, die ich aber inzwischen in eine Dunkelkammer und Farblabor verwandle, mit allen Schikanen. Dann ist da noch´ne Garage, die ich auch zum Arbeiten umwandle. Alles zu ebener Erde und janz schön mit Ventilatoren und so weiter.


Seit etwa 3 Wochen also bin ich hier und arbeite wie verrückt. Ich war mal wieder in Indonesien für zwei Tage und hab Geschäftchen gemacht und janz schön verdient. Am Freitag werde ich nach Malaysien fahren, nach Kuala Lumpur, um dort mal etwas herumzustöbern. Zu diesem Zweck hab ich, ach ja, mir einen wunderschönen alten Jaguar gekauft, so richtig englisch mit Holzverkleidung innen und 2,4 Liter Motor vorne, aber knall gelb. MK2, wenn’s den Harald interessiert, ich fühl mich vielleicht komisch, wenn ich so das Gartentor aufmache und in meinen Hof einfahre ...


Mein Telefon steht dort in der Ecke und ist für weitere Telefonanrufe nach Deutschland reserviert, was ich scheinbar weniger aufregend finde als Ihr. Da schwebt halt so ein Satellit dazwischen und bringt uns näher, wie schön. Ich sitze da um 12 Uhr nachts unter dem Ventilator in der Badehose, und Ihr habt gerade ´nen Nachmittagskaffee getrunken und sitzt, schön beheizt, um 6 da so in vielen Kleidern, wie schön.


Das Singapore Buch ist im Anfangsstadium und wird sicher ganz gut.


Alles da, im Eisschrank, und jetzt ist es 7 Uhr morgens und die Margarete, eine runzlige Chinesin, macht gerade das Frühstück, na bitte. Meine Balisachen stehen und hängen überall herum, noch ungeordnet. – Ganz gute Idee, wenn der Harald kommen tät, Singapore ist eine herrliche Stadt, besonders wenn ein Bruder dort herumwohnt.


Oh je, schon muss ich wieder weg, in die Welt hinaus der jungen, strebsamen Millionäre.


Seid mir net bös, ich lass bald wieder was von mir hören, gell, länger und mit Photos.


Kuss an Mutter, Schwester

und eingeheiratete


Hans