Letters home 1967 -1978

Sunday, January 29, 2012

Lange Häuser März '72

Kuala Lumpur

Dein Sohn, der da sitzt und von allem möglichen träumt


März - April 1972



Hallo, hallo, da bin ich wieder zurück von Ungewöhnlichem!

Ost Malaysia, Sabah und Sarawak, was zu deutsch Borneo heisst, wo die Kopfjäger hausen und die Tiger brüllen und die Nächte dunkel sind und die Flüsse auch. Es war recht nett.

Beinahe wäre ja der Harald mitgefahren, wenn er nur nicht so schnell hätte wieder weg müssen. Aber dafür kommt er ja bald wieder. –

Also, da sind wir auf einen hohen Berg hinaufgeklettert ( dem Mt Kinabalu ) und haben nach unten gekuckt aus über 4000 Meter Höhe, hinuntergekuckt auf die Welt und unsere Zehen.

Und dann sind wir, das ist die Star Black (schwarzer Star), Ihr kennt sie ja, glaub ich, und ich und so sind wir wieder hinuntergeklettert, das ist ja klar, sonst würde ich ja jetzt nicht von Kuala Lumpur schreiben, denn dann wäre ich ja noch gar nicht zurück von Borneo. So ist halt das Leben. Also, den Zug haben wir genommen, oder den Aufzug, manchmal auch eine Rolltreppe, doch meistens eigentlich ‘nen Landrover, dann auch Busse und Flugzeuge und alles hat geklappt wie am Schnürchen. Boote auch.

So waren wir dann im Sultansland von Brunei, so ein richtiger reicher Drecksfleck voll von Oel auf der Landkarte und dann gleich weiter nach Sarawak zu den Kopfjägern. Na also, die sind vielleicht nett. Die haben uns interessiert betrachtet, als wir in ihrem Haus ankamen. Lange Häuser haben sie, so lang, bis etwa 500 Leute darin leben und jeder kennt natürlich jeden. Ein Getratsche muss das sein, in der Nachbarschaft!!!

Also, die haben uns nicht aus den Augen gelassen, sag ich Euch, haben uns herumgeführt und haben uns teilhaben lassen an ihrem Leben von schlichter Bescheidenheit und heiterem Köpfe jagen. Ganz über den Körper hinaus sind sie tätowiert und haben speziell den Hals mit Kringeln verziert, was ich dann auch gleich habe fotografieren müssen. 42 bleiche Köpfe hingen vor unserem Schlafzimmer, was uns zum Ruhme gereicht, denn es war der Gästeraum des Häuptlings, der lieber ausserhalb wohnt, weil er da seinen Wagen besser parken kann.

Ereignisreich, wie so das Leben nun mal ist, sind wir jetzt in der letzten Phase des Guide to Malaysia, was ja wohl auch ein richtig schönes Buch wird.

Die Margarete serviert gerade das Abendessen und lässt den Harald fragen, wie es ihm geht. Kein Wunder, sie hat ja seine Wäsche gewaschen. Ich hoffe, dass Ihr mir nicht hasst, weil ich schon wieder haben nicht einen Brief inzwischen ankommen lassen. Aber die Zeit ist halt schuld an allem, weil sie mir so immer zwischen den Fingern zerläuft, den Buckel hinunter.
Daher also kurz dieser Liebesbrief, da ich in etwa 20 Minuten wieder auf das kleine Flugzeuch nach Singapore hetze und das Malaysiabuch fertig machen muss.

Mit viel Liebe grüsse ich Euch, da ich zurück aus Borneo bin,


Hans Hoefer, der da sitzt und träumt.



Liebe Mutter,

habe Deinen Brief erhalten und arbeite gerade an einem Meisterstück von einem Brief, der bis jetzt jedoch nur drei Seiten umfasst! Bin sooo beschäftigt, habe noch etwas Geduld. Hier eine Broschüre über das neue Buch. Es wird wie verrückt gedruckt augenblicklich!!

Mir geht es bestens, viel reisen und fotografieren und nebenbei die Druckaufsicht für’s Singapore Buch.

Das nur ganz kurz.

Viele liebe Grüsse und Küsse an alle


Dein Sohn



Liebe Schwester und lieber Bruder in Law!


Es ist mir gar nicht so recht klar, warum ich ausgerechnet jetzt anfange, was direkt von mir hören zu lassen, aber irgendwie wollte ich schon immer mal wieder ‚nen Anfang machen. Obwohl die Zeit so unglaublich davonrennt und jetzt schon wieder Monate zwischen meinem Besuch liegen, sind meine Gedanken doch fast täglich mit Euch allen und mit all den Dingen, die so passiert sind seither.


Also, um mich herum ist sowas wie ein Irrenhaus. Star sitzt mit Steve und mit einigen Fremden am Tisch, alle Türen sind offen, die Sekretärin hämmert auf ihrer Schreibmaschine, Margareta, unsere Haushälterin, serviert pausenlos Kaffee und die Aschenbecher füllen sich mit aufgeregten Kippen. Das End-Stadium eines Buches ist erreicht und so sieht’s aus, wenn über die ganzen Buchmanuskripte diskutiert wird, ob ein Komma hier oder da, was noch alles getan werden muss und was endlich getan ist. Meine Arbeit für heute ist getan und nachher um neun werden Steve und ich wieder zum kleinen Privatflugzeug der Straits Times pirschen und durch die Monsunwolken nach Singapore fliegen. Morgen gehe ich zum Drucker und gebe weitere Teile des Buches ab. Uff. Noch etwa drei Wochen, und unsere Arbeit am dritten Buch ist beendet.


Also, wie geht’s, was machen Eure Sorgen? Meine könnt Ihr sicherlich ahnen, ich hab so viel angefangen, dass ich jetzt kaum weiss, wie ich alles zum Erfolg bringen kann.


Dass Heri seinen Job gefunden hat, weiss ich von Mutters Informationsdienst inzwischen, dass Wohnungsumbruch und Dekorations- und Möbelsorgen auf dem Weg sind, ist mir bekannt. Dass der Frühling wieder da ist und Amsel, Drossel, Fink und Star, kann ich mir vorstellen. Was mich jedoch genauso interessiert, ist das, was so alles nebenbei passiert. Wie ist Heri'’ Job, was machen Deine Pläne mit der Massage und so weiter? Es ist so ne Unmenge über den Tisch gegangen vor und während dem gelobten Feste, dass ich doch ganz froh wäre, was von Euch zu hören, selbst auf die Gefahr hin, dass meine Feder wieder für ne Weile versiegt, wie es halt so bei einem Asiaten Hallodri passiert. Ich hab mir mal wieder vorgenommen, mich etwas zu bessern, weiss jedoch auch gleichzeitig, dass mich der Vorsatz alleine schon einige Male beruhigt hat.


Doch was soll’s; wie es scheint, werde ich demnächst 29 Jahre alt, und es hat mich heute morgen (für einige Sekunden nur) gepackt und die Frage hat mich gerüttelt, warum ich bloss nicht und überhaupt, dass ich doch wohl, und ausserdem, sollte ich etwa, andere tun'’ doch auch und heiraten vielleicht, ne Grossmutter machen und was zustande bringen, vernünftig werden, alles.


Solche Sekunden hatte ich heute morgen, und mein inneres Kopfschütteln hält noch an, sitzt hier in Asien, reist durch die Gegend, zieht dauernd um, muss man sich mal vorstellen, Hans ist seit Jahren mit seinem Umzug begriffen. Ansonsten habe ich wenige Anzeichen des Alterns. Übrigens ist Steve, unser Freund und Kapitän, an die 45 herum und der spinnt noch immer. Sicher kriegen wir es eines Tages hin, dass Ihr unsere ganze Mannschaft mal kennenlernen tut. Wie und wo ist mir noch nicht ganz klar, aber der Anfang liegt schon auf Kiel. Das Boot nämlich könnte doch ohne weiteres, also nur um das Kap herum der guten Hoffnung wegen, entlang Afrika vielleicht und die Donau hinauf, da war doch irgendein Kanal durch Russland (?) oder nein, den Rhein hinauf oder so ähnlich. Andererseits könntet Ihr evtl. alle nennenswerte Gegenargumente ignorieren und hier mit uns an Essstäbchen knabbern. – Doch was hat man schon vom Träumen, nur Hirngespinste oder lichte Momente und die, wie ich höre, sind ja soo unnötig.


Ansonsten im Osten nichts Neues. Nixons Friedensreise durch Asien ist immer noch nicht beendet. Wir haben uns schon alles mögliche überlegt, vielleicht einen Reiseführer durch Bangladesch oder falls das nicht hinhaut, für Taiwan. Die Umstände hier in Asien sind es allesamt wert, sich nen Bart wachsen zu lassen, revolutionär zu reden und dann evtl. schleunigst zu verschwinden. Da haben wir uns überlegt, ob wir nicht vielleicht Bücher irgendwo sonstwo machen sollten und uns heute morgen für Mexico entschieden. Also Mexico. Mexico, Mexico ist nicht schlecht.


Natürlich könnten wir uns auch nach Afrika verziehen, soll ja auch ganz interessant sein, alles. Wie immer also, im Osten nichts neues, alle Pläne sind geschmiedet, kaum eine Änderung ist möglich, alles vorwegbestimmt, Sicherheit und Gottvertrauen, das tägliche monotone Leben hält an, wenig neues zu erwarten. Es ist zum Auswachsen langweilig. –


Andauernd Asien, bemerkenswert grün übrigens.


Wie Ihr seht, es ist anstrengend für mich, über mehr als drei Seiten vernünftig zu bleiben. Habe soeben Mutters letzten Brief erhalten, von der „Wesensveränderten"“ Bitte gebt mir eine genaue Beschreibung des neuen Wesens, damit ich beruhigt bin. Ein neues Wesen in der Familie kann ja immer zu unverhofften Veränderungen führen. Zu wesentlichen, alles.


Für heute nun möchte ich Euch alle umarmen und eine Wiese hinunterrollen.



Hans



PS.

Star wurde von mir seit längerem beauftragt, sich gefälligst mal selber in einem Brief an Euch vorzustellen, aber sie schreibt halt immer Bücher augenblicklich. Bis dahin könnt Ihr weiterhin Eure Englischkenntnisse aufwärmen und ich nur ihre herzlichen Grüsse bestellen,


Servus!



Lieber Harald,


ich hab so ein sauschlechtes Gewissen, dass ich Dir noch nicht selbst geantwortet habe, also dieser Brief hauptsächlich zum Selbstzweck. Ich hoffe, Jim hat Dir vor meiner Reise nach Borneo alle Informationen zukommen lassen. Oder? Ich hatte ihn gefragt, alle Preise für Dich einzuholen und er hat den Brief an Dich gleich losgeschickt.


Wie geht’s, mein Lieber? Hoffentlich kannst Du Dich augenblicklich über dem gewissen Wasser halten, denn finanziell sieht es immer noch etwas belämmert aus für mich hier. Ich muss etwas Reserve hier behalten und noch immer sind meine verschiedenen Geldhähne versiegt. Das wird sich wie immer demnächst ändern, aber bis jetzt habe ich noch nichts endgültiges.


Mein neues Farblabor ist jetzt in downtown Singapore, ganz feudal mit Teppichboden, aber das Umziehen, die neuen Installationen und alles haben uns den letzten Pfennig gekostet, und es reichte die letzten Monate gerade, sämtlichen Angestellten die Gehälter zu zahlen. Also vom Lab ist wenig zu erwarten für dieses Jahr, da Kurt ausgiebige Pläne hat, die Aktivitäten des Laboratoriums zu erweitern. Mit den Büchern geht es halt wie immer zu langsam, wir sind am rotieren, um das Malaysiabuch abzuliefern. Das also alles ohne weitere Geldquelle, und daher rutschen wir auf den letzten Pfennigen. Das zu Deiner Beruhigung.


Nebenbei haben wir uns mit dem Boot soweit verpflichtet, dass zu allem Fröhlichen auch noch die Miete für den Shipyard dazu kommt. Wir sind jedoch immer noch bei Laune und ungewöhnlich optimistisch, denn es macht gewisse Freuden, so ein Boot beim Entstehen zu halten. Es wird eine herrliche Persönlichkeit, da wir jede Schraube selber drehen. Einen guten Namen hat das Mädel noch nicht, auch haben wir noch keinen Priester gefunden, der sich bereit erklärt, gleichzeitig mit einem buddistischen Mönch, einem indischen Sahdu, einem malayischen Magier und einer chinesischen Kapelle bei der Einweihungszeremonie dabeizusein. Aber all diese Probleme werden demnächst geklärt werden. Solltest Du Lust verspüren, uns in diesem Sommer bei heiterem Sonnenschein und bei freier Kost beim weiteren Bau zu helfen, (wir benötigen eine weitere ruhige Hand), dann sag uns bitte Bescheid. Die Flugkosten könnten wir evtl. zusammenkriegen und ausserdem werden wir sehr wahrscheinlich ganz nebenbei einen Guide to Thailand machen und das Boot nach Bangkok schippern, und da brauchen wir wieder einen Fahrer, und ausserdem wär es doch auch für Deinen Bauch recht gut, mal wieder etwas chinesisches zu essen und auch Rama, der Inhaber des Indischen Restaurants fragt immer nach Dir. Also fahr nicht immer nach Spanien.


Hans




Liebe Mutter,


Gerade habe ich meine Arbeit für heute hinter mir. Da fällt es mir auf, dass ich jeden Tag nach Post schaue und seit längerem keinen Brief mehr habe von Euch. Da schreib ich lieber gleich mal kurz selber, denn Du fühlst sicher ähnlich, wenn der Briefträger nichts einbringt.


Also im Osten wenig Neues. Das Singapur Buch verkauft sich so allmählich., von uns wenig beachtet, denn das dritte Buch muss raus und zum Drucker, und so verbringen Steve, Star und ich jetzt die meiste Zeit hier in Kuala Lumpur, um dem Buch den letzten Schliff zu geben. Ich hoffe, dass es Dir nichts ausmacht, wenn ich beide Bücher zusammen nach Hause schicke, das wird dann ein grosses Paket für alle. Langsam aber sicher müssen wir an die nächste Zukunft denken, da mein Mietvertrag für beide Häuser hier in Kuala Lumpur und in Singapur abläuft. Bis Mitte Mai kann ich das Haus in Singapur noch behalten, und dann muss irgend was geschehen. Es gibt da ne ganze Menge Möglichkeiten, entweder ne kleine Wohnung in Singapur zu mieten, oder, falls es mit einem neuen Vertrag hinhaut, evtl. sofort nach Thailand zu gehen. Man scheint, wie schon erwähnt, an weiteren Büchern interessiert zu sein. Nur eine feste Zusage habe ich noch nicht.


Gerade fällt mir ein, dass ich gerne von Dir die Adresse von Vetter Gottfried in Afghanistan hätte. Ich habe durch einige Freunde ein Angebot an die Regierung von Afghanistan gemacht, aber bis heute noch nichts rechtes gehört. Gottfried könnte mir da evtl. aushelfen. Wie lange wird er dort sein? Ich glaube, Du sagtest mir, dass er seinen Vertrag verlängert hatte?!


Um mich herum geht’s ganz geschäftig zu. Lilian, unsere Sekretärin, sitzt an der Schreibmaschine und tippt die letzten Manuskripte. Steve sitzt in einem der Schlafzimmer und Star hat sich die Garage als Büro eingerichtet. Dann sind noch zwei amerikanische Freunde hier, die uns helfen, über die Texte zu lesen und die letzten Fehler herauszupicken. Inzwischen in Singapore ist Jim, ein anderer Freund, den Harald hier kennenlernte, dabei, das Boot aufzurichten. Also wie gesagt, das Boot ist schon ganz schön auf dem Weg. Es wird wohl noch einige Monate dauern, bis der Bootskörper gebaut ist, aber langsam, aber sicher nehmen unsere Zukunftspläne doch Form an.


Wie steht es denn so mit Urlaubsplänen in diesem Jahr? Sicher denkst Du wieder mal zuerst an alles andere, als an Dich selber. Wie Du Dir denken kannst, weiss ich noch nicht genau, wo ich im Juli oder August sein werde. Aber wir sollten uns doch mal schon unsere verschiedenen Portemonnais anschauen, vielleicht klappt doch sowas wie ein Familientreffen in Thailand oder sonstwo, die Flugpreise werden ja doch von Monat zu Monat billiger, wie es scheint.


Eigenartigerweise muss ich jedes Jahr nachzählen, wie alt ich am 20. Mai werde. Man vergisst hier die Zeit so einfach. Also ich werde jetzt 29 Jahre alt und habe immer noch nichts „Vernünftiges“ zustande gebracht! Na sowas - -


Wie geht’s Euch zu Hause? Hoffentlich seid’s nicht verschnupft, dass ich so wenig schreibe, aber wie immer muss ich Euch halt etwas Geduld ans Herz legen, wenigstens bis am Tag, an dem ich vernünftig werde. Ich nehme an, dass Du, liebe Mutter, augenblicklich mit Heris und Helgas Veränderungen sehr beschäftigt bist. Harald wird mit Autos und Ines und mit Mathe herumkurven, also so ist alles beschäftigt. Egon hat mich zum Polterabend eingeladen, doch leider war ich verhindert an dem Abend, sonst wäre ich evtl. doch noch vorbeigekommen. Ich liebe Polterabende! So ist auch er unter Fach und Dach und ich warte jetzt auf die Einladung zu Haralds Polterabend. Gestern Abend hat’s hier auch gepoltert, aber hier sind’s halt natürlich Gewitter, weil ganz sachte wieder die Regenzeit anfängt.


Wie ich Dich kenne, liebe Henny, betrachtest Du die augenblicklichen Unruhen in Vietnam mit gewisser Unruhe, und ich muss Dir doch wieder raten, einmal genau den Atlas zu betrachten. Wir sind hier nämlich recht weit weg vom Schuss, und so kann der amerikanische Unsinn uns nichts anhaben. Also keine unnötigen Gedankengänge bitte.


Schreibmaschinengeklapper um mich herum, meine Gedanken werden dauernd gestört, es ist ein heisser Nachmittag, die Bücher müssen raus, alles mögliche ...


Im Osten wenig Neues.


Gruss und Kuss vom Hans


Monday, January 23, 2012

1972 - Das Jahr der Ratte

Kuala Lumpur
26. Februar 1972


Liebe Wesensveränderte!

Also wie geht’s? Mir geht’s gut. Ich habe Deinen Brief bekommen. Heute morgen. Vom Briefträger. Er kam zu unserem Haus hinauf. Mit dem Brief. Dem Wesensveränderten. Gerade habe ich ihn gelesen. Die Handschrift ist aber doch noch immer die selbe? Das ist nett. Seit ich diesen Brief angefangen habe. Es sind schon wieder. So viele Stunden vergangen. Ich war in Singapore. Mit’m Flugzeug. Und bin jetzt schon wieder zurück. Was ein Glück. Das ist. Sonst hätte ich Deinen Brief nicht bekommen. Heute morgen. Vom Briefträger. In der. Schwarz. Mit brauner Uniform. Hättest mal sehen sollen, wie der sich gefreut hat. Über Deinen Brief. Er freut sich nämlich immer mit mir. Manchmal lesen wir die Briefe gemeinsam. Er will immer die Briefmarken haben. Also schreib bald wieder. Demnächst. Übrigens muss ich jetzt zum Bahnhof. Heute nehme ich einen Zug. Nach Singapore. Schon wieder?? Schon wieder!! So ist das Leben in Asien halt. Dauernd reisen!

Demnächst. Wieder.

Dein Hans


Donnerstag


Liebe Mutter,

der Grund meiner Schreibpause liegt ausschliesslich hier. Das Singapore-Buch wurde gestern beendet und wird in den nächsten Tagen in allen Buchgeschäften sein. Doch uns bleibt kaum Zeit zum Verschnaufen, denn das dritte Buch über Malaysien muss bis Ende März fertig sein und das ist noch eine Sauarbeit. So kurve ich zusammen mit Steve und Star ununterbrochen durch die Gegend, zwei Tage hier, drei Tage dort, mache Fotos, fliege nach Singapore für einen Tag und Zeit zum Verschnaufen bleibt keine.

Dazu kommt, dass uns das Geld ganz bedenklich zu Ende geht, aber wir müssen mit dem bewilligten Geld für die Bücher auskommen, komme was da wolle. Erst mit der Präsentation aller Materialien für das Malaysiabuch können wir weitere Verträge und damit die nötigen Penunzen erwarten. Hart, aber wahr. So bin ich natürlich etwas beladen mit etwas Sorge um unser Unternehmen, jedoch alles in allem sehr zuversichtlich, wir müssen eben nur durch die Arbeit durch.

So kommt es dann auch, dass mein Brief an Dich einfach liegen bleibt und ich anstatt ihn zu beenden lieber gleich ganz neu loslege, um wenigstens wieder ein Zeichen zu geben.

Dein Brief aus Marburg kam heute Nachmittag an und klingt ja doch sehr beschäftigt. Natürlich ist es ganz kompletter Unsinn von Dir, anzunehmen, dass ich über mein Zuhausesein verstimmt oder Dir irgendwie böse bin. Nach meiner Ankunft hier musste ich mich eben total meiner Arbeit hingeben, was mich halt ganz in Anspruch nimmt und teilweise halt ein wenig auslaugt. Die Druckerei hatte einen langen Streik, neue Probleme mit der Buchproduktion hier in Malaysia und der tägliche Kleinkram des Geschäftes, der uns sehr wenig Zeit gibt, irgend etwas nebenher anzufangen. Na ja, ich weiss wenigstens, wozu ich das alles mache und wenn dann so ein neues Werk vor einem auf dem Tisch liegt, hängen die Geigen halt wieder hoch. Alle weiteren Pläne wie Boot oder weitere Bücher liegen in der Luft, alles wartet auf das Ende des dritten Buches, dann werden wir weiter sehen.

Neben der Buchproduktion gibt es daher von hier recht wenig zu berichten, so komisch das klingt, denn die Buchproduktion scheint eben alles einzuschliessen. Die englische Königin juxt gerade hier in der Stadt herum, und alles wundert sich, dass sie plötzlich hier ist, die gleiche Dame, die noch vor wenigen Jahren jeden Morgen hier in Dschungelschulen und Kolonialbüros dem lieben Gott ans Herz gelegt wurde: God save the Queen! Zum Piepsen, den Jubel der befreiten Untertanen durch die Zeitungen labern zu sehen, was für einen Hut sie heute an hatte und wem sie zum wievielten Male die Hand geschüttelt hat. Antiquierte Extase, und kaum einem fällt’s auf.

In Singapore war sie auch und kreuzt demnächst mit ihrem Schiffchen nach Borneo, wo ich hoffentlich nicht in sie reinrenne, denn Star und ich werden nächste Woche dorthin reisen, um den letzten Teil des Landes ein wenig zu fotografieren tun, alles.



Sonntag, den 27. 2. 72

Na also, so sieht es ja schon besser aus. Wo ich jetzt bin? Na bitte: altes Haus, so was wie ein vergilbtes englisches Landhaus, mit vermodertem Dach und Schwalbennestern unterm Sims, hölzerne Parkettböden, gemütliche Armsessel, ein wenig durchgesessen, ein Hausmeister in weissem Jacket, der den linken Arm hinter dem Rücken hält, wenn er was serviert, wie soeben das Abendessen.

Ne Lounge, sowas wie ein Aufenthaltsraum mit vergilbten Lampenschirmen, alte Holzmöbel, die Bilderrahmen sind gefüllt mit Drucken aus vergangenen Tagen und des Hausmeisters Kindes-Bilder. Ich sitze vor einem Kamin, in dem das Holz knackt, habe diesen Brief auf’m Knie und den Dschungel hinter mir, der durch die geöffnete Gartentür zirpt. Vollmond und Rauch, der zum Hexenhauskamin hinausfegt -–na bitte. Da fühl’ ich mich gleich besser zum Schreiben aufgelegt, als zwischen Bürokram und Telefongebimmel. Ich bin mit Star zu einem dieser herrlichen Berge herausgefahren, die Kuala Lumpur umgeben und von den Engländern zum Verschnaufen von der Hitze im Tal herrlich ausgebaut wurden. Nach etwa zwei Stunden Fahrt durch Gummibaumplantagen und Dschungelstrassen kamen wir hier an und machten die Entdeckung des Tages: Most.

Wie der Chinese, der das alte englische Gasthaus hier verwaltet, dazu kommt, ausgerechnet hier in Fraser’s Hill, zweitausend Meter überm Meeresboden, inmitten von Gummiland und Dschungelfarn Most zu brauen - - - geheimnisvolles Asien. So also sind meine Gedanken leicht in Heumaden, Fässle putze, Moscht hola und es riecht nach Bratäpfeln und allem anderen und ich bin selig wie’s sich gebührt, weil das alles doch dazugehört zum Leben, alles.-

Übrigens möchte ich Dir doch auch gleich ein gutes neues Jahr wünschen. Das Jahr der Ratte ist soeben eingetroffen und die Chinesen feiern wie wild, weil die Ratte ja doch so ein listiges Tier ist und zum Fest auch gleich Mister Nixon nach Peking gewallfahrtet kam, um allen Chinesen in der Welt zu zeigen, wie man das Jahr der Ratte so richtig beginnen sollte. Was man sich wünscht, soll man auch haben, steht auf allen roten Papierfähnchen in chinesisch geschrieben, was ja auch wahr ist, wie ich mir habe versichern lassen.

A propos versichern lassen: Du solltest es Dir von mir gleich nochmal versichern lassen, dass es mir bei Dir zu Hause immer sehr wohlig ist, selbst unterm Weihnachtsjefühl und mit gemischter Stimmung. Nächstes Jahr machen wir das dann etwas anders, gell, vielleicht unter Palmen im Pacifik, Hawaii oder vielleicht Samoa, das werden wir sicher noch rausfinden, oder ich komm wieder nach Deutschland, aber nur unter der Bedingung, dass wieder allgemein Geschenke verteilt werden, das ist doch etwas schöner, wie ich es mir so überlegt habe.

Na, wie geht’s sonst. Hoffentlich, hoffentlich pflegst Du Dich und tust nur die Dinge, die Dir Spass machen. Warst Du Seelchen mit den Benrathern zusammen nach Weihnachten? Ich würde mich ja doch freuen, wenn Du Dich etwas besser mit den Leutchen dort verstehen würdest und nicht mehr in dem alten Fettnäpfchen rumrühren tätst, s’fühlt sich sicher besser so. Inzwischen bist Du sicher schon wieder von Marburg zurück oder hast Du gleich den Umzug von Heri und Helga bewältigt. Ich wünsche mir nur, dass Helga und Heri bald wieder mit netten Leutchen zusammenkommen, man lebt ja sowieso immer mehr mit anderen Menschen, als in einer Stadt. - - -

Kaminfeuer macht ja doch recht melancholisch, wenn ich mir’s so überlege, da hat sich ja doch so allerhand ereignet in den paar Tagen zu Hause. Harald scheint ja doch wieder auf Rädern zu sein, und Diesel dazu, was bestimmt alles recht glücklich macht, alle, Du eingeschlossen, gell.

Das Wiedersehen mit Rolf, so kurze Worte und so viel dazwischen. Doris, meine heftige Empfindung erinnerungsweise, und all das andere meist drumherum, Kaminfeuer kracht. Also da hat auch wieder die Grossmutter von der Star geschrieben, lange Briefe, wie immer, erzählt uns vom alten Amerika und von der Königin von England. Jedesmal ist ein Paragraf an Dich gerichtet und so bestelle ich um den Erdball herum wieder ihre Grüsse.

Star, die neben mir in chinesischem Hausgewand lungert und sich die Stimmung mit den neuesten Weltnachrichten aus Times und Newsweek versüsst, lässt Dich auch umarmen und fragt, ob Du nicht bald mal in Englisch schreibst oder sie doch lieber Deutsch lernen sollte. Ich geb ihr schon mal so ein paar Stunden nebenbei, das heisst, alle Worte, die sich auf nichts wesentliches beziehen, kann sie bereits und mit Akzent. „Hans, komm schwimmen!“

Mein Leben ist also weiterhin das eines Millionärs, obwohl das Geld bald am Ende ist. Die Kompanie, mit der ich die Bücher hier zusammen mache, ist an weiteren Projekten interessiert. Thailand, Nepal und Java sind im Gespräch. Die bitteren Einzelheiten müssen erst noch ausgearbeitet werden. Na ja, wir werden sehen. Auf jeden Fall bauen wir das Traumschiff, damit wir eines Tages davonsegeln.

Viel Liebe von Star und mir an alle, besonders an Dich,

Hans

Germany visit Dec '71



30. 12. 1971
Singapore


Hallo Mutti,

ganz schnell, gestern Abend kam ich hier an, eingeklemmt für 16 Stunden in so ‚ne Mistkiste. Die Hitze hat mich wieder!!

Natürlich sind alle meine Gedanken bei Dir, die letzten Tage waren sooo blödsinnig verklemmt von allen Seiten. Ich bitte Dich inständig, etwas zur Ruhe zu kommen.

Gleich zum neuen Jahr schreib ich Dir einen längeren Brief, ich nehm mir erst mal ein paar Tage Ruhe nach meiner Ankunft hier, um alles ein wenig zu sortieren. Bitte schreib mir sofort, da ich doch recht in Sorge bin.

Ich umarme Dich

Dein Sohn Hans

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