Letters home 1967 -1978

Sunday, October 4, 2009

Singapore One

Hotel BALI BEACH
21. Oktober 1969


Liebe Mutter,

Wie soll ich schreiben, wenn’s Du nicht mehr schreibst. Ich will auch wieder ein braver Sohn werden, mal. Bin immer noch Buchmacher. Weiterhin, weiterhin ist Bali so schön. Nur nicht so sehr für mich.

Zwischendurch fahre ich übermorgen mit’m Flugzeug nach Singapore. Schreib weiterhin hierher, aber schreib. Herbst ist’s. (Ach ne? Geht Harald ab und zu nach Herbst?) Also, was soll ich Dir schreiben, in meiner lieben, freundlichen, klaren, wechselnden Handschrift. Was soll ich schreiben?

Hab mir gerade eine Freude gemacht. Selbst. Ich bin stolzer Besitzer eines Tonbandgeräts geworden, Marke UHER 4000 Report L (für den Fachmann), was wohl mit das beste auf'’ Markt ist, zum Tragen. War ja immer mein Traum, seit ich in Bali bin. Jetzt werd ich mal eine Balireise nach Tönen machen und alles erzählen, was ich so weiss von Bali, oder wenigstens, was ich alles so zusammenbringe an Geräuschen und Tönen. So werdet Ihr dann doch noch schneller etwas von mir hören. Das wird ein Spass werden!! Das Gerät konnte ich nur von einem wahnsinnigen Herumreisenden erstehen, der die gesamte Ausrüstung mit allen Schikanen mit sich herumtrug. Dazu sage und schreibe 43 Tonbänder von gewaltigem Mass. Stell Dir vor: 43. 43.

Sowas – Sein gesamtes Gepäck bestand sozusagen aus Musik. Natürlich alles durcheinander gemixt, so richtig nach dem Herzen eines bissel wahnsinnigen Musikliebhabers. Nichts ist geordnet oder registriert. Ausgewählte Musik in allen Preislagen, Jazz, Pop und Klassik. Jetzt hab ich also etwa 150 Stunden Musik, die ich durchforschen muss, und dabei stoss ich immer wieder auf Überraschungen. Gestern Abend 3 Stunden Segovia-Guitarre, Bach und Vivaldi, mir kamen die Tränen, Mensch, was bin ich doch für ein Glückspilz allemal. Hab’ immer noch Liebeskummer, doch nicht mehr so arg. Musik erleichtert, wie man hört.

Schön, dass Ihr jetzt einen neuen Kanzler habt. Menschmeier, in Singapore werd ich mich mal erst wieder kulturell auftanken. Ich vermisse etwas die Frische. Wie Du sicherlich schon bemerkt hast. Deshalb werd ich erst mal von morgens bis abends ins Kino gehen!!
Was sonst noch alles anliegt, ich werd’s Dir von dort schnell berichten.

Werner hat das Land hier endgültig verlassen. Ach Schitt. Nach langem Gedöns mit den hiesigen Behörden hat er endlich aufgegeben. Die Hintergründe dieses ganzen Falles zu beschreiben, ginge zu weit. Das war alles in allem so eine blöde Geschichte. – Er ist inzwischen wohl in Hong-Kong angekommen. Glücklicherweise konnte er von hier aus eine günstige Überfahrt mit 'nem Kuhtransport nach Hongkong bekommen. Er bekam eine Kabine und konnte so alle seine Bilder mitbekommen. In Hongkong will er dann versuchen, eine Ausstellung durch die deutsche Botschaft zu organisieren. Hoffentlich klappt das, damit er weiter nach Australien oder evtl. nach Hause fahren kann. Ich muss mich nach all dem Pech ein wenig auftanken, damit mein down sich weiter was bessert.

So, hoffentlich geht es Euch allen gut, vor allem Dir. Schreib bitte mal wieder, damit ich nicht glaube, Du seiest ernstlich sauer auf mich.

Viele Küsse von Deinem Sohn Hans



Singapore Intercontinental
29. 10. 1969


Geliebte Mutter,

ganz kurze Botschaft von Deinem hochstapelnden Sohn aus Singapore.

Menschmeier, ich fang wieder an zu leben! Diese Stadt hat genau das richtige, nach dem begrenzten Horizont Balis. Ich kann gar nicht verstehen, warum ich die letzten Monate etwas abgesackt bin in meiner Stimmung. Hab ich mich doch glatt in Melancholie fallen lassen, und alles wegen.... na wegen halt.

Singapore ist für mich zwar 80% Business, doch die restlichen 20 wirken wie ‚ne Hormon-Spritze. Strassen, Autos, Gestank, Lichter oben und unten, Schaufenster mit tausend Nichtsnutzigkeiten und Beweglichem. Mann, bin ich froh, dass ich so wenig Geld mitgenommen habe, sonst käm’ ich aus den Läden gar nicht mehr raus. NATÜRLICH lebe ich auch hier, was die Äusserlichkeiten anbelangt, ganz feudal, erste Klasse Intercontinental. Tonbänder hab’ ich mir gekauft, damit ich meinen langen Balibrief an Euch starten kann.

– Oh, ich bin wieder ganz oben. Schlag mich schon mit Plänen ‚rum, gleich nach Bali ein ganz verrücktes Buch über Singapore zu machen. Es sieht gar nicht schlecht aus, das ganze. Der Markt hier an Guide-Büchern ist ganz miese und das in solch einer schönen Stadt. Der Duft, der gewisse, hat mich gepackt, wenn ich so zwischendurch am Hafen ‚rumschleiche. Ist das nicht ganz furchtbar mit mir????

Übrigens ist alles ganz begeistert von meinem Entwurf für’s Buch. Und meistens ganz grosse Fische. Mein Schiffchen treibt ‚ner richtig schönen Sensation zu. Wart noch a bissel, dann hammas.

Von Werner hab’ ich noch keine Nachricht bekommen, werd wohl was in Bali vorfinden. Am Sonntag flieg ich erst mal nach Djakarta, dann am Dienstag wohl weiter nach Bali, wo ich das Buch fertig mache. Also Schatz, das nur so mal wieder zwischendurch.

Kuss von Deinem Söhnlein


PS. Mal wieder typisch Indonesia: Plötzlich verweigert mir die indonesische Botschaft ein neues Touristvisa. Im Augenblick rasen einige Fernschreiben zwischen hier und Djakarta und Bali. Woran das liegt?? Du wirst es nicht glauben, aber es ist nichts als einfacher Neid zwischen den Javanern und den Balinesen. Für Javaner ist es unbegreiflich, warum soviel Touristen nach Bali gehen und nicht nach Java. Da es langsam bekannt wird, was wir in Bali für ein „tolles“ Buch machen, ist wieder mal irgend ein Immigration General neidisch und macht Schwierigkeiten. Ein 25.000 Dollar-Projekt (und das ist unser Buch inzwischen) muss halt mal wieder etwas warten. Warum? Frag Indonesia.
Kann ja auch sein dass der Immigrations Fritze in Bali, der dem Werner Probleme machte, jetzt auf 'ne Gehaltsverbesserung spekuliert...

Jetzt dauert es wieder mal ne Weile, bis das geklärt wird und hinterher lächelt wieder alles und freut sich über ein soooo schönes Buch.

Der Sohn

Thursday, October 1, 2009

Oktoberstimmung '69

Hotel BALI BEACH 5. 10. 1969



Liebe Mutter,


Dein Brief kam vor ein paar Tagen hier an und traf mich in ausgesprochen mieser Stimmung. Natürlich hast Du recht. Du hast recht, so recht. Im Augenblick ist der Wurm drin in allem. Schön und gut, Bali ist immer noch der gleiche schöne Fleck, doch ich selber bin in viel Krampf verwickelt. Das ist vielleicht etwas unverständlich für Dich, aber auch da liegt die meiste Schuld an mir, da ich scheinbar nicht mehr in der Lage bin, einen vernünftigen Brief zu schreiben. Jetzt versuch’ ich’s halt nochmal, hab mir’s hier am Strand in einem Liegestuhl bequem gemacht und will versuchen, Dir etwas mehr von mir und meiner Arbeit zu erzählen.


Kein grösser Leid, als dat wat man sich selbst andeid, oder so ähnlich. Bin ich doch die letzten Monate sowas wie fast verheiratet gewesen mit der Star Black (so heisst sie wirklich), die auch noch der Schreiberling von unserem Buch ist. Hach, nach all dem Hitch-Hikern und wechselhaften Bindungen war das schon rein physisch was so Schönes. So wurde es flugs schönste Gewöhnung und Selbstverständlichkeit, doch belastet von dem Zwang der Zusammenarbeit und dem winzigen Freundeskreis, der Bali-Society, in und mit der wir leben.


Vor ein paar Tagen also, just bei Eintreffen Deines Briefes ging das dann alles in die Brüche und Du kennst mich in dieser Beziehung ja gut genug : ich hänge ganz unerwartet durch und zwar gewaltig... Wir wussten ja dauernd, dass wir „eigentlich überhaupt nicht zusammenpassen“ und das hat sich bewiesen. Aber dennoch, ich bin jetzt scheisssauer auf mich selber und auf alles. (So ein Dreck!!) –


Dann gab’s grossen Ärger für Werner Hahn. Er wohnte hier in der Nähe des Hotels bei einem Balinesen, hatte sich so’ne kleine Gallerie eingerichtet und arbeitete hier an dem Werbeteil des Guide-Buches mit. Eines Tages versuchte der Chef des hiesigen Immigrations-office ihm aus recht persönlichen Gründen Schwierigkeiten zu machen, was ihm nun auch gelungen ist. Werner hatte ein gültiges Visum, das bis Ende November ausgestellt war. Er hatte sich dieses Visum in Java, also nicht hier in Bali, besorgt, da er dort bessere Beziehungen hat. Das war also der Grund, der diesem Menschen vom hiesigen Büro nicht gefiel und der Werner jetzt zum Verhängnis wurde: Irgendwoher kramten sie ein altes Gesetz und stellten fest, dass Werner sich hier in Bali nicht gemeldet hatte. Kein Mensch hier wusste etwas von diesem Gesetz, aber irgendwie konnte es das Immigration-office hinbiegen, dass Werner ein Verfahren gemacht wurde, „zur Warnung“, wie man es nannte. Die Strafe war natürlich winzig, er musste etwa 15,- Mark Strafe bezahlen.


Der dicke Hund kam nur jetzt etwas später heraus: Jeder, der gegen ein Gesetz des Landes verstösst, hat das Land zu verlassen. So der Werner! Werner ist, wie ich, schon recht lange hier, hat sich hier fast niedergelassen und hängt natürlich sehr an Bali. Selbst mit Hilfe einiger einflussreicher Leute hier war nichts zu machen, er muss raus und zwar am 25. Oktober. So eine Scheisse, auf Deutsch gesagt. So gehen ‚ne Menge Pläne in die Brüche, die wir zusammen geschmiedet hatten. Jetzt weiss er natürlich nicht so recht, was machen. Kaum Geld und wenig Lust. Grosse Diskussionen sind im Gange, soll er zurück nach Deutschland oder weiter nach Australien?


Gerd Veit, der Dritte im Ubud-Haus, ist ja schon seit März in Australien. Ich weiss nicht, ob Du Dich noch an die June erinnerst? Sie lebte vor einem Jahr mit uns allen für einige Monate in Ubud. Na also, June war Australierin und lebt jetzt mit Gerd dort zusammen. Gerd schreibt Böses von Australien, kann sich gar nicht mehr zurechtfinden mit geregelter Arbeitszeit und gammelt jetzt so in den Tag hinein, malt ein wenig und ist sonst ein Aussenseiter der australischen Gesellschaft. Werner hat wenig Lust, es ihm nachzutun, fürchtet sich aber davor, dass es ihm schnell genauso geht, falls er nach Australien weiterfährt. Du siehst, richtig saublödes Zeug, alles in allem. Da Werner auch noch das Flugzeug benutzen muss und wir zusammen etwa 2000 DM Aussenstände haben für allerlei Anzeigen und Fotografien, musste ich ihm dieses Geld vorschiessen damit er was in der Tasche hat, was meiner Kasse auch nicht so gut tat, wie Du Dir vorstellen kannst.


Ich hab zwar ‚ne Menge Geld kommen in Zukunft, glaub ich, aber wie gesagt, erst müssen ja mal die Bücher auf dem Markt sein. Übrigens habe ich nach langem hartem Kampf einen neuen Vertrag gemacht. Ich weiss, dass Dich das weniger interessiert, als was ich wirklich treibe und mache, aber Du musst wissen, dass ich wirklich die grosse Chance habe, ‚ne Menge Geld zu verdienen. Mein Buch wird durch Intercontinental und Pan Am vertrieben, was ganz sicher bedeutet, dass es eine sehr hohe Auflage und Profit erreichen wird. Von New York aus wird es über die ganze Welt in den Hotels angeboten. Am Reingewinn bin ich mit 10 % beteiligt, was auf 100.000 Bücher allein etwa 80.000 DM für mich einbringen kann. Ich konnte also meinen Kontrakt auf alle weiteren Auflagen erweitern! Dazu kommt, dass ich der alleinige Repräsentant für weitere Auflagen sein werde, was mir weiterhin 15% Druckprovision einbringen wird. (Das ist schon bei der jetzigen ersten Auflage etwa 10.000 DM). Für alle weiteren Auflagen, und das kommt noch zusätzlich, bekomme ich 15 % der Werbeeinnahmen plus 1 Monat frei wohnen und essen, plus einen Return-Flug nach Singapore, das bedeutet, dass ich mir einen jährlichen Urlaub für einen Monat hier in Bali gesichert habe, für den ich auch noch mit 6000 DM bezahlt werde. Du glaubst das natürlich alles nicht so recht, aber alles steht im Vertrag.


Ich habe ein Bankkonto in Amerika, na bitte. Aber es braucht halt Zeit. Damit verbunden sind, wie Du Dir sicher vorstellen kannst, weitere hundert Pläne, was ich denn nun mache, wenn das Buch fertig ist. Ein geregeltes Einkommen hab’ ich zwar jetzt schon, aber begrenzt (Du weißt ja, dass ich für meine schönen Bemühungen hier 800 DM freies Geld bekomme monatlich, was ich natürlich schon längst in sauteure Kameras und Linsen und so weiter wieder investiert habe). Denn sobald das Buch fertig ist, muss ich mich mal wieder nach einer neuen Behausung umsehen. Zu alleroberst steht natürlich immer noch mein Deutschland-Besuch. Ich sage natürlich Besuch, denn ich kann mich einfach nicht mit dem Gedanken befreunden, mich also normaler Mensch in Deutschland niederzulassen, Mutter, trotz meiner scheinbaren Ruhe und Sesshaftigkeit hier in Bali bin ich immer noch der gleiche unruhige Gesell. Kaum sitz ich hier mal am Meer, wird es mir sofort wieder weh um’s Herz und ich fühl mich unruhiger als je zuvor. Bali, das Hotel, die kleine Kommune kommt mir dann schon wie ein Gefängnis vor und ich bete darum, dass ich das Buch schleunigst fertig bekomme, um, um, ... na ich weiss halt nicht, einfach wieder loszuzischen und das Leben wieder zu geniessen, etwas, was durch die Arbeit und das Bali-Beach-KZ ganz in Vergessenheit geraten zu sein scheint.


Sei net traurig, Henny, Dein Sohn ist halt ein wiederlicher Sauhund, der einfach nicht daran denkt, ‚ne Familie zu haben und Kinder und Haus und so weiter (natürlich stimmt das auch nicht ganz, denn gerade das ist’s doch, was ich will, aber ohne Haus fang ich halt nicht mit den Kindern an und ‚ne Mietwohnung und 'ne Stelle mit ‚nem bösen Chef ist einfach eine wiederliche Vorstellung, der ich mich einfach entziehe, indem ich sie nicht in Betracht ziehe : ich bin unanstellbar) - oh je, mein Deutsch ist wirklich kläglich geworden, findest Du nicht auch??


Sämtliche Geburtstage sind mir jetzt natürlich durch die Lappen gegangen, meist weil ich so mit Arbeit und all dem Kram im Dreck hänge. Wie dieses Buch zustande kommt, ist schon ein Buch für sich. Natürlich seid Ihr allemal sauer auf mich, da sind wir also alle sauer, womit wir das Normalstadium des normalen westlichen Menschen wieder mal herrlich repräsentieren.


Wenn ich Dir sage, dass ich sehr viel an Euch alle denke, so hört sich das sicher recht komisch an. Ihr seid aber wirklich alle in meinen Gedanken so lebhaft vorhanden, dass ich die Zeit meiner Abwesenheit gar nicht mit berücksichtige. Aber hinsitzen und meine Gedanken auf ein Blatt Papier sammeln, das will mir einfach nicht recht gelingen.


Dein letzter Brief war doch ein recht alarmierendes Zeichen und ich versuche heute wenigstens, mich etwas zu bessern. Der Herr Benser hat Dich also angerufen aus Oberkassel? Das war schon so ein lustiger Heini. Ein bissel aalglatt und windig hat er es geschafft, sich hier kurzerhand etwas breit zu machen und sich mit seinen Fotos von Bali an das Hotel management anzubiedern und in harte Konkurrenz mit meinen zu treten, der Schlawiener. Das passte mir anfangs wenig, aber bei näherem Hinsehen muss ich eingestehen, dass einige Themen wirklich ganz gut getroffen sind und ich werde so doch einige Fotos von ihm hier im Buch "berücksichtigen". Auf professionelle Manier hat er sich mit dem Hotelchef gutgestellt. Zum guten Schluss dann hat er einen Film, den er mir bei einem Fest gegeben hat und den ich dann vollschoss, für sich behalten, so dass jetzt einige meiner Aufnahmen den Stempel seiner Firma tragen. Doch was soll’s. – Er hat Dir von mir was erzählt, was ja doch sehr nett war, und damit will ich meinen Zorn etwas begraben.-


Harald ist jetzt 24 Jahre alt und immer noch nicht verheiratet, also sowas, was hast Du bloss für Kinder. Was macht er denn bloss so? Obwohl wir doch so recht verschiedene Typen sind und manches mal aneinandergeraten sind, lieb ich ihn herzhaft und ich bin sicher, dass er zwar ein sehr kritisches mahnendes Auge auf mich hat, aber dass er doch sehr auf meiner Seite steht. Das tut so recht gut, wenn Du es auch nur so kurz andeutest in Deinem Brief. Wie lange hat er denn noch zu studieren? Computer tut er füttern, na sowas!!! Ein richtiger Sohn der modernen Welt wird der mal und sicherlich ganz berühmt. Was? 'ne Tänzerin hat er gefunden, na so was!!!


Was macht man denn sonst so in der Familie? Sicher bist Du nach diesem etwas längeren Brief etwas besser auf mich zu sprechen und erzählst mir doch was mehr von Dir und Euch. Du sagst, Du wirst alt; na hör’ mal, wieso denn???? Das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen. In 30 Jahren bin ich gerade so alt wie Du jetzt und Du erst in den Achtzigern. Na, das sollst Du doch erleben, wie ich dann aussehe: langes graues Haar, rauschgiftsüchtig und zum zwölftenmal verheiratet, ein Trunkenbold und mit Tendenzen, dauernd von meinem „fahrtenreichen“ Leben zu erzählen, ein Opfer der Gesellschaft und auf Almosen der Wohl-fahrt, meiner letzten Fahrt, angewiesen. Ha,ha, das wird noch ein Spass.


Übrigens rechne ich fest damit, einmal selber zum Mond zu fliegen. Hast Du die Aufnahmen der Erde von dort aus gesehen? Sie sind gerade hier im neuesten LIFE Magazin (wir leben ja auch hinterm Mond) erschienen und ich hab gleich eins in einen balinesischen Rahmen gepappt. Ist das nicht goldig, so ‚nen Erdaufgang will ich also doch noch erleben, koste es, was es wolle.


Apropos hinter dem Mond, das Wahlergebnis hat mir wieder einen Dämpfer auf mein durch so richtig schöne Spiegelberichte romantisiertes Deutschlandbild gegeben. Hat denn die CDU immer noch Anhänger?? Also wenn Du schon wieder CDU gewählt hast, dann schreib ich noch weniger!!! Übrigens habe ich nicht gewählt, da ich mich nicht mehr als deutscher Bürger fühle, Staatsbürger bin ich zwar immer noch, aber eben so ein ganz elendiger; - was bestimmt noch mal lange Diskussionen mit allen möglichen Zuhauselebenden nach sich ziehen wird. Übrigens war ich ausserdem zu faul dazu!!!


Doch ich schweife ab, weil ich dauernd wieder mit meinem blödsinnigen Herzeleid beschäftigt bin, so ein Mist, diese Frauen. – Ich trinke einen dritten Pernod, hänge immer noch im Liegestuhl, den Schreibblock auf den Knien, aus der Palmenkrone über mir plärrt leise Hotelmusik, eine feine Idee, dort einen Lautsprecher anzubringen, es kann einem übel werden dabei. Du kannst ganz aber beruhigt sein: man achtet peinlich darauf, dass die dicken Kokosnüsse schon ganz klein und jung entfernt werden, damit sie nicht einem lieben Touristen oder gar mir auf den Kopf plumpsen.


Ja, also wann wird das Buch endlich fertig ? Am 15. Oktober plane ich nach Singapore zu fliegen, dort den Rest meines Geldes in ein Tonbandgerät zu investieren und gleichzeitig meinen Liebeskummer zu vergessen und ganz nebenbei für das Buch etwas herum zu hantieren. Weitere zwei Monate sind von Nöten zumindest, da das Buch immer dicker wird. Aber es wird ein ganz tolles Buch, und die ersten 20.000 Bücher kosten 100.000 DM. Also es ist schon ein Märchen, wenn man bedenkt, dass ich mir 100 Rps.- das ist 1,10 DM - leihen musste, um zum Hotel zu fahren und meine Idee zu unterbreiten. – Und gleich schick ich Dir dann so ein paar noch druckfeuchte Exemplare zu. Aber noch ausharren musst Du halt, bevor Du in Jubel ausbrichst und staunst, was Dein Sohn da zusammen gezimmert hat.


*** *** *

***** **

Also jetzt kommt wieder die grosse Leere über mich, ich bin etwas leergelaufen, was soll ich schreiben ? Ach ja, Bali ist soooooo schön, die Segelboote gleiten durch das Salzwasser, die Palmen stehen herum.


Heute ist Sonntagmorgen, meine Badehose ist gelb mit beigen Streifen, meine Blicke streifen den Horizont. In Deutschland ist’s schon bald kalt, - ein Tonband werd ich vollschwätzen, MicK Jagger ist hier in Bali und ist der Chef von diesen Rolling Stones und kurvt gerade mit ‚nem Motorroller und meiner „Ehemaligen“ auf Rücksitz durch Bali, und ich bin traurig, weil er mir die Frau ausspannt, bloss weil er der Chef der Rolling Stones ist und ich nicht, und es ist nicht zu fassen, es ist nicht zu fassen, es ist nicht zu fassen, es ist nicht zu fassen !


- Das mir, mir, das Dir, das uns – welche Schande, die Balinesen tanzen und feiern und lieben und lächeln und bescheissen die Touristen und sind „religiös" und ich nicht mehr, und die Wolken ziehen dahin, dorthin, verziehen sich, und mir tun die Finger weh und das Herz’l auch, und schon wieder hab’ ich ‚ne Zigarette im Mund, die elfte zu diesem Brief, macht nichts, sind ja noch 9 drin im Paket.


Die Ober stehen herum und sind trotzdem Balinesen, der Wind verwischt die blöde Musik, das Hotel ruht in seinen Angeln, kein Erdbeben kann mich mehr erschüttern als dieses Frauenzimmer, das Buch darfst mir nicht hassen, gell, mein Glück ist dahin, wohin, dorthin, der Vulkan dort drüben ist ruhig seit 1963, meine Badehose klemmt, die Wellen rauschen kaum, heut ist Sonntag, ein amerikanischer Tourist lächelt mir dauernd zu, gleich wird er mich fragen, ob es hier 'fun mit Männern' gibt, die FDP ist immer noch sooo wichtig, der Walter hat mir geschrieben, dass er in 1,5 (in Worten einskommafünf) Jahren wieder ‚ne Reise machen will, der gute, Grafiker ist er und ne ganz moderne Wohnung hat er, und der Rolf auch, und Harald füttert Computer, na sowas, dort die junge Dame hat auch keinen schlechten Hintern, ein Fischer watet den Fischen nach, das Buch ist immer noch nicht fertig und die Palmen schwingen.


Die Zigarette ist zu Ende, mein Glas ist leer, der Kuli aber noch nicht, ein Vogel kommt geflogen, setzt sich nieder auf mein Fuss, hat ein Zettelchen im Schnabel, von der Liebsten ein Gruss, sowas mir, ich glaub ich sauf mir besser einen an, wer die blaue Blume finden will, der muss ein Wandervogel sein, ein Wander-vogel sein ! Jetzt hab’ ich mir nochmal ‚nen französischen Pernod einschenken lassen, es macht richtig Spass mit Dir zu reden, in meinem Liebeskummer, was mir, heut Abend fahr ich mit’m Fahrrad raus und hör’ den Balinesen beim Musikmachen zu und ich werd’ nicht eher ruhen, bis dieser Brief mal endlich wieder lang wird, ich geh mal eben in den Swimming-pool, Sportmensch der ich da bin.


– So, abgeschrubbt, und noch aweng nass, weiter geht’s. Grad hab’ ich den Zollmenschen gesehen, der dafür sorgte, dass Werner das Land verlässt, er sitzt am Swimmingpool des Hotels und jammert mir was vor, wie wenig Geld er verdient und sooo.... Nachtigall ich hör Dir trapsen, ich kenn die Genossen hier inzwischen und weiss, was das so bedeutet.... Übrigens werden die meisten Briefe, die ich hier so erhalte, geöffnet. Ich bin sowas wie eine V.I.P.-Figur für das hiesige Government geworden glaub ich, da das Buch das offizielle Guide-Buch, das heisst das Government-Guide-Buch gleichzeitig werden wird ! Das hat der Hotel-Manager erreicht, aus einer Menge Gründen.


- - - Guide-Buch, Liebeskummer, Werner, es ist immer wieder das gleiche, was mir durch den Kopf geht. - - - Der Pernod tut seine Wirkung, ich werde leicht beschwipst. Weißt Du übrigens, was der Christof Röhm macht? Ich würde ja zu gerne mal wissen, was der Bursche macht und vor allem die Monika, seine Freundin, die noch immer eine stille Liebe von mir ist? Was, ach Gottchen, ach Gottchen, macht meine liebe D. denn so? Also wenn ich noch daran denke, was für ein Auf und Ab von den verwirrtesten Emotionen ich mit dem Mädel durchgemacht habe ... Weitere Kinder im Kommen? Was wird aus Egon? Der liebe Kerl, all die lieben Leute sind so frisch in Erinnerung, dass ich gar nicht glaube, wie lange ich schon weg bin von Krefeld.


Mutter, sei mir net bös, aber ich werd a bissel besoffen, hab allen Grund dazu, natürlich kein Grund zum Sorgen, es ist nur sowas wie eine unbandige Lust an der Melancholie ... beim nächsten Brief an Dich sieht sowieso alles schon wieder besser aus und ich bin wieder halbsogut gelaunt wie ich erst mal sein werde, wenn das Scheiss Buch fertig ist und ich endlich weiss wie’s weitergeht, das schöne Leben.


Ganz, ganz feste Umarmung und verzeih Deinem


wiederlichen, liederlichen


Hans