Letters home 1967 -1978

Saturday, December 19, 2009

Weihnachtsbrieflein 69

Hans Höfer


Hotel BALI BEACH 16. Dezember 1969



Liebe Mutter, liebe Schwester, lieber Bruder,


Alles mögliche habe ich angefangen. Zwei Briefe an Harald, zwei Tonbänder hab’ ich voll gesprochen, dies ist der dritte Versuch an diesem Brief – und es haut verdammt noch mal einfach nicht hin. Zwischen Arbeit am Guidebuch, zwischen Advertising-Geschwätz und Terminen, zwischen Umzug und Hotel-Restaurant, zwischen Tonbandaufnahmen für eine Bali-Schallplatte, zwischen 50erlei Gedanken und 100erlei Gefühlen, lässt sich einfach kein rechter Weihnachtsgruss formulieren. Ganz unvorbereitet und hastig hab’ ich die Tonbänder gemacht und einfach wieder verworfen. Besser garnicht, als so elend schlecht. Bitte, seid nicht traurig über Euren Flegel, aber ich weiss vor lauter, lauter einfach nicht recht, wo mir der Kopf steht. Heut’ ist der 16. und Ihr habt immer noch nichts von mir gehört.


Also dies ist mein letzter und endgültiger Versuch eines Weihnachtsbriefes. Harald malte mir solch ein schönes vorweihnachtliches Bildchen aus Deutschland, mit kleinen Tannenbäumchen umrahmt, Schneeflöckchen zerrannen da bei mir auf der Nase, verkaufsoffene Samstage blinkten um die Ecke, man hat Anlass sich zu beschenken, mal ganz besonders gut zu essen, die Weihnachtszigarren freuen sich auf ihre Kremation, und mir wächst augenblicklich ein grosser weisser Bart die Knie hinunter, verschwindet in roten Stiefeln und wärmt mir meine Tropenzehen.


Also hier sieht’s aus; die Balinesen sind ganz verrückt auf ihre tropfenden Kokosnusskerzen, die im Gegensatz zu den unsrigen nicht tropfen, sondern kleine Sternchen fallen lassen, ab und zu, die dann zischend im Schnee verschwinden. Ganz jeck vor Freude sind meine Balinesen bei ihren Schneeballschlachten an ihren verkaufsfreien Samstagen¸Ihr solltet sie sehen, die lieben, wenn sie ihre Hirtenspiele einüben, montagmorgens. Alle Kampong-Gassen hallen unverdrossen diese etwas süsslichen balinesischen Bratküchengerüche wieder, und es wird mir ganz anders beim ersten Versuch der Bananenplätzchen, die so besonders gewürzt sind mit grüner Sosse, Zucker, Zimt und Zambel (das ist der einheimische Ausdruck für diese kleinen blauen Paprika-Chilli-Pepper-Beeren).


Ach, ja, ach ja, vorweihnachtliche Stimmung in Bali, wie anders doch das alles. Ich könnte Euch noch sooo viel von den Weihnachtsvorbereitungen der Eingeborenen hier im Kral erzählen, doch manches Mal kommen mir halt etwas die Zweifel, ob ich auch immer recht verstanden werde bei Euch dort, ob Ihr mir inzwischen überhaupt noch glaubt. Ich bin halt zutiefst im Herzeln drinnen ein so ernster Mensch geworden, dass mir’s oft recht nicht kommen will, das scherzend-klärende Wort.


Und da schau ich mir das neueste Produkt moderner deutscher Fotografie an, was auf so herrlich verfremdende Weise meinen Bruder skizziert. Richtig revolutionär starrt mir der Bart entgegen, dass ich vermuten muss, dass er einen Molotow-Cocktail hinterm Rücken versteckt, um ihn gleich in meinem mit leicht brennbaren Tannenzweigen über und über geschmückten Wohnzimmer zu platzieren.


Also Mutter, Du musst wirklich auf meinen Bruder aufpassen, sonst wird der noch was rechtes, dieser Linke dort. Anstatt eines Briefes habe ich ihm inzwischen einen kleinen balinesischen Brieföffner zukommen lassen und hoffe, bald die dazugehörigen Briefe folgen zu lassen. Ein balinesischer Büchsenöffner, den ich kurz vorher als nützlichen Gegenstand für ihn erstanden habe, habe ich wieder zurückgeben müssen, da das Porto für die nachfolgenden Büchsen zu teuer geworden wäre.


Ansonsten steht hier eine ganze Büchse voll Verschiebungen herum; da ist ein verschobener Deutschlandbesuch, ein verschobenes Tonband, ein verschobener Millionär, ein verschobener Berg, nein ein Vulkan von verschobener Briefschuld verschobene Versprechungen, Entschlüsse, Zukünfte, Wünsche und Glückwünsche und so viel, was ich Euch mal zuschicken werde, irgendwann nach Weihnachten, zum Osterhasen vielleicht oder besser zur nächsten Mondlandung. Verschoben, verschroben.


Nichts fällt mir also ein, nichts rechtes, was es doch eigentlich sein sollte, nichts als verlegene Albernheiten. Lasst mir noch a wenig Zeit, aus dem Buch rauszukommen, aus dem Hotel rauszukommen, aus dem Zustand rauszukommen. Dann wird alles anders werden, das versprech ich Euch zu Weihnachten.


Ich umarme Euch und wünsch ein schönes Fest


Euer Hans