Letters home 1967 -1978

Sunday, September 12, 2010

Worte zum Dezember

Hans Höfer
Singapore 10. 12. 70

Liebe Mutter,

Ich kann Dir gar nicht sagen, wie sehr ich mich jedesmal freue, so über die halbe Erde rum mit Euch zu quasseln.

Doch am Sonntag war ich doch ein wenig bedenklich und etwas traurig, dass es Dich doch recht aufzuregen scheint. Da klang doch ne kleine Träne durch den Satelit und dazu hat man den ja doch nicht raufgeschossen !?

Ich hoffe sehr, dass mein monatlicher Anruf in Zukunft etwas zur Gewohnheit wird und Dich nicht zu sehr bewegt, denn im Grunde ist ja nur das Kabel etwas verlängert, ansonsten das gleich wie aus Marburg oder Aachen oder sonstwoher. Ich finde die Verbindung auf meiner Seite ganz ausgezeichnet und glaube, dass Du mehr wegen Deiner Aufregung etwas schlechter verstehst. Also mal mit der Ruhe. Mach Dir vorher ein paar Gedanken und ein paar Notizen, was Du mir so zu erzählen hast und ich mach das genauso. Kein Grund zur Aufregung, gell?

Da wir meistens nicht mehr als 3 bis 5 Minuten haben, müssen wir unser Gespräch etwas vorher einteilen. Mach Dir bitte keine Sorgen über die Zeitdauer oder die Kosten. Ich habe den Operator beauftragt, nach drei Minuten kurz zu informieren, dann nach vier und dann nach fünf. Fünf Minuten kosten etwa 80 Mark, 3 Minuten 60 Mark. Da ich, wie schon geschrieben, im Monat 4.800 Mark verdiene gibt es keinen Grund zur Aufregung. Na also!

Drei Minuten hier und drei Minuten dort genügt natürlich nicht, Dich voll zu überzeugen, wie gut es mir augenblicklich geht!!! Lass mich also diesen etwas freieren Abend benutzen, nochmals ein wenig Klarheit über mein Treiben hier zu schaffen.

Also, von Bali hab’ ich inzwischen einiges ernten können. Das Guidebuch ist also schon ne Wucht. Fast jeder Tourist dort schleppt es herum und ist so recht zufrieden mit seinen ausgegebenen 5 Dollar. Und alle anderen sind’s auch. So das Hotel zum Beispiel. Jeder hat ja den Sigi Beil für total verrückt erklärt am Anfang, so ‚nen Hippie aus Ubud aufzugabeln. Und jetzt hat er ‚nen Bestseller auf die Beine gebracht und erntet ebenfalls.

Die indonesische Regierung hat ihn in ein Komitee für Indonesiens Tourismus berufen, als Berater. Und so kam’s, dass er da immer beraten tut. Da er selbst nur der Organisator ist, braucht er natürlich auch ein wenig ‚nen Berater, und da hat er mich dann, so lang es ihm behagt. Als die indonesische Regierung dann die PATA-Conference nach Indonesien einberufen wollte, hab’ ich ihm dann meinen letzten Job aufgeschwatzt, (um das nochmals zu erklären, die PATA-Conference ist das grösste Komitee für Asien- und Süd-Pacific-Tourismus, und falls Indonesien die Wahl dieser Konferenz gewinnt, so bedeutet das etwa alles in allem 250.000.000 US Dollar für Indonesiens touristische Zukunft, mit Hotels, Flughäfen und all dem Jedöns drumherum).

Na, und Dein Sohn hat also durch Sigi Beil und durch den General Prajogo, der wo der Chef der indonesischen Branche ist, den Auftrag gekriegt, diese Einladung zu formulieren. Das ist so ne Kampagne, nicht wahr, ein Buch(le) mit 64 Seiten, Einladungskarten, Plakat-Kalender, Riesenfotos, Aufkleber und so weiter. Alles von mir und Star zusammenklamüsert. Alles in allem hantiere ich hier mit etwa 150.000 Märkern herum, und da sind halt für mich 15.000 liegen jeblieben. So, das ist eins.

Das Hotel verkauft etwa 50 Bücher am Tag, und da habense bei mir gleich wieder 20.000 neue Bücher bestellt. Da muss ich das auch noch beaufsichtigen und herum hantieren, und auch da blieb für mich einiges liegen. So, das sind zwei Tück.

Und da habe ich dann auch vorgeschlagen, dass man mir doch dann lieber gleich das Ganze überlässt und ich die Verlegerrechte am Guide-Buch sofort bekommen sollte, und da haben die Managerhunde mir das dann gegeben. (Du solltest mal Mäuschen spielen bei den Verhandlungen!), und da bleibt auch so einiges liegen. So, das sind also drei Tück.

Und da ist, wie oben erwähnt, das Liebesverhältnis vom Monopolverleger Straits Times, der das alles beliebäugelt und mir daher oben erwähntes Gehalt hinzulegt. Dafür mach ich ihm dann jetzt ein Buch für Singapore und dann noch eins für Malaysia, was mir fast halb gehört, hört, hört, siehe voreingelegte Verträge. Das sind ja dann, wart’ mal, vier und fünf Tück, wie ulkig.

Jetzt hab ich mich hingesetzt und hab da aweng nachgedacht. Wie zum Teufel soll ich das denn alles händeln, wo ich doch nur zwei Hände hab und dazu von ungewöhnlicher Faulheit geschlagen worden bin. Und da habe ich den Kurt getroffen, der ein Ami ist und auch einen Bart hat. Der war als Photoreporter zwei Jahre lang in Vietnam für VPI von Kugeln beschossen, bis er nach zweimaligem Hinfallen die Schnauze voll hatte, nach Singapore kam, dort ein chinesisches Weib vorfand und für Werbeagenturen fotografiert; ähnliche Verdienste für die Zukunft erwartet.

So geb ich jetzt all mein Geld wieder aus, unvorsichtig wie ich bin, denn hitchhiken kann ich ja immer noch, wenn’s nicht hinhaut. Und zwar steck ich ne Menge in ein Photolabor, weil’s hier in Singapore doch noch keins hat, nicht wahr. Ganz einfach, ich finanziere es vor, Kurt ist dafür zuständig, investiert nach und nach nochmal genau so viel, und er hat 49 und ich 51 Prozent von den zukünftigen Millionen.

Ich brauch sowieso gute Farbentwicklung für meine Bücher, falls alles so hinhaut, wie es aussieht. Da kam nämlich der Sigi Beil und erzählt mir augenzwinkernd, dass er am 1. Januar das Hotel in Bali verlässt, da er nach, halt dich fest, Hans, nach Manila in die Philippinen versetzt wird, um dort das grösste Hotel in Südostasien zu übernehmen, das Manila Inter-Continental.... und da braucht er ja eventuell gleich ein Guidebuch ...

Meine Compagnie heisst schlicht und einfach Apa, was so leicht auszusprechen ist wie Papa, Mama oder Coca Cola. Apa ist malaiisch, was von Thailand, bis Indonesien und von allen hier in der Gegend gesprochen und verstanden wird und heisst auf deutsch „was“ (ja, was, mit Fragezeichen dahinter). Nebenher heisst es auch noch Asia Photo Archiv oder Asia Pacific Agencies. Apa-Color ist das Photolabor Apa-Open Guides ist Guidebücher, Apa-design ist Gestaltungsbüro und noch vieles mehr, wenn meine Faulheit mich nicht völlig übermannt.

Also, wenn Du darüber Fragen haben solltest, so frag nur. Irgend eine Ausrede fällt mir ja immer ein, wie Du schon seit etwa 27 Jahren festgestellt haben solltest. Natürlich ist alles höchst lebensgefährlich, das Wetter, der Verkehr, Epidemien, Kriege, Inflation und vor allem diese ganzen anderen Ungewissheiten, gell und nicht zu vergessen die Entfernung von dem gesicherten Deutschland.

Übrigens kostet ein Hin- und Rückflug Sing - Germ etwa 1.500 Mark seit neuestem und mit ausreichender Verbindung. Wenn Du also mal Singapore anschauen tun willst, schreib nur kurzerhand und ich sag zu. (So lange mein Glücksritt noch anhält!)

Scheisse ist’s mit dem Weihnachtsfest!! Das kam so: Seit August läuft alles auf sogenannte Deadlines für das Indonesien-Projekt. Zeitplanung war schön und gut, bis die Indonesier mich haben für eine Woche hängen lassen. So, anstatt wie ich geplant hatte, kurz vor Weihnachten auf’s Flugzeug zu steigen, kommt jetzt das ganze Projekt erst am 21. auf die Druckpresse. Und da muss ich daneben stehen...

Der Ventilator dreht sich über mir, wir erleben die heissesten Tage hier in Singapore, und ich schwitze aus anderen Gründen. Ich versuchte alles, es doch noch möglich zu machen, aber wie sich heute herausstellte, ist es nicht zu schaffen. Druckmaschinen wie diese hier sind bis auf drei Monate vorausgebucht, und mein Weihnachtsfest ist mit verbucht.

Dass das der Hauptgrund Deiner Bedrückung am Telefon ist, kann ich wohl verstehen, und es ist auch der Grund, warum ich Dir mal wieder so 'ne langweilige Schilderung meiner allgemeinen Situation geben musste. Was soll ich machen? Ich kann Dir nur das herzliche Versprechen geben, dass im gleichen Moment, an dem ich hier weg komme, auf’s nächste Flugzeug hupfe. Ich komme nicht als Überraschung, ich ruf vorher an oder schreib’s Dir noch.

Die Flüge gehen von hier aus nach London, landen aber vorher in Ostende. Das wäre ganz toll, da könnte der Harald mich vielleicht abholen oder ich hupf auf'’ Zug. (Ich hoffe, er hat ‚ne Heizung, denn hier ist es augenblicklich tagsüber über 35° im Schatten).

Ne komplette Hasselbladausrüstung hab’ ich in der Ecke stehen, die ich gerne in Deutschland verkauft hätte. (Der Harald soll doch bitte so nett sein und mir die folgenden deutschen Preise angeben aus irgend einem Photogeschäft. 1 Hasselblad 500 C mit 80 mm Zeiss Planar und Magazine A 12, 1 Hasselblad 500 EL mit Magazine 70 und 150 mm Zeiss Sonar, 1 Zeiss Sonar 250 mm Linse, 1 Zeiss Distagon 40 mm, 1 Zeiss Distagon 50 mm, 2 Magazines A 12, 1 Prismen Sucher HC-1). Vielleicht könnte ich meine ganze Reise durch einen günstigen Verkauf finanzieren.

Du zeigst natürlich Interesse an meinem Liebesleben. Dat merk ich natürlich. Es geht prima. Ich lebe hier mit Star herum, arbeite engstens und ununterbrochen mit ihr zusammen, und wir verstehen uns täglich besser. Leider kann ich nicht mit irgendwelchen festen Absichten aufwarten, da wir beide überhaupt keine Absichten haben.

Ich hab’ ja schon einige Male durchblicken lassen, dass ich die heilige Institution der Ehe recht skeptisch betrachte und ich nur evtl. Kinder haben möchte und dazu die entsprechenden Umstände drum herum aufzubauen habe, wie finanziellen und mütterlichen Zuschuss. Ich hab mir schon durch den Kopf gehen lassen, ein Kinderaufziehkonto zu eröffnen, in das ich laufend einzahle.

Beim Eintritt einer Schwangerschaft einer ausreichenden Frauensperson muss diese den gleichen Betrag aufbringen, Ratenzahlung eingeschlossen, um als Endresultat einen 50 zu 50 Anteil zu erhalten. Dies könnte ein Vertrag auf 21 Jahre sein, um die weltliche Sicherheit des Entwicklungsprozesses zu garantieren. Ansonsten verpflichten sich beide Teile, alle Verantwortung zu teilen, das Kind gleichermassen zu lieben und alle Aufmerksamkeit zu teilen. Sollte mal so ein Vertrag zustande kommen (mein Rechtsanwalt ist sooo gut in solchen Sachen), könnte sich die Heirat erübrigen.

Natürlich lebt man zusammen, so lange man’s aushält. Aber wie gesagt, im Detail muss ich mir das alles nochmal durch’s Köpferl gehen lassen, und ich lass Dich’s ja sowieso wissen, da Du als Zeuge für solche Verträge in Frage kommst.

Star findet meine Idee bedenkenswert und will das eventuell für ihre Kinder auch so machen. Es lebe Womensliberation !

Ich gehe ins Kino, wann immer es geht. Singapores Kulturleben ist von alter Kolonialschwäche geprägt, ganz schlimm. Wie’s jedoch scheint, vermisse ich Kultur nicht so sehr, wie Harald sie bestimmt vermissen tät, wär er hier.

Die einzigen Werke, die hier gemalt werden, sind Landkarten und Baupläne, die bestimmt ‚ne herrliche Wanderausstellung ergeben täten tun. Zwei Bilder aus meiner Kunschtproduktion lege ich bei. Die zwei Brillenträger sind Palastwachen in Jogjakarta, was Javas alte Sultanspalasthauptstadt mal war. Tiefsinnig wie meine Kamera nun mal sein soll, soll die amerikanische Sonnenbrille auf der Nase von dem einen den tiefgründigen Konflikt zwischen alter und neuer Kultur dortens versinnkörpern. Ich hab mich gleich darauf gehechtet auf dieses feinsinnige Symbol, als ich die beiden am weissgetünchten Palasteingang gesichtet habe.

Und dort, ach Gott, wie schön magisch und orientalisch geheimnisvoll ist ein balinesischer Priester, vertieft und um die Frage meditierend, wie werbewirksam er wohl auf Balis Tourismus einwirken kann ?

Ähnliches mehr beherbergt das Buch(le) das mein weihnachtliches Kommen verunmöglich macht.

Was macht Dein Englischunterricht?

Nu hör’ endlich auf, Dir von Deinem Sohn das ganze Weihnachtsfest verderben zu lassen, immer.

Ich schreib bald wieder vernünftig

Dein Weihnachtsunmensch