Letters home 1967 -1978

Monday, April 7, 2008

"Kaffeklatsch" with Bangkok


Bangkok, den 10.04.1968


Liebe Mutter!


Seit vorletzten Montag, als ich Dir von der Botschaft aus Deine Post bestätigt habe, sind nun wieder einige Tage vergangen, die ich meist mit Schreiben und Faulenzen ausgefüllt habe. Doch heute bist Du wieder dran mit einem Brief. 


Du weißt ja auch inzwischen, dass ich darauf verzichtet habe, durch Süd-Laos bis nach Kambodscha zu pirschen, durch böses Feindesland; ich bin lieber kein Held und verzichte auf das Risiko, durch pures Pech in eine missliche Lage mit den aufständischen Pathet Lao oder mit wem auch immer, zu geraten. Dass ich da Deine volle Zustimmung habe, weiss ich ohne Nachfrage. So werde ich mir die herrlichen Tempelruinen von Angkor Watt aufsparen für später mal. 


In der Zwischenzeit hat sich ja die Lage hier unten etwas verbessert, doch jetzt noch einmal zu starten, habe ich inzwischen auch verworfen. Jetzt würde es mir zu lange dauern, und ausserdem spare ich mein Geld für einen intensiveren Besuch ganz Indonesiens. Wollte ich mir alles hier in Thailand und Kambodscha ansehen, käme ich wohl nie nach Australien. Mein Visum für Thailand läuft am 20. April ab. So muss ich also am 20. nach Malaysia übersiedeln. 


Deinen Scheck habe ich nach anfänglichen Schwierigkeiten dann doch eingelöst, habe jetzt also wieder Geld im Gürtel, wo ich es aufbewahre. Also am 16. verlasse ich Bangkok, was bedeutet: Schreibe jetzt nicht mehr nach Bangkok, sondern nach Singapore, General Post-Office, poste restante. Dort werde ich wohl um den 25. herum eintrudeln. 


So geht es also am Jahrestag meiner Abreise von Krefeld mit Volldampf nach Australien. Unterwegs will ich mich auf irgendeiner Südseeinsel niederlassen, vielleicht für 1 -–2 Wochen. Bali hört sich da ja nicht schlecht an, muss aber erst rausfinden, wie es wirklich dort ist. 


Ich habe mich damals in Kathmandu mit einem jungen Österreicher aus Wien abgesprochen, dass wir den letzten Teil der Reise gemeinsam machen wollten. Er ist im Augenblick noch in Laos, ich denke jedoch, dass er bald hier eintrudelt. Er ist ein rechter Wiener und ein lustiger Bursche. Als ich ihn damals in Kathmandu traf und ihm vom Everest erzählte, ist er gleich mit Tsering, unserem Sherpa, die selbe Route nachgetigert.


Helga hatte mir einige Aufnahmen von der Hochzeit geschickt. Sie sah ja ganz entzückend aus in ihrem Kleid. Dich habe ich leider nur einmal auf dem Bild, aber Du versprachst mir ja, bald noch einige andere zu schicken. Harald scheint inzwischen dicker, aber bester Laune gewesen zu sein. Und die Ringe glänzen. Ich wünsche den Beiden ja so von Herzen, dass sie glücklich werden. Öffne Dich auch Heri ganz, es ist so wichtig für die Beiden, und betrachte ihn mit Deinem Herzen als Deinen Sohn. Du schreibst sehr wenig von Heri’s Pekelsheimer Familie. Sicher war das Zusammensein mit ihnen etwas verkrampft, ich könnte mir das vorstellen. Zu gerne hätte ich auch die Rede von Onkel Fredi mitgehört. Er ist ja Meister des gewaltigen Wortes, und ich erinnere mich an seine Reden zu anderen Anlässen.

 

Du schriebst auch von einem Besuch bei Ladwigs und dass Onkel Fredi sich sehr für meine Reise interessiert. Das freut mich doch sehr, jedoch liess es mich auch viel über mein Verhältnis zu ihm nachdenken und darüber hinaus an mein Verhältnis zu meinem Vater. Durch irgendeine Diskussion über die Nazi-Zeit, die sicher von meiner Seite zu aggressiv geführt worden war und die schon ewig lange zurückliegt, wurde unser gegenseitiges Verhältnis in eine ungute Richtung gelenkt. Die jeweiligen weiteren Besuche in Benrath und die Gespräche danach haben unterschwellig auf die vorhergehenden aufgesteckt, und eigentlich war von beiden Seiten wohl kein recter Wille zu einer herzlicheren Verständigung vorhanden. So muss ich mir eingestehen, dass ich nie richtig glücklich war in Ladwigs Sessel, wie ich es bei all meinen anderen Onkeln gewesen bin, vor allem bei Onkel Josef.

 

Dazu kommt, dass er auch noch Doktor Onkel jur., der erfolgreiche bei Henkel war, der prüfende Blick zu meinen mageren Schulleistungen usw. usw. Es ging auch anderen Sprösslingen der Familie so. Ich erinnere mich gut an Vetter Klaus ; aber der hat’s dann mit einem Mal gefunden, das rechte Rezept der Anerkennung. Es ist nun nicht so, dass eine Anerkennung für mich sooo wichtig wäre, denn im Grunde sind unsere Ansichten wirklich sehr verschieden, doch zumindest wäre eine Verständigung wünschenswert.


 Und im Grunde genommen habe ich den alten Knacker doch sehr gerne. 

Also auf, Hänschen, räume Deine Komplexe beiseite, und schwinge die Mine zu einem richtig schööönen Brief, über den man sich dann auch ganz begeistert äussert und sich zunickt: siehst Du, soo ist der Junge ja gar nicht… Gleich morgen fang ich damit an, oder vielleicht übermorgen, oder ganz bestimmt bald oder demnächst.

 

Gestern traf ich einen Schweizer, der fast genau die gleiche Ausbildung hatte wie ich. Er ist mit seinen 28 Jahren Manager einer Werbefirma und lebt auf grossem Fuss. Gestern Abend haben wir uns bis in die Nacht hinein über die Arbeitsweisen usw. unterhalten, und er sagte mir, ich solle unbedingt hier bleiben. Der Haken an der Sache ist nur, dass die Agenturen einen Kontrakt für gleich zwei Jahre machen wollen, was mir wiederum nicht passt. Der Verdienst nach einem Jahr ist 2400 DM im Monat, was bei dem hiesigen Lebensstandard ein Vermögen ist. (Die Miete für ein Haus im Thai-Stil ist 800 DM, Koch und Diener eingeschlossen).


Meine Pläne haben sich jedoch inzwischen anders eingependelt. Jetzt geht es mit Volldampf nach Australien, wo ich zuerst einmal im Busch als Malorcher arbeiten werde, um mir eine gute Ausstattung und etwas Geld zu verdienen. Habe ich dann einiges Geld zusammen, geht es sofort nach Sydney, wo ich schon jetzt einige Bekannte habe, sogar in einer Werbeagentur. Doch ich habe keinesfalls vor, dort zu bleiben. Sobald ich dort mal rumgeschaut und mir genügend Geld zusammengespart habe, geht es weiter über Neu-Guinea, Borneo, die Philippinen, Korea, Formosa, Japan und von dort mit der Transsibirischen Eisenbahn nach Deutschland. Wie lange ich also in Australien bleibe, liegt an vielem, vor allem daran, wie ich als Werbegrafiker dort einschlage. Keinesfalls jedoch bleibe ich danach in Deutschland. Für zwei Jahre höchstens. Es gibt da noch viele andere Länder zu sehen. Aber Du weißt ja, wie das so mit Plänen ist und wie schnell sie sich ändern können. Doch heute, nach einem Jahr Reisen, kommt es mir so vor, als hätte ich noch nie besser gewusst, was ich will.


Ich bin gespannt, ob sich die Bundeswehr noch einmal meldet. Wie ich mich erinnere, habe ich meinen Wehrpass noch in einer Schublade. Ich glaube, es wäre ganz gut, ihn zurückzugeben, mit der Bemerkung, dass ich mich im Augenblick bei halbnackten Mädchen auf Bali befinde, oder anders formuliert, dass ich auf dem besten Weg nach Australien bin. Du erinnerst Dich sicher, dass ich bis zu Haralds Entlassung freigestellt wurde ...


Ich bin sehr gespannt, ob die Zeitungen sich für meine Berichte interessiert haben, wenn nicht, ooch juut. Dann schreib ich es halt demnächst wieder nur für Dich und für die, die es spaeter interessiert.

Inzwischen könnte ich schon wieder zwei weitere Berichte über meine Rundreise hier in Südostasien schreiben, vor allem über mein Erlebnis mit den Bergvölkern. Apropos Völkern. Der Volker scheint entweder sehr in seinen Abschluss verwickelt, oder er ist wirklich von zäher Schreibfaulheit befallen. Menschenskind, ich würde wirklich gerne wissen, was sich da so in der Schule tut. Hast Du mal irgendwen von meiner alten Klasse getroffen? Sicherlich treffen sich einige von ihnen bei Herbst-Pitter. Mach 

mal den Vorschlag, mir vom Biertisch aus einen gemeinsamen Brief zu schreiben, da kommen einem ja meist die albernsten Gedanken.


Von Peter habe ich inzwischen einen Brief erhalten, der mich jedoch etwas sauer gemacht hat. Da fährt der Bursche über ein halbes Jahr durch die halbe Welt und schreibt mir kaum zwei Seiten. Ich hätte sehr gerne etwas ausführlicher über die Einzelheiten seiner Reise erfahren, aber da schreibt er, er wüsste nichts Besonderes mehr zu berichten. Det vasteh ik nich! 


Volker soll doch bitte meine Malereien aus Tibet einmal mit in die Schule nehmen und die Dozenten befragen, wie man sie vor weiterem Verfall schützen kann. Oder, falls Du den Walter zu Gesicht bekommst, gib sie ihm. Sicher zieht sie Walter gern für uns auf und bastelt einen Rahmen. Wir hatten uns damals darüber unterhalten, wie. Ich vertrau dem Dicken ja völlig. Sicher findet sich ein Platz bei Dir oder in Haralds Bude zur Aufbewahrung fürs Hänschen.

 

Wie fühlt sich Harald denn jetzt? Das ist ja doch eine Umstellung, die Selbstkontrolle verlangt. Ich halte alle Daumen für seinen Erfolg.Dass ich Dir über so viele Kilometer so sehr auf der Tasche liege, macht mich trübe. Aber bei der ersten Gelegenheit werde ich Dir das ausgelegte Geld zurück bezahlen.

 

Das war mal ein richtiger Kaffeeklatschbrief vom Höckske auf et Stöckske. Ich könnte mich so noch ‚ne Weile dranhalten, doch mein Schreibblock geht zu Ende.Jetzt gehe ich wieder mal so eine geheimnisvolle chinesische Platte essen: 60 Pfg., gebratene Nudeln mit getrocknetem Viehzeug aus dem Meer und allerlei Geheimzutaten. Mit Essstäbchen bin ich inzwischen perfekt, könnte damit Spaghetti mit Tomatensosse rollen. 


Ich hoffe, dass es Dir und meinen Geschwistern gut geht und umarme Dich für heute wieder 


Dein Hans



Ich habe eine schöne Briefesammlung vom ersten bis zum letzten Brief, die ich im letzten Jahr erhalten habe. Du sammelst ja meine sicher auch ?




Bangkok, den 23. 4. 68 


Liebe Mutter!



Morgen also werde ich Bangkok endgültig verlassen, fahre nach Malaysia zurück. In Kuala Lumpur werde ich mein Arbeitsvisum für Australien auflesen.

Mir geht es natürlich, wie immer, bestens. Die Frauen hier sind wirklich wahnsinnig Klasse. Damit ich nicht vollends hier bleibe, gehe ich schnell von hinnen, sonst wird nie ein Erfolgsmensch aus mir.

Was ich auf meiner letzten Rundreise an Gewicht ausgeschwitzt habe, habe ich mir inzwischen wieder angegessen. Ansonsten genoss ich ein ausgesprochen süsses Leben. Frech, wie ich geworden bin, bewege ich mich in Super-Hotel-Hallen, spiele den selbstbewussten Geldmenschen und schlängle mich so bis in die exklusiven Swimmingpools vor, ohne Geld natürlich. Dort tummeln sich viele nette und fette Menschen, teure Touristen, und man sagt mir, höre und staune, Erfolg bei deutschen Touristinnen nach. Auch mal ganz schön. Vielleicht hast Du inzwischen schon einen Anruf erhalten, aus Berlin, Saarbrücken oder Wanne-Eickel, da ich den Damen ans Herz gelegt habe, mal Mutter Henny anzurufen und nur Gutes von mir zu berichten. Einige Souvenirs sind auch unterwegs: eine Buddhafigur aus einem winzigen Tempel aus Laos. Ein Ring aus Tibet, gekauft von einem Bergmenschen im Himalaya. Eine Original Opiumpfeife (Opium im Pfeifenkopf) von den Bergstämmen. Dann eine Wahnsinns-Kette aus Tibet – Türkise, Silber, Gold, einmalig. Der kleine silberne Spiess wurde aus dem Körper eines Thaipussam-Tänzers gezogen und mir als Andenken überreicht. Das wird dann alles demnächst bei Dir eintrudeln, so hoffe ich, und meine kunterbunte Sammlung ergänzen. Meine Lederjacke ist übrigens auch mit einem Engländer unterwegs zu Dir. Wenn diese Sachen ankommen, vergiss bitte nicht, sie mir zu bestätigen. Dass Filme angekommen sind, ist schön. Volker soll sie doch kurz begutachten. Vielen Dank für den Zeitungsartikel. Da hat ja einer lustig gesponnen.

Harald ist also inzwischen Student. Auch gut.

Weißt Du etwas von Walter?


Um eine Verlängerung für mein Visum zu bekommen, musste ich eine Zug-Fahrkarte lösen. Morgen fahre ich also mit dem Zug nach Alorstar in Malaysia. Dann bin ich endlich wieder auf Achse. Lange werde ich mich jetzt nicht mehr in Singapore aufhalten, daher schreibe von jetzt ab nach Djakarta/Indonesien und zwar wieder zur German Embassy. Wie und wann ich dort ankomme, werde ich Dir dann noch schreiben. Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Ich würde sehr gerne durch ganz Sumatra reisen, was etwas abseits liegt und wo sehr wenige Leute durchgefahren sind. 


Onkel Otto hat mir auch geschrieben und zwar vor Ostern noch, in Erwartung Eures Besuches. Schreib mir doch mal ausführlich, was Du inzwischen von ihm weißt. Er schrieb mir so was von einem Brand und von Pleite, da nicht versichert. Das gibt es doch gar nicht, dass so eine Fabrik nicht versichert war!!! Aber wer weiss, bei Onkel Otto scheint so viel möglich oder unmöglich. Es wäre ja nicht zu fassen, wenn es stimmen würde. So ein Pechvogel! Er trug mir auf, etwas für ihn zu kaufen. Das geht jetzt auch nicht. An der Grenze nach Malaysia müssen alle Leute mindestens 150 Dollar vorzeigen. Mein Betrag bei Grenzübertritt ist 152 Dollar. Scharf kalkuliert. 

Von Indonesien weiss ich sehr viel inzwischen, nicht nur, dass es ein Elendsstaat wie Indien ist und dass dort oft Post verschwindet, sondern vor allem, dass es ungeheuer billig ist. Für einen Dollar bekomme ich in Singapore 300 Rupiahs. Ein Mittelhotel kostet 20 Rupiahs. Eine Mahlzeit Marke Hans Höfer 10 – 15 Rupiahs. Das wird ein Leben! Bali ruft schon gewaltig. Beim Sturm war ich natürlich schon längst weg. 

Ich hoffe, dass Du wenigstens alle Post von mir bekommen hast. Aus Singepore oder von unterwegs lasse ich wieder von mir hören. Ich starte also zur letzten Etappe und wünsche mir selber viel Glück.

Mach Dir keine Sorgen ums Hänschen!


Für heute drücke ich Dich ganz herzlich,

Dein Hans


Dass Du Dir den Lichtbildervortrag angeschaut hast, ist richtig schön. Hast Du Dir auch die Bücher mal besorgt?

Gleich noch ein Buchvorschlag: „Wo die Berge jung sind…“ Han Suin

(über Nepal)


PS. Abends: Was plötzlich in die thailändische Post gefahren ist, mag der liebe Himmel wissen. Erst vorher bekam ich noch Deinen Brief vom 26. März. Er war, wie ich aus dem Stempel ersehe, schon Anfang April hier, brauchte dann jedoch so lange bis zur Botschaft. Jetzt ist also Dein letzter Brief schon wieder einen Monat alt, und beruhigen tut’s mich wenig, dass Du keine 100 Pfund mehr wiegst und Dich elend fühlst. Ich will Dich noch einmal ganz inständig bitten, Dich für uns gesund zu erhalten und Dich selber zu pflegen. - Ich hoffe sehr, dass das mit Deiner Kur klappt !

 

 

Kuala Lumpur, 27. 4. 68

Lieber Rolf!

 

Da haben sich unsere Briefe gekreuzt, falls Dich mein letzter aus dem Norden Thailands überhaupt erreicht hat. Das segensreiche Ord­nungs­prinzip eines Briefwechsels: Du-eins-ich-eins-Du…, lässt sich durch meinen augenblicklichen Lebenswandel sowieso kaum einhal­ten, daher ist heute halt wieder „ich-eins“ dran. So frage ich mich jetzt wieder, wo zum Teufel sind die letzten vier Wochen geblieben?

 Zuerst habe ich mal wieder saumässig Glück gehabt, beim Tramp zurück nach Bangkok. Dort sind Elendsstrassen, Sand, Staub und Windstille, doch haarsträubender, haarstäubender Verkehr, Lastwa­gen, die irgendein amerikanisches Heerlager mit Nützlichem versor­gen. Solch ein Dreier-Konvoi las mich auf von der Strasse. Zuerst verreckte meinem das Getriebe, daher stieg ich auf den zweiten um. Dieser über­nahm die Spitze im Rennen nach Stunden- und Kilometergeld. In einer besonders staubigen Kurve dann hatte sich eine träge Büffelherde im Staub verlaufen. So ein Büffel ist zwar dick und schwer, aber der Last­wagen Marke Chevrolet natürlich auch. Während sich der Büffel zu seiner nächsten Inkarnation vorbereitete, half ich die Scheinwerfer und Stossstange richten. Ich stieg nicht, wie mir angeboten wurde, in den dritten Lastwagen um, und das war oben genanntes Sau-Glück, denn eine halbe Stunde später landete jener dritte am Baum, der sich als noch härter herausstellte. Eine Kommentierung dieses Ereignisses würde weiss Gott zu weit führen, daher sehe ich davon ab. Jedenfalls meinte Stiffi, eine Neckermann Touristin in Bangkok, an die ich mich in meiner Frühlingsbrunst heranmachte, dass ich „ja richtig gefähr­lich“ leben würde.

So lebe ich also weiter und, wie gehabt, nicht schlecht.

In Bangkok eingetroffen, bekam ich Deinen Brief und rundherum viele Neuigkeiten, die nun schon wieder vier Wochen alt sind. Da war die Hochzeit meiner Schwester, die Befreiung meines Bruders von der Heils-Armee und sonst noch Erfreuliches und Unerfreuliches. Auch kam wieder Reichtum über mich, der die Weiterfahrt bis Australien sichert. So zehre ich also nicht nur von unserem gemeinsamen Freund Saint-Ex, der, schon reichlich zerknautscht, in meinem Rucksack mit­reist. - Was mich etwas beunruhigt, ist die letzte Nachricht von meiner Mutter über ihren Gesundheitszustand. Ich hoffe sehr, dass sich das wieder bessert. Was sie braucht, ist ein wenig Zuspruch und Aufmun­terung, doch ich habe das Gefühl, dass das von hier aus nie so richtig hinhaut, sie kann sich wohl nicht ändern und zersorgt sich über un­gelegte Eier, über Helga, Heri, Harald und die Zukunft überhaupt. Dass sie dabei die eigene Pflege völlig vergisst, scheint sie nicht zu be­merken.

 Das Leben in unseren Breiten scheint überhaupt bei allen, die mir schreiben, recht beschissen. Je länger ich reise, umso wütender wer­de ich darüber. Wenn diese Jammerei über das Alltagsleben so weiter­geht, dann verliere ich noch völlig die Lust, jemals wieder zurückzu­kehren. Mit dem „Glücklichsein“ scheint es bei uns überhaupt so eine Sache zu sein.

 Lieber Rolf, Du bist nun ein Mitglied unserer Gesellschaft, die eine Wohlstandsgesellschaft ist. Wohlstand ist, man höre und staune, auf den Verbrauch von Gütern aufgebaut, sie fällt und steigt mit dem Verbrauch. Deiner dunkelhaarigen Frau sagt der Werbe­mensch Hans Höfer, dass sie viel besser aussähe, wenn sie rot tra­gen würde, weil ich ja das Färbemittel verkaufen will, nein, muss. So bom­bardiere ich böser Mensch sie dauernd mit meinem farbenprächtigen Argument, und siehe da, sie wird ungemütlich, sprich unzufrieden. Doch wehe, sie färbt sich die Haare. Dann ist für mich schon dieser Fall erledigt, ich kitzle (verzeih’) sie von neuem, mit Auto, Fernseher, Lebensversicherung, Underberg, Waschpulver, Mode, Partei, zeige ihr berufliche Super-Erfolgs-Ehe-Männer, wecke den Wunsch nach Frei­zeit, Glücklichsein (ha, ha), zufriedenes Kinderschaukeln, Urlaubs­ziel.

  Und Dir verbiete ich hiermit, Deine endlich eingebaute Stereo-Anlage ruhig zu geniessen, da Du noch keinen (?) Fernsehapparat hast, Farbe übrigens. Solltest Du dennoch zufrieden Musik hören, so bist Du, ver­dammt noch mal, Dir wohl nicht darüber bewusst, welch eine Ge­fahr Du darstellst, Du mit Deinem glücklichen Lächeln beim Play-Bach-Play-Boy. Jetzt wundere Dich nur nicht, wenn Du darin den Grund von Aggression findest. Und was meinst Du, wie aggressiv wir sind! (Beobachte mal die lieben Mitmenschen unter diesem Aspekt: ver­steckte Aggression, Böswilligkeit, so genannter Ehrgeiz). Im Geschäft, im Freundeskreis, im Gespräch, im Verkehr, Dein Gras in der Müll­tonne.

 Gegenvorschlag: Verzieh Dich auf eine Insel, ernte Fische, Kokosnüs­se, Mais. Sitze abends zufrieden und glücklich mit Deiner zufriedenen Frau und Deinen sieben glücklichen Kindern vor Deiner Bambushütte und erfreue Dich am Einfachen, Schönen, Huaaaa-Sonnenuntergang, und stelle dann in einer lichten Minute, etwa beim Löschen der Kerzen auf Deiner Weihnachtspalme, fest, wie beschissen langweilig Dein Le­ben ist!!! Das geht natürlich auch nicht, und wo es ginge, hier in Asien z.B., ist es ebenfalls aus damit, weil die glückseligen Kinder Feuer an die Palmen legen und unseren Wohlstand gerochen haben usw. usw.

 Äh, grosse Stille. – Ich würde Dir gerne eine Tasse Lebenselexier aus meinem philosophischen Eimerchen anbieten, doch leider habe ich alle Hände voll zu tun, die ständigen Lecks zu verstopfen. Ausserdem muss ich darauf achten, dass es voll wird. Mein Pech, dass ich es an einem rotierenden Rasensprenger füllen muss. Doch sei sicher, dass ich Dich um die Stereo-Anlage beneide. Das ist nämlich eine schöne Sache, auf die ich hoffentlich nicht verzichten muss. Auf jeden Fall werden wir zusammen demnächst mal davor sitzen. Ich werde Dich dann in die Traumwelt einer Haschisch-Zigarette entführen.

 Ich sehe Dein schreckensbleiches Gesicht vor mir und glaube, Deine Gedanken zu hören. Hihi, zum Totlachen. Den hat’s erwischt, verlo­ren, süchtig, unter die Räder gekommen, es war zuviel für den Jungen, jetzt ist es aus, verloren, da geht er dahin. Verzeih mir mein Lachen. Du bist eben noch nicht einge­weiht. Das muss ich jetzt machen und dabei an Dein Vertrauen in mich appellieren.

Also, mit dem Haschisch ist es wie folgt: Man dreht sich so ein Ding, in Vorfreude der Dinge, die da kommen. Man raucht, inhaliert kräftig. Dann kommt das Neue. Rausch. Aber wie! Alles, was Du denkst, fühlst, hörst, tust, wird intensiver. Sonst nichts. Stereo-Anlage zum Beispiel oder Musik überhaupt. Du gehst mit den Tönen auf Reise, hörst alles, folgst dem Rhythmus des Schlagzeugs, hörst jeden Ton der Melodie. Wir reden miteinander. Verstehen auf ganzer Linie und lächeln. Du sagst etwas, was sofort mein Gehirn anregt, ich bringe ein neues Bild, einen neuen Gedanken, mit Begeisterung greifst Du ihn auf, spinnst daran weiter. Du lachst, ich lache, Freude auf der ganzen Linie. Wir gehen zusammen auf die Strasse, es regnet, wie meist abends in Krefeld, Du spürst jeden Tropfen. Jemand hat einen Fahrschein fallen lassen, Du zeigst ihn mir, ich hebe ihn auf und nehme mir vor, Fahrscheine zu sammeln. Wie verzückt zeigen wir uns gegenseitig die Reflexe der Strassenlampen in den perlenden Pfützen. Die Gesichter, die uns begegnen, sprechen für uns alberne Vögel Bän­de. Wir gehen in eine Kneipe und trinken ein Cola. Du geniessest jede Perle auf der Zunge. So ist das. Dann gehen wir wieder zurück zur Ste­reo-Anlage, jeder macht es sich im Sessel so gemütlich, wie kaum zu­vor. Musik, Musik, Musik. Dann nach ein paar Stunden ist es vorüber. Kein Kopfweh, gar nichts. Das Erlebte bleibt voll in Deiner Erinnerung zurück. Jede Einzelheit. So ist das, mit dem Haschisch. Süchtig wird man nicht physisch. Die einzige Gefahr dabei bist Du selber, wenn Du Dich immer wieder nach diesem Rausch sehnst. Aber, und das musst Du mir abnehmen, diese Gefahr besteht nicht bei Dir und nicht bei mir. Es bleibt Rausch. Und wehe dem, der glaubt, dieses Zeugs würde über Probleme und Kummer hinweghelfen. Erinnere Dich daran, alles was Du fühlst, wird intensiver, auch Kummer und Elend.

 Also beruhige ich Dich nochmals, Deine Bedenken sind unbegründet.

 So was kann ich natürlich nur Dir schreiben. Mutter würde sich ganz schön zerfetzen. Ja, mit dem Vertrauen ist es auch so eine Sache.

 Also dieser Brief ist alles andere als ein Reisebericht. Es ist komisch, aber ich kann keine kurzen Briefe mehr schreiben. Mir macht es Spass, zu schreiben, Dir zu erzählen, zu plaudern. Eine Unterhaltung mit einem geistig anwesenden Partner. Ob das daran liegt, dass ich allein reise, ohne mich einsam zu fühlen? Vielleicht! Mensch, so glück­lich wie im letzten Jahr war ich noch nie zuvor. Dauerzustand in Fülle. Der jute alte Joethe mit seiner Interpretation des Glücks: Glück heisst, sich wachsend fühlen! Gar nicht schlecht, der Junge.

 Solch ein Glück muss auch bei uns möglich sein. Sich’s bewusst machen, ist die Paro­le.

 Und diese Buddhisten. Mensch, Rolf, besorg Dir jede Lektüre darüber, die Du grabschen kannst. Sammle Dir Dein Päckchen daraus aus. Das ist toll interessant. Eine grossartige Weisheit, eine Fülle an, für uns, neuen Gedanken. Vor allem die Techniken der Meditation in der An­fangsstufe. Da ist alles erklärt, vom Rosenkranz beten, über das Gebet zu einem Gott, bis hin zu Erscheinungen. Auch hier gibt es einiges zu diskutieren, wenn ich zurückkomme oder nicht.

 Pause. Ich gehe was essen. Der platschende Monsun-Erguss hat sich ausgeleert. Bis die nächste Wolke leerläuft, bin ich zurück im Sikh-Tempel. Mahlzeit!!

 Wenn Deine Frau gesehen hätte, was ich gerade in mich hineingestopft habe…. Was macht übrigens Dein Magen? Meiner läuft gut und verar­beitet alles, was ich ihm liefere. Und das ist manches. Scharf war das wieder! Zum Abschluss drei Bananen, von diesen halbwilden, die einfach etwas wilder als diese zahmen schmecken !

 Hast Du Dir meine Minox Kleinst-Dias angesehen? Ich weiss, dass das bei Minox nicht so einfach ist. Ich mache Dir den völlig uneigennützigen Vorschlag, Dir bei Schamberg und Pottkämper eine sog. Minox-Be­trachter-Lupe zu kaufen. Irgendwann findest Du dann sicher einen An­lass, sie mir zu schenken. Dann wüsste ich auch endlich mal, was tatsächlich drauf ist auf den Bildern. Brennend interessieren mich die Bilder von diesem Thaipusam Festival. Da habe ich geblitzt, in der Höhle, könnte mir jedoch vorstellen, dass einige daneben gegangen sind. Dann kommen demnächst die nächsten Filme an von Thailand und Laos. Hier sind mir die Bergstämme wichtig und die liegenden Personen mit den Opiumpfeifen. Wo ich gerade beim Betteln bin, gehe auch schön wieder zu Henny und frage sie genau, was sie zu ihrer letzten Mahlzeit gegessen hat. Falls Dir dann die Kalo­rienmenge nicht ausreichend erscheint, drohe mit Hungerstreik ihres Sohnes in Asien.

 Mit einigem Bangen sehe ich Australien entgegen. Ich gehe also erst mal in den sog. Busch, in solch ein frauenloses Arbeiterlager (See­mannslos!) Doch dann wird es höchste Zeit, wieder in meinem Beruf zu arbeiten. Falls das nicht klappt dort, kehre ich schleunigst um ins Reich, über Japan natürlich, um Berufserfahrung zu sammeln in Deutschland. UND VIELLEICHT AUCH, UM EIN VERNÜNFTIGER MENSCH (MIT STEREO-ANLAGE) ZU WERDEN.

 Auf Deinen nächsten Brief bin ich sehr gespannt. Schreibe mir, was Du denkst, machst, tust. Über Deinen Spross und alles andere. Das gibt es doch gar nicht, dass es nichts zu berichten gibt. Was ist denn überhaupt in Deutschland los? Es scheint sich ja einiges zu regen, die meisten jedoch wohl auf.  Schreibe mir Deine Meinung darüber. Er­zähl mir bloss nicht, dass man schon in Krefeld demonstriert. Das wäre schon zum Piepsen.

 Die letzten Wochen in Bangkok waren ausgesprochen ruhig und er­holsam. Es gab in der Zwischenzeit wieder mal ein Neujahrsfest, das fünfte übrigens, nach dem tibetanischen im Oktober, unserem im Dezember, dem buddhistischen am 30. Januar, dem chinesischen am 15. Februar, nun das thailändische zu Ostern. Bin mal gespannt, was mich jetzt in Indonesien auf Bali alles erwartet. In Bangkok jedenfalls war toll was los, fun auf allen Strassen, Theater, Rummelplatz, Tanz usw. usw. Da dieses Fest auch gleichzeitig als Fest des Wassers ge­feiert wird, bei dem es erlaubt ist, jeden mit beliebiger Menge Wasser zu bespritzen, hatte ich drei Tage lang kaum einen trockenen Faden am Leib. Dann erlebte ich den Introitus des Monsuns mit einem Unwetter, das gleich alles für einen Tag unter Wasser setzte.

 Zwischendurch spielte ich Playboy in vornehmen Swimmingpools, erholte mich kräftig nach allen Seiten; auch mal wieder schön, für die Kürze. Übrigens, so nebenbei hab ich dann noch ins Nachtleben ge­rochen. Ich weiss ehrlich nicht mehr, was es in dieser Beziehung dort in Bangkok nicht gibt. Wenn einer nur Geld hat, alles, jede auch noch so ausgefal­lene Neigung kann befriedigt werden. Und was dort für Typen auftau­chen! Alles fette Säcke in einflussreicher Position. UN, US, sämtliche Botschaften scheinen vertreten, Geschäftsleute, Entwicklungsfachleu­te. Mein Adressenbuch füllte sich mit Namen von Leuten, die sicher alles andere als freudig überrascht wären, wenn sie mir mal wieder in Deutschland begegneten.

 1 Flasche Bier = 40 Mark, und das in einem Land mit einem Jahres­durchschnittseinkommen von pro Kopf 550 DM. Na ja, es lebe Mao-Tse-Tung. Glaube nicht, dass nur westliche Kapitalisten in solchen Lokalen verkehren. Mehr als zwei Drittel sind Thais. Auf die Dauer kann das kaum gut gehen. Wir werden’s noch erleben.

 Bis zum nächsten Brief alles Liebe, alles Gute, alles Schöne und und und. Grüss mir wie immer in die Runde.

 Dein Hans, der wettergegerbte !



3. 5. 68 – Singapore


Liebste Mutter!


Ganz schnell die letzten Neuigkeiten. Bin also von Bangkok aus nach Kuala Lumpur in Malaysia. Dort bekam ich mein australisches Arbeitsvisum. Gottseidank! Dann auch das indonesische Visum. Gestern bin ich dann von dort bis hier nach Singapore getrampt. Heute morgen ging alles rasend schnell.

Durch einen wahnsinnigen Glücksfall bekam ich eine freie Überfahrt auf einem Frachter von hier bis Djakarta. Stell Dir vor ! Von 9 – 10 habe ich alles dort geregelt. Von 10 Uhr – 10.45 habe ich Deine beiden Briefe hier auf der Post abgeholt. Vielen Dank ! Jetzt kann ich hier per Taxi herumrasen, muss um 12 Uhr im Büro der Schiffsgesellschaft einzutrudeln. Um 1 Uhr laufen wir aus : nach Indonesien. Solch ein Glück hat man selten im Leben!!! Daher bin ich jetzt in ganz grosser Eile!! 

Ich denke, dass ich von heute ab in 5 – 6 Wochen in Australien sein werde.

Weiteres aus Indonesien.


Sei für heute ganz lieb geküsst und umarmt von Deinem

Glückspilz Hans

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