Letters home 1967 -1978

Saturday, September 20, 2008

Two in September**


Denpasar, 11. 9. 68


Liebe schlammwatende, grastretende, bademantelumwickelte, um10 Pfund-schwerer-gewordene Erholungskurmutter!

Sicher lenkt Dich Dein Kurdasein noch nicht genügend ab, so dass ein kleines Restchen von Sorge um Deinen Spross zwischen den Palmen Balis geblieben ist. Um diese schnell wieder zu zerstreuen, will ich Dir kurz versichern, dass ich gerade wieder mit Appetit einen Reisberg, durchflochten mit geheimnisvollen Fleisch- und Gemüsespuren, verdrückt habe, mich satt und schön finde und trotz dem nervenaufreibenden Straßenverkehr in der „Großstadt“ Denpasar, trotz zeitraubendem, stinkfaulem Asienbürokratismus im Pass-Visum-Verlängerungsamt, immer noch glaube, einer der wunsch- und sorglosesten Erdenbürger zu sein. Also, mir geht’s sauwohl.

Vor ein paar Tagen erhielt ich auch Deinen ersten Erholungsbrief aus Bad Hermannsborn, den ich prompt in Ubud vergessen habe und so die Postleitzahl nicht mehr weiß. Aber die deutsche Post ist ja so tüchtig, so dass ich weiß, der Brief kommt auch ohne an.

Es gibt eigentlich wenig zu berichten von den vergangenen Tagen, nur, dass ich stinkfaul bin, weniger male und dafür mehr lese. So habe ich gerade das Buch von der Vicki Baum gelesen, habe es mit dem jetzigen Bali verglichen und kam zu dem Schluss, dass sich doch herzlich wenig bis heute verändert hat in diesen Menschen. Tourismus, das Auto und das Transistorradio machen ihren Erfolgsmarsch quer durch die Welt und werden auch hier gewinnen. Aber es gibt noch Hahnenkampf, Gamelan, Tanz, Verbrennung, also alles, was Du so aus dem Buch kennen gelernt hast. An derselben Stelle, wie im Buch beschrieben, ist hier sogar noch ein Dorf mit Leprakranken, jedoch jetzt sauber und von christlichen Missionaren betreut. Von den Tempeln ist aus dieser Zeit kaum noch etwas vorhanden. Was die Holländer damals bei ihren Eroberungen haben stehen lassen, wurde durch ein Erdbeben 1917 zerstört. Aber schöne kitschige Porzellanteller gibt’s hier und dort doch noch in den Tempelwänden. Witwenverbrennung soll’s keine mehr geben, aber ich bin da etwas skeptisch, was die abgelegensten Dörfer im Gebirge anbelangt. Aber wie gesagt, nur eine Vermutung von mir, denn im Landesinnern hat sich so gut wie gar nichts verändert. Ich finde das Buch zwar nicht so doll, aber ganz gut, und es zeigt etwas von der schier unergründlichen Seele dieser Menschen hier, die uns immer wieder vor unbegreifliche Tatsachen stellen. Leider bleibt man hier, wie eigentlich kaum in Asien, immer außerhalb, soviel Herz man ihnen auch schenkt, und ab und zu knalle ich vor die unüberbrückbare Mauer, die zwischen dem weißen Mann und den Balinesen steht. –

Es hat sich also wenig ereignet, immer noch ziehen Ameisen durch unser Heim, immer noch grunzt unser Schwein, immer noch blüht es hinten und vorne, immer noch bin ich nicht in eine verliebt, sondern in alle, immer noch regnets ab und zu gewaltig und dampft hinterher. In dem Dachgebälk über meinem Bett ist ein riesiger Gecko eingezogen, den ich jedoch noch nicht gesichtet habe und der sich nur durch gelegentliche Scheißbällchen in meinem Bett und sich lautstark bemerkbar macht. Zum Meer bin ich immer noch nicht gezogen, ich will damit noch was warten, bis Gerd und Werner für einige Wochen nach Djakarta reisen müssen, um ein neues Visum zu erhalten. Meins hält übrigens noch bis Ende Oktober, und ich verspüre immer noch keine Lust, hier abzuhauen !

Ich freue mich so darauf, weiteres vom Fortschritt Deiner Erholung zu hören! Filme habe ich auch jemandem mitgegeben, der sie von Dänemark aus in einigen Tagen zu Harald schicken wird, falls der es inzwischen nicht einrichten konnte, doch für ein paar Tage nach Spanien zu kutschieren.

Damit Du auch nicht glaubst, ich müsste grosse Geheimnisse vor Dir haben, gestehe ich offenherzig, dass da wieder mal eine hübsche Australierin war, die so viel von Australien zu erzählen hatte, dass sie einige Nächte lang meine Bastmatte teilen musste. Sie meinte danach auch, Bali sei viel schöner als Australien !

Wie gesagt, es gibt also nichts besonders Neues und Aufregendes zu berichten. Da haben sie vom Life-Magazin einen Bericht gemacht über die Ketschak-Tanzgruppe aus dem nächsten Dorf, und ich war dabei, wohl aber kaum mit auf’m Foto, mein Gesicht war ihnen wohl noch nicht balinesisch genug, und das kann ich verstehen. Das deutsche Fernsehen hat auch einen Film vertan hier in Bali und zwar im Rahmen einer sauteuren Unterhaltungssendung mit den Beatles und dem Franki Sinatra um die ganze Welt. Ausgerechnet hier in Ubud müssen’se herumrennen und nur 80 DM für so einen schönen Tanz wie den Ketchak bezahlen, an dem sich über 100 Männer beteiligen. So jedoch kannst Du den auch mal sehen, und viel falsch machen konnten sie nicht, die Balinesen machten ja alles, sie brauchten nur die fetten Kameras hinzuhalten. Sonst waren die Leutchen vom 2. Deutschen Fernsehen reichlich blöd und sprachen nur von Zahlen, (leider viel zu wenig vom be-zahlen, denn sie hätten weissgott mehr an die tanzenden Reisbauern bezahlen können). Dass ich mich auch noch darüber äussere, find’ ich jetzt selber saudoof.

Wie gesagt, da es nichts besonderes zu berichten gibt, obwohl es ganz bestimmt viel zu berichten gäbe, ich das aber schreibfaul verschiebe, will ich diesen Brief schliessen, wie dieser Militärzahnarzt hier in Denpasar vorgestern mein Löchli im dritten Zahn von hinten oben rechts.

Sei lieb und erhole Dich weiter schön. Es grüsst und küsst Dich herzlich

Deine neue Zahnplombe

Ich fahr jetzt wieder zurück nach Ubud zu meinem Gecko! Hoffentlich hält der Bus auch diese Wahnsinnsreise nochmal durch!!



Ubud, 21. 9. 68


Liebe Mutter,

Du schreibst so tüchtig was mich gar wirklich überaus heftig freut, und ich bin schon wieder einige Tage zurück mit meiner Antwort, aber obwohl es manchmal scheint, die Zeit würde völlig stehen bleiben, geschieht doch ständig etwas, und die Tage flutschen dahin.

Zwei kleine Neuigkeiten vorneweg; habe an den deutschen Botschafter hier ein Aquarell für teure 140 Mark verkauft. Das Futter also bleibt weiterhin gesichert; dann bin ich auch noch hier an der einheimischen Kunst-Akademie zum Gast-Dozenten aufgeklettert, was eigentlich beides wenig sagt. So pendle ich also regelmässig zwischen Haustempel und Zuhörerkreis, was beides weiterhin Spass zu machen verspricht.

Gerd und Werner haben mich heute für einige Wochen verlassen, so dass ich nach dreimonatigem innigem Familienleben heute Abend zum erstenmal wieder richtig für mich selber bin, von unserem Gecko im Gebälk, von Ameisen und Grillengezirps abgesehen. Ich freue mich richtig auf die Einsamkeit, die mich zu manchem Nützlichem zwingt, wie zum Beispiel zu einem etwas eingehenderen Studium der indonesischen Sprache. Gerd, der fast perfekt und besser als Werner darin ist, hat leider viel zu viel ausgeholfen und damit meine Lernfaulheit unterstützt. Das muss aber anders werden, und ich hoffe, bald mit meinem Sprachschatz anderen, als nur vierjährigen Kindern damit imponieren zu können. Sandi und Wörterbuch helfen tüchtig mit, wobei ich den geschwätzigen Sandi dem stillen Lexikon gerne vorziehe, weil er jetzt und ohne Rücksicht auf mein Briefschreiben gerade munter drauflos plappert.

Dann habe ich „mal wieder“ eine Idee gekriegt, wie ich nebenher und redlich zu Geld komme. Du kennst ja solche Ideen, wie damals die Weihnachtskarten in Kathmandu, aber diese scheint noch weit einträglicher zu werden. (Ich bin doch ein schlimmer Kapitalist aber mit pur kommunistischen Idealen !) Ich werde Dir lieber den gelungenen Vollzug melden, wenn’s so klappt, wie ich es mir ausrechne.

Wenn Du von Essen und Kuraufenthalt niederkommst, sollst Du diesen Brief gleich zuhause vorfinden, der Dich dann sicherlich über die völlig durch Harald ruinierte, total verlumpte Wohnung hinwegtrösten soll. Natürlich können Dich solche Kleinigkeiten jetzt überhaupt nicht mehr im geringsten erschüttern, wo Du Dir doch so ein dickes Fell aus Schlamm und Kuranlagen anerholt hast.

Also Deiner Frage nach dem Nervensystem der Balinesen bin ich etwas nachgegangen und komme zum Schluss, dass diese „garkeins“ haben. Etwas, was die Balinesen aus ihrer asiatischen Gelassenheit bringen könnte, gibt es und gab es nicht in ihrer gesamten Geschichte. Die sind ständig gelassen, bis in den Tod. Das ist eben so was Wahnsinniges, dass ich mich darüber richtig aufregen kann. 

Unsere Ibu Rai, die ich am Tag dreimal besuche (Ibu heisst auf nord-deutsch ‚Mutter’) rief nur „behh !!“, als ich ihr von Deiner Kur erzählte. („Behh !“ heisst auf süd-deutsch „Ha-noh !“).

Dabei arbeitet sie von morgens bis abends wie besessen in ihrem kleinen Warong (das ist eine Futterbude, in der es auch Tee gibt), trägt Wasser und schleppt Holz und hat noch einen 8-köpfigen Haushalt und einen Mann, dessen Hauptbeschäftigung es ist, gelassen zu lächeln. Sie füttert uns redlich und gleichmässig, so dass ich immer dicker werde und gerade gerülpst habe, dass die Wände wackeln. Dabei ist die Ibu ständig so gut gelaunt und lacht wegen jedem Mist schallend und aufreizend, so dass wir alle eben mitlachen müssen. Wir sind also alle drei ganz verliebt in diese Type, und ich muss Dir ein Bildchen von uns beiden schicken.

Gestern Abend gab es mal wieder einen „Barong-Tanz“ hier in Ubud. (Du kennst ihn ja sicher jetzt durch die Beschreibung im Buch der Vicki Baum) :  Es ist einfach unbeschreiblich, dass in einem Theaterstück der ‚heilige’ Barong, eine riesige Loewenatrappe die sonst im Tempel hängt, zu einem Darsteller wird, der Witze macht und seine Rolle mitspielt. Doch wenn dann andere Maskentänzer mit Dämonenmasken auftreten, dann kehrt sich Schauspiel zum Mythos, oder zur lebendigen Religion, und die Mitwirkenden, Barong, Maskentänzer und dann noch einige Zuschauer geraten ohne Übergang vom Spiel in tiefe Trance. Die Kristänzer (Kris ist ein Dolch), die vorher noch im Spiel die fürchterlich aussehende „Rangda“-Maske angreifen, werden von dieser plötzlich verwandelt und richten ihre scharfen Messer gegen sich selber.

Stell Dir mal vor, in einem deutschen Theaterstück schnappten die Schauspieler plötzlich über und versuchten, sich mit aller Gewalt selber zu erstechen.

Und was dann kommt, ist wirklich zum Wahnsinnigwerden. Es gelingt ihnen nicht! Die scharfen, langen spitzen Klingen biegen sich unter der Wucht des Druckes auf der nackten Haut, die noch nicht einmal angeritzt wird. Ein Phänomen, das es kaum noch einmal gibt in der Welt.
Die gelassene Erklaerung der Balinesen ? Der gute Geist des Barongs in ihnen ist stärker als der böse Geist der „Rangda“, die das angreifende Messer gegen sie selbst leitet. Dann kommt der Priester um die Ecke, bespritzt alle mit Weihwasser, alles steht auf und geht gelassen nach Hause. Ende der Vorstellung.

Dem Phänomen der Trance bin ich, wie Du ja schon weißt, oft auf meiner Reise begegnet, und ich bin zu der Überzeugung gekommen, dass der Mensch Bewusstseinsbereiche erreichen kann, die ihn schier unverwundbar machen oder in denen er in der Lage ist, physikalische Gesetze zu durchbrechen. So ist es also durchaus erklärlich, dass ein Mensch sich ins Feuer stellt, ohne zu verbrennen, oder sich nur die geringste Brandblase zu holen, wie bei dem Feuertanz, über den ich Dir ja neulich berichtete.

Stell Dir vor, was ich noch herausbekommen habe. Es gibt in Bali nur „Wunschkinder“. Das heisst eigentlich halbe Wunschkinder. Die balinesischen Frauen halten seit Generationen ein Geheimnis, ihr Geheimnis. Weiss der Himmel, wie sie es machen, aber sie bekommen nur dann ein Kind, wenn sie es wollen. Da hier meist nur dann geheiratet wird, wenn ein Kind unterwegs ist, bestimmen die Weibsleut also letztlich, wann geheiratet wird, und es ist zum piepsen, die Männer sind einfach machtlos dagegen. Ich habe mit einer amerikanischen Anthropologin darüber gesprochen, die eigens deshalb nach hier kam, um es herauszubekommen. Sie traf nur auf gelassenes schweigendes Lächeln. Diese kleinen Biester ! Ein Übervölkerungsproblem hat es also noch nie hier gegeben. Wenn es dennoch kinderreiche Familien gibt, so nur deshalb, weil Kinder eine Art von Altersversorgung für die Eltern darstellen und ... weil Balinesen alle Kinder ganz abgöttisch lieben.

Und dann die Kinder selber. Ich hatte Dir schon gesagt, glaube ich, dass es hier in Bali kaum eine Kindererziehung von den Eltern aus gibt. Hat das Kind das Säuglingsalter hinter sich, so wird es schon eine unabhängige Persönlichkeit in der festen Gruppe der Kindergemeinschaft. Alles, was als eine Art Erziehungsersatz weiterhin einwirkt, ist die feste, gelebte Moral der Religion und der Sitten der Gesellschaft. Ein wirkliches Kinderparadies, und Du solltest einmal sehen, was das für tolle Kinder sind. Es gibt keine „Schlafengehenszeit“, die Kinder bleiben bei den verschiedenen Arten von Aufführungen immer bis zum Schluss dabei. Die ganze Kinderbande ist bei vollmond wach und spielt Vollmondspiele. Bei Schattenspielen oder Legongtänzen, die oft die ganze Nacht durchdauern, sitzen oder liegen dann ganze Reihen von schlafenden Kindern zwischen und vor den Zuschauern, ein ganz köstlicher Anblick, denn das Spiel geht ohne Unterbrechung weiter, selbst wenn auch alle Zuschauer schlafen würden. An den einzelnen Höhepunkten weckt man sich dann wieder gegenseitig, und Kleinkind und Urgrossvater haben die gleiche, ungetrübte Freude daran.
 
Ist das nicht herrlich? Stelle dagegen die aufgemachte, aufgeputzte Welt des europäischen oder westlichen Kindes mit all dem dazugehörigen Spielklimbim. Weißt Du, es ist schon ein grosses Elend, dass der Einfluss des Westens hier in Asien mit all seinem Druck von Dollars, Autos, Transistoren, James Bonds und weiss der Himmel noch alles so zerstörerisch stark hier eindringt. Was Asien in diesem Jahrhundert alles verliert und scheinbar (wie in China z.B.) bedingungslos über Bord wirft, wird der Menschheit erst viel, viel später bewusst werden. Wir im Westen übernehmen inzwischen ein paar Lapalien wie Yoga und Karate, und selbst die noch meist völlig falsch.

So, ausgekrickselt. Morgen bin ich zu einer Bali Hochzeit eingeladen. Übermorgen setze ich den strengen Blick eines Dozenten auf, und dann schicke ich den Brief weg. Falls mir noch was einfällt, schreibe ich noch was dazu.

Viele Grüsse und Küsse, und bleib doch mal ein bissel erholt,

Dein Hans Dozent

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