Letters home 1967 -1978

Friday, March 27, 2009

Erdbeben


Lobby Bali Beach Hotel

April 1969


Hotel BALI Beach

12.04.69


Liebe Mutter!


Natürlich liegt die Hauptschuld wieder mal an mir, aber einen kleinen Vorwurf muss ich Dir doch machen: Wie kann es nur passieren, dass Du Dich in solch eine Idee hineinsteigerst?


Von einem Erdbeben hier in Bali ist nichts ... garnichts bekannt ! 

Puh, puh, was ein Schlag ist da so ein Telegram voller Verzweiflung über mein Wohlergehen. 


Als Dein Schreckens-Telegramm hier ankam (typisch Bali-Post, dass es Samstag – Sonntag gemütlich liegen blieb, und ich es erst am 3. Tag abends bekam) da telegrafierte ich sofort zurück, dass "alles o.k." ist. 


Es ist mir rätselhaft, wie sich solch eine Nachricht verbreiten kann, und ziemlich ratlos, wie ich solch eine Sache verhindern kann. Was wurde denn über solch ein Erdbeben berichtet?  Nebenbei gehören in diesem Land, was genau am Vulkan-Gürtel der Erde liegt, kleine Erdbeben zur Tagesordnung, keiner wundert sich, es ist als ob es bei uns regnen würde! Ausserdem ist dieses Hotel erdbebensicher !


Mutterle, versuche bitte etwas ruhiger zu sein und steigere Dich nicht so leicht in irgend etwas hinein. Ich war auf meiner ganzen Reise noch nie so rundherum in europäischem Leben mit all der dazugehörigen „Sicherheit“ wie gerade hier.


Ich lebe in einem Intercontinental, bin täglich in enger Verbindung mit vielen Menschen. Sollte irgend etwas passieren, so ist man hier sofort informiert. Eine direkte Funk-Telefon-Verbindung besteht zwischen dem Büro hier und Djakarta. Innerhalb einiger Minuten wäre die Deutsche Botschaft informiert, die wiederum per Telex und direkter Funkverbindung mit Deutschland zusammenarbeitet. Solch ein heisser Draht ist sozusagen die Hauptschlagader dieses Hotels und sei es nur um 15 kg Butter hereinzufliegen.


Schau, und jetzt lebe ich noch viel mehr umwattet als sonst in der Welt (der Strassenverkehr hier übrigens ist etwa 98 mal kleiner als in Deutschland) und Du sorgst Dich mehr denn je!


Von morgens Sonnenaufgang bis teilweise in die Nacht arbeite ich wirklich hart. Alles was mit der Herstellung eines solchen Buches verbunden ist habe ich zu kontrollieren, zu beobachten und fast ausnahmslos selbst zu machen. Dass ich dabei völlig eingespannt bin, musst Du mir schon glauben. Werner und ich haben im letzten Monat fast 2000 Aufnahmen gemacht, von hunderten von ausgewählten und geplanten Motiven. Daneben organisiere ich tausend wichtige Nebensächlichkeiten, mache Vorentwürfe, kontrolliere Texte, muss eine Dunkelkammer einrichten, stelle indonesische Gerichte zusammen für einen Anhang aus Guide-Buch über Kochrezepte. Vom Klebstoff über Entwickler-Salz zum Blumenarrangement, von Verhandlungen mit Vertretern des Government bis zu etwa 30 grossen Kunden wie Lufthansa, Quantas, und was weiss ich, die Verträge über ihre Anzeigen mit uns abschliessen, für Anzeigen, die ich auch noch gestalten muss (Noch so'ne Werbeagentur nebenbei, was wieder planen, texten, entwerfen, kontrollieren und so weiter bedeutet). Wenn ich mich nicht mit allem hineinlegen würde, das Projekt, ein solches Buch aus dem Nichts zu stampfen, würde schwer gelingen. 


Es war aber etwas leichtfertig von mir, anzunehmen, dass Du das wirklich verstehst. Eine andere Realitaetsebene, eben. Wenn ich versucht habe, während meiner Reise fast wöchentlich zu berichten, so geschah das aus verschiedenen, jetzt aber unter geänderten Vorzeichen. Erstens war ich da wirklich unterwegs und die Plätze und Ereignisse änderten sich ständig. Dass Deine Sorge um mich da viel grösser sein musste, war mir klar und ich musste und wollte mir die Zeit nehmen, Dich an allem so weit wie nur möglich teilhaben zu lassen und Dich laufend zu unterrichten. 


Etwas änderte sich da natürlich, als ich für fast 7 Monate in demselben Haus in Ubud lebte, recht geregelt, durch Ibu mit essen und schlafen und meist nur ausgiebige Fusswanderungen im kleineren Kreis. Doch,  es gab tausenderlei Dinge, täglich und wie "auf Reisen" zu entdecken und es blieben lange Abende um Dir zu berichten. Der Hauptgrund war also kaum mehr, Dir durch meine Briefe die Sorgen zu nehmen, weil sich die Gefahren, in denen ich in Deiner Vorstellung lebe, doch schon alleine durch die Tatsache des „ansässig sein“ verringerten. 


(Trotz allem bin ich immer noch überzeugt, dass jeder in Deutschland unter grossen Gefahren lebt, nur, dass sie zur Gewohnheit werden und sich kaum verändern. Gefahren werden doch wohl meist nur daher Gefahren, weil man sie nicht kennt. Aber Dein Sohn ist ja nicht Klein-Doofie, der durch die Weltgeschichte trottelt. Sicherlich war in der Kriegszeit Dein Bewusstsein um Gefahren ganz anders als heute, oder nicht?? Das ändert sich doch wohl mit den Gegebenheiten der ständig sich wechselnden Umwelt. Du kannst Dir kaum vorstellen, wie sich die meisten Deiner Sorgen für mich hier anhören. Es wäre etwa so, als wenn ich Dir ständig in meinen Briefen ans Herz legen würde, Du solltest doch bitte beim Strassenüberqueren erst nach links und dann nach rechts schauen, bei einer Treppe erst vorsichtig den linken und dann den rechten Fuss heben, oder bei einem heissen Topf besser einen Topflappen benutzen).


Dies hört sich sicherlich alles nach Holzhammermethode an, aber verzeih mir, Mutter, ich muss Dir das alles immer wieder erklären, sonst wirst Du mir noch krank an Nichtigkeiten und Unverstandenem. Verzeih’ mir also den erhobenen Zeigefinger und die Rolle des Lehrmeisters, (die mir überhaupt nicht behagt).


Versuchs mal zur Abwechslung, dass Du eigentlich recht stolz auf Deinen Sprössling sein solltest ... Wie noch nie zuvor, und ganz gegen seine Art, versucht Dein Söhnlein urplötzlich, etwas „produktives“ zu schaffen, und die glorreichen wunderbaren materialistischen „Existenzgrundlagen“ zu sammeln -- um dann eines Tages als so ein richtig wertvoller Mensch, anerkannt und belorbeerkranzt, und zu allem auch noch als (hört, hört!) Dollar-Millionär, nackt, aber wertvoll, ins Grab getragen zu werden. Wie schön! Wie schön! ... und Bali hat er gesehen, in seiner Jugend, der Gute ! 


Ob es hinhaut oder nicht, wenigstens versuchen kann ich's ja mal.


So, das war wieder mal ein ganz garstiger Brief. Ich hab’ aber solch einen Schrecken bekommen, dass ich Dir versprechen will, trotzdem regelmässig zu schreiben. Ich schau dann, im Vorbeirennen sozusagen, auf den rasenden Kalender, weil ich überhaupt nicht mehr die Zeit versteh.


Wenn das für die nächsten Wochen jedoch nicht viel mehr als Lebenszeichen werden sollten, so sei mir bitte nicht bös, ich häng halt, wie in allem was ich mach’, bis über beide Ohren und mit vollem Herzen drin.

 

Lass Dich ganz lieb umarmen und schau, dass Du nicht so leicht wieder in solch eine Talfahrt von Sorgen gerätst,


Dein Hans



21. 4. 69


Liebe Mutter!


Ich hab gerade Deinen lieben Brief erhalten, der mir zeigte, dass Du Dich nach dem Telegramm und nach meinem letzten Brief wieder etwas beruhigt hast. Da haben sich einige Sachen unterwegs gekreuzt und dadurch gab’s wohl Verwirrung. 


Dass ich letztes Mal ein wenig geschimpft habe, tut mir jetzt auch schon wieder leid, denn es ist doch fast unmöglich für Euch alle, Euch vorzustellen, wie es hier wirklich aussieht und wie toll ich hier lebe.


Alles hat jedoch zwei Seiten, und gerade die andere Seite sah die letzten Wochen etwas miese aus. Nach meinem so freien Leben während der letzten zwei Jahre ist es nicht ganz einfach, die ganze Verantwortung für ein 40.000 Dollar -Projekt zu tragen. Stell Dir vor, wir fahren hier fast 4 Wochen lang mit dem Jeep durch Bali, ein Gebiet so gross wie Nordrhein-Westfalen, machen eine Menge Fotos, müssen aber sechs Wochen lang auf die Ergebnisse warten. Und da stellt sich heraus, dass unsere Fotoausrüstung schon von Anfang an einen Defekt, durch Witterung oder sonst was, gehabt hat und dass viele Bilder verloren gingen. Da geht meine gesamte Kalkulation, die Zeiteinteilung und noch viel mehr baden, und es ist nicht so einfach, das alles wieder neu zu arrangieren.


Kein Wunder also, dass ich eingespannt bin, zumal dieses Buch für mich von so grosser Wichtigkeit ist. 


Onkel Otto (unser Familien Kapitalist) hat übrigens meinen Vertrag bemängelt, was ich verstehen kann. Er sieht wohl nicht, dass es eine ausgetüftelte Trickserei von mir war, so aus einem Kamponghaus heraus, als ein kleiner Niemand, gleich einen solchen Sprung zu machen. Ich musste Schritt für Schritt diese gewieften Manager von mir und meiner sehr neuen Idee überzeugen, um dann langsam, aber sicher meinen Teil zu sichern. Übrigens ist dieser Vertrag nur ein Drittel des gesamten Geschäftes, da ich nebenbei noch einen Vertrag mit der Druckerei in Singapore habe, der mir 15 % aller Druckkosten zusichert. 


Das sind im Juli für mich etwa 6000 DM. Zusätzlich verdiene ich noch etwa 2000 DM an separat gestalteten und bezahlten Anzeigen. Der Verdienst an 100.000 Büchern, den ich diesem Hotel mit meiner Idee beschere, liegt bei etwa 400.000 DM. 10 % davon sind für mich; das bedeutet, dass ich schon allein durch diesen Vertrag, der in Deinen Händen ist, im Laufe der nächsten 4 – 5 Jahre etwa 40.000 DM Einnahmen habe, für die ich, nachdem das Buch einmal arrangiert ist, kaum noch einen Finger zu rühren brauche. Na, so schlecht ist das ja nicht, wenn man bedenkt, wie vertrickst und raffiniert die ganze Sache eingefädelt und regelrecht aus dem Nichts angefangen wurde. 


Das also zu Deiner Beruhigung. Die grosse Chance jedoch, mit Intercontinental in ein weiteres, dann jedoch weit besseres Geschäft zu kommen, ist immer noch ausgezeichnet, und wenn der Glücksgott mich nicht völlig verlässt, habe ich wohl den grössten Coup aller Zeiten gelandet. Dazu kommt dass Werner und ich ein hervorragendes Team bilden. Sollten wir etwa einen Auftrag erhalten, das gleiche Guide-Buch für NEPAL aus dem Boden zu stampfen, so können wir das innerhalb weniger Monaten erledigen, da wir bereits etwa 1000 erstklassige Fotografien von Nepal besitzen. Ich sitze hier direkt an der Quelle von Intercontinental und weiss, dass diese Kapitalgesellschaft vor wenigen Wochen das grösste Hotel in Kathmandu gekauft hat. Mit dem zukünftigen Chef dort habe ich bereits im Swimmingpool geplauscht, da er der Chef des Intercontinental Hotels in Jakarta ist, noch. Und so weiter, und so weiter. Das alles klingt Dir wohl zu unglaublich, und ich werde zu Deinem träumende Hansel, der ein wenig spinnt. Na, hab ich recht ?


Glaube auch nicht, dass sich ansonsten irgendetwas Wesentliches an meiner Lebenseinstellung geändert hat. (Ich kann ohne weiteres jederzeit wieder wahnsinnig werden und nach den Fidji Inseln tummeln und dort Millionär werden). 


So, das war wieder ein kleiner Teil Geschäftliches, um Dich  etwas zu beruhigen. So sonnig, wie es aussehen könnte, wird es sowieso nicht. Man kennt das ja ...


So, und nun wieder herunter vom Schachspiel. Normal bleiben.


Ihr habt also mal wieder Heumaden besucht. Menschmeier, wie hat sich doch mein Leben entwickelt, wenn ich an das Dörfchen und meine Jugend zurückdenke. So was Komisches! Messdiener und Ulli Strohwasser, Jürgen und Klaus Smitter. Alles ist wie ein Märchen, wenn ich zurückdenke. Ist Emma Gehrung noch am schimpfen, und wen habt Ihr denn sonst noch gesehen? Onkel und Tante? Wie soll ich denen bloss erklären, was für ein Mensch ich bin und in was für einer Umwelt ich lebe. Was überbrückt so ein Brief? Das ist so schwierig, dass ich es immer wieder aufgeschoben habe. Du kennst mich ja, wenn ich Fehler eingestehen soll, wird’s ganz jämmerlich. Ich will’s aber trotzdem versuchen und heb mir einen Sonntag für die Zwei Alten Schwaben auf, auch wenn meine Sonntage meistens Mittwoche oder Dienstage sind. 


Lass doch den Harald ein wenig bös sein!


Es ist wirklich höchste Zeit, dass ich mal in Deutschland auftauche. Da klingt wieder soviel Traurigkeit durch, wenn „Du Dich damit abfinden musst, dass ich wohl nicht so schnell für immer nach Deutschland zurückkomme“. Mutter, ich weiss überhaupt nicht, wo ich mich für immer „niederlassen“ werde. Weißt Du, was mein stiller Traum ist? Ich möchte mich gerne überall in der Welt für immer niederlassen können. So, jetzt weißt Du, wie logisch ich bin!!


Jetzt muss ich aber wieder einige hundert Fotografien anschauen, muss rumtelefonieren und arbeiten.


Das war also wieder ein albern-ernstes Lebenszeichen, dem noch viele folgen werden.


Ich küsse Dich herzlich und wünsche Dir viele Erlebnisse, meist jedoch schöne.


Pass auf Deine Nierchen auf, Du bist halt nicht mehr sooo jung, um dauernd wie ein Hase rumzuhüpfen.


Dein kleiner Sohn



Es hat noch immer nicht geerdbebt, vielleicht morgen früh zum Frühstück mit


Apfelsaft

Haferflocken

2 Eier

Kaffee

Toast

Marmelade

und Küssen von einem lieben Mädchen!

Hans Höfer



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